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Das Werk von Marguerite Duras steckt voller biographischer Erfahrung. Frédérique Lebelley ist ihrem Leben nachgegangen: der Kindheit und Jugend in Indochina (Marguerite Duras wurde 1914 in der Nähe von Saigon geboren), der fast ans Inzestuöse grenzenden Zuneigung für den jüngeren, dem Haß auf den älteren Bruder, der lange verheimlichten Liebe zu einem reichen Chinesen ("Der Liebhaber"), der die verarmte Familie unterstützt; der Rückkehr in den dreißiger Jahren nach Frankreich, den ersten Schreibversuchen, der literarischen Anerkennung. Und den alle Etappen begleitenden, vielfältigen…mehr

Produktbeschreibung
Das Werk von Marguerite Duras steckt voller biographischer Erfahrung. Frédérique Lebelley ist ihrem Leben nachgegangen: der Kindheit und Jugend in Indochina (Marguerite Duras wurde 1914 in der Nähe von Saigon geboren), der fast ans Inzestuöse grenzenden Zuneigung für den jüngeren, dem Haß auf den älteren Bruder, der lange verheimlichten Liebe zu einem reichen Chinesen ("Der Liebhaber"), der die verarmte Familie unterstützt; der Rückkehr in den dreißiger Jahren nach Frankreich, den ersten Schreibversuchen, der literarischen Anerkennung. Und den alle Etappen begleitenden, vielfältigen Liebesbeziehungen, den wachsenden Alkoholproblemen, der Radikalisierung des Schreibens und Denkens. In 24 Kapiteln führt Frédérique Lebelleys Buch durch das Leben der grande dame der französischen Literatur: kenntnisreich, präzis, lebendig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.1997

Die kleine Kreolin
Marguerite Duras im Krieg der Männer · Von Jürg Altwegg

Als dieses Buch von Frédérique Lebelley in Paris erschien, waren sowohl Marguerite Duras als auch François Mitterrand noch am Leben. Der "Nouvel Observateur" machte aus der Biographie der Schriftstellerin im Februar l994 eine Titelgeschichte, zu der Mitterrand eines seiner damals sehr selten gewordenen Interviews beitrug, in dem er sie als große Schriftstellerin lobt: ",Der Schmerz' ist unsere Geschichte, aber ich würde sie ein bißchen anders erzählen. Es ist nicht ihr genauestes Werk."

Die Ausführungen über die Kriegszeit sind die spannendsten in Frédérique Lebelleys Biographie "Marguerite Duras. Ein Leben". Wie Mitterrand kam auch sie erst spät zum Widerstand. Und ursprünglich von der anderen politischen Seite. Zum Zeitpunkt der Niederlage veröffentlichte sie zusammen mit Philippe Roques bei Gallimard ihr erstes Buch, "L'empire français": das französische Reich. Es handelt sich um eine üble Verherrlichung des Kolonialismus voller rassistischer Klischees. Die Duras hat ihre publizistische Jugendsünde später systematisch aus ihrer Bibliographie getilgt. Der Antikolonialismus gehörte schließlich zum festen Kern ihres Engagements der Nachkriegszeit.

Unter der Besatzung arbeitete sie als Sekretärin der Kommission, die über die Papierkontingente herrschte. Für Liebesgeschichten teilte sie das Papier besonders gerne zu, "vor allem wenn der Troubadour ein hübscher junger Mann ist" (Lebelley). Ihr Männerverschleiß war damals schon sprichwörtlich, und "die jetzt schon so lange währende Anwesenheit des Feindes hat keine unüberwindlichen Abneigungen in ihr geweckt". Sie hat einen Ehemann, Liebhaber, Freunde, Arbeit, Geld, ein Kindund einen unstillbaren "Hunger nach Treulosigkeiten, nach Ehebrüchen, nach Lügen und nach dem Sterben".

