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Eduard Limonow, eine der umstrittensten und widersprüchlichsten Figuren Russlands, lebt sein abenteuerliches Leben mit einer schwindelerregenden Intensität. Er hatte Sex mit Männern und Frauen, verführte Minderjährige, wurde Familienvater, lebte als hungerleidender und partyfeiernder Dandy in den USA und Paris, kämpfte als Freiwilliger in diversen Kriegen, tötete und saß im Gefängnis. Seine politische Haltung oszilliert zwischen extrem rechts und extrem links - immer in Opposition zum Establishment.

Produktbeschreibung
Eduard Limonow, eine der umstrittensten und widersprüchlichsten Figuren Russlands, lebt sein abenteuerliches Leben mit einer schwindelerregenden Intensität. Er hatte Sex mit Männern und Frauen, verführte Minderjährige, wurde Familienvater, lebte als hungerleidender und partyfeiernder Dandy in den USA und Paris, kämpfte als Freiwilliger in diversen Kriegen, tötete und saß im Gefängnis. Seine politische Haltung oszilliert zwischen extrem rechts und extrem links - immer in Opposition zum Establishment.
Autorenporträt
Emmanuel Carrère, geboren 1957 als Sohn der französischen Historikerin Hélène Carrère d'Encausse, lebt als Schriftsteller, Regisseur, Produzent und Drehbuchautor in Paris. 2010 war Carrère Jurymitglied bei den Filmfestspielen in Cannes. Für »Limonow« wurde er 2011 mit dem Prix Renaudot und dem Prix de la langue française ausgezeichnet.
Rezensionen
»Carrère hat ein großartiges Doppelportrait geschrieben, das einen herumschleudert zwischen Abscheu und Bewunderung, zwischen Entsetzen und Verblüffung. Mehr geht nicht.« Christine Hamel, WDR 3

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2012

Der Held als Drecksack
Emmanuel Carrère erzählt das Leben von "Limonow"

Eines der Kennzeichen für die Qualität eines Buches kann das Gefühl des Bedauerns darüber sein, dass man es zu Ende gelesen hat. Ohne Zweifel wird es vielen Lesern von Emmanuel Carrères "Limonow" so ergehen. Gegen das Provokationspotential des schillernden Titelhelden ist Pussy Riot eine Chorgruppe aus dem Mädchenpensionat. So komplex, so letztendlich unergründlich müssen Romanhelden sein, damit sie uns im Gedächtnis haftenbleiben.

Nun ist Eduard Limonow, geboren im Februar 1943 in Dserschinsk als Eduard Sawenko und aufgewachsen im ukrainischen Charkiw, kein Romanheld, sondern ein real existierender russischer Schriftsteller, Parteigründer, Oppositioneller, Söldner, ehemaliger Hosenschneider, Frauenheld und Kryptofaschist und eine jener Figuren, die als Romanheld zu erfinden höchst problematisch und äußerst postmodern wäre, die man aber, wenn man ihr Leben erzählen will, durchaus noch einmal erfinden muss. Genau das hat Emmanuel Carrère getan, und dafür hat er 2011 den Prix Renaudot erhalten.

Carrère hat Limonow Anfang der achtziger Jahre anlässlich eines Interviews kennengelernt, als er ein junger Autor und Journalist war, gut verankert in der immer leicht inzestuösen Pariser Intellektuellenszene. Damals kam Limonow gerade aus dem verrotteten New York der späten siebziger Jahre und war mit seinem ersten Buch plötzlich berühmt geworden. Carrère ist ihm dann 2006 in Moskau wiederbegegnet, als beide längst erfolgreiche Schriftsteller waren, Limonow aber auch Chef einer inzwischen verbotenen Partei, von der man nicht genau sagen konnte, ob sie bolschewistisch, faschistisch oder beides zusammen war. Er hat ihn über mehrere Monate begleitet und dann begonnen, über ihn zu schreiben.

Den Abstand zwischen sich selbst und dem Helden Limonow beschreibt er sehr prägnant: "Ich lebe in einem ruhigen, abweisenden Land, das soziale Mobilität nur begrenzt zulässt. In einer großbürgerlichen Familie aus dem XVI.ten Arrondissement von Paris geboren, bin ich ein Angehöriger der bürgerlichen Boheme des Xten geworden. Als Sohn eines Angestellten in Führungsposition und einer renommierten Historikerin schreibe ich Bücher und Drehbücher, meine Frau ist Journalistin ... Sowohl vom geographischen als auch vom soziokulturellen Standpunkt aus gesehen, kann man nicht gerade behaupten, dass mich das Leben sehr weit von meinen Wurzeln weggeführt hat ... Limonow dagegen war ein Kleinkrimineller in der Ukraine, ein Idol des sowjetischen Undergrounds, Obdachloser, Kammerdiener eines Milliardärs in Manhattan, Starschriftsteller in Paris, ein Soldat, der sich in den Balkanraum verirrte, und jetzt, in diesem heillosen Chaos des Postkommunismus, ist er der alte, charismatische Chef einer Partei von jugendlichen Desperados. Er selbst sieht sich als Helden, man kann ihn auch als Drecksack betrachten: Ich selbst behalte mir mein Urteil vor."

