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Warum interessieren wir uns für die Haarfarbe Gerhard Schröders oder die Schönheitsoperationen Silvio Berlusconis? Philip Manow antwortet: Weil ein Teil der symbolischen Bedeutung, die ihren Sitz einst im Körper des Königs hatte, in der Demokratie nachlebt, nicht nur im Herrscherkörper, sondern auch im zentralen politischen Körper der repräsentativen Demokratie: dem Parlament. Zum Ausgangspunkt für seinen Essay über die politische Anatomie der Demokratie wählt Manow die Gestaltung moderner Plenarsäle. Anhand von weiteren Überlegungen zur Immunität von Abgeordneten, zur Öffentlichkeit…mehr

Produktbeschreibung
Warum interessieren wir uns für die Haarfarbe Gerhard Schröders oder die Schönheitsoperationen Silvio Berlusconis? Philip Manow antwortet: Weil ein Teil der symbolischen Bedeutung, die ihren Sitz einst im Körper des Königs hatte, in der Demokratie nachlebt, nicht nur im Herrscherkörper, sondern auch im zentralen politischen Körper der repräsentativen Demokratie: dem Parlament. Zum Ausgangspunkt für seinen Essay über die politische Anatomie der Demokratie wählt Manow die Gestaltung moderner Plenarsäle. Anhand von weiteren Überlegungen zur Immunität von Abgeordneten, zur Öffentlichkeit parlamentarischer Verhandlungen und zur Frage, warum in George W. Bushs Wagenkolonne stets mehrere baugleiche Cadillacs fahren, kommt er zu dem Ergebnis, daß in der modernen Demokratie das staatstheoretische Gedankengut des Mittelalters überlebt.
Autorenporträt
Philip Manow, geboren 1963, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen. In der edition suhrkamp erschien zuletzt (Ent-)Demokratisierung der Demokratie (es 2753).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2008

Und sie bewegt sich noch
Nur der Widerstand ist für den Bürger konkret: Wie abstrakt kann die Demokratie bleiben?

Bei der Monarchie ist alles einfach: Der König hat eine Krone und sitzt auf einem Thron. Und wie sieht die Demokratie aus? Sie sieht gar nicht aus wie, sagen die einen, die abstrakt denken. Konkret ist es so: Von der Demokratie hat man eines Tages irgendein Bild. Ungewiss ist, wann sich die Vorstellung herausbildet. Im Kindergarten ist es sicherlich noch nicht so weit. In der Schule wird das Wort vielleicht mit anderen Wörtern aufgefüllt, die bald vergessen werden. Bleibt der erste staatsbürgerliche Gang zur Wahlurne - ja, und das große Gefühl, das irgendwann da ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der man weitgehend machen kann, was man machen möchte.

Gesine Schwan weist gerne darauf hin, dass das Wort Demokratie hierzulande mit einem Gefühl von Wohlstand vielleicht allzu eng verbunden ist. Dieser Ansicht sind auch Leute, die darüber nachdenken, warum sich immer mehr Menschen in Deutschland - man schaue nur, was in Sachsen läuft - rechtsextremen Parteien anschließen. Ein alter Winzer in der Nähe von Meißen, der sein Lebtag in keiner Partei gewesen ist, hat seinen Eintritt in die NPD damit begründet, er hoffe, dass es mit dieser Partei in Deutschland wieder bergauf gehen werde. Das ist ein Hinweis darauf, dass für den Winzer und seinesgleichen nicht, wie manche Szenebeobachter mutmaßen, Demokratie und Wohlstand zusammengehören, sondern vor allem Wohlstand und Deutschland. Auch wenn man über diesen Bürger und seinesgleichen sagen könnte, dass sie die Politikverdrossenheit, die landesweit von Politikern beklagt wird, überwinden, indem sie sich politisch engagieren, muss man leider sofort einräumen, dass sie das in der falschen Ecke machen.

Nicht geklärt ist bei alldem, was mit dem Wort Demokratie in diesem oder jenem erwachsenen Kopf verbunden wird, dessen Träger wahlberechtigt ist. Das Gleiche gilt für Begriffe wie den bürgerlichen Staat oder die bürgerliche Gesellschaft. Dabei kursieren darüber genügend Vorstellungen, die in regelmäßigen Abständen erneuert oder modifiziert werden. Recht frisch sind das Wort Postdemokratie und das Wort Bewegungsgesellschaft. Man möchte annehmen, dass die beiden vielleicht zusammengehören. Eine Bewegungsgesellschaft ist eine Gesellschaft, in der sich soziale und politische Bewegungen herausbilden, zum Beispiel die Friedensbewegung, die Antiatomkraftbewegung, die Ökobewegung, die Frauenbewegung und die Antiglobalisierungsbewegung.

