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Der letzte Patriarch Berthold Beitz ist eine lebende Legende: Als Generalbevollmächtigter von Alfried Krupp, dem letzten Alleineigentümer des Konzerns, und bis heute Vorsitzender der Krupp-Stiftung hat er Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Mit unbestechlichem Blick zeichnet Norbert F. Pötzl ein aufschlussreiches und differenziertes Bild des Industriekapitäns - die erste Biografie, die es wagt, das Wirken von Berthold Beitz kritisch zu hinterfragen.Beitz gilt als erfolgreicher Wirtschaftsführer, Vorreiter der Ostpolitik im Kalten Krieg, Diplomat im internationalen Sport und Mäzen von Kultur und…mehr

Produktbeschreibung
Der letzte Patriarch Berthold Beitz ist eine lebende Legende: Als Generalbevollmächtigter von Alfried Krupp, dem letzten Alleineigentümer des Konzerns, und bis heute Vorsitzender der Krupp-Stiftung hat er Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Mit unbestechlichem Blick zeichnet Norbert F. Pötzl ein aufschlussreiches und differenziertes Bild des Industriekapitäns - die erste Biografie, die es wagt, das Wirken von Berthold Beitz kritisch zu hinterfragen.Beitz gilt als erfolgreicher Wirtschaftsführer, Vorreiter der Ostpolitik im Kalten Krieg, Diplomat im internationalen Sport und Mäzen von Kultur und Wissenschaft. Unbestritten ist sein Mut, den er während der Nazi-Zeit bewiesen hat, als er, für eine Ölfirma im besetzten Polen tätig, zahlreiche Juden vor dem Abtransport in die Vernichtungslager gerettet hat. Aber was stimmt an den Legenden, die er seither um sich gewoben hat und weben ließ? Hat er nicht den Weltkonzern Krupp wiederholt an den Rand des Abgrunds gesteuert? Warum pflegte er nach dem Zweiten Weltkrieg eine sonderbare Nähe zu alten Nazis? Hat er wirklich freiwillig Entschädigungen an ehemalige Zwangsarbeiter von Krupp bezahlt? Wie weit ist es her mit der besonderen sozialen Unternehmenskultur bei Krupp? Was verband ihn mit dem Schah von Persien? Wie vertraut war er mit Erich Honecker? Welche Rolle spielte er in der Affäre um die ermordete Prostituierte Rosemarie Nitribitt? Nach langjähriger gründlicher Recherche legt Pötzl mit dieser Biografie eine Neueinschätzung dieses bewegten Lebens in einem bewegten Jahrhundert vor.
Autorenporträt
Norbert F. Pötzl, geboren 1948, ist seit 1972 Redakteur beim Spiegel. Als Berliner Büroleiter des Nachrichtenmagazins (1990 - 1994) war er Chronist der DDR-Vergangenheitsbewältigung. Er deckte Stasi-Verbindungen von Manfred Stolpe und Gregor Gysi auf. Buchveröffentlichungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2011

Unternehmen Beitz
Norbert Pötzl hat schon die zweite Biographie über den Krupp-Chef Berthold Beitz geschrieben. Die erste durfte nicht erscheinen

Zwei Biographien hat Norbert F. Pötzl über den Unternehmer Berthold Beitz geschrieben. Die eine liegt bei ihm zu Hause in Hamburg, die andere steht seit dieser Woche in den Läden. Die eine hatte er begonnen, weil ihn Beitz - früher Generalbevollmächtigter des Stahlkonzerns Krupp, heute Vorsitzender der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung, 98 Jahre alt - im Jahr 2002 beauftragte hatte, eine autorisierte Biographie zu schreiben; aber als Pötzl, Redakteur beim "Spiegel", damit fast fertig war und sein Manuskript im Frühjahr 2004 zur Durchsicht abgab, erklärte Beitz das Projekt für erledigt. Danach entstand die andere Biographie: "Beitz. Eine deutsche Geschichte".