Über die Lebensstationen Limonows ist in diesem Schnelldurchlauf fast alles gesagt (es fehlen das Gefängnis und das Arbeitslager), und das Buch, das dieses Leben beschreibt, soll hier nicht nacherzählt werden: Das würde das Vergnügen an der Lektüre unzulässig schmälern, wobei Vergnügen hier vielleicht nicht immer das passende Wort ist. Man darf jedoch versichert sein, dass es spannend von der ersten bis zur letzten Seite ist.

Ebenso spannend aber ist das Verhältnis des Autors zu seinem Gegenstand, die Frage nach dem Verhältnis von Realität und Fiktion in diesem Buch und die Frage, welches Erkenntnisinteresse Carrère zu diesem Buch bewogen haben könnte. Dass Sawenko alias Limonow ein interessanteres Leben als der Autor führt, liegt auf der Hand. Das Glück des Lesers liegt nun darin, dass Carrère dieses Leben nicht distanzlos als existentialistische Heldengeschichte erzählt. Das hätte bei einer Figur, die sich selbst früh gleichsam als Romanfigur entworfen hat (und dann unter anderem Schriftsteller geworden ist), nahegelegen: Man folgt einfach dieser Inszenierung, überhöht das Ganze von der eigenen intellektuellen Warte aus und landet bei der Heiligenlegende, sieht aber noch immer hübsch von oben auf den Heiligen herab. Carrère aber, Sohn einer anerkannten Historikerin mit weißrussischen Wurzeln, die sich früh mit der Sowjetunion befasst und ebenso früh ihren Untergang prognostiziert hat, geht davon aus, Limonows "romanhaftes, gefährliches Leben erzähle etwas. Nicht nur über ihn, Limonow, und nicht nur über Russland, sondern über unser aller Geschichte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs."

Das ist das nicht unbescheidene Programm, das hinter dem Buch steht, und Carrère hat es eingelöst. Was wir schon immer ahnten oder auch wussten, kann er wirklich zeigen: dass es sich nicht so ganz einfach verhält mit den Guten und den Bösen in der Sowjetunion und danach und in der Politik überhaupt. Dass nach 1989 der durchschnittliche Sowjetbürger bald nicht mehr wusste, wie ihm geschah. Dass es die Oligarchen wie Beresowskij und Chodorkowskij selbst waren, die, um ihre Geschäfte zu schützen, Putin als Marionette eingesetzt haben, die Marionette sich dann aber selbständig machte. Es gibt in diesem Buch - auf Seite 406, wer schon mal vorblättern möchte - eine Passage darüber, welche Botschaft Putin an die Russen übermittelt und womit er bis heute erfolgreich ist. Dieses Glanzstück ersetzt seitenlange Analysen der politischen Stimmungslage und Kräfteverhältnisse in Russland.

Aber Carrère behauptet nicht, sondern erzählt. Er erzählt zum Beispiel vom Entsetzen von Limonows Mutter, als sie erfährt, dass man in den kapitalistischen Ländern für Strom und Gas bezahlen muss. Und wenn er etwas gar nicht so genau wissen will, fragt er nicht nach bei Limonow, obwohl er gekonnt hätte. Er hält sich den Raum der Fiktion offen. Er bedauert, dass er statt Limonows Aussage, er habe ein Scheißleben geführt, keinen anderen Schluss anbieten kann, und skizziert dann doch eine Alternative. Das Urteil über Limonow, das er sich anfangs vorbehalten hat, spricht er nicht aus, er hat es vermutlich auch nicht "gefällt": Es ist unwichtig. Die unwichtigste Frage bei diesem - hervorragend übersetzten - Buch aber ist die nach der Gattung, der es angehört. Es ist völlig egal, ob man es als Roman, als Biographie, als Thriller oder als erzählenden Essay bezeichnet (der Verlag hat klugerweise auf jegliche Bezeichnung verzichtet). Es ist einfach Literatur auf der Höhe der Zeit.

JOCHEN SCHIMMANG

Emmanuel Carrère: "Limonow".

Aus dem Französischen von Claudia Hamm. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2012. 414 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Eine gewisse Faszinations kann Jörg Aufenanger dem russischen Irrlicht Eduard Limonow nicht absprechen, diesem russischen Underdog, der sich erst in Paris als Dandy und Provokateur inszenierte, dann in Sarajewo zu den serbischen Tschetniks stieß und in Moskau, die nationalbolschewistische Partei gründete. Solange es Emmanuel Carrère bei der Schilderung dieses wahnsinnigen Lebens belässt, hält er den Rezensenten bei der Stange. Doch wenn sich Carrère selbst neben Limonow rückt, verscherzt er sich Aufenangers Sympathie, der dann nur noch ein "verwöhntes, gelangweiltes" Bürgersöhnchen aus Paris sieht, das sich ins Scheinwerferlicht rückt. "Eitel und flau", findet Aufenanger das.

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