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Die Ausgabe enthält jene germanischen Heldensagen, die als mittelhochdeutsche Heldenepen überliefert sind: Dietrich von Bern, Die Nibelungen Wieland der Schmied, Walther und Hildegunde sowie Ornit und Wolfdietrich, Hilde und Kudrun

Produktbeschreibung
Die Ausgabe enthält jene germanischen Heldensagen, die als mittelhochdeutsche Heldenepen überliefert sind: Dietrich von Bern, Die Nibelungen Wieland der Schmied, Walther und Hildegunde sowie Ornit und Wolfdietrich, Hilde und Kudrun
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.1999

An Kriemhilds Zopfzipfeln
Deutsche Helden, deutsche Götter: Eine Rückkehr in die Welt der Sagen / Von Hanns-Josef Ortheil

Sie wuchsen in dichten Wäldern, auf stattlichen Höfen oder an reichen Königssitzen auf, es fehlte ihnen an nichts, an ihrer Stelle hätten wir den Mund gehalten und es uns gut sein lassen, doch sie waren von ganz anderer Art. Kaum so richtig zu Kräften gekommen, regte sich in ihnen der Tatendrang; sie wollten hinaus, die Heimat verlassen, fort von den meist nur Schlimmes befürchtenden Eltern. Was sie suchten, war immer nur eines: der Zweikampf, das angeblich so ruhmreiche Sichschlagen mit einem berühmten Recken, das einem nun wiederum selbst Ruhm einbringen sollte.

Sie hießen Heime, Witege oder Dietrich von Bern, schon ihre Namen erregten in uns ein Grauen. Man sagte, sie hätten irgendwo im Norden gelebt, und wir stellten uns diesen Norden vor wie einen ewig dunklen Wald mit wenigen helleren Lichtungen, die unseren Helden auf ihren unermüdlichen Ritten als Rastplätze dienten. In diesem Wald hausten Riesen, Bären, Drachen und Zwerge; unsere Helden erledigten sie, ganz nebenbei, um in Übung zu bleiben. Manchmal verfing sich einer der Zwerge in ihren Händen, dann ließen sie ihn erst wieder frei, wenn er, erneut ganz nebenbei, seine Zaubermittel und Schätze losgeworden war.

Eigentlich aber interessierten sie diese märchenhaften Waldfiguren nicht, denn sie standen ihnen nur im Wege auf ihrem Ritt zum Zweikampf mit einem noch kräftigeren, ruhmreicheren Helden. Wir grübelten darüber nach, was es mit diesem Tatendrang auf sich haben konnte, der durch nichts zu bremsen oder zu hemmen war. Sicher, auch wir hatten in unserem jugendlichen Alter manchmal Großes vor, aber doch nicht ausschließlich und immerzu. Unsere jungen Helden dagegen hatten überhaupt nichts anderes im Kopf. Sie begehrten die germanische Dreiheit von Waffen, Rüstung und Pferd, sie gaben ihnen dumpf klingende Namen und zogen auf Nimmerwiedersehen davon, und nicht ein einziges Abschiedswort kam von ihren fest verschlossenen Lippen.

Es konnten doch nicht nur Kampf und Schlacht sein, was sie suchten, es mußte etwas Tieferes, Schwereres sein, was sie so dämonisch anzog, daß sie nicht einmal viele Worte machten, um diesen Drang zu erklären.

Wir aber verstanden nicht, was es war. Und so lasen wir forschend weiter in dem dicken, beinahe sechshundert Seiten starken Band "Deutsche Heldensagen" (350. bis 380. Tausend irgendeiner Ausgabe eines gut verdienenden Jugendbuchverlags), den uns ein Onkel zur Kommunion oder zum Geburtstag geschenkt hatte, damals, in den fünfziger Jahren, als es längst keine Helden mehr geben durfte und selbst der jugendliche Tatendrang schon beinahe verboten war.

Am besten prägten sich die Geschichten um Siegfried ein, zunächst ihrer Schlichtheit wegen. Keine schwer zu durchschauenden Verwandtschaftsverhältnisse, sondern Vater, Mutter und Sohn Siegfried, der die Waldmutproben rasch hinter sich brachte, den Drachen erlegte und die unermeßlichen Schätze gewann. Immerhin kehrte er damit noch einmal an den heimatlichen Hof nach Xanten (Xanten? Wieso ausgerechnet Xanten?) zurück, bevor er in die Weite verschwand, und immerhin zog es ihn dann nach Worms (Worms? Warum gerade Worms?), nicht um sich mit einem anderen Helden zu schlagen, sondern wegen des Werbens um Kriemhild.

