Marktplatzangebote
27 Angebote ab € 0,94 €
  • Gebundenes Buch

2 Kundenbewertungen

Eigentlich ist an allem die amerikanische Touristin Betty S. schuld. Statt zu einer Berghütte am Diamond Mountain in North Carolina zu reisen, landet sie auf einem Parkplatz in Nordkorea und kippt dort tot um. Für Betty S. ist damit die Geschichte schon wieder zu Ende. Für den Berliner W. dagegen nimmt sein Leben mit Bettys schnödem Dahinscheiden eine radikale Wendung. W., geboren in der ehemaligen DDR, hat seine Heimat noch nie verlassen. Was seinem beruflichen Wirken - W. ist Reisejournalist - keinen Abbruch tut. Bis zu dem Tag, an dem alles auffliegt, weil die diplomatische Vertretung…mehr

Produktbeschreibung
Eigentlich ist an allem die amerikanische Touristin Betty S. schuld. Statt zu einer Berghütte am Diamond Mountain in North Carolina zu reisen, landet sie auf einem Parkplatz in Nordkorea und kippt dort tot um.
Für Betty S. ist damit die Geschichte schon wieder zu Ende. Für den Berliner W. dagegen nimmt sein Leben mit Bettys schnödem Dahinscheiden eine radikale Wendung. W., geboren in der ehemaligen DDR, hat seine Heimat noch nie verlassen. Was seinem beruflichen Wirken - W. ist Reisejournalist - keinen Abbruch tut. Bis zu dem Tag, an dem alles auffliegt, weil die diplomatische Vertretung Nordkoreas einen seiner Artikel beanstandet. Von da an nehmen die Turbulenzen in Ws bislang beschaulichem Leben kein Ende mehr. Ihm wird gekündigt, er ergraut von heute auf morgen und begibt sich zum ersten Mal in seinem Leben auf eine Reise zu einer - wie kann es anders sein - großen Mauer, die ihn auch zu Feuern führt, die nicht brennen.
Autorenporträt
Rayk Wieland, geb. 1965, studierte Philosophie und ist gelernter Reisereporter. Mehrtägige Reisen nach Jerusalem, Rom und Moskau. Mitherausgeber des dreibändigen Standardwerks "Öde Orte". Zuletzt erschien von ihm "Ich schlage vor, dass wir uns küssen". Er lebt in Hamburg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rayk Wieland, Fernsehjournalist und Titanic-Autor, erzählt in diesem Roman, wie Meike Fessmann berichtet, von einem Mann, der sich strikt weigert, Freude und Freiheit des Reisens zu erleben. Er bleibt in seiner Wohnung, bewegt sich nicht mal von Ost- nach West-Berlin und verdient sich seinen Lebensunterhalt mit erfundenen Reisereportagen. Wielands Spott gilt dabei Pauschaltouristen wie Individualreisenden gleichermaßen, stellt Fessmann klar, die sich das über lange Strecken gern gefallen ließ. Doch während bei ihr am Anfang noch die Sympathie für den "Verteidiger der Sesshaftigkeit" überwiegt, verliert Fessmann zum Ende hin ein wenig die Lust an diesem Buch, dem sie "Witzelsucht" und Vorhersehbarkeit ankreidet. Und schließlich fragt sie sich fast schon etwas böse, ob der Roman nicht weniger vom Reisen als von den Schwierigkeiten zu schreiben zeugt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.06.2012

