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Alles andere als eine Erfolgsgeschichte des RechtsstaatsWährend Opfer der NS-Militärjustiz jahrzehntelang um ihre Rehabilitierung kämpfen mussten, machten ehemalige Wehrmachtjuristen wie Richard Börker, Hans Filbinger, Ernst Mantel und Erich Schwinge in der Bundesrepublik eine zweite Karriere als Richter, Staatsanwälte, Beamte oder Dozenten. Renommierte Historiker und Juristen rücken die Folgen der personellen Kontinuitäten für die demokratische Rechtsordnung und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen ins Bewusststein: Die Amnestie von Schreibtischtätern wurde durchgesetzt, Verfahren wegen…mehr

Produktbeschreibung
Alles andere als eine Erfolgsgeschichte des RechtsstaatsWährend Opfer der NS-Militärjustiz jahrzehntelang um ihre Rehabilitierung kämpfen mussten, machten ehemalige Wehrmachtjuristen wie Richard Börker, Hans Filbinger, Ernst Mantel und Erich Schwinge in der Bundesrepublik eine zweite Karriere als Richter, Staatsanwälte, Beamte oder Dozenten. Renommierte Historiker und Juristen rücken die Folgen der personellen Kontinuitäten für die demokratische Rechtsordnung und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen ins Bewusststein: Die Amnestie von Schreibtischtätern wurde durchgesetzt, Verfahren wegen Justizverbrechen endeten mit Freisprüchen oder wurden eingestellt. Selbst-entlastungen früherer Kriegsrichter stützten die Legende von der »sauberen« Wehr-macht, eingeschlossen die Wehrmachtjustiz. Der politische Widerstand gegen Hitler, der vor allem auf die Wiederherstellung der Geltung des Rechts gerichtet war, da-gegen galt z.B. 1956 noch immer als strafrechtlich zu ahndendes Verbrechen. Erst über 50 Jahre nach Kriegsende hob der demokratische Gesetzgeber in mehreren Anläufen - zuletzt mit der Annullierung der Norm des Kriegsverrats - sämtliche Unrechtsurteile des Hitler-Regimes auf und gab den Opfern damit ihre Würde zurück. Hoch aktuell ist die differenzierte Auseinandersetzung mit Überlegungen zur Wieder-einführung einer Militärjustiz in der Bundesrepublik.
Autorenporträt
Wette, Wolfram
Wette, Wolfram, Prof. Dr. phil., geboren 1940, Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie, Promotion 1971 in München, Habilitation 1991 in Freiburg i. Br.; von 1971 bis 1995 Historiker im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg i. Br.; seit 1998 apl. Professor für Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.; Mitbegründer des Arbeitskreises Historische Friedensforschung (AKHF); Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V.".

Perels, Joachim
Joachim Perels, geb. 1942, Politikwissenschaftler, seit 1971 an der Universität Hannover, seit 1983 dort Professor für Politische Wissenschaft (inzwischen emeritiert). Arbeitsgebiete: Demokratische Verfassungstheorie, Herrschaftsstruktur des Staatssozialismus, Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, Nachwirkungen des NS-Systems in der Bundesrepublik Deutschland, Ahndung von Staatsverbrechen, Politische Implikationen von Theologie.Mitbegründer und Redakteur der Zeitschrift »Kritische Justiz«, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Fritz Bauer Instituts und Mitglied der internationalen Expertenkommission für den Ausbau der Gedenkstätte Bergen-Belsen, stellvertretender Direktor des Instituts für Föderalismusforschung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.04.2012

