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Was ist, wenn die letzte Phase des Lebens nur mehr Leid und Schmerz ist? Darf der Mensch dann seinem Leben ein Ende setzen? Walter Jens und Hans Küng haben diese Frage vor Jahren in diesem Buch mit "Ja" beantwortet. Nun ist Walter Jens, der große Rhetor, selber verstummt - lebt demenzkrank in einer eigenen Welt. Über das Quälende einer solchen Situation berichtet in dieser Neuausgabe Inge Jens aus der direkten Sicht der Angehörigen und ergänzt damit konkret, was ihr Mann vor Jahren so literarisch funkelnd behandelt hat. Noch immer ist dies ein tabuisiertes Thema und eines, das gerade in…mehr

Produktbeschreibung
Was ist, wenn die letzte Phase des Lebens nur mehr Leid und Schmerz ist? Darf der Mensch dann seinem Leben ein Ende setzen? Walter Jens und Hans Küng haben diese Frage vor Jahren in diesem Buch mit "Ja" beantwortet. Nun ist Walter Jens, der große Rhetor, selber verstummt - lebt demenzkrank in einer eigenen Welt. Über das Quälende einer solchen Situation berichtet in dieser Neuausgabe Inge Jens aus der direkten Sicht der Angehörigen und ergänzt damit konkret, was ihr Mann vor Jahren so literarisch funkelnd behandelt hat. Noch immer ist dies ein tabuisiertes Thema und eines, das gerade in Deutschland nicht sachlich diskutiert wird. Hans Küng plädiert deshalb dafür, den leidenden Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt zu stellen.
Autorenporträt
Walter Jens, geboren 1923 in Hamburg, Studium der klassischen Philologie und Germanistik in Hamburg und Freiburg/Br. Promotion 1944 mit einer Arbeit zur Sophokleischen Tragödie; 1949 Habilitation, von 1962 bis 1989 Inhaber eines Lehrstuhls für Klassische Philologie und allgemeine Rhetorik in Tübingen. Von 1989 bis 1997 Präsident der Akademie der Künste zu Berlin, jetzt deren Ehrenpräsident.
Verfasser zahlreicher belletristischer, wissenschaftlicher und essayistischer Bücher, Hör- und Fernsehspielen sowie Essays und Fernsehkritiken unter dem Pseudonym Momos; außerdem Übersetzer der Evangelien und des Römerbriefes. Inge und Walter Jens sind seit 1951 verheiratet. 1988 wurde Walter und Inge Jens der Theodor-Heuss-Preis verliehen. Walter Jens starb 2013 mit 90 Jahren in seiner Heimatstadt Tübingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2009

Es muss ja nicht gerade heute passieren

Walter Jens ist dement. Wie erleben seine Angehörigen das Drama eines Mannes, der früher lieber sterben wollte, als geistig verwirrt zu sein? Sein Sohn Tilman Jens antwortet mit dem Buch "Demenz". Und Inge Jens, die Frau des Kranken, legt einen knappen Essay vor.

Der Hass, der diesem Buch entgegenschlägt, der Eifer, es als Teufelswerk eines Geltungssüchtigen hinzustellen - dieser Affekt der Kritik macht neugierig. Ob man sich, statt wutschnaubend über die Motive des Autors zu spekulieren, nicht mit dem Text des Buches beschäftigen könnte?

Walter Jens, legendärer Rhetor der Nation, ist dement, geistig verwirrt - und sein Sohn schreibt die Krankenakte, liefert das Porträt seines dahindämmernden Vaters, der allmählich Sprache und Gedächtnis verliert. Nein, das Buch ist keine Denunziation, keine Aburteilung, keine Abfertigung. Der Sohn geht hart mit dem Vater ins Gericht - ja. Aber doch nicht, ohne über sich selbst Gericht zu halten, über sein eigenes Kneifen davor, dem Vater die zeitlebens benutzten bequemen Metaphern zu entreißen und ihn in die unliebsame Wirklichkeit zu zwingen. Die unterschwellige Vater-Sohn-Problematik wird, mit anderen Worten, systemisch angegangen, ganz so, wie Familientherapeuten es gerne sehen. Darf dieser Sohn Tilman Jens seinen Vater Walter Jens, der noch lebt und sich nicht wehren kann, derart in seiner Schwäche vorführen? So fragt man jetzt allerorten und lässt über dieser Frage den Text selbst kaum zu Wort kommen. Überlassen wir die "Darf der das?"-Frage der mutmaßlich robusten Psyche des Autors. Dessen sehr weitgehende Bereitschaft, Vertrauensverhältnisse zu vergegenständlichen, mag beunruhigen. Der Text indessen will so genommen werden, wie er da steht.