In der Geschichte der Bundesrepublik hat es zahlreiche Bewegungen gegeben, derer man sich jetzt in einem umfangreichen und informativen Handbuch über die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945 vergewissern kann. Diese Bewegungen, so unterschiedlich ihre Anliegen sind, lassen sich einteilen erstens in Bewegungen, die mit Forderungen unterm Arm auf den Staat zulaufen, wie die Friedensbewegung, denn es ist der Staat, der die Waffen abrüsten soll. Zweitens in Bewegungen, die dem Staat den Rücken zukehren, wie die antiimperialistischen Bewegungen, denn man vermutet im Staat den imperialistischen Aggressor. Und drittens in Bewegungen, die gleichsam wie Pärchen und Passanten neben dem Staat herlaufen, zum Beispiel die Ökobewegung, denn man braucht nicht unmittelbar den Staat, um einen Demeterhof zu gründen.

Schwerhöriger Staat

Wenn man sich die Bewegungen, welche die Geschichte der Bundesrepublik begleitet haben, ansieht, hat man auch eine Vorstellung davon, welche Idee von Demokratie ihnen zugrunde gelegen hat. In dem erwähnten Handbuch finden sich Fotografien, die solche Demokratievorstellungen ins Bild setzen. Man findet Bilder des Protestes, zum Beispiel von den Sitzblockaden gegen den Castortransport bei Gorleben, was darauf schließen lässt, dass Demokratie eine flexible Form des Widerstands von unten gegen einen starren Staat dort oben ist. Die Friedensbewegung kennt das von Menschen gebildete Peace-Zeichen, was darauf hinausläuft, dass Demokratie eine Form von Rede und Antwort mit einem etwas schwerhörigen Staat ist. Zur Studentenbewegung gehören Bilder von Sit-ins, was auf die Annahme hinweist, dass Demokratie bedeutet, sich mit Argumenten gegenüber einem geistig schwerfälligen Staat durchzusetzen. In der Bio-Gentechnik-Bewegung finden sich Bilder von Aktionen, die darauf schließen lassen, dass Demokratie etwas ist, wo man mit auffälligen Mitteln um die Aufmerksamkeit der Mitbürger ringen muss, damit mit deren Hilfe ein ignoranter Staat in die gewünschte Richtung geschoben werden kann.

Der bewegte Bürger macht nicht nur Freude, er beschert auch Sorgen, und zwar jenen Beobachtern der Gesellschaft, die eine immer größer werdende Kluft zwischen den bürgerlichen Bewegungen und den fürs Gelingen der Demokratie parat stehenden Parteien zu erkennen meinen. Man befürchtet, dass sich die Parteien und die bewegten Bürger immer mehr voneinander entfremden. Manche, wie der Politikwissenschaftler Colin Crouch, räumen sogar ein, dass diese Entfremdung nicht von ungefähr kommt, da die Parteien immer mehr in die Hände von Lobbyisten großer Unternehmer zu geraten und die Bürger dadurch politisch zunehmend apathisch zu werden drohen. Am Anfang dieser Entwicklung wurde eine mehr an Gleichheit orientierte Demokratie durch ein liberales, vor allem der Wirtschaft angepasstes Demokratieverständnis verdrängt. Das Ende der Geschichte nennt Crouch Postdemokratie - was aber wiederum nicht bedeutet, dass es dann mit den Chancen für eine bessere Demokratie ganz vorbei wäre. Das virulente demokratische Ideal spiegelt sich verzerrt noch in dem Bild, das er von der Postdemokratie zeichnet, zu deren Kennzeichen er rechnet, dass hier Politik nur noch hinter verschlossenen Türen gemacht wird, von Lobbyisten und Politikern, die das Wohl des Volkes aus den Augen verloren haben, weil sie auf das Funktionieren des Marktes starren. Das Wohl des Volkes ist nicht nur materiell, sondern besteht auch darin, dass es an den politischen Verhandlungen partizipiert.