Soldaten-Recht und Soldaten-Unrecht
Über die Untaten der NS-Militärrichter und die Mär von der sauberen Wehrmacht
Die Zahl ist schauerlich: Ungefähr 30 000 Todesurteile haben deutsche Militärrichter in den Jahren des Zweiten Weltkriegs gefällt, mehr als 20 000 davon sind vollstreckt worden. Diese Blutrichter, diese furchtbaren Juristen mit dem „Kampfanzug unter der Robe“ (Ulrich Vultejus) übten ihren Terror gegen Soldaten und Zivilpersonen im Einklang mit der nationalsozialistischen Ideologie aus. Der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit war ihnen fern.
Trotzdem sind ungefähr drei Viertel der rund 3000 Richter, Ankläger und Rechtsberater der Wehrmacht nach 1945 in das Rechtssystem der Bundesrepublik (andere gelangten in den DDR-Justizapparat) übernommen worden. Es gab also ein Fortbestehen des nationalsozialistischen Rechtsdenkens, eine Justizkontinuität. Sie wurde jahrzehntelang bagatellisiert. Erst spät wurde erkannt, dass auch die Wehrmachtjuristen tragende Säulen des NS-Unrechtsstaates waren. Die Aufarbeitung begann zögernd. Dieses Versäumnis wird endlich nachgeholt.
Die Herausgeber stufen den heutigen Wissensstand in aller Bescheidenheit als „bemerkenswert“ ein. „NS-Militärjuristen entfalteten in Schlüsselfragen der allgemeinen Rechtsentwicklung eine prägende Wirkung“, schreiben der Politikwissenschaftler Joachim Perels, Mitbegründer der Zeitschrift Kritische Justiz, und der Friedensforscher Wolfram Wette in der Einleitung. Die Inkorporation von Wehrmachtjuristen in die Justiz des demokratischen Rechtsstaats habe dazu geführt, dass sie zentrale Entscheidungen beeinflussen konnten.
Und das taten sie „mit reinem Gewissen“. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die Militärbefehlshaber ihr Zusammenspiel mit der Militärjustiz bruchlos fort: Hitlers Generäle stellten sich mit der Legende von der „sauberen Wehrmacht“ entlastende Unschuldsnachweise aus, gleichzeitig organisierten die Richter rechtfertigende „Freisprüche in eigener Sache“. Ermittlungen wurden niedergeschlagen, Amnestiegesetze verkündet, Verjährungen beschlossen. Unter diesem Schutzschirm und mit einem funktionierenden Selbstreinwaschungs-Netzwerk konnten die ehemaligen NS-Militärjuristen ihre Nachkriegskarrieren machen, die sie in höchste Gerichte und an Verwaltungsspitzen oder in Ministerien führten, in einem berühmt gewordenen Fall (Hans Filbinger) sogar bis ins Amt des Ministerpräsidenten. Sie fühlten sich sicher, weil sich kein einziges Urteil der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse mit der Militärjustiz befasst hatte. Und weil „keiner von ihnen je strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen worden ist“ (Wette).
Warum kommt das alles so spät? Eine Mischung aus prekärer Quellenlage, raffinierter Aufklärungsblockade und allgemeinem Desinteresse habe die Verzögerung bewirkt, sagen die Herausgeber. Dieser Band, dessen Lektüre beschämend wirkt, beruht auf einem Symposium, das 2010 zum 80. Geburtstag des Nestors dieses Forschungssektors, Helmut Kramer, stattfand. Mit seinem nahezu perfekten Literatur- und Quellenanhang ist er ein beachtliches Standardwerk über die Wehrmachtjustiz geworden, auch wenn darüber nicht so vehement debattiert wird wie über das Buch „Das Amt“ über das Fortwirken alter Nazi-Seilschaften im Auswärtigen Amt. Nach wie vor scheint es allerdings erhebliche Lücken zu geben, weil Bezugspunkte verloren sind. Auch die in der DDR fortwirkenden Ex-Wehrmachtrichter sind ein vernachlässigtes Kapitel. Und dass die Opfer der NS-Militärjustiz – „Wehrkraftzersetzer“, Deserteure und „Kriegsverräter“ – erst 1998, 2002 und 2009 rehabilitiert worden sind, bleibt eine Schande. Der bewegende Beitrag des Deserteurs Ludwig Baumann erinnert daran.
Welche aktuelle Bedeutung die verkannte Geschichte der Militärjustiz haben könnte, skizziert Wolfram Wette: Unsere heutigen Kenntnisse „legen der Politik nahe, auf eine neue Militärgerichtsbarkeit zu verzichten und nicht der Versuchung zu erliegen, durch kriegsähnliche Sondernormen den strafrechtlichen Schutz kritischer Soldaten und der Zivilbevölkerung zu verringern“. Eine militärischen Vorgaben verpflichtete Sonderjustiz widerspreche den Normen des demokratischen Rechtsstaats. Die Zuständigkeit für militärische Straftaten gehöre in die zivilen juristischen Instanzen. „Hier ist“, mahnt Wette, „die politische Wachsamkeit einer kritischen Öffentlichkeit gefragt.“
HELMUT LÖLHÖFFEL
JOACHIM PERELS, WOLFRAM WETTE (Hrsg): Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer. Aufbau Verlag, Berlin 2011. 474 Seiten, 29,99 Euro.
Helmut Lölhöffel war früher SZ-Redakteur und lebt als Journalist in Berlin.
Warum kommt das alles so spät?
Es liegt nicht zuletzt am
Desinteresse der Öffentlichkeit.
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» Die Autoren des materialreichen Sammelbandes beschreiben an vielen Beispielen die personelle Kontinuität zwischen nationalsozialistischer und bundesdeutscher Justiz. « Otto Langels Deutschlandfunk 20120109