Worin die Texte sich unterscheiden, wird man nicht erfahren: Das erste Manuskript ist schubladisiert, Pötzl hat eine Vereinbarung zum Stillschweigen unterschrieben, ein Ausfallhonorar bekommen und alles an Material, das Beitz ihm zur Verfügung stellte, und seine Gesprächsaufzeichnungen zurückgegeben. Woran er scheiterte, habe er nie erfahren, so steht es im Prolog zu dem Buch, das Pötzl danach schrieb. Die Qualität sei es nicht gewesen, habe Beitz ihm versichert. Und so ist dessen deutsche Geschichte um eine Episode reicher geworden, man kann sie nachlesen in Pötzls Buch, sie handelt davon, wie um ein Bild in der Geschichte gerungen wird: um das des Unternehmens Krupp genauso wie um das Bild von Berthold Beitz.

Aber weil diese Geschichte auch davon handelt, wie heikel es ist, wenn sich ein Autor darauf einlässt, eine Biographie im Einklang mit dem Biographierten zu schreiben, beginnt sie in Hamburg: Wir sitzen im ganz neuen "Spiegel"-Haus hoch über der Speicherstadt, und Pötzl erzählt, wie es für ihn war, als der erste Versuch scheiterte, mit Beitz über Beitz zu schreiben. Und er im zweiten Versuch ein Buch schrieb, mit dem er, sagt er jedenfalls, zufriedener ist, als er es mit dem ersten geworden wäre.

Wer hat so ein Leben?

Aber erst einmal: Wer ist Berthold Beitz? "Eine faszinierende Gestalt", sagt Pötzl. "Mir fällt in der jüngeren Geschichte keiner ein, der solche Freiheiten hatte wie Beitz. Was und wen er alles bewegt hat, was sich in seiner Person bündelt - wer sonst noch hat ein solches Leben geführt?"

Dieses Leben beginnt 1913 im vorpommerschen Zemmin. Beitz, Sohn kleiner Leute, macht eine Banklehre, bewirbt sich bei Shell in Hamburg, es ist das Jahr, in dem der Krieg ausbricht. Beitz wird nach Polen geschickt, 1941 bestimmt man ihn zum Leiter der sogenannten Karpaten-Öl AG im östlichen Galizien, in Boryslaw.

Beitz ist 28 Jahre alt. Bis April 1944 bleibt er hier - und wird zum Lebensretter. Er stellt sich vor seine jüdischen Angestellten, holt wieder und wieder Juden aus Deportationszügen heraus, stellt sie aus dem Stand ein, erklärt sie für unersetzbar. Beitz wird denunziert, ein Zufall rettet ihn: Der Vernehmer von der SS ist ein Bekannter aus Greifswald und lässt Beitz laufen. Historiker schätzen die Zahl der Juden, die Beitz vor dem Tod rettete, heute auf ungefähr hundert. 1973 hat ihm Israel den Ehrentitel eines "Gerechten der Völker" verliehen.

Nach dem Krieg macht Beitz Karriere in Hamburg, leitet das Aufsichtsamt für Versicherungen in der britischen Besatzungszone, wechselt dann zur Iduna-Germania-Gesellschaft. 1952 lernt er Alfried Krupp von Bohlen und Halbach kennen. Der ist im Jahr zuvor aus der Haft entlassen worden: Im Krupp-Prozess war er unter anderem wegen der Beschäftigung von Zwangsarbeitern zu zwölf Jahren Haft verurteilt, aber begnadigt worden. Alfried Krupp holt Beitz nach Essen, als Generalbevollmächtigten. Seit 1953 ist er dort. Nach dem Tod des letzten Krupp wird eine Stiftung gegründet, der Konzernbesitz geht darin auf. Beitz führt erst den Aufsichtsrat an, später hat er den Ehrenvorsitz. Bis heute.

Das sind Fakten, wie man sie in Pötzls Buch findet, im Personenarchiv Munzinger und in einer autorisierten Biographie von Berthold Beitz, die 2010 erschienen ist, Joachim Käppner hat sie geschrieben. Aber aus Fakten bestehen Biographien natürlich nicht allein. Pötzl, damit endet sein Prolog, wolle in seinem Buch "einen Menschen aus Fleisch und Blut" beschreiben, "bei dem Gelingen und Versagen oft nahe beieinander lagen".

Sein Buch ist vor allem ein Besuch in der alten Bundesrepublik. Das Personal sind Industriekapitäne, wie es sie nicht mehr gibt, sein Schauplatz ist ein Weltkonzern, einst die Waffenschmiede des deutschen Reichs, der heute, nach Fusionen und Krisen, ThyssenKrupp heißt - und genau wie der Standort Ruhr nicht mehr das ist, was er mal war. Mittendrin in der Transformation steht seit fast sechzig Jahren Berthold Beitz: "Er hat immer wahnsinnig Glück gehabt", sagt Pötzl. "Er hat dreimal die Firma praktisch vor die Wand gefahren und ist jedes Mal besser als zuvor daraus hervorgegangen. Das ist auch ein Erfolg."

In den 500 Seiten seines Buchs wirft Pötzl viele Fragen auf. Zu Hamburger Zeiten, nach 1945, habe Beitz, der eben noch unter Einsatz seines Lebens Juden vor dem Tod rettete, dafür gesorgt, dass belastete Fachleute entnazifiziert wurden, damit er sie in seiner Behörde einstellen konnte. Gegen die Gesellschaft von Altnazis habe er nichts gehabt. Im Prozess gegen den Kommandanten des Zwangsarbeiterlagers von Boryslaw, Friedrich Hildebrand, habe Beitz 1964 "alles" getan, schreibt Pötzl, "den einstigen SS-Schergen zu entlasten". Und anders, als es Beitz darstelle, habe er Ende der fünfziger Jahre ehemalige Zwangsarbeiter von Krupp eben nicht als Erster, nicht freiwillig oder großzügig entschädigt: "Er tat es unter politischem und juristischem Druck, und es waren erbärmliche Almosen, die er verteilte", sagt Pötzl.

Ersten Kontakt zu Beitz hatte Pötzl 2001 geknüpft, als er an einer Biographie über Erich Honecker arbeitete. Beitz und Honecker seien einander sympathisch gewesen, gemeinsam auf die Jagd gegangen, und als Honecker stürzte, bot Beitz ihm im Herbst 1989 eine Bleibe an. "Dass man ihn deswegen für einen Kryptokommunisten hielt, war ihm schnuppe", sagt Pötzl. "Beitz hielt auch dem Schah von Persien bis zu dessen Sturz die Treue, auch wenn der spätestens seit seinem Deutschlandbesuch 1967 höchst umstritten war." 1974 war die iranische Stahlindustriegesellschaft beim kriselnden Krupp-Konzern eingestiegen: Den Deal hatte Beitz mit dem Schah in dessen Sommerresidenz am Kaspischen Meer abgeschlossen. Er hielt bis 2005. "Honecker oder der Schah - das ist sozusagen seine Augenhöhe", sagt Pötzl.

Ein ganz neues Bild

Der Biograph darf nicht darüber reden, welche Passagen er im Buch, das gedruckt wurde, anders konturiert hat als im ungedruckten. "Ich habe das ganze Bild zerlegt und wieder neu zusammengebaut", sagt er. Und: "Was Beitz wollte, war eine Pseudo-Objektivität." Das fast fertige Manuskript habe Beitz damals an seine Tochter Susanne weitergereicht, "auf deren Rat er viel gibt. Am 1. März 2004 war ich bei Susanne Henle in Mülheim an der Ruhr. Sie hatte nur ein paar eher nebensächliche Anmerkungen zum Text, ich habe gesagt: Selbstverständlich, das kann man leicht ändern."