Um Kriemhild hätten wir auch geworben, hier ergab sich ein winziges Schlupfloch in den sonst dunkel und düster zu uns Lesern hin abgeschotteten Stoff. Auf einer der wenigen Illustrationen unserer "Heldensagen" hingen ihre schweren, hellen Zöpfe fast bis zum Boden, auch ihr Blick ging dorthin, züchtig hinab, und ebenso züchtig hatte sie die Arme kunstvoll vor der Brust verschränkt. Kriemhild war eine schöne Statue, sonst nichts, sie machte uns zumindest keine Angst, so wie Brunhild, mit deren Auftauchen in der Sage im Grunde das ganze Elend begann.

Brunhild war keine Statue, und sie hatte auch keine schweren, hellen Zöpfe, sondern wildes, schwarzes Haar. Sie stemmte die Hände in die Hüften und stellte sich breitbeinig vor die Recken, die König Gunther begleiteten, der sich in den Kopf gesetzt hatte, um sie zu werben. Es war uns unerklärlich, wie man auf den Gedanken kommen konnte, um Brunhild zu werben. So etwas dachte sich nur ein schwacher, unentschlossener und, wie wir gleich geahnt hatten, unreifer König wie Gunther aus. Wir hätten Siegfried abgeraten, ihn bei dieser Werbung zu begleiten, doch Siegfried hatte Kriemhild im Kopf und wollte sie als Lohn dafür, daß er Brunhild heimlich im Kampf besiegte.

Hier regten sich zum ersten Mal Zweifel. Siegfried hatte Brunhild bezwungen, nicht Gunther; die beiden Helden, denen es sonst immerzu um Ehre und Ruhm ging, hatten Brunhild getäuscht, das war nicht in Ordnung, wir mußten es zugeben, auch wenn uns Brunhild sehr kalt ließ. Jedenfalls hatten wir von nun an das Gefühl, alles könne nur fürchterlich, sehr grausam und damit ganz und gar heldisch enden. Mit Brunhild, spürten wir, kam die gestaltgewordene Dämonie nach Worms, in Brunhild steckte etwas von jener Heldenmagie, die den Recken immerzu auferlegte, loszureiten und Kampf und Schlachten zu suchen.

In Worms (wäre Köln nicht besser gewesen?) infizierte das Brunhild-Gift nun einen nach dem andern: den einäugigen Hagen von Tronje, die dunkelste aller Gestalten, unseren erklärten Feind, dem wir am liebsten selbst den Kopf abgeschlagen hätten, dann Kriemhilds Brüder, schließlich Kriemhild selbst, die sich zunächst in ein zänkisches Weib und nach Siegfrieds Tod sogar in eine grausame Furie verwandelte. Sicher, wir verstanden sie ja, Siegfrieds Tod mußte nun wirklich gesühnt werden, aber inzwischen hatten wir uns doch von Kriemhild entfremdet, denn auf unerklärliche Weise hatte sie selbst etwas Finsteres, Düsteres bekommen, eine Art Heldentum, daß uns kalt wurde.

Überhaupt wurde uns bei der Heldensagen-Lektüre immerzu kalt; es war kaltes Entsetzen, Angst und Schrecken, was uns packte, wenn die Helden aufeinander zuschossen, um sich wie Tiere zu erlegen, und das Blut aus Mund und Ohren spritzte. Und der Erzähler tat nichts, diese grausamen Bilder zu mildern. Er erzählte direkt, ganz einfach, er beschrieb und schilderte nichts, er nannte die Dinge beim Namen, ganz knapp, und schon legten die Helden wieder die Waffen an. Der schmucklose Stil ließ uns keine Zeit zur Besinnung, er hatte etwas "Germanisches", was für uns das Schwere und Donnernde schlechthin bedeutete.

Später erfuhren wir, daß all diese Sagen vom Schicksal der Nibelungen oder von Dietrich von Bern Stoffe der Völkerwanderungszeit waren. Dietrich von Bern - das sollte Theoderich der Große sein, und hinter dem Untergang der Nibelungen verbarg sich der Kampf des Burgunderreiches gegen die Hunnen. Die Völkerwanderungszeit hatte für uns schon immer etwas Monumentales, Unfaßbares gehabt, und so konnten wir uns gut vorstellen, daß aus den historischen Ereignissen die Sagen, aus diesen die Heldenlieder und aus alldem im hohen Mittelalter Heldenepen wie das "Nibelungenlied" geworden waren. Vielleicht hatten die Heldenlieder den Kämpfern Mut gemacht, vielleicht hatte man sie vor den großen Schlachten gesungen, um sie zu rühren, damit sie schon vor Schlachtbeginn einverstanden waren mit ihrem Tod.