"War es wirklich ein Zufall - an den Du, der Kenner, Interpret und Übersetzer antiker Tragödien, ohnehin nie geglaubt hast -, dass Dich das große Vergessen, die Demenz, der heimtückische Nebel, so hat es John Bayley gesagt, just in dem Augenblick überkam, als ein philologisches Fachlexikon die Existenz der NSDAP-Mitgliedskarte 9265911 offenbarte?" So die rhetorische Frage von Tilman Jens an seinen Vater. Der Autor hat die fixe Idee, Walter Jens sei 2004 in die Demenz geflohen, um der Debatte über seine kurz zuvor gefundene NSDAP-Mitgliedschaftskarte zu entgehen.

Bestechend wird das Buch, wo es die unergiebige These von der Krankheit als Verdrängungsleistung hinter sich lässt und zu seinem Thema findet: Wie begegnet man einem geistig verwirrten Menschen, von dem bekannt ist, dass er genau diesen Zustand des Verwirrtseins, des Nicht-mehr-sprechen- und schreiben-Könnens, nie erleben, sondern lieber aktive Sterbehilfe erfahren wollte? Darin liegt die Brisanz der Causa Jens: Er hat öffentlich den "selbstbestimmten Tod" gefordert, "statt als ein dem Gespött preisgegebenes Etwas zu sterben, das nur von fern her an mich erinnert". Damit war auch die Situation des Demenzkranken gemeint, in der er nun selber steckt, ohne freilich dadurch nach Einschätzung seiner Angehörigen zu einem "Etwas", zu einer Unperson geworden zu sein.

Wie also verfahren? Was genau heißt es, wenn Walter Jens zum wiederholten Male sagt, er wolle sterben? Vor dieser Frage stehen seine Angehörigen beinahe täglich. Sie haben Anlass zu der Annahme, bei dem Sterbeappell sei das Gesagte mit dem Gemeinten nicht identisch. "Für meinen kranken Vater bleibt der zunehmend unduldsam geäußerte Todeswunsch eigentümlich abstrakt. Immer wieder, wenn meine Mutter oder ich ihm nachgeben, Verständnis artikulieren für sein Verlangen, weicht er zurück. Nun ja, es muss ja nicht gerade heute passieren. Er will, denke ich manchmal, tot sein, ohne zu sterben." Wenig später heißt es: "Als es ernst wird und er spürt, wie ihn sein Verstand allmählich verlässt, zögert mein Vater, den eigenen Thesen über ein menschenwürdiges Sterben zu folgen."

Man muss das Protokoll dieser sich anbahnenden und schließlich doch nicht ausgeführten Tötung eines Demenzkranken im Wortlaut zur Kenntnis nehmen, um das Buch als wichtigen Beitrag für die Sterbehilfedebatte würdigen zu können.

"Zwei Tage nach Neujahr 2007 - im Wohnzimmer riecht es nach Äpfeln, die am Tannenbaum hängen - rafft er sich noch einmal auf", schreibt Tilman Jens in der dramaturgisch dichtesten Passage des Buches. "Keine Larmoyanz in der Stimme - zum ersten Mal seit Wochen -, sondern eine beinah schon eisige Klarheit. Ihr Lieben, es reicht. Mein Leben war lang und erfüllt. Aber jetzt will ich gehen. Meine Mutter und ich widersprechen ihm nicht. Aus seiner Sicht hat er doch Recht. Also nur keinen süßlichen Trost mehr. Walter, ich kann Dich verstehen. Ich nicke, sprechen mag ich nicht. Reiß Dich zusammen, keine Tränen, nicht jetzt! Nun ist der Zeitpunkt doch noch gekommen. Wir werden also meinen Bruder Christoph in Köln anrufen und ihn bitten, sich einige Tage frei zu nehmen. Minuten sitzen wir da ohne ein Wort. Dann auf einmal lächelt mein Vater und sagt: Aber schön ist es doch! Ein tiefer Seufzer. Dann fallen ihm die Augen zu."

Für die Angehörigen eine Szene plötzlicher Klarheit: " ... aber schön ist es doch: Redet so einer, der zum Sterben entschlossen ist? Meine Mutter, mein Bruder und ich sind uns einig, das Mandat, ihm aktiv beim Sterben zu helfen, ist in dieser Sekunde erloschen. Ein Zwar-ist-es-schrecklich-aber-schön-ist-es-manchmal-noch-immer ist keine Grundlage, um einen schwerkranken Mann aus der Welt zu schaffen. Solang er noch einen Hauch jener Freude verspürt, die er einst als das zentrale Lebenselixier beschrieb, und er vor allem keine physischen Schmerzen ertragen muss, kann ich ihm seinen Todeswunsch, den er hat - aber eben auch nicht! -, schwerlich erfüllen. Ich darf es nicht tun. Nicht einmal helfen. Ich habe Glück gehabt und bin unendlich erleichtert. Die kommenden Monate aber werden entsetzlich."

