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'Wer Marx sagt, muss auch Engels sagen. Der Marxismus ist ohne Engels nicht zu denken. Dennoch stand er meist im Schatten des Freundes. In seiner großen Biographie gelingt es Tristram Hunt überzeugend, Friedrich Engels als eigenständigen Denker zu zeigen, dessen Werk demjenigen von Marx nicht nachstand, dessen Leben aber weitaus aufregender verlief. Von den beiden Autoren des "Kommunistischen Manifestes" und Begründern jener Ideologie, die die Welt mehr verändert hat als jede andere,war Engels zweifellos der Schillerndere, biographisch Interessantere: einerseits Bonvivant, Frauenheld,…mehr

Produktbeschreibung
'Wer Marx sagt, muss auch Engels sagen. Der Marxismus ist ohne Engels nicht zu denken. Dennoch stand er meist im Schatten des Freundes. In seiner großen Biographie gelingt es Tristram Hunt überzeugend, Friedrich Engels als eigenständigen Denker zu zeigen, dessen Werk demjenigen von Marx nicht nachstand, dessen Leben aber weitaus aufregender verlief. Von den beiden Autoren des "Kommunistischen Manifestes" und Begründern jener Ideologie, die die Welt mehr verändert hat als jede andere,war Engels zweifellos der Schillerndere, biographisch Interessantere: einerseits Bonvivant, Frauenheld, passionierter Fuchsjäger und erfolgreicher Unternehmer, andererseits Moralist, Vordenker des Kommunismus, scharfer Kritiker der kapitalistischen Produktionsweise und Verräter seiner Klasse. Engels war geradezu die Verkörperung der dialektischen Denkweise, die den Marxismus konstituierte. Aus einem reichen Quellenfundus schöpfend, präsentiert uns Hunt auf unterhaltsame Weise den großen Sozialisten in
seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Zugleich zeichnet er ein prägnantes Bild der Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts, ohne die Leben und Werk von Engels wie Marx nicht zu verstehen sind.
Autorenporträt
Tristram Hunt, geboren 1974, ist der Shooting Star der britischen Historikerzunft. Er lehrt Neuere Geschichte an der Universität London, ist TV-Moderator (BBC und Channel 4), Zeitungskolumnist (Times, Guardian, Observer) und Buchautor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2012

Doppelleben an der Seite von Mary und Marx

Der Beitrag des Rentiers zum historischen Materialismus: In Tristram Hunts materialreicher Biographie passt zwischen Friedrich Engels und seinen philosophischen Meister kein Blatt.

Wer Marx sagt, muss auch Engels sagen, sind die beiden Namen doch seit mehr als hundertfünfzig Jahren, seit dem Erscheinen des "Manifests der Kommunistischen Partei", so eng miteinander verbunden wie die keines anderen Paares politischer Philosophen. Wer Engels sagt, muss aber auch Marx sagen, denn nicht nur das philosophische Wirken der beiden, sondern auch ihre Biographien sind eng miteinander verwoben. Karl Marx war aus dem Leben von Friedrich Engels nicht wegzudenken. Getrennt wurden sie dennoch in ihrer Rezeptionsgeschichte. Besonders Engels' Spätwerk verleitete einige Rezipienten dazu, ihn von Marx zu scheiden. Sein verbissenes Spätwerk wurde mit den attraktiven Werken von Marx, besonders mit den Pariser Notizbüchern, verglichen. Engels wurde so zum "Vater des ideologischen Extremismus des 20. Jahrhunderts, während man Marx zum akzeptablen postpolitischen Seher des globalen Kapitalismus umdeutete", wie der englische Historiker und Labour-Abgeordnete Tristram Hunt in seiner instruktiven Engels-Biographie schreibt.

Dass Engels einmal ein solches Bild angeheftet werden sollte, war bei seiner Geburt nicht vorherzusehen. 1820 im rheinländischen Barmen geboren, wuchs er in einer streng pietistischen Familie auf. Die Zukunft schien für ihn vorgezeichnet, nämlich in der Bekleidungsindustrie als Stammhalter seines Vaters in der Firma "Ermen und Engels". Schon als Gymnasiast begeisterte er sich jedoch für romantisch-patriotische Ideen, entfernte sich ideologisch von seiner Familie und kam später über Hegel und Feuerbach zu früh-kommunistischen Ideen. Diese geistige Entwicklung wurde unterstützt durch seine Lehre in der väterlichen Baumwollfirma, sowohl in seiner Geburtsstadt Barmen als auch im englischen Manchester. Sie gab ihm einen Einblick in die sozialen Zustände der Zeit und ließ in ihm die Erkenntnis reifen, dass nur der Kommunismus die Lage der Arbeiter verbessern könne. Schon früh veröffentlichte er seine Beobachtungen, 1839 beschrieb er in den "Briefen aus dem Wuppertal" die elende Lage der Baumwollarbeiter in seiner Heimat, und das 1845 erschienene Werk "Die Lage der arbeitenden Klassen in England" wurde zu einem der einflussreichsten Werke über die sozialen Zustände der Frühzeit des Manchesterkapitalismus. Marx bezog sich in seinen Schriften oft darauf.

Die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Marx entstand erst beim zweiten Zusammentreffen. Während ihre erste Begegnung in der Redaktion der "Rheinischen Zeitung", deren Chefredakteur Marx war, eher "kühl" verlief, wie sich Engels in der Rückschau erinnerte, waren sie sich beim zweiten Treffen im Sommer 1844 in Paris aufgrund der "vollständigen Übereinstimmung auf allen theoretischen Gebieten" sofort sympathisch und begannen ihr gemeinsames Wirken. Engels nahm sich dabei bewusst zurück und spielte die "zweite Violine", denn "Marx war ein Genie, wir andern höchstens Talente". Anfangs setzten die beiden sich für die Gründung einer kommunistischen Partei ein. Als dies gelungen war, wurden sie beauftragt, deren Programm zu schreiben. Das "Manifest der Kommunistischen Partei" erschien 1848 in London. Nach der erfolglosen Revolution dieses Jahres, an der Engels tätigen Anteil genommen hatte, siedelten beide endgültig nach England über.

Hier nun begannen die interessantesten Jahre in Engels' Leben. Er trat wieder in die väterliche Firma ein und zog nach Manchester. Obwohl Marx in London blieb, riss der Kontakt zwischen ihnen nicht ab. Briefe und Telegramme, in denen sie sowohl ihre privaten und gesundheitlichen Probleme ausbreiteten als auch ihre Ideen miteinander besprachen, gingen fast täglich zwischen ihnen hin und her. Hunt nützt diese Korrespondenz intensiv für seine Darstellung.

In "Cottonopolis" führte und genoss Engels das Leben eines Bourgeois. Er schloss sich einer Jagdgesellschaft an, engagierte sich in der Friedrich-Schiller-Anstalt, einem Kulturverein der deutschen Händler in Manchester, war Mitglied in mehreren Clubs und anderen honorigen Institutionen. In seinem inoffiziellen Leben setzte er sich weiterhin für die Sache des Kommunismus ein. Vor allem dadurch, dass er den ständig unter Geldnot leidenden Marx mit großen Summen unterstützte, damit dieser sich ungestört der Ausarbeitung des "Kapital" widmen konnte.

Sein Doppelleben zwang ihn auch dazu, zwei Wohnung zu unterhalten, in der einen lebte er mit seiner Lebensgefährtin Mary Burns, einer irischen Arbeiterin. Dort traf er sich mit anderen Kommunisten. Die zweite war seine offizielle Wohnung und diente der Wahrung des bürgerlichen Anscheins. Die Last, zwei Leben zu führen, beschädigte ihn gesundheitlich. Marx wiederum kümmerte das wenig. Er bürdete seinem Geldgeber immer noch mehr Arbeit auf. Viele Artikel, die in dieser Zeit unter Marx' Namen erschienen, wurden von Engels verfasst.

Bis 1869 musste er dieses Doppelleben aushalten und der ihm verhassten Arbeit in der Baumwollindustrie, dem "hündischen Commerce", nachgehen. Dann endlich war Marx mit dem ersten Band seines Hauptwerks fertig. Erleichtert verließ Engels die Firma und entsprach in den folgenden Jahren einem der größten Feindbilder seiner eigenen politischen Vorstellungen - er wurde Rentier. Zurück in London wandte er sich wieder der internationalen Parteiarbeit zu - er beherrschte mehrere Sprachen und beantwortete Briefe immer in der Sprache des Schreibers - und der Propagierung der Marxschen Werke. Nach dessen Tod wurde er der Hüter des Marxismus, "Marx' Bulldogge", wie Hunt ihn bezeichnet.

Besonders seine in diesen Jahren veröffentlichten Schriften wie der "Anti-Dühring" und "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" wurden ihm später vorgeworfen. In ihnen habe Engels Marx' Ideen kodifiziert, auf seine eigene Weise interpretiert und in eine philosophische Systematik gepresst. Hunt ist jedoch ganz anderer Ansicht. Für ihn hatte es Engels gar nicht nötig, Marx zu interpretieren, da ihre Ideen immer die gleichen gewesen seien. In seinen Augen haben erst die späteren Anwender von Marx und Engels - Plechanow, Lenin und Stalin - den Marxismus pervertiert.

