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»Der Weg kann vom Motiv zum Thema führen, aber auch umgekehrt.« Bei Christof Gassner und seiner Suite von Odenwald-Fotografien trifft beides zu. Begonnen hat alles vor zehn Jahren, kurz nach seinem Umzug in die Kaisermühle im Mühltal, entlang der Straße von Darmstadt-Eberstadt nach Nieder- Ramstadt bzw. Nieder-Beerbach, mit eher planlosen Spaziergängen. »Vor der Haustür«, wie Gassner berichtet, und von dort, im Zweifelsfall über die Kohlberge oder den Frankenstein, in die nähere Umgebung, die es für den Neu - bürger zu erkunden galt. Also vorderer Odenwald. Zwischendurch Stationen, wo er die…mehr

Produktbeschreibung
»Der Weg kann vom Motiv zum Thema führen, aber auch umgekehrt.« Bei Christof Gassner und seiner Suite von Odenwald-Fotografien trifft beides zu. Begonnen hat alles vor zehn Jahren, kurz nach seinem Umzug in die Kaisermühle im Mühltal, entlang der Straße von Darmstadt-Eberstadt nach Nieder- Ramstadt bzw. Nieder-Beerbach, mit eher planlosen Spaziergängen. »Vor der Haustür«, wie Gassner berichtet, und von dort, im Zweifelsfall über die Kohlberge oder den Frankenstein, in die nähere Umgebung, die es für den Neu - bürger zu erkunden galt. Also vorderer Odenwald. Zwischendurch Stationen, wo er die eher beiläufig mitgeführte Nikon-Digitalkamera zückte, weil ein Motiv ihm ins Auge sprang, »mehr zur Erinnerung«. Ein Thema wurde erst allmählich daraus, indem er sich die Region zwischen Rhein (Kühkopf ), Neckar und Main über längere Zeit hinweg, »Schritt für Schritt erwandert« hat, nach wie vor mit einem Übergewicht des vorderen über den hinteren Odenwald. Zu den fußläufigen Erkundungen gesellten sich Anfahrten mit der Bahn oder dem Auto nach auf der Karte ausgewählten Punkten, von denen es dann wieder fußläufig weiterging. Und das bei jedem erdenklichen Wetter und Licht, im wieder und wieder durchlebten Wechsel der Jahreszeiten. Die Fotografien verraten: Gassners Routen führten »möglichst um die Ortschaften herum«, deren Verschandelung durch allfällige Asbestverkleidung der Originalfassaden im Ortskern, durch Zersiedelung und Stilmischmasch in den Neubaugebieten – Schwarzwaldhof vis-à-vis Toskanavilla – ihn abschreckte. Aus drei, zwölf, zwanzig Wanderungen wurden rund hundert, manche nur zwei-, andere sechsstündig. Und aus ein paar dutzend Farbaufnahmen wurden ein paar hundert. Irgendwann erfuhr Quantität den Umschlag in Qualität: Die schiere Kamera- Ausbeute ordnete sich, erläuterte sich quasi selbst, fächerte sich schließlich in Großkapitel auf, mithilfe des jahreszeitlichen Konzepts, das dem Buchprojekt und seiner Auswahl von 96 fotografischen Resultaten zugrundeliegt. Es war übrigens 2010, in seiner Lieblingssaison Herbst, auf einem Pfad bei Gronau oberhalb Bensheims, wo bei Gassner der Heureka-Moment einschlug: »Da kann man mehr draus machen!«
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2016

Ode an den Odenwald
Bildband mit Auszügen des Nibelungenlieds

SÜDHESSEN. Die Provinz ist ein gefährlicher Ort. Sie kann, wie das in der Philosophie Martin Heideggers geschieht, zum Urgrund des Denkens geadelt werden. Man kann sie aber auch als zivilisatorisch rückständig etikettieren, wie das vor ein paar Jahren eine Journalistin durch die Bezeichnung "Odenwaldhölle" getan hat. Antonia Baums Beschreibungen ihrer Jugenderfahrungen im "Niemandsland zwischen Birkenau und Rimbach" brachten die ganze Region in Aufruhr. Der Odenwald machte mobil, durch Facebook-Einträge ebenso wie durch Odenwald-Songs, Bekenner-T-Shirts und Odenwaldpartys.

