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Ihre Treffen waren konspirativ, doch der Feind war mitten unter ihnen und sie wussten es nicht. Aus ihrem persönlichen Erleben erzählt Inga Wolfram die Geschichte der Entstehung und Zerschlagung des "Kreises": Eine Gruppe junger Intellektueller, die sich in den siebziger Jahren als sozialistische Opposition in der DDR verstand. Die sieben ehemaligen Philosophiestudenten diskutierten über die bürokratisch verkrusteten Strukturen ihres Landes. Sie wollten einen anderen, einen besseren Staat. Fast alle stammten aus Familien der gesellschaftlichen Elite, was ihre Mission besonders brisant machte.…mehr

Produktbeschreibung
Ihre Treffen waren konspirativ, doch der Feind war mitten unter ihnen und sie wussten es nicht. Aus ihrem persönlichen Erleben erzählt Inga Wolfram die Geschichte der Entstehung und Zerschlagung des "Kreises": Eine Gruppe junger Intellektueller, die sich in den siebziger Jahren als sozialistische Opposition in der DDR verstand. Die sieben ehemaligen Philosophiestudenten diskutierten über die bürokratisch verkrusteten Strukturen ihres Landes. Sie wollten einen anderen, einen besseren Staat. Fast alle stammten aus Familien der gesellschaftlichen Elite, was ihre Mission besonders brisant machte. Eine spannende Geschichte über Jugend in der DDR, von Freundschaft, Verrat und von dem unerfüllten Traum eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz".
Autorenporträt
Inga Wolfram, geboren in Ost-Berlin, arbeitete nach dem Philosophiestudium als Drehbuchübersetzerin und Regieassistentin, seit 1992 als TV-Autorin und Regisseurin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.11.2009

Verratene Revolutionäre
Wie DDR-Intellektuelle einen anderen Sozialismus suchten
Alkohol war tabu, wenn sich die jungen Akademiker trafen, um in Ost-Berlin von einem anderen Sozialismus nicht nur zu träumen, sondern ihn zu planen, ihn gleichsam herbeizudiskutieren. Die sieben – sechs Philosophen und ein Psychologe – kannten ihr Land, die DDR, Mitte der Siebziger, gut genug, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Man hielt sich an die Grundregeln illegaler Arbeit. Jeder wusste nur so viel, wie er unbedingt wissen musste, auch Frauen und Freundinnen wurden über die abendlichen Treffen weitgehend im Unklaren gelassen. Aber all das half nichts. Selbst hundertfache Vorsicht vor und nach den Zusammenkünften hätte der Gruppe die Entdeckung durch das Ministerium für Staatssicherheit nicht ersparen können. Der Verräter gehörte von Anfang an zu ihnen. Es gelang ihm sogar, den Verdacht auf einen anderen zu lenken. Erst nach der Auflösung des MfS kam die Wahrheit ans Licht. Etwa fünftausend Seiten umfassen die Stasi-Akten zum Operativen Vorgang „Kreis”, Mai 1975 bis Oktober 1977.
Der Verräter, Arnold Schölzel, einer der fleißigsten Stasi-Spitzel überhaupt, weigert sich bis heute, Verantwortung zu übernehmen. Er redet sich raus wie ein Kind, das beim Bonbondiebstahl erwischt worden ist. Inga Wolfram, mit dem Kopf der Gruppe, Klaus Wolfram, verheiratet, hat ihn für ihre 2007 ausgestrahlte Fernsehdokumentation „Sechs Freunde und ein Spitzel” interviewt: „Wenn dich deine Freunde von damals heute fragen würden: ,Arnold, warum hast du uns verraten?‘ Was würdest du antworten?” – „Ihr habt siebzehn Millionen verraten!” „Moralische Kategorien”, so Schölzel, sollten für die Beurteilung keine Rolle spielen. Da wünscht sich einer eine Ausnahmegenehmigung. Dass dies seiner Vorstellung vom Sozialismus entspricht – wenige haben unkontrolliert und unbeschränkt das Recht, Polizeimaßnahmen über die Mehrheit zu verhängen – zeigt die von ihm heute als Chefredakteur verantwortete „Zeitung” Junge Welt beinahe jeden Tag.
Viel interessanter als diese schäbige Wichtigtuerei sind die Verratenen, deren Leben anders verlaufen wäre, wenn sie nicht Arnold Schölzel vertraut hätten. Sie kamen auch in der Fernsehdokumentation zu Wort, aber erst im jetzt erschienenen Buch scheint ausreichend Raum, mehr von ihnen zu reden. Es lohnt sich in jedem Fall.
An die DDR wird ja meist in einer Melange aus geistlosem Empirismus und dramatischen Effekten erinnert. Wir wissen dann zwar, dass um 19.22 Uhr der Volkspolizist nach links schaute und 19.43 Uhr in der sowjetischen Botschaft das Telefon klingelte – aber warum, mit welcher Absicht, in welchem Glauben bleibt meist ungewiss. Es fragt auch keiner danach.
Fragen dieser Art aber treiben Inga Wolfram um in ihrem Versuch, erzählend die durch Verrat entzogenen Hoheit über das eigene Leben zurückzugewinnen. „Sowenig wir uns aus einer Gegnerschaft zur Staatssicherheit der DDR bestimmten – das gäbe ihr einen Stellenwert, den sie so für uns nie hatte –, so sehr sind unsere Lebenswege von ihr gezeichnet.” Was also prägte sie? In erster Linie waren sie „Sozialistenkinder”: Den Traum von einer gerechten Gesellschaft teilten sie selbstverständlich. Der Vater von Inga Wolfram war vor 1933 KPD-Mitglied, dann im
sowjetischen Exil gewesen. Jan Lautenbach, auf den in der Gruppe der unberechtigte Verdacht der Stasi-Zuträgerei fiel, war in der Familie eines Parteifunktionärs und „antifaschistischen Widerstandskämpfers” groß geworden. Sebastian Kleinschmidt, heute Chefredakteur von Sinn und Form, kannte die Vorstellungswelt eines christlichen Sozialismus von seinem Vater, der sich gegen das NS-Regime gewandt hatte. Sie alle – zur Gruppe gehörten weiterhin Wolfgang Nitsche, Dieter Krause, Wolfgang Templin – wollten erkennen, die Welt begreifen. Auf den ersten Blick glichen sie Bilderbuchsozialisten.
An der DDR störten sie zunächst nicht die fehlenden Konsummöglichkeiten, auch kaum die vorenthaltene Reisefreiheit. „Es war die Beschränktheit, die allgegenwärtige Lüge, die Ohnmacht, wie eine Clique verdorbener Greise (. . .) unser Land regierte, ungeschickt, geistlos und plump.” Um die Wirklichkeit zu begreifen, um Alternativen zu debattieren, bildete sich nach dem Studium die Gruppe.
Es ist die Zeit, in der Rudolf Bahro an seinem Buch „Die Alternative” arbeitet. Es umfasste drei Teile: „Das Phänomen des nichtkapitalistischen Weges zur Industriegesellschaft”, „Die Anatomie des real existierenden Sozialismus”, „Zur Strategie einer kommunistischen Alternative”. Mit dem Marxismus, mit dem „wissenschaftlichen Kommunismus‘‘ über Marxismus und „wissenschaftlichen Kommunismus” hinaus. So lässt sich das Verfahren wohl am besten beschreiben. Auch die jungen Intellektuellen um Wolfram und Kleinschmidt dürften ähnlich vorgegangen sein. Trotzki, Ernest Mandel und Isaac Deutscher lieferten ihrem Unbehagen und ihrem Nachdenken die Stichworte. So wie einige Achtundsechziger im Westen dazu neigten, unbewusst die Konflikte ihrer Eltern nachzustellen, nahmen auch im Osten einige die Konflikte der Eltern auf sich. Trotzki lesen hieß gegen Stalin sein, also gegen dessen Statthalter Walter Ulbricht, gegen den autoritären Sozialismus. Um Trotzkismus im strengen Sinne handelte es sich gewiss nicht. Die Unzufriedenen wollten eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft auf allen Ebenen.
Es muss ein großartiger Diskussionszirkel gewesen sein. Als man daran ging, von einem West-Berliner Freund weit über 100 verbotene Bücher auf einmal zu beziehen, schlug die Stasi zu. Die Übergabe an der Transitstrecke schlug fehl. Die Gruppe wurde zerschlagen, einige ihrer Mitglieder entlassen und mit Berufsverbot verfolgt. Gemessen an den Möglichkeiten des Regimes hielt sich die Staatsmacht diesmal auffallend zurück. Man wollte wohl größeres Aufsehen vermeiden. Es gärte damals vielerorts.
Zum besonderen Vergnügen, das dieses Buch bereitet, trägt der nüchtern-souveräne Blick auf die Stasi Entscheidendes bei. Oft wird diese im Überschwang der Aufarbeitung ja dämonisch glorifiziert. Inga Wolfram weist nach dem ausgiebigen und gewiss quälenden Aktenstudium auf Pleiten, Pannen und Unvermögen bei der „Firma” hin. Mal weiß die linke Hand nicht, was die recht tut, mal greift man zu früh zu. Der Allmacht über die ihr ausgelieferten Bürger tat dies keinen Abbruch. Als man Jan Lautenbach im Dezember 1977 verhörte, war dessen Frau hochschwanger. Der Vernehmer, mit dem Verlauf der Befragung unzufrieden, „formulierte vielsagend in den Raum hinein: ,Wir wissen ja, dass Ihre Frau lange arbeitet und spät noch unterwegs ist, in dieser unsicheren Gegend um den Treptower Park, wer weiß, was da alles passieren kann . . .‘”
Klaus Wolfram kündigte man 1977 und schloss ihn aus der Partei aus. Er ging in einen Großbetrieb. Die DDR, sagt er heute, war, wenn man eine Formel suche, „unglückliche Gleichheit”, der Held ihrer Geschichte aber, sei der kleine Mann geworden: „Er hat im Grunde den Ansatz der Kommunisten übernommen und schließlich die ganze Gesellschaft den Stalinisten aus der Hand genommen. 1989 ist er selbst losgelaufen, mit all den Naivitäten und konservativen Utopien, aber er ist selbst losgelaufen. In dieser Bewegung sehe ich das Erbe der DDR. Nach meiner Ansicht ist diese Revolution selbst die Erbschaft der DDR und nicht nur die kaputten Fabriken und die Stasi.” Damit sich dies allmählich herumspricht, sei dieses durch Klarheit bewegende Buch eindringlich empfohlen. JENS BISKY
INGA WOLFRAM: Verraten. Sechs Freunde, ein Spitzel, mein Land und ein Traum. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2009. 307 Seiten, 19,90 Euro.
Eine Greisen-Clique regierte das Land – dumpf, geistlos
Die DDR – das war „unglückliche Gleichheit”
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jens Bisky spricht für Inga Wolframs Buch über eine Gruppe von Freunden, die in der DDR einen alternativen Sozialismus diskutierten und von einem aus ihrer Runde an die Stasi verraten wurden, eine uneingeschränkte Empfehlung aus. Das Buch lässt, anders als die entsprechende Fernsehdokumentation, die 2007 gesendet wurde, die Bespitzelten noch ausgreifender zu Wort kommen, stellt der Rezensent zufrieden fest. Damit gibt die Autorin den Beteiligten nicht nur die "Hoheit" über ihr Leben zurück und macht deutlich, dass die Stasi zwar den weiteren Verlauf ihrer Karrieren, nicht aber ihr Selbstverständnis bestimmen konnte. Zugleich liest Bisky aus dem Buch auch deutlich heraus, dass die friedliche Revolution von 1989 auch ein "Erbe der DDR" war, nicht nur "kaputte Fabriken und Stasi". Dies stellt für Bisky die wichtigste Botschaft des Buches dar, das er für seine "bewegende Klarheit" preist.

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