Robert Antelme arbeitet damals als Redakteur bei der Polizeipräfektur. Täglich wird er mit zahlreichen Fällen der Judendeportation konfrontiert. Eine Kollegin ermuntert ihn zu "lebensrettenden Gesten". Doch insgesamt nehmen, wie Lebelley schreibt, "Marguerite und Robert Antelme ihre zweideutigen Funktionen ohne große Sensibilisierung wahr. Bis zum Herbst l943 tauchen sie in der Menge derer unter, die, mit bankrottem Gewissen, den Faschismus für lebensfähig halten. Weder schuldig noch unschuldig."

Privat und beruflich kommt Marguerite Duras mit den bedeutenden Dichtern zusammen. In ihrer Wohnung gehen Kollaborateure wie Widerstandskämpfer ein und aus - auch Drieu la Rochelle und Gerhard Heller, der Zensurbeauftragte des NS-Regimes in Paris. Sie schreibt "Les Impudents" und muß das Manuskript überarbeiten. Für den Fall einer neuerlichen Ablehnung droht sie, ins Wasser zu springen. Camus, Montherlant, Giono, Queneau, Giraudoux, Sartre seien doch auch verlegt worden, mit dem Segen der Nazi-Zensur. "Sie hat das gleiche Anrecht auf ihre Zentner Papier." Zwar hält Antelme das Werk für schlecht, doch er macht die Runde bei den Verlagen und verhandelt mit einflußreichen Freunden: "Er weiß, daß Marguerite weder aus Laune noch aus Eitelkeit erpreßt. Wenn das Buch nicht existiert, dann auch sie nicht." Die Editions Plon erklären sich zu einer Publikation bereit. Einer Neuauflage hat sich die Autorin bis l992 widersetzt.

Der "gleiche poetisch-romaneske Elan" bringt die Gruppe um Antelme und Duras dazu, sich "im September l943 dem Untergrundkampf anzuschließen". Zum Treffen, bei dem Antelme den Deutschen in die Hände fiel, war Mitterrand zu spät erschienen und damit seiner Verhaftung entkommen. Antelme hat nach seiner Rückkehr aus Dachau, wo ihn Mitterrand gefunden hatte, eines der eindrücklichsten Bücher über die Lager ("Das Menschengeschlecht") geschrieben - und die Duras im Augenblick seiner Ankunft aufgehört, ihn zu lieben. Nach dem "Wunder der Befreiung" foltert sie einen Verräter.

Diese Szene wird in "Der Schmerz" ausgiebig geschildert. Marguerite Duras muß das Buch umgehend nach dem Krieg geschrieben und dann vergessen haben. Bis l950 veröffentlichte sie nichts mehr. Es war die Zeit ihres Glaubens an den Kommunismus, dem sie aus Wut über de Gaulles Geringschätzung der Résistance beigetreten sein will: "Nie werden wir ihm verzeihen." Deprimiert, schreibt die Biographin, "blickt sie auf den Krieg zurück, der umsonst geführt worden ist, da die alte Welt wieder zu herrschen droht". Mit der langsamen, schmerzvollen Lösung von den Kommunisten, denen es nicht gefiel, daß sie mit zwei Männern (Antelme und Dionys Mascolo) zusammenlebte, begann ihr Weg durch die Avantgarde des Nachkriegs. "Von allen Kühnheiten, zu denen sie fähig ist, verbietet sie sich nur eine: zu behaupten, daß sie Jüdin sei, gegen alles und alle."

Frédérique Lebelley verfolgt ihren Weg bis ans Ende. Ihr Buch enthält viel Material, aber keinerlei Perspektiven. Ziemlich unpräzise und unbekümmert schreibt sie drauflos und erweist sich in politischer, aber auch historischer und literaturkritischer Hinsicht als so naiv, wie es die Duras selbst war. Anstrengender zu lesen, trockener, aber in vielerlei Beziehung ergiebiger ist die Studie von Doris Kolesch und Gertrud Lehnert über "Marguerite Duras". Die Autorinnen gehen nicht chronologisch, sondern thematisch vor und verstehen es, Profile herauszuarbeiten und das Werk stilistisch zu analysieren. Störend wirkt in dieser kundigen und konzentrierten Abhandlung allerdings ein penetrant feministischer Ansatz.

Die Verfasserinnen untersuchen, ob es der Duras mit "Der Schmerz" und "Hiroshima mon amour" gelungen sei, eine Kriegserfahrung aus weiblicher Sicht "einzufangen". Zumindest die Pointe ihres Befunds ist deutlich gegen Lebelley gerichtet: "Duras und Mascolo trieben diese Anverwandlung so weit, daß ihr gemeinsamer Sohn, Jean Mascolo, noch als Jugendlicher glaubte, seine Eltern seien Juden." Sie bezichtigen die Duras einer weitgehenden "Judaisierung", halten diese für eine Anmaßung und fragen, "ob die imaginäre Identifikation mit den Juden nicht eine allzu leichte, allzu verallgemeinernde Instrumentalisierung des Leidens anderer darstellt". Sie ist zumindest äußerst bezeichnend für die Haltung der französischen Nachkriegskultur mit ihrer Vichy-Verdrängung und langsamen Aufarbeitung des Faschismus.

Ihre Starallüren hatte die Duras stets so ungehemmt kultiviert, wie sie den Kult ihrer Persönlichkeit und des Schreibens pflegte - doch mit dem "Liebhaber" wurde sie nun tatsächlich zum internationalen Star der Literatur. Die Zeit des Leidens war vorbei, der neurotische Zwang zum theoretischen Experiment überwunden. Die Schriftstellerin gab sich fortan so frei und unbekümmert wie unter der Okkupation. Die überraschende Veröffentlichung von "Der Schmerz" kurz nach dem "Liebhaber" bewies Mitte der achtziger Jahre schlagartig, daß sie bereits vor ihrer Avantgarde-Periode, von der sie sich fortan wortstark distanzierte, in der Art geschrieben hatte, zu der sie mit ihrem größten Erfolg, einem konventionellen autobiographischen Roman über ihre Jugend in der Zeit vor dem Krieg, zurückgefunden hatte.

Das Warten und Arbeiten hatte sich gelohnt. Aus der etwas zögerlichen Résistance-Gruppe im besetzten Paris, deren Mitglieder alle ästhetischen und ideologischen Irrungen des Nachkriegs mitmachten und die Imperative des politischen Engagements getreulich befolgten, gingen nach l98l der französische Staatspräsident und die damals weltweit meistgelesene französische Schriftstellerin hervor. Eine vergleichbare Instinktsicherheit und Skrupellosigkeit zeichnet sie aus. Mit allen Intellektuellen geriet Mitterrand an der politischen Macht in Konflikt - nur die Duras hielt in einer Art Nibelungentreue zu ihm. Um wenige Wochen nur hat sie ihn überlebt.

Für die deutschen Leser ihrer l994 erschienenen Biographie "Marguerite Duras. Ein Leben" schildert Frédérique Lebelley auch noch das Ableben ihrer Heldin. Unter "peitschendem Regen" wurde sie auf dem Friedhof Montparnasse begraben, in der Nähe von Simone de Beauvoir und Sartre, dem die Mechanismen von Verdrängung und kulturellem Hegemonieanspruch ja auch bestens vertraut waren. "Die kleine Kreolin wird die Fiktion nicht mehr verlassen", lautet am Ende der schönste Satz dieser Biographie. In der Realität war Marguerite Duras ohnehin nie wirklich zu Hause gewesen.

Frédérique Lebelley: "Marguerite Duras. Ein Leben". Aus dem Französischen übersetzt von Eva Groepler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main l996. 392 S., geb., 48,- DM.

Doris Kolesch und Gertrud Lehnert: "Marguerite Duras". Edition Text und Kritik, München l997. 210 S., br., 28,50 DM.

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