Dass das hessische Mittelgebirge nicht nur landschaftlich ausgesprochen schön ist, sondern sich auch als "literarische Landschaft" verstehen darf, führt auf ansprechende Weise ein neues Buch des Darmstädter Justus von Liebig Verlags vor Augen. "OdenBergWaldStraße" klingt zunächst zwar ein wenig nach dem hölzernen Heidegger-Jargon. Es handelt sich aber um keine gespreizte Publikation, sondern um einen Bildband mit Aufnahmen von Christof Gassner, der literarisch geadelt wird durch Auszüge aus dem Nibelungenlied, des mittelalterlichen Heldenepos aus der Zeit um 1200, und zweier Gedichte des "Königs vom Odenwald" aus dem 14. Jahrhundert.

Die Texte sind in der Urfassung abgedruckt und in einer zeitgemäßen Transkription - was das Lesen sehr erleichtert, wie sich schon an einfachen Sätzen zeigt lässt ("Do reit der Ritter edele, viel weidenlich dran": "Da ritt der edle Ritter einher, jeder Zoll ein Jäger").

Gassner, 1941 in Zürich geboren, hat keine schreckliche Kindheit in Südhessen verbracht. Der Grafik-Designer und Typograph, der von 1986 bis 2006 Professor für Visuelle Kommunikation an der Fachhochschule Darmstadt und an der Kunsthochschule Kassel war, zog erst vor gut zehn Jahren in die Kaisermühle im Mühltal und damit an den Rand des Odenwaldes. Dort begannen seine Spaziergänge durch die Landschaft, bei denen er immer häufiger die Digitalkamera zückte. Entstanden sind mit den Jahren Hunderte von Aufnahmen aus allen Jahreszeiten. 96 von ihnen sind im Buch abgedruckt.

Sie stellen eine fotografische Verneigung vor der Vielgestaltigkeit, Schönheit und Schlichtheit dieser Region dar. Gassner hält die eisige Höhen des Odenwalds ebenso unprätentiös fest wie Frühlingsnebel über Wiesen, die Kirschbaumblüte und die zeitlosen Gesteinsformationen des Felsenmeeres. Dazwischen Wegkreuze, Christus-Darstellungen und antike Steininschriften. Was Gassner vermeidet, ist die Ablichtung von Ortschaften. Deren "Stilmischmasch" und Zersiedelung haben ihn abgeschreckt.

So kommt "OdenBergWaldStraße" sehr elegisch daher, verstärkt durch die alten Texte in Mittelhochdeutsch. Heidegger hat in seiner Schwarzwaldhütte in Todtnauberg, wo sein Werk "Sein und Zeit" entstand, genau diesen Kontakt zur Ursprünglichkeit gesucht, sie wurde der Nährboden seines Denkens. Heute gibt es bei Todtnau den "Heideggerweg" als Touristenattraktion.

Wenn er wollte, könnte der Odenwald auch da mithalten und in Amorbach den "Adorno-Weg" anlegen. Theodor W. Adorno, wichtiger Vertreter der "Frankfurter Schule" und der Kritischen Theorie, der an Heideggers Jargon nicht Gutes finden konnte, verbrachte in dem kleinen Ort nahe Miltenberg die Ferien während seiner Kindheit. Waren es sommerliche Wochen in der "Odenwaldhölle"? Nein, im Gegenteil. Amorbach, so schrieb Adorno später, sei für ihn der einzige Ort auf diesem "fragwürdigen Planeten, auf dem ich mich im Grund zu Hause fühle".

Das Glück seiner Kindheit im Odenwald wurde für ihn offensichtlich so prägend wie für Heidegger die Kindheit im Schwarzwald - zur Anmutung eines unverlierbaren Paradieses, das jeder später noch einmal zu betreten hofft. Die Bilder Gassners in ihrer Stille, Gelassenheit und Einfachheit sind ganz in diesem Sinne ein Lob der Provinz als emotionaler und geistiger Kraftort.

RAINER HEIN

Christof Gassner, "OdenBergWaldStraße", 164 Seiten, Justus Liebig Verlag 2016, ISBN: 978 387 390 3739, 19,80 Euro

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