Nach einer weiteren Odyssee durch Spitäler und geschlossene psychiatrische Abteilungen kommt es noch einmal zu einer Wende im Leben des Walter Jens. Ihm wird mit der Bäuerin Margit Hespeler eine Haushaltshilfe zur Seite gestellt, die faktisch eine Allround-Betreuung des Kranken leistet und darin eine Berufung sieht. "Binnen weniger Tage ändert sich das Leben meines Vaters von Grund auf. Er hat nun einen neuen höchst emotionalen Bezugspunkt. Eine Gefährtin, die nicht notgedrungen traurig ist, weil die vertrauten Gespräche, die Fundament einer langen Ehe waren, verstummt sind, sondern den Kerl, so wie er ist, ganz einfach gern hat. Sie führt ihn aus, sie gehen einkaufen, die beiden schaffen sich bald ihre eigenen Rituale. Ob er nun brav war oder sie wieder beschimpft hat: Er weiß, am Ende des Tages wird es beim Metzger ein Wurstweckle geben. Sie hat keine Scheu, sie wäscht ihn, zieht ihn an, sie verwaltet seine Tabletten, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn er tobt - und abends betet die Urschwäbin mit ihm das Vaterunser. Da schwätzt er mit."

Der früher einmal geäußerten Ansicht von Walter Jens - "unangefochten von auch nur dem leisesten Zweifel" -, dass ein Kranker, der seine Angehörigen nicht mehr erkennt, "im Sinne des Humanen kein Mensch mehr sei", hält Tilman Jens das Leben seines Vaters mit Margit Hespeler entgegen und fragt: "Sieht so ein Leben aus, das - wie er einst dachte - im Sinne des Humanen keines mehr ist? Braucht, wer eine Margit hat, einen Doktor Max Schur?" (Schur war der Arzt, der das Leben von Sigmund Freud beendete.)

Es lohnt unbedingt, das "Nachwort in eigener Sache" von Inge Jens zu lesen, das in dem jetzt aktualisierten Buch "Menschenwürdig sterben" (als Plädoyer für aktive Sterbehilfe vor Jahren gemeinsam verfasst von Walter Jens und Hans Küng) neu aufgenommen wurde. Hier schildert Inge Jens in einem knappen Essay ihre Erfahrungen mit der Krankheit ihres Mannes. Sie sind im Blick auf die Sterbehilfedebatte um einiges analytischer gehalten als der ausführliche Bericht ihres Sohnes, im Ganzen bietet sich aber derselbe Befund. Inge Jens fühlt sich an das Versprechen gebunden, das sie ihrem Mann vor Jahren gab, ihn nicht im Zustand geistiger Verwirrung am Leben zu lassen. "Und die Hilfe, die er heute reklamiert, ist - denke ich - die Bitte, ihn nicht länger einem solchen Leben auszusetzen." Dann aber die Frage, die auch ihren Sohn umtreibt: "Was gibt mir das Recht, ihm diese Hilfe zu verweigern?"

Und Inge Jens antwortet wie folgt: "Ich könnte seiner Forderung mit dem Hinweis darauf begegnen, dass die Erfahrung mich zunehmend unsicher hinsichtlich der Beurteilung seines Zustands gemacht hat. Damals, als wir uns gegenseitig Hilfe versprachen, handelten wir in Übereinstimmung mit dem uns zu diesem Zeitpunkt zugänglichen Wissen über Grenzsituationen und die uns zustehende Handlungsfreiheit. Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte unsere damalige Entscheidung auch noch heute für im Grundsätzlichen richtig und unter den damals protokollierten Bedingungen verpflichtend. Hinsichtlich der Voraussetzungen jedoch, das heißt in der Analyse jener Grenzsituationen, in denen Hilfe zum Sterben geleistet werden sollte, habe ich heute die mir damals noch unvorstellbaren Erfahrungen der letzten Jahre mit zu berücksichtigen. Ich bin vorsichtiger geworden, vielleicht zögerlicher geworden; ich habe gelernt, die Kategorien lebensunwert und lebenswert neu zu durchdenken, meine Vorstellungen von Würde und Glück zu differenzieren und die Nichtlösbarkeit gewisser Antinomien, jedenfalls für mich, zu akzeptieren."

Es fällt einem kein Kommentar zum Thema Sterbehilfe ein, der derart unter die Haut geht und Gewissheiten zerstäubt wie diese Krankenakte von Walter Jens, die seine Frau und sein Sohn hier angelegt haben.

CHRISTIAN GEYER

Tilman Jens: "Demenz". Abschied von meinem Vater. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009. 142 S., geb., 17,95 [Euro].

Walter Jens, Hans Küng: "Menschenwürdig sterben". Ein Plädoyer für Selbstverantwortung. Mit einem Text von Inge Jens. Piper Verlag, München 2009. 248 S., geb., 16,95 [Euro].

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