Crouch ist etwas ratlos, wie man aus der Bredouille kommt, unabdingbar erscheint ihm aber, dass die Kluft zwischen den Parteien und den hier und dort bewegten Bürgern, die er vor allem bei den Globalisierungsgegnern sich sammeln sieht, überwunden werde. Er selbst hat mit seinem Szenario versucht, aus dieser Kluft das Beste zu machen: Wir stehen im Sog der Postdemokratie, und das bedeutet, dass die Bürger, und sei es mit eigenen Lobbyisten, wieder überlegt ins politische Geschäft eingreifen müssen, um den Ausverkauf eines Ideals zu vereiteln. Am Kapitalismus führt kein Weg vorbei.

Man möchte sich gerne ein Bild von der uns erfassenden Postdemokratie machen, und das erste, was einem dazu einfällt, sind Varianten mit dem Verb schließen, mit denen sich wahrscheinlich nicht mehr gut leben lassen wird: entschlossene Gesichter, geschlossene Räume, mentale Blocks, weniger Bewegungen, mehr Taten, weniger Bewegungsrichtungen, mehr Stoßrichtungen.

Vielleicht liegt das Dilemma, das neue Alarmbegriffe wie Postdemokratie mit sich bringen, obwohl sie auch in begütigender und aufmunternder Absicht aufgestellt wurden, darin, dass man sich der Tatsache zu wenig bewusst ist, wie eng Bild und Begriff auch bei der Demokratie beieinander liegen. Es heißt ja: einen Begriff bilden. Der Begriff des Hundes bellt nicht, das hat der französische Philosoph Gaston Bachelard gesagt. Man könnte ergänzen: aber einen Hund sieht man dabei schon. Die Theoretiker der modernen Gesellschaft haben vielleicht zur Demokratie-Bildlosigkeit etwas beigetragen, weil sie in der Demokratie nur eine Diskussionsveranstaltung sahen, eine Redezeit für alle, einen sich in den Lüften des Für und Wider wiegenden Argumentenreigen, was eine sehr puristische Vorstellung von Demokratie ist. Die Postdemokratie kommt, bildlich gesehen, mit Schlössern und Riegeln daher, was auch nicht gerade den Zweck erfüllt, die Demokratie für alle zur eigenen Sache zu machen.

Scheintoter König

Mit der instruktiven Studie von Philip Manow kann man diese theoretisch angenommene Bilderlosigkeit korrigieren. Das Bild vom Körper des Königs löste sich in den Umwälzungen der englischen und französischen Monarchie nicht auf, auch wenn der König selbst damals den Tod fand, sondern lebte in den neuen Vorstellungen vom Parlament nach und goss sich in die neuen architektonischen Formen. In unsere aufgeklärte Gegenwart schien diese königliche Bildenergie nicht zu reichen. Die eigenen Bilderfahrungen widersprechen diesem Befund und versetzen einen manchmal in eine Art demokratisches Mittelalter. Man schaue sich die Darstellungen und Inszenierungen des Körpers des amerikanischen Präsidenten an oder erinnere sich daran, dass amerikanische Soldaten im Irakkrieg öffentliche Bilder des Diktators Saddam Hussein zerstörten, dann wird man von einer Galerie mentaler politischer Bilder ausgehen müssen.

Vielleicht muss man von Postdemokratie insofern zu sprechen anfangen, als tatsächlich all jene Bilder sich aufzulösen drohen, die unmittelbare, lebendige demokratische Zusammenhänge herzustellen vermögen, Bilder, die die Bewegungsgeschichte der Bundesrepublik fortzuführen in der Lage sind. Allerorten heißt es über das politische Deutschland: Das Land steckt fest, es stagniert. Sind wir jetzt so weit wie in den Vereinigten Staaten, muss zur Fruchtbarmachung der mentalen Provinzen, in denen die Politikverdrossenheit wuchert, ein Königsbild der Demokratie herbei?

EBERHARD RATHGEB

Colin Crouch: "Postdemokratie". Suhrkamp-Verlag. 160 Seiten, 10 Euro

Philip Manow: "Im Schatten des Königs". Suhrkamp-Verlag. 170 Seiten, 10 Euro

Roland Roth, Dieter Rucht (Hg.): "Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945". Campus-Verlag. 770 Seiten, 49,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.07.2008

