Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, CY, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, IRL, I, L, M, NL, P, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Fröhlich und Teschner geben jeder der vielen Figuren eine unverwechselbare Stimme und sorgen für ein lebendiges Hörerlebnis. Die ansprechende Ausstattung im Papeterie-Look mit Klappdeckelbox und Papierschoner für die CDs sowie einem Booklet mit ausführlichem Personenregister überzeugt.
© BÜCHERmagazin
Tanja Kinkel scheitert an Walther von der Vogelweide
Walther von der Vogelweide zählt zu den großen Unbekannten der Literatur. Er hat zwar ein Werk höchsten Ranges hinterlassen, seine Person bleibt hinter seinen Schriften verborgen. Urkundlich gesichert ist einzig, dass er im November 1203 einen Pelzmantel geschenkt bekommen hat. Alles Weitere beruht auf Rückschlüssen aus seinen oder fremden Arbeiten. Da von Mutmaßungen umrankte Gestalten seit jeh die Phantasie angeregt haben, liegt es nahe, den Minnesänger selbst zu einer literarischen Figur zu machen. Exakt dies setzt die Bestseller-Autorin Tanja Kinkel in ihrem neuen Roman "Das Spiel der Nachtigall" um.
Sie beweist damit ein sicheres Gespür für die Auswahl historischer Stoffe. Kinkel gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Vierzehn Romane hat sie bislang veröffentlicht, jeder von ihnen ist ein Bestseller. Die promovierte Germanistin richtet ihr Schreiben nach den Regeln des historischen Romans aus: Erstens sollte dort das Erzählte unter den Umständen der gewählten Zeit möglich gewesen sein. Zweitens legt es die Erzählung auf das Eintauchen des Lesers in die Geschichte an.
Das "Spiel der Nachtigall" aber scheitert an den Ansprüchen seines eigenen Genres. Das liegt nicht unbedingt daran, dass der Roman Walther von der Vogelweide als dichterischen Ehrgeizling, sexuellen Abenteurer und obsessiven Liebhaber darstellt. Vielmehr zeigt ein Blick auf die Liebeshandlung das grundsätzliche Problem des Romans. Der Plot folgt einem bekannten Schema: Ein Paar verliebt sich auf den ersten Blick, wird aber getrennt, um sich Jahre später wiederzufinden. Doch eine Intrige reißt die Liebenden abermals auseinander, bis das Happy End sie endgültig vereint. Problematisch ist diese Handlungsstruktur, weil sie den Vorgaben moderner Liebe folgt. Dieses Liebesmodell, bei dem sich zwei Partner individuell füreinander entscheiden, entsteht jedoch erst fünfhundert Jahre nach Walthers Tod. Sicherlich hat der Minnesänger geliebt, aber in keinem Fall auf die von Kinkel dargestellte Weise. Derselbe Achronismus gilt für Kinkels Vorstellung von Autorschaft. Ihr Walther von der Vogelweide reitet durch das Mittelalter und dichtet dort Erlebnislyrik, als wäre er der junge Goethe, der sich geschwind zu Pferde auf dem Weg nach Sesenheim befindet. Diese Widersprüche zerreißen die Illusion, Kinkel lasse die Welt des Minnesängers auferstehen. Sie degradieren das mittelalterliche Szenario samt seinen Burgen, Königen und Fürsten zur Fassade. Kinkel inszeniert ein modernes Beziehungsdrama vor mittelalterlicher Motivtapete.
Vielleicht könnte man in ihrer Liebesgeschichte dennoch versinken, wenn ihre Figuren und deren Leben nicht derart konstruiert wären. Um im mittelalterlichen Gefüge künstlich Platz für eine individualisierte Liebe zu schaffen, erfindet Kinkel eine Heldin, die ihr zum Klischee des Außerordentlichen gerinnt: Judith ist Jüdin, jung, schön, rothaarig. Früh schon verwaist, lässt sie sich in Salerno zur Ärztin ausbilden. Vor einer potentiellen Heirat flieht sie, weil sie Menschen heilen will und weil sie keine Jungfrau mehr ist. Judith sucht einen Mann, der das akzeptiert. Sie wird Leibärztin am Hofe Philipps von Schwaben, verdeckt ihre jüdische Identität, gerät aber doch in das Visier von Philipps Feinden. Judith wird zu einer Heirat mit einem Christen gezwungen. Der allerdings entpuppt sich als verkappter Homosexueller, mit dem sich aus Judiths Sicht gut leben ließe, würde sie sich nicht in Walther von der Vogelweide verlieben. Die Figur "Judith" muss so viel Außergewöhnliches verkörpern, dass sie vor Überkonstruiertheit in sich zusammenbricht. In einem vergleichbaren Selbstzerstörungsakt zertrümmert der Roman die Beziehung seines Paares. Sie erinnern sich an das Pelzmantelgeschenk? In Kinkels Roman entgleitet diese Szene in vermeintliche Erotik. Walther macht Judith ein verführerisches Angebot: "Wenn du frierst, will ich dich wärmen. Gerne mit, lieber aber ohne meinen neuen Mantel, dafür auf dem teuren Stück." Solche Szenarien machen klar: Es hat sein Gutes, wenn Walther von der Vogelweide der große, als Person aber unbekannte Minnesänger bleibt.
CHRISTIAN METZ
Tanja Kinkel: "Das Spiel der Nachtigall". Roman.
Droemer Verlag, München 2011. 924 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH