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"Ein Spaß im Walfischformat", sagt der Übersetzer, und außerdem eine kleine Sensation. Mit wütender Akribie hat Flaubert dreißig Jahre lang Materialien und Notizen für sein letztes Werk Bouvard und Pécuchetgesammelt, von dem posthum nur der erste Band erschien; der zweite sollte ein einmaliges Buch werden, ein maßloser Rundumschlag gegen alle nur denkbaren Verirrungen des menschlichen Geistes - ob es nun um die elegante Welt ging, umLiteratur, Medizin, Politik oder Wissenschaft. Der Sottisier ist der Steinbruch zu dieser "verdammten Schwarte".
Flauberts tödliche Waffe ist das skurrile,
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Produktbeschreibung
"Ein Spaß im Walfischformat", sagt der Übersetzer, und außerdem eine kleine Sensation. Mit wütender Akribie hat Flaubert dreißig Jahre lang Materialien und Notizen für sein letztes Werk Bouvard und Pécuchetgesammelt, von dem posthum nur der erste Band erschien; der zweite sollte ein einmaliges Buch werden, ein maßloser Rundumschlag gegen alle nur denkbaren Verirrungen des menschlichen Geistes - ob es nun um die elegante Welt ging, umLiteratur, Medizin, Politik oder Wissenschaft. Der Sottisier ist der Steinbruch zu dieser "verdammten Schwarte".

Flauberts tödliche Waffe ist das skurrile, peinliche, erbärmliche Zitat. Jeder Satz aus dem Sottisier vernichtet eine Autorität. Und auch, wenn viele Namen der Helden, die er vorführt, uns kaum mehr etwas sagen - von ihren heutigen Nachfolgern unterschiedet sie so wenig, als hätte Flaubert vor dem Fernseher gesessen. Das Resultat ist ein ebenso erschreckendes wie amüsantes Pandämonium des offiziellen Schwachsinns.
Autorenporträt
Gustave Flaubert, geb. 1821 in Rouen als Sohn eines Chirurgen, besuchte zuerst die Schulen in seiner (durch 'Madame Bovary' berühmt gewordenen) Vaterstadt, studierte eher lust- und erfolglos die Rechte in Paris und musste sich dann aufgrund eines rätselhaften Nervenleidens aus jeder Berufstätigkeit zurückziehen. Er lebte in strenger schriftstellerischer Askese in Rouen, unternahm immer wieder Reisen in Europa, nach Nordafrika und dem Nahen Osten und starb 1880 im Alter von 59 Jahren. Flaubert war unerbittliche Präzision in der Kunst wichtiger als überhitzte Inspiration und das Suchen nach bisher unbeschriebenen Aspekten der Wirklichkeit wesentlicher als romantische Gefühlsdarstellung. Diese strenge Forderung setzte er in 'Madame Bovary' in revolutionärer Weise um, doch vorher hatte es in seinem Leben eine Epoche gegeben, die in ihrer anarchischen Heftigkeit ihresgleichen sucht.
Flaubert verspottete seine Zeitgenossen und setzte ihnen mit unübertroffener sprachlicher Schärfe zu. Bereits sein erstes gedrucktes Werk, Madame Bovary, rief ebensoviel Hass wie Bewunderung hervor und sicherte ihm einen Ehrenplatz in der ewigen Bibliothek der Weltliteratur. Flaubert forderte zeitlebens die Lesegewohnheiten seines Publikums heraus und lehrte es, sich von der Vorliebe für das Gewöhnliche frei zu machen. Diese Art der literarischen Umerziehung begeistert auch heutige Leser durch ihre kompromisslose Originalität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2004

Reingewaschen von allen fremden Gedanken
Gehirnzermanschmaschine: Gustave Flauberts Sammlung von Dummheiten, Fatalitäten und Wundern / Von Martin Mosebach

Auf vorzügliche Küche legte er Wert, und dennoch glich sein Leben in den eigenen Augen dem eines Kettensträflings im Steinbruch: Gustave Flaubert ächzte, je älter er wurde, unter der sich selbst aufgeladenen Last eines literarischen Ideals, das sich der präzisen Definition beharrlich entzog; während er seinem Schüler Guy de Maupassant den Weg zu müheloser und vielfältiger Produktion bahnte, wurde dem Meister das Schreiben beinahe unmöglich, nimmt man die Briefe und damit den vielleicht gewichtigsten Teil seines Werkes einmal aus. Jetzt liegt im Deutschen erstmals das legendenumwobene Konvolut aus Flauberts Nachlaß vor, das beanspruchen darf, ebenjenem Steinbruch abgewonnen und zugleich der Steinbruch selbst zu sein: die "Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit", kurz: der "Sottisier", Materialhaufen oder weitgediehener zweiter Band zu "Bouvard et Pécuchet" - je nach Ansicht des Betrachters.

Bouvard und Pécuchet, das Junggesellenfreundespaar, das der Liebe weitgehend abgeschworen hat und spießbürgerlich-nachrevolutionär den vorrevolutionären Enzyklopädisten-Traum nachzuleben versucht, ist ein Inbegriff sozialer Sehnsuchtsvorstellung des republikanischen Rentier-Daseins: mit bescheidenem Vermögen in vollständiger Unabhängigkeit von der Gesellschaft als Selbstdenker und Selbsterfinder der Welt einen eigenen Kosmos zu begründen. Nur daß der Sammeltrieb der Hagestolze ihren Erkenntnistrieb eben gewaltig übertrifft. So heißt es in einem Entwurf des Nachlasses: "Sie kopierten . . . alles, was ihnen in die Hände fiel . . . lange Aufzählungen . . . Exzerpte aus den zuvor gelesenen Autoren, ,alte' Papiere, nach Gewicht gekauft in der benachbarten Papiermühle. Aber sie verspüren das Bedürfnis, wieder eine Art Ordnung in das Ganze zu bringen . . . Häufig aber sind sie in Verlegenheit, den Sachverhalt an der angemessenen Stelle abzulegen, und haben Zweifelsfälle . . . Die Schwierigkeiten wachsen, dennoch fahren sie damit fort."

Obwohl es falsch wäre, Flaubert in allen Punkten mit seinem Sammler-Duo gleichzusetzen, hat er sein dreißig Jahre langes Treiben beim Zusammentragen des "Sottisier"-Materials mit diesen Worten recht genau geschildert. Sein Bewunderer Henry James konnte sich in seinem Vorwort zu "Madame Bovary" nicht versagen, bezüglich "Bouvard et Pécuchet" sein Elefantenhaupt in würdiger Trauer zu schütteln: "Es war ein Fehler der tragischen Art, den man besser mit Schweigen übergeht, mit ,Bouvard et Pécuchet' überhaupt angefangen oder es jedenfalls nicht aufgegeben zu haben, anstatt von diesem Projekt aufgegeben worden zu sein."

Man kann sich dem Eindruck tatsächlich nicht verschließen, daß Flaubert sich von seiner Stoffülle überwältigen lassen wollte, als er die auf uns gekommene Unzahl von Zeitungsausschnitten, Lektüreexzerpten, ins Anekdotische und Sentenziöse gepreßten Lesefrüchte, diese absurden Verzeichnisse und Zitate, von denen man nicht weiß, was sie beweisen sollen, zusammentrug. Wie jene Clochards, die keine Heimstätte besitzen, aber eine reiche Menge vollgestopfter Taschen und Tüten durch die Straßen tragen, verfügte er längst schon nicht mehr über ein Handlungsgerüst, in dem er sein Material hätte unterbringen können. Maupassant sprach davon, daß zwischen die Zitat-Cluster Unterhaltungen der chimärischen Sammlergesellen gesetzt werden sollten; da diese Gespräche fehlten, hielt er die Herausgabe des Blätterstapels zunächst für unmöglich.

Man ahnt, daß Flaubert solchen eingeschobenen Gesprächen als Konstruktionsprinzip längst nicht mehr vertraut haben kann. Sie hätten ein kleinliches Zugeständnis an konventionelle Leseerwartungen bedeutet und entsprachen der sich ins Weltgefräßige entwickelnden Tendenz seines Sammeltriebes nicht mehr. Maupassant unternahm dann den Versuch, wenigstens Auszüge dieses Nachlaßteils zu veröffentlichen, und bewies damit, daß er die Intentionen seines Lehrers nicht begriffen hatte: Man dürfte den "Sottisier" eher auf eigene Faust erweitern und fortschreiben, als ihm durch Herauspicken vermeintlicher Rosinen den Charakter einer Sammlung von Pressefatalitäten à la Karl Kraus zu verleihen.

Am irreführendsten ist allein schon dieser Titel "Sottisier". Es mag Jahre gegeben haben, in denen Flaubert tatsächlich einen Riesenschmetterlings- und Mottenkasten mit aufgespießten Feuilleton-Torheiten im Sinne hatte, aber diese realsatirische Absicht hat er im Fortlauf seiner Sammlung dann gründlich aufgegeben. Wer auf der Suche nach Lachnummern die Seiten des "Sottisier" durchkämmt, der dürfte eine überraschend magere Ausbeute machen. Wenn ein Mann vom Format eines Flaubert seinem Publikum verspricht, die größten Namen aus Geschichte und Literatur als Dummköpfe zu entlarven, ist man zunächst bereit, sich dieser Suggestion zu unterwerfen und ein jedes Zitat als Ausbund von Dummheit hinzunehmen, aber in der Masse der Zitate wird sich diese Bereitschaft allmählich verlieren. Und schließlich entdeckt man nicht nur immer weniger Dummheiten, sondern gar Gescheitheiten, poetische Schönheiten, surrealen Zauber oder jene politische Radikalität unter den Zitaten, die einem nicht liegen mag, die aber gewiß nicht dumm ist. Eine Sammlung, die Bossuet, Pascal, de Maistre, Proudhon und Schopenhauer als Dummköpfe führt, scheint unter diesem Begriff etwas anderes zu verstehen, als gemeinhin darunter verstanden wird.

Zunächst sieht es aus, als wolle der Sammler doch Zeugnis von ausgeprägten Vorlieben und Abneigungen abgeben. Spießbürger haben wir Bouvard und Pécuchet genannt, und ein solcher republikanischer Spießbürger des "juste milieu" in der wohltarierten Mitte zwischen Robespierre und König Karl X. war offenbar auch Flaubert. Im nachrevolutionären Frankreich begann, was für unsere Zeit längst der Normalzustand ist: die Durchtränkung der gesamten öffentlichen Debatte mit Ideologie. Es war, so meint der Leser nach einer Weile feststellen zu können, vielleicht die mehr oder weniger deutliche ideologische Vergiftung, die ihm bei sozialistischen oder monarchistischen, atheistischen oder klerikalistischen Argumenten Widerwillen erregte. Das historische Faktum einer verhohlenen politischen Absicht dienstbar zu machen - dieses Für-dumm-Verkaufen des Publikums brachte die unter Ideologieverdacht stehenden Äußerungen in den "Sottisier".

Es wird alsbald aber klar, daß es um eine Sammlung von Dummheit und Unverschämtheit schließlich dann überhaupt nicht mehr gegangen ist. Flaubert selbst bestätigt diesen Eindruck, als er für den niemals ausgeführten Schluß seines unabschließbaren Sammelsuriums notiert: "Gleichheit von allem und jedem, des Guten und des Bösen, des Schönen und des Häßlichen, des Bedeutungslosen und des Charakteristischen. Wahr sind nur die Erscheinungen . . ."

Der "Sottisier" ist ein schwarzes Loch, in dem alles, was durch die Luft fliegt, spurlos verschwindet, die "Gehirnzermanschmaschine", von der Flauberts Zeitgenosse Alfred Jarry im "Ubu Roi" singen ließ. Es ist, als habe der Schriftsteller sich mit der Anlage seines letztlich wahllosen Verzeichnisses von jedem vorgedachten, von anderen konzipierten Gedanken reinigen wollen, um zu seelischer Reinheit und Leere zu gelangen. "Alles ist eitel" - wenn nur dieser Satz nicht beste Chancen hätte, im "Sottisier" zu landen.

Nicht genug zu rühmen ist der deutsche Herausgeber und Kommentator Hans-Horst Henschen. Er hat die verzweiflungsvolle Aufgabe übernommen, den Zopf der Zitate wiederaufzuflechten und beinahe jedes Wort im Anhang in seinen Zusammenhang zu setzen. Oft genug ergibt sich dabei, wie sinnwidrig und grob verfälschend Flaubert zitiert - in bester Tradition, die sein Vorgänger Montaigne nicht begründet, sondern nur zu einem früheren Höhepunkt geführt hat. Henschen rettet derart viele "Sottisen", daß klar wird, wie wenig es Flaubert darum ging, dem einzelnen Autor gerecht zu werden. Das neuartige Ganze, das entstehen soll, würde von den sinnstiftenden Absichten seines Erfinders beinahe frei sein. Zu Recht sieht Henschen im "Sottisier" deshalb den Prototyp einer literarischen Form, die erst deutlich nach Flaubert für die neuere Literatur bezeichnend werden sollte: Romane ohne Handlung und Erzähler, ohne eindeutigen Ablauf und ohne eigene Sprache, aus anderen Texten collagiert. Wie populär diese Form werden konnte, zeigen Ror Wolfs "Raoul Tranchirer-Lexika", Walter Kempowskis große Kriegstheater und Rainald Goetz' "Abfall für alle".

Was für Flaubert ein Endpunkt seiner Lebensarbeit war, ein Zerfall und die Lähmung seiner Schöpferkraft, erreichte ein Jahrhundert später den normal gebildeten Leser. Das ist häufig der Lauf der Avantgarden - aus den ausweglosen Verzweiflungen mißverstandener Einzelgänger geboren zu werden, um nach hundert Jahren in den breiten Strom der offiziellen Kultur einzumünden.

Gustave Flaubert: "Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit". Ein Sottisier. Herausgegeben und übersetzt von Hans-Horst Henschen. Verlag Eichborn Berlin, Frankfurt am Main 2004. 736 S., geb., 36,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2004

Erweichung der Hirnmasse
Ein Fall von heroischer Verschwendung: Gustave Flauberts Enzyklopädie der Dummheit
Die „Universalbibliothek der menschlichen Dummheit”, das „Sottisier” von Gustave Flaubert, das Nebenstück zum grandiosen Romanfragment „Bouvard und Pécuchet” und letzte, ebenso unabgeschlossene Werk des großen Schriftstellers, genießt unter Intellektuellen seit Generationen einen hervorragenden Ruf. Das Werk gilt als Entlarvung eines ganzen Weltzustandes, als ultimative Kriegserklärung des Geistes an die Dummheit. Vermutlich deshalb wird die gigantische, nur grob gegliederte Materialsammlung des „Sottisiers” nun auch auf Deutsch zugänglich gemacht (Gustave Flaubert: Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit. Ein Sottisier. Herausgegeben und übersetzt von Hans-Horst Henschen. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2004. 736 Seiten, 34,90 Euro).
Welch heroische Verschwendung! In einem gigantischen Aufbäumen wider seine Zeit und seine Gesellschaft hatte Gustave Flaubert in seinen Roman versucht, den Ton der Dummheit in seiner klarsten, absolut reinen Form darzustellen. Von Roman zu Roman reduzierte er sich dabei als analytischer Erzähler und vewandelte sich in einen pedantischen Aufzähler, strich die Adjektive und die Konjunktionen, strich am Ende auch sich selbst - bis die Dummheit an sich vor ihm stand, nackt und total, in einer unendlichen Reihe von schwachsinnigen Einfällen. Wie Gustave Flaubert diese Dummheit verachtete, wie er sie treten wollte, wie er sie hasste! Übertragen aber lässt dieser Hass sich nicht.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Martin Mosebach freut sich: Endlich liegt es auf Deutsch vor, dieses legendäre Konvolut an Zitaten, Zeitungsausschnitten und Lektüreexzerpten aus dem Nachlass Gustave Flauberts, den man je nach Standpunkt als "Materialhaufen" oder Fortsetzung des Bandes "Bouvard et Pecuchet" betrachten kann. Flauberts Schüler Guy de Maupassant sprach davon, dass zwischen die unzähligen Zitate und Fundstücke Gespräche des sammelnden Jungesellenpaars Bouvard und Pecuchet hätten gesetzt werden sollen, andernfalls hätte man das Werk gar nicht verkaufen können. Mosebach vermutet hingegen, dass Flaubert diese Konstruktion als zu konventionell, als Zugeständnis an Lesererwartungen empfunden und daher abgelehnt hätte. Flauberts Enzyklopädie oder auch "Sottisier" sei ein schwarzes Loch, ein letztlich wahlloses Verzeichnis, mit dem sich Flaubert von "konzipierenden Gedanken" habe reinigen wollen, "um zu seelischer Reinheit und Leere zu gelangen", mutmaßt der Rezensent. Der Herausgeber und Kommentator Hans-Horst Henschen habe vorzügliche Arbeit geleistet. Dessen Einschätzung, Flaubert habe mit dem "Sottisier" den Prototyp der modernen Literatur ohne Handlung und ohne eigene Sprache geschaffen, kann Mosebach nur zustimmen.  

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