Und der König steht doch noch am Rednerpult
Eine Frage der Sitzordnung: Philip Manow und ein Berliner Forschungsprojekt über die Körperlichkeit unserer Demokratie
Wenn es um Europa geht, geben sich alle nüchtern. Alle? Nicht ganz. Nicolas Sarkozy, der als Ratspräsident der EU bis zum Jahresende das brüchige Gemeinwesen der 27 repräsentiert, setzt auf den Zauber des Symbolischen. Mit Zwei-Euro-Gedenkmünzen aus dem Atelier von Philippe Starck und der neuen Briefmarkenserie „Marianne et l’Europe” bekommen die Franzosen und ihre Nachbarn Europäisches zum Anfassen. Dabei sind im Lissabonner Vertrag, den Sarkozy irgendwie retten will, vom symbolschweren Pathos des gescheiterten Verfassungsvertrages nur Leerstellen geblieben. Kein Wort mehr von Fahne und Hymne, Motto und Feiertag. Die vormals feierliche Präambel ist auf wenige Sätze zusammengestutzt.
So einfach, wie sich das Brüsseler Identitätskonstrukteure gedacht hatten, ließ sich eine politische Gemeinschaft dann doch nicht imaginieren. Denn auch in der supranationalen Mehrebenendemokratie ist das Metaphysische allgegenwärtig. Auf jede parlamentarische Debatte fällt der lange Schatten des königlichen Körpers – und den gibt es, wie es Ernst Kantorowicz für die Vormoderne beschrieben hat, natürlich immer doppelt.
Auch die Demokratie benötige und produziere ihre eigene politische Mythologie, betont der Konstanzer Politikwissenschaftler Philip Manow in seinem erhellenden, glänzend geschriebenen Essay über die politische Anatomie demokratischer Legitimation. Konzis und überzeugend widerlegt Manow die These von der Bild- und Körperlosigkeit moderner Herrschaft. Mag der König am Ende des Ancien Régime auch unter der Guillotine den Kopf verloren haben – in den Parlamenten lebt sein Körper bis heute weiter. In jeder Inszenierung findet eine konkrete politische Ordnung Ausdruck.
Der Blick ins Parlament erleichtert dabei die Theoriebildung. Manow belegt, dass in der parlamentarischen Sitzanordnung noch heute eine politische Theologie fortlebt, in deren Mittelpunkt die Vorstellung vom sakral aufgeladenen politischen Körper steht, vom „body politic”, wie ihn Thomas Hobbes im „Leviathan” beschrieben und auf dem berühmten Frontiszpiz seines Buches dargestellt hat. An zwei Grundformen parlamentarischer Sitzordnungen zeigt der Autor den Wandel der politischen Repräsentation durch die Französische Revolution. Die Sitzanordnung, wie wir sie aus dem britischen Unterhaus kennen, erinnert mit den zwei sich gegenüberstehenden Bankreihen von Regierung und Opposition und dem Präsidium (Speaker) an der Stirnseite des Saales an mittelalterliche Formen ständischer Repräsentation. Die französische Form des Halbkreises hingegen, die sich nach 1789 in den meisten westlichen Demokratien durchgesetzt hat, füllt das königsleere Vakuum durch eine neue Verkörperung der nationalen Idee: die Repräsentation des Volkes durch den Redner am Rednerpult. Der revolutionäre Umbruch hat die Bilder verändert, und doch ist unübersehbar, dass der Halbkreis „in einer unmittelbaren legitimatorischen Kontinuitätslinie” zu dem abgelösten Herrschaftsregime steht.
Beim Rundgang durch die Parlamentssäle von London und Paris erschließen sich auch Antworten auf viele weitere Fragen politischer Theorie, vom Prinzip parlamentarischer Immunität über die Dauer der Legislaturperiode bis zur Öffentlichkeit parlamentarischer Debatten. Dass uns Angela Merkel neulich bei der Fußballeuropameisterschaft im trauten Beratungsgespräch mit Bastian Schweinsteiger von fern an die „wundertätigen Könige” erinnerte, dürfte Philip Manow nicht wundern. Ganz geheuer scheint ihm die politiktheoretisch verzauberte Moderne aber trotzdem nicht, er resümiert: „Sogar in unseren soziologischen Kategorien zur Analyse politischer Herrschaft spukt der heilige Herrscher also offensichtlich noch herum.”