Wohin wandern eigentlich die Wanderdünen?
Mal komisch, mal der Witzelsucht verfallen: Rayk Wieland erfindet in seinem Roman „Kein Feuer, das nicht brennt“ einen Reisereporter, der nicht reist
Ob Reisen bildet, oder ob alles Unglück daher rührt, dass die Menschen „nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, darüber lässt sich trefflich streiten. Nicht nur Blaise Pascals berühmtes Bonmot legt nahe, dass wir in der Fremde mehr Unheil anrichten als Gutes bewirken, auch die Globalisierungs- und Simulationstheorien der Gegenwart liefern Argumente, dass es besser sein könnte, zu Hause zu bleiben, statt die Atmosphäre mit Emissionen zu belasten, Keime über den Globus zu streuen und Lebensweisen an Orte zu exportieren, wo sie nicht hingehören. Es ist also durchaus sympathisch, dass der Held dieses Romans das Reisen strikt verweigert. Aufgewachsen im Ostteil der Stadt, will er nicht mal den Westen Berlins betreten. Die Mauer gibt es längst nicht mehr, aber er hält sich noch immer penibel an den früheren Grenzverlauf.
Dass es gleichermaßen absurd ist, das Reisen für den Inbegriff von Freiheit zu halten, wie es zur Geißel der Menschheit zu erklären, zeigt dieser Roman, trotz seiner gelegentlichen Witzelsucht, mit beachtlicher Komik. Der Ich-Erzähler, dieser vehemente Verteidiger der Sesshaftigkeit, verdient sein Geld ausgerechnet mit Reisereportagen. Zehn Jahre ging das gut. Regelmäßig schrieb er für ein Hochglanzmagazin, das sich auf jene Sorte von Touristen spezialisiert hat, die sich selbst nicht für Touristen halten und gern „Individualreisende“ nennen. Die Orte, von Guadeloupe, über Ramallah, bis hin zu Khao Lak, Madagaskar, Montreux, St. John’s, hat er niemals bereist. Üppige Spesen strich er trotzdem ein.
Ein paar Reiseführer, ein bisschen Recherche im Internet, einige Telefonate und etwas Phantasie haben völlig ausgereicht, um Reportagen zu basteln, die Authentizität suggerierten. Doch dann wird ihm eine Reportage über Nordkorea, „der einzigen noch unberührten Enklave im Gewühl der Globalisierung“, zum Verhängnis. Der Attaché beschwert sich, der Reporter sei niemals dort gewesen, obwohl er den Tod einer amerikanischen Touristin plastisch schilderte. Die Kündigung folgt auf dem Fuß. Und aus ist es mit der „komfortablen Existenz als immobiler Globetrotter“.
Ein weiteres Unglück kommt hinzu: Nach einem Unfall mit einem von Joschka Fischer (oder einem Double, das bleibt ein Rätsel) gelenkten Taxi landet er im Urban-Krankenhaus, also in Kreuzberg, dem ehemaligen Westen. Verloren ist nicht nur die Lebensmaxime, sich nicht vom Fleck zu bewegen, verloren sind auch die feurigen Plädoyers, die er im Fond des Taxis stumm vor sich hin formulierte, um mit den üblichen Gewährsleuten von Aristoteles bis Kant und Jules Verne das „unhintergehbare Menschenrecht aufs Zuhausebleiben“ zu verteidigen. Die Auftritte in Talkshows, die zahlreichen Interviews bleiben Imagination.
Lockerer, als es in einem Essay möglich wäre, drapiert Rayk Wieland sein Reise- und Gegenwarts-Bashing girlandengleich durch den Roman. Es stimmt ja, dass es idiotisch ist, an berühmte Orte zu fahren, nur um festzustellen, dass es sie wirklich gibt und sie exakt so aussehen, wie man sie von Bildern kennt. „Nur Zwangsneurotiker können nicht anders, als immer wieder zu kontrollieren, ob Wanderdünen wirklich wandern, was der Salpeter in der Salpeterwüste macht und inwiefern Kapstadt am Kap liegt.“
Und was ein Feuer soll, das nicht wärmt, ist ebenfalls eine berechtigte Frage, die der Erzähler unverdrossen vor jedem neuen Bildschirm durchdekliniert, auf dem nichts anderes zu sehen ist als jene Absurdität eines simulierten Kaminfeuers, die dem Roman den Titel gibt: „Kein Feuer, das nicht brennt“. Ein Freund, genannt Moses (wie der „Wüstentourist“), begleitet ihn durch Berlin. Und Liane, jene Münchner Liebe aus Mauerzeiten, die man bereits aus Wielands Romandebüt „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ kennt, lockt ihn schließlich nach Shanghai. Dort wohnt sie mit ihrem Freund, weil man von China aus so schnell woanders hinkommt.
Manches an diesem Roman ist vorhersehbar: dass der Erzähler ausgerechnet dann die Ferne für sich entdeckt, als er kein Reisereporter mehr ist, und dass er seine eigene Reportage über die Chinesische Mauer als Führer für einen Besuch derselben vortrefflich verwenden kann. Auch dass man beim Reisen keine Welterkundung anstrebt, sondern sich der Welt entzieht, ist nicht unbedingt ein neuer Gedanke. Wie auch die Freude, in der Fremde jemanden Bekanntes zu treffen, niemanden verblüffen wird, der irgendwo auf der Welt schon einmal ausgerufen hat, wie klein sie ist.
So amüsant es ist, wie der 1965 in Leipzig geborene Autor, der auch als Fernsehjournalist arbeitet und für das Satiremagazin Titanic schreibt, all diese Gedanken bewegt, so unglücklich hängt sein Roman schließlich doch in der Luft, irgendwo zwischen Literatur und Essay. Vielleicht noch mehr als vom Reisen erzählt er vom Wunsch, Schriftsteller zu sein. Man merkt, dass der Autor damit kämpft, keinen Stoff und keinen Stil zu haben, und sich einzureden versucht, es gehe leicht auch ohne. Doch wer den Fliehkräften des Daseins etwas entgegensetzen will, der sollte seinen Stil nicht allzu deutlich der Sprache der Animation anschmiegen.
Dass Komik existenziell grundiert sein kann, sieht man bei Kafka oder Robert Walser. Wie sie vor zarter Militanz geradezu leuchtet, erkennt man in der Prosa von Reinhard Lettau. Der verdichtete am Ende eines unsteten Lebens sein Schreiben zu einer kleinen Philosophie des heimischen Umkreises: „Und ich freute mich auf den Tag, an dem ich, beim Tisch sitzend, hüstelnd, draußen, vorm Fenster, die Hunde, versammelt in Sorge um mein Befinden, mit Aufzeichnung des folgenden Satzes endlich den Gegenangriff eröffnen würde. Dieser Satz würde lauten: In der Welt habe ich folgende Feinde.“
MEIKE FESSMANN
RAYK WIELAND: Kein Feuer, das nicht brennt. Roman. Verlag Antje Kunstmann, München 2012. 157 S., 16,95 Euro.
Regelmäßig schreibt der Held für
jene Sorte von Touristen, die
sich nicht für Touristen halten
Wer Reportagen über Länder schreibt, in denen er nie gewesen ist, mag glauben, er spiele nur mit dem Feuer seines Bildschirmschoners. Er irrt. Foto:imago
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr