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Hülya ist 17, als sie in der Türkei gegen ihren Willen verheiratet werden soll. Mit einem Trick entkommt sie nach Deutschland, wo sie geboren wurde und aufgewachsen ist. Als ihrer jüngeren Schwester das gleiche Schicksal droht, beschließt sie, Esme zu entführen. Aber mit Hilfe kann Hülya von keiner Seite rechnen. Ihr bleibt nur ein Ausweg - und der kann sie direkt ins Gefängnis führen...

Produktbeschreibung
Hülya ist 17, als sie in der Türkei gegen ihren Willen verheiratet werden soll. Mit einem Trick entkommt sie nach Deutschland, wo sie geboren wurde und aufgewachsen ist. Als ihrer jüngeren Schwester das gleiche Schicksal droht, beschließt sie, Esme zu entführen. Aber mit Hilfe kann Hülya von keiner Seite rechnen. Ihr bleibt nur ein Ausweg - und der kann sie direkt ins Gefängnis führen...

Autorenporträt
Kalkan, Hülya
Hülya Kalkan wurde 1979 in der Nähe von Stuttgart geboren. Mit fünf mußte sie das erste Mal für ein paar Wochen in die Türkei, mit dreizehn dann für eineinhalb Jahre: in eine strenge Koranschule im Heimatdorf ihrer Mutter. Mit siebzehn sollte sie in der Türkei verheiratet werden. Sie widersetzte sich, wurde von der eigenen Familie verstoßen und fand Zuflucht in einem Frauenhaus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2006

Armer türkischer Mann
Häusliche Gewalt und ein rigider Ehrenkodex - die übermächtige Tradition in vielen Familien diktiert auch das Verhalten der Söhne
Necla Kelek ist derzeit eine Persona non grata bei muslimischen Verbänden, ihnen gilt sie als Nestbeschmutzerin. Ebenso wenig populär ist die deutsche Soziologin türkischer Abstammung bei vielen Integrationsforschern, die ihr eine unwissenschaftliche Vorgehensweise und Populismus verworfen. Warum? Kelek hat vor zwei Jahren einen Bestseller verfasst, in dem sie das Schicksal türkischer Importbräute beschreibt, die - ohne Deutschkenntnisse und in ihren neuen Familien weitgehend entrechtet - am Rande der deutschen Gesellschaft leben. Politiker und Leser reagierten mit Schaudern auf diesen Einblick in eine Parallelgesellschaft; Fachleute konterten, die tatsächlichen Fallzahlen seien viel niedriger, als Kelek glauben mache.
Die Autorin ist von der massiven Kritik nicht unbeeindruckt geblieben, was man ihrem neuen Buch „Die verlorenen Söhne” anmerkt. Nicht ihre Thesen variiert sie - sie hält daran fest, dass das Rollenbild türkisch-muslimischer Männer sie zur Einhaltung eines starren Regelwerks verdammt, in dem sie Täter und Opfer zugleich sind. Aber Kelek betont unaufhörlich, dass sie nicht verallgemeinern wolle, dass es auch aufgeschlossene, integrierte Türken gebe. Und doch bleibt sie dabei: Türkische Immigranten müssten sich öffnen für eine fremde Gesellschaft, und sie müssten die eigene Tradition in Frage stellen - eine Tradition, die Kelek mit dem gruseligen Terminus „schwarze Pädagogik” belegt.
Gehorsam und Unterwerfung
Für ihr Buch hat sie Interviews mit muslimischen Gesamtschülern in Hamburg sowie mit muslimischen Gefangenen geführt, die in deutschen Gefängnissen einsitzen - nicht selten, weil ein starres, patriarchalisch geprägtes Verständnis von Ehre sie zu Handlungen verleitet hat, die deutschen Gesetzen, nicht aber der Scharia, zuwiderlaufen. „Bei genauem Hinsehen”, schreibt Kelek, „stellt man fest, dass die für die islamische Community verpflichtenden Gebote wie Respekt, Ehre und Schande von Männern formuliert werden. Es sind Männer, die ihre Einhaltung kontrollieren, und es sind Männer, die die Strafe exekutieren, wenn die Frauen die ,Ehre‘ der Familie verletzen.”
Kelek erzählt die Lebensgeschichten junger Männer, und im Grunde gleichen sich alle. Immer geht es um den Gehorsam gegenüber dem Vater und gegenüber dem Clan, um eine archaische Kultur von Rache und Vergeltung. Das klingt melodramatisch, und tatsächlich tendiert Necla Kelek in ihren reportageartigen Kapiteln stark zur Emotionalisierung von Figuren und Ereignissen. Mit ihrer kleinen Sammlung von Interviews verstärkt sie eine Beobachtung, die derzeit in die Debatte um die Gewaltbereitschaft junger Ausländer einfließt: Staatliche Repressalien, Haftstrafen beeindrucken viele Jugendliche nicht. Sie verstehen ihren Gefängnisaufenthalt vielmehr als Beweis für die eigene Stärke, und sie bleiben dabei, dass Gewalt ein probates Mittel zur Durchsetzung ihrer Werte sei.
Wer Kelek folgt, betritt eine fürchterliche Welt. Misshandlungen durch den Vater, so die Autorin, sind traurige Normalität in türkischen Familien. Kaum ein Sohn stelle die väterliche Autorität deswegen in Frage. „Muslimische Jungen wachsen ohne Liebe auf. In ihrer Sozialisation geht es in erster Linie darum, Gott zu gehorchen und dafür zu sorgen, dass ihnen gehorcht wird.” Muslimischen Jungen, so Kelek, bleibe die Welt fremd, weil niemand sie ihnen erkläre; in einer Welt von Gehorsam und Unterwerfung seien Fragen nicht zugelassen. Selbstständigkeit sei kein Erziehungsziel, nur wer Respekt vor den Altvorderen zeige und demütig bleibe, werde anerkannt.
Aus diesem Teufelskreis von Macht und Ohnmacht gibt es, so die Soziologin, keinen Ausweg: Schläge bedeuten Macht, Schande ist die eigene Schwäche, weil man dem anderen nicht die Stirn bieten kann. Diese „schwarze Pädagogik” werde von den Vätern an die Söhne weitergegeben; und diese Tradition lasse alle Anstrengungen zur Integration in eine moderne, westliche Welt scheitern.
Kelek ist auch in diesem Buch, was sie war: apodiktisch, missionarisch. Sie trennt nicht zwischen „türkisch” und „muslimisch”. Bei ihr gibt es, trotz gegenteiliger Beteuerungen, keine Grautöne, was auch aus der Auswahl ihrer Gesprächspartner resultiert. Ihre Beobachtungen, in vielen Einzelfällen stimmig, wirken in ihrer Ballung wie ein Panoptikum aus einer Welt des Grauens; dem Alltag in türkischen Familien dürften sie nur partiell entsprechen.
Kelek bezieht sich in ihrer Monografie unter anderem auf „Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer”, eine Abhandlung, die der promovierte Erziehungswissenschaftler und Spezialist für Gewaltprävention, Ahmet Toprak, bereits im vergangenen Jahr publiziert hat. Der Autor geht der Frage nach, wie junge Türken selbst zu Zwangsverheiratungen stehen, was sie über Gewalt in der Ehe, über die Rolle ihrer Eltern, über Sexualität und Erziehung denken. Toprak hat15 Männer befragt, auch er warnt vor Pauschalisierungen. Im Gegensatz zu Kelek indes referiert er seine Ergebnisse in einem starren, sprachlich reduzierten Raster, das seiner Botschaft gut tut, weil es sie nicht mit Schock und Ekel überfrachtet: Gewalt gegen Frauen und Kinder gilt als gerechtfertigt, auch sexualisierte Gewalt; Männer haben immer das letzte Wort, Frauen müssen sich unterordnen, und einzig für die Ehre lohnt es sich zu leben. So berichten es ihm alle Männer.
Toprak fügt der Auswertung seiner Interviews ein Kapitel mit Vorschlägen zur Gewaltprävention an: Auf Elternarbeit dürfe nicht verzichtet werden, weil gerade Jugendliche ohne Perspektive sich an die Traditionen ihrer Elternhäuser klammerten. Toprak schlägt soziale Trainingskurse für Männer vor sowie die Zusammenarbeit mit Kultur- und Moscheevereinen. Und er hält Deutschkurse im Herkunftsland vor der Übersiedelung für unabdingbar. Langfristig geht der Pädagoge davon aus, dass nur eine verbesserte Schul- und Berufsausbildung sowie die Chance auf einen Job anstelle der Lebensperspektive Hartz IV eine Veränderung der rigiden Vorstellungswelt türkischer Männer bewirken können.
Beichte und Thriller
Hülya Kalkans Buch gleicht einem Entwicklungsroman und steht damit an der Grenze zwischen Literatur und Sachbuch. Es ist die Autobiografie einer jungen Frau aus türkischer Familie, geschrieben wie eine Mischung aus Lebensbeichte und Thriller: Sie wächst in einem kleinen Ort in Baden-Württemberg auf, die Eltern arbeiten, der große Bruder wird verwöhnt, die Mädchen müssen den Haushalt führen - eine ganz normale türkische Familie also. Aber als Hülya beginnt sich zu emanzipieren, sich Freiheiten herauszunehmen, als ihre Lehrerin die Eltern bedrängt, das intelligente Mädchen lernen zu lassen, rastet die Mutter aus. Unter einem Vorwand lockt sie die Tochter in die Türkei und lässt sie bei einer Tante zurück. Sie soll verheiratet werden, um ihr die Flausen auszutreiben von Freiheit und Gleichheit, von einem selbstständigen Leben als erwachsene Frau. Hülya greift zu einem Trick: Sie sagt, sie sei nicht mehr Jungfrau - also nicht zu verheiraten. Die Lüge hilft.
Hülya kehrt zurück nach Deutschland und schafft es mit Hilfe der Behörden, sich in einer Zuflucht für muslimische Mädchen zu verstecken. Sie macht ihren Abschluss, arbeitet - und geht der Familie aus dem Weg. Dann aber soll die Schwester verheiratet werden. Mithilfe eines groß angelegten Täuschungsmanövers und nach einer abenteuerlichen Flucht kann Hülya Kalkan die kleine Schwester retten. Die Autorin und ihre Schwester kommen, wenn man so will, davon. Doch sie zahlen einen hohen Preis: Angst, Traumata, Einsamkeit begleiten ihr Leben noch lang, denn die Eltern wollen nicht verzeihen. Hülya Kalkan berichtet, dass allein in Stuttgart, wo sie zwischenzeitlich Zuflucht in einer Schutzwohnung findet, allmonatlich ein Dutzend Mädchen die Hilfe des Jugendamtes erbäten - zur Rettung vor einer Heirat mit einem Unbekannten, vor dem familiären Gefängnis.
Ein ganz anderes Bild von türkischen Einwanderern in Deutschland zeichnet die Autorin Hilal Sezgin. Sie hat 19 deutsch-türkische Frauen befragt über „Highlights, die seltener Schlagzeilen machen”, über Arbeit, Liebe, Familie, Lebensziele, Erfolge und unerfüllte Träume. Genau so vage, wie diese Aufzählung anmutet, ist auch ihr Buch ausgefallen. Dabei hat sie eigentlich alles richtig gemacht: In dem steten Bemühen, die „normale”, die emanzipierte Seite türkischen Frauenlebens zu schildern, erzählt sie unaufgeregt und mit der nötigen persönlichen Distanz vom Leben einer Kinderärztin, einer Werbeassistentin, der Inhaberin eines Geschäfts für Kinderschuhe. Aber genau so, wie eine Zeitung mit positiven Schlagzeilen sich auf Dauer nicht gut verkauft, wird auch die Schilderung all der positiven Entwicklungen bei ihren positiven Heldinnen schnell fade.
Zum Schluss fasst Hilal Sezgin, und das ist dann doch sehr spannend, das Phänomen der türkischen Parallelgesellschaft, der zunehmenden Segregation der türkischen von der deutschen Community, aus der Sicht jener zusammen, die sich integriert haben und in Deutschland angekommen sind: „Die anderen Türken, die rückschrittlichen, die peinlichen, die den sozialen Aufstieg nicht mitgemacht haben, die den Sprung von den Dörfern Anatoliens ins moderne Europa nicht geschafft haben, die stehen geblieben und damit zum lebenden Anachronismus geworden sind: Sie bilden gleichsam eine Insel von überlebtem Türkisch-Sein, wie es in der Türkei kaum mehr vorkommt. Auf diese Inselbevölkerung blicken die Modernen, die Gebildeten, mit einer Mischung aus Mitleid und Entsetzen.”
CATHRIN KAHLWEIT
NECLA KELEK: Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 218 Seiten, 18,90 Euro.
AHMET TOPRAK: Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre. Lambertus Verlag, Freiburg 2005. 180 Seiten, 18 Euro.
HÜLYA KALKAN: Ich wollte nur frei sein. Ullstein, Berlin 2005. 228 Seiten, 18 Euro.
HILAL SEZGIN: Typisch Türkin? Porträt einer neuen Generation. Herder, Freiburg 2006. 196 Seiten, 12,90 Euro.
Männer haben immer das letzte Wort. Ein Bild aus dem dokumentarischen ZDF-Film „Was lebst Du?”
ZDF/Bettina Braun
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Cathrin Kahlweit bespricht vier Bücher, die sich mit den spezifischen Problemen der Kinder türkischer Migranten in Deutschland befassen. Hülya Kalkans Bericht siedelt sie zwischen "Lebensbeichte und Thriller" und somit im Grenzbereich zwischen Literatur und Sachbuch an. Die Autorin beschreibt darin, wie sie sich selbst einer erzwungenen Heirat entziehen konnte und später auch ihre Schwester durch eine dramatische Flucht vor diesem Schicksal bewahren konnte. Trotz der erfolgreichen Verhinderung der Zwangsverheiratung leiden die Schwestern dennoch unter "Angst, Traumata, Einsamkeit", weil sie Rache fürchten und unter dem Bruch mit der Familie leiden, resümiert die Rezensentin mitfühlend.

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