Dabei sind die Konstruktionen des politischen Körpers, die Manow untersucht, viel mehr als ein flüchtiger Spuk. Das kann man in einem fulminanten „Parcours durch die europäische Staatsgeschichte” nachlesen, den Albrecht Koschorke, Susanne Lüdemann, Thomas Frank und Ethel Matala de Mazza als Ergebnis eines langjährigen interdisziplinären Projekts am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung vorgelegt haben. Der „fiktive Staat”, dessen Körper-Metaphorik das Autorenkollektiv in fünf detailreichen, ungemein spannenden Kapiteln nachgeht, ist nämlich auch als „Erfindung” ganz real. Wenn Kollektive sich als Körper imaginieren, verfügt die Metapher über institutionenbildende Kraft. Die Fiktion ist unverzichtbar.
Um zu verstehen, wie politische Imaginationen entstehen und soziale Metaphern funktionieren, haben die Autoren literarische, staatstheoretische und juristische Quellen aufgearbeitet. Entstanden ist daraus ein beeindruckend einheitliches Buch, aus dem doch viele Stimmen mit je eigenen Schwerpunkten und Fachprägungen sprechen. Es scheint, als hätten sich die Autoren selbst die Fabel vom Magen und den Gliedern zu eigen gemacht, die Livius den Menenius Agrippa dem murrenden Volk erzählen lässt und mit der auch in diesem Band alles beginnt. Unterwegs zu einer „Grammatik des sozialen Körpers” begegnet der Leser Paulus und Savigny, Bodin und Gryphius, Hobbes und Tertullian.
Die Wandlungsprozesse des Imaginären münden in eine grundlegende Veränderung. Neue „supranationale Gebilde und Organisationsformen” greifen in der Selbstbeschreibung kaum noch auf das herkömmliche körperschaftliche Vokabular zurück, liest man. Stattdessen habe es sich eingebürgert, für diese neuen Formen der Koordination politischer, militärischer, wirtschaftlicher und ideologischer Macht die Metapher des Netzwerks zu bemühen. Doch „was heißt es, sich inmitten von unabgeschlossenen, hybriden Strukturen statt in korporativen Zugehörigkeiten mitsamt ihren Inklusionen und Exklusionen zu imaginieren?”
Natürlich wird sich nicht jede gesellschaftliche Einheit in flexible Netzwerke auflösen. Soziale Körper und variabel geknüpfte Netze werden mit- und nebeneinander bestehen. „Das große Problem wird sein, wie unter solchen neuartigen Bedingungen ein notwendiges Maß an gesellschaftlichem Ausgleich und Zusammenhang erzeugt werden kann.” Metaphern des Politischen dürften dabei, nicht nur fiktiv, eine entscheidende Rolle spielen. Schließlich haben sie auch in der modernen Demokratie ihren Zauber nicht verloren. ALEXANDRA KEMMERER
PHILIP MANOW: Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 170 S.,10 Euro.
ALBRECHT KOSCHORKE, SUSANNE LÜDEMANN, THOMAS FRANK, ETHEL MATALA DE MAZZA: Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2007. 414 Seiten. 14, 95 Euro.
Ohne Fiktionen geht es auch in Zeiten der Netzwerke nicht
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Inspirierend und originell findet Christine Pries Philip Manows Buch über vormoderne Spuren in der demokratischen Selbstrepräsentation. Wenn die Rezensentin auch nicht alles, was der Konstanzer Politikwissenschaftler vorbringt, unterschreiben kann, so erscheint ihr vor allem der in den beiden Hauptkapiteln ausgeführte Punkt, dass nämlich die parlamentarischen Sitzordnungen keineswegs rein funktionale Gründe haben oder gar zufällig sind, bemerkenswert. In einer eigenwilligen Verwendung von Ernst Kantorowicz' Theorie von den zwei Körpern des Königs - dem natürlichen und dem politischen - lasse sich im rechteckig angeordneten britischen Parlament die Vorstellung, als Teil des politischen Körpers des Königs zu fungieren, ablesen. Im halbrunden französischen Parlament dagegen manifestiere sich ein "ritualisierter Ausdruck einer komplexen Neuerfindung beider Körper des Königs", mit dem man sich ausdrücklich von den Inszenierungen der gestürzten monarchischen Macht absetzen wollte, erklärt die Rezensentin gefesselt, die diesen Punkt als "eigentliche Entdeckung" des Autors feiert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Auch die Demokratie benötige und produziere ihre eigene politische Mythologie, betont Manow in seinem erhellenden, glänzend geschriebenen Essay über die politische Anatomie demokratischer Legitimation. Konzis und überzeugend widerlegt Manow die These von der Bild- und Körperlosigkeit moderner Herrschaft. In jeder Inszenierung findet eine konkrete politische Ordnung Ausdruck.« Alexandra Kemmerer Süddeutsche Zeitung