Ende März 2004 hätten Beitz und Pötzl dann noch "ausgemacht, wen ich als nächsten Gesprächspartner aufsuchen sollte." Beitz habe Pötzl jedes Mal mit Telefonnummer und Adresse ausgestattet, damit der Biograph Termine machen konnte - und der habe dann Leute getroffen, die "immer voll des Lobes über Beitz" gewesen seien, "selbst die, die er mal gedemütigt hatte. Das war natürlich eine unheimliche Erfahrung."

Aber dann, ohne Vorwarnung, war es im Mai 2004 vorbei. "Er hat mir nie eine Begründung dafür gegeben. ,Aus übergeordneten Gesichtspunkten', heißt es in seinem Absageschreiben." Etwas "zerknittert" sei Pötzl nach dem letzten gemeinsamen Essen mit Beitz nach Hause gefahren, anderthalb Jahre Arbeit - und ein Ersatzhonorar. "Erst 2005 kam mir allmählich der Gedanke: Beitz hat ja immer verhindert, dass ich andere Quellen benutze als die, die er mir vorgibt. Sobald ich nur erwähnte, dass ich gern einmal in dieses Archiv gehen oder jenen Gesprächspartner aufsuchen wollte, hat er immer abgewiegelt. Er hat alles immer in seinen Händen gehalten und alles kontrolliert. Ich hab' es mir gefallen lassen, weil ich das Projekt retten wollte - man ist da in einer ganz blöden Situation."

Und dann habe er, noch ohne Vertrag, ein neues Buch begonnen. Quellen und Gespräche, deren Informationen er nicht mehr nutzen durfte, habe er ersetzt. Im Hessischen Hauptstaatsarchiv fand er Dokumente, dass Beitz bei den Ermittlungen im Mordfall Rosemarie Nitribitt 1959 Geld an einen Freund der Prostituierten gezahlt hatte, damit der den Namen Harald von Bohlen und Halbach nicht im Zusammenhang mit dem Mordfall öffentlich erwähnt: Harald, ein jüngerer Bruder von Alfried, war ein Freier Nitribitts gewesen.

Interessanter für das Lebensbild von Berthold Beitz ist aber vielleicht eine andere Episode, die Pötzl jetzt erzählt: Wie Beitz 1976 Golo Mann damit beauftragte, ein Porträt Alfried Krupps zu schreiben; es zieht sich aber hin, schließlich gibt Mann ein halbfertiges Manuskript ab, worauf Beitz das Projekt beendet. "Es sollte ein Auftragsbuch daraus werden, aber so geschah es nicht, weil der fertige Teil Herr Beitz nicht gefiel", schrieb Golo Mann später an einen Freund. Aus dem letzten Krupp, "der nicht bös, aber eine ziemliche Null war", habe Mann den "Helden" nicht machen können, den Beitz, "in eigentlich rührender Vasallentreue, in ihm sehen wollte".

Beitz, sagt Pötzl, sei eine "persona sui generis", eine Persönlichkeit, deren Lebensmaßstab er selbst sei. "Natürlich fühlte ich mich geehrt, dass er mich empfängt. Dass er sehr, sehr offen mit mir gesprochen hat." Ist das zweite Buch durch die Zurückweisung kritischer geworden, als es gewesen wäre, wenn er von Anfang an freie Hand gehabt hätte? "Sicherlich, aber ich bin nicht mit diesem Vorsatz herangegangen. Ich wollte das Leben von Berthold Beitz so erzählen, wie es sich mir aufgrund meiner Recherchen darstellt. Ich konnte mich also zurücklehnen und sagen: Ich fange es neu an. Und das hat mir gefallen." Auch wenn Fragen offenbleiben, die er Beitz gern gestellt hätte.

Ein Anruf in Essen, bei der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung, ergibt: Berthold Beitz wird sich öffentlich zu der Biographie von Norbert F. Pötzl nicht äußern.

TOBIAS RÜTHER

Norbert F. Pötzl: "Beitz. Eine deutsche Geschichte. Heyne, 512 Seiten, 22,99 Euro

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"Ein beeindruckendes und spannendes Werk". -- BUNTE