Denn es ging in den Heldensagen doch letztlich nur um den Tod, ja, um nichts anderes. Im Grunde wollten diese Helden nicht leben, sondern ruhmreich sterben, sie suchten den großen Tod vor großer Kulisse, vor den Augen von vielen. Deshalb war das Ende der Nibelungen auch so etwas wie die Apotheose all dieser Sagen, es war ein Ende, an dessen blankem Irrsinn wir uns immer wieder weideten, mit kalten Fingern die Seiten umblätternd und doch süchtig danach, einen nach dem andern sterben zu sehen.

Kriemhild hatte Etzel, den Hunnenkönig, geheiratet, das paßte zu ihrer Wandlung ins Heldische, denn die Hunnen erschienen uns als das Grausamste überhaupt, Männer mit kahlen Schädeln und schwarzen, langen Haarschöpfen. Als sie ihre Wormser Verwandten ins Hunnenreich einlud, wußten wir (wie Hagen von Tronje), was ihnen bevorstand. Doch was dann kam, übertraf alles, was wir von Heldensagen gewohnt waren.

Wie sich hier die Recken mit einem einzigen Hieb umbrachten und ihre weitverzweigten Geschichten, die wir aus anderen Sagen kannten, so jäh und verstümmelt endeten - das widersprach allen Erzählgewohnheiten. Und um es auf die Spitze zu treiben, ließ der Erzähler die Metzelei unter den Nebenhelden beginnen und opferte zunächst so undurchschaubare Burschen wie Iring von Dänemark oder Irnfried von Thüringen, bevor er zu denen überging, die uns lieb waren wie etwa der junge Giselher, der immer so freundlich und unheldisch gewesen war.

Von Kriemhild aber hatten auch wir uns längst abgewendet. Wie sie Feuer legen ließ, damit es ihre eigenen Brüder versengte, und wie sie, als alles nichts half, sogar befahl, ihrem gefangenen Bruder Gunther den Kopf abzuschlagen, das machte sie am Ende selbst zu einer dunklen Hunnin, die sterben mußte. Schließlich starben ja alle, nur Etzel, Hildebrand und der meist doch etwas undurchsichtige Dietrich von Bern, den manche für den größten Kämpfer, den wir aber für einen Diplomaten hielten, waren am Leben, mit dem sie nun freilich nichts mehr anfangen konnten. Etzel trauerte, Hildebrand ritt nach Hause, und Dietrich von Bern verschwand, wie es so seine geheimnistuerische Art war, auf einem schwarzen Hengst in den Lüften.

Und so hatten wir verstanden, daß im jugendlichen Tatendrang unserer Helden sich die Todessehnsucht geregt hatte und daß das mächtige Brunhild-Gift ein Todesgift gewesen und die Kämpfe am Ende gerade ihrer Grausamkeit und Endgültigkeit wegen das Heldischste und somit Tödlichste überhaupt gewesen waren. Wenn wir uns selbst erschrecken wollten, lasen wir manchmal noch einige Kapitel unserer Sagen, dann war es, als löffelten wir eine sehr fremde Speise, die uns erstarren ließ.

Wenn wir uns aber auf anderem Niveau erholen wollten, griffen wir zu einem zweiten Wälzer, zu Gustav Schwabs "Sagen des klassischen Altertums". Hier gab es nicht "Germanisches", Schweres, und obwohl auch hier die Helden zu Kämpfen und Schlachten zogen, hatten sie doch auch noch ein anderes Leben, hielten lange Reden, tafelten oder flirteten mit den Göttinnen oben im Olymp.

Unsere germanischen Helden aber waren nur in ihre Waffen verliebt und irgendwie gottlos. Und deshalb lasen wir das schreckliche Ende der Nibelungen immer von neuem und atmeten immer wieder erleichtert auf, als sie sich in Etzels Burg gegenseitig niedermachten. Und wie Dietrich von Bern schwangen wir uns danach auf unser Fahrrad und rasten davon, als wären wir selbst diesem tödlichen Ende nur mit knapper Not entkommen. "Wohin fahrt ihr?" rief man uns nach, und wir riefen: "Dahin! Dahin!", und ein wenig war es der Todesrausch, der uns nun antrieb, in die Pedale zu treten.

"Deutsche Heldensagen". Nacherzählt von Gretel und Wolfgang Hecht. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1980. 419 S., br., 18,80 DM.

"Germanische Götter- und Heldensagen". Nach den Quellen neu erzählt von Reiner Tetzner. Reclam Verlag, Stuttgart 1997. 559 S., geb., 29,80 DM.

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