OLIVER KÜHN

Tristram Hunt: "Friedrich Engels". Der Mann, der den Marxismus erfand.

Propyläen Verlag, Berlin 2012. 575 S., geb., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Jenny Friedrich-Freska hat diese Biografie mit großem Interesse gelesen, in der ihrer Darstellung zufolge Friedrich Engels als einMann erscheint, der ein großer Freund war und sich bereitwillig mit der Rolle der "zweiten Geige" zufrieden gab. Dabei scheint ihr der Tristram Hunt, Historiker und Labour-Abgeordnete, ein recht stimmiges Bild von Engels zu zeichnen, der als wohlhabender Fabrikantensohn in Manchester doch nicht die Augen verschließen konnte vor dem Elend des Industrieproletariats. Gut gefallen hat ihr auch, dass der britische Autor durchaus Engels eigene intellektuelle Fähigkeiten anerkennt, wie auch seine Witz und seine Bereitschaft, Standpunkt zu revidieren. Doch an vorderster Stelle steht natürlich seine Freundschaft zu Marx, den er mit schier unerschöpflicher Langmut zu unterstützte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2012

Der Kommunist im Gehrock
Gentleman, Frauenheld – und alles andere als ein Dogmatiker: Tristram Hunt erzählt das revolutionäre Leben des Friedrich Engels
Sozialismus war en vogue, als Friedrich Engels 1892 sein Jugendwerk über die „Lage der arbeitenden Klasse in England“ neu herausgab – möglicherweise gab es zu viel davon: „Sozialismus aller Schattierungen, Sozialismus bewusst und unbewusst, Sozialismus in Prosa und in Versen, Sozialismus der Arbeiterklasse und der Mittelklasse. Denn wahrlich, dieser Greuel aller Greuel, der Sozialismus ist nicht nur respektabel geworden, sondern hat sich allbereits in Gesellschaftstoilette geworfen und lungert nachlässig herum auf Saloncauceusen.“
  Die Sätze aus dem Vorwort des 72-Jährigen führen in die Gegenwart. Seit der Pleite von Lehman Brothers hat der Zeitgeist wieder ein sozialistisches Mäntelchen übergeworfen, und so ist das erste Interesse, wenn man eine neue Engels-Biografie zur Hand nimmt, nicht ein ausschließlich historisches. Wenn so viele nach Empörung lechzen, lohnt es sich, einen Mann kennen zu lernen, der die Welt wahrhaft veränderte, ohne darüber zum Heilsbringer, Sektengründer oder Verbrecher zu werden. Radikal, trotz jahrelanger Selbstverleugnung gut gelaunt, den Genüssen des Daseins hingegeben, bis ins hohe Alter neugierig, tapfer, vielen ein verlässlicher Freund hat Friedrich Engels sein revolutionäres Leben geführt und wusste am Ende, dass die „Ära der Barrikaden und Straßenschlachten“ vorüber ist: „für immer“.
  Wie er darauf kam, erfährt man in dem unterhaltsamen Buch des jungen englischen Historikers und Labour-Abgeordneten Tristram Hunt. In Großbritannien trug es den Titel „The Frock-Coated Communist“, in den Vereinigten Staaten „Marx’s general“ – und der Untertitel verriet immer, worum es in dieser Biografie geht: „The Revolutionary Life of Friedrich Engels“. Es blieb dem Propyläen-Verlag vorbehalten, für die deutsche, ziemlich flüchtig lektorierte Ausgabe die witzigen Titel zu streichen und einen Untertitel zu wählen, der den Beobachtungen und Thesen Tristram Hunts widerspricht: Sein Engels ist gerade nicht „der Mann, der den Marxismus erfand“, kein Dogmatiker, sondern ein kluger Taktiker, fleißiger Propagandist, vor allem aber ein Wissenschaftler des wissenschaftsgläubigen 19. Jahrhunderts.
  Wer sich bisher über Friedrich Engels informieren wollte, der griff am besten zu Gustav Mayers zweibändiger Biografie (erste Auflage 1920, zweite Auflage 1993), einer klassischen Lebensbeschreibung, die gleichermaßen getragen war vom Hochgefühl der vor 1914 unaufhaltsam erstarkenden Sozialdemokratie und den Erschütterungen des Weltkrieges, vor denen der alte Engels eindringlich gewarnt hatte. Für Mayer war Engels noch Zeitgenosse und Begleiter auf dem Weg „zur Verwirklichung der klassenlosen Gesellschaft und des vollseitig entwickelten Menschen“.
  Solche Sätze mag man, nachdem einige der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts Engels zu ihrem Ahnen erkoren haben und unter seinem Bild millionenfachen Mord begingen, weder schreiben, noch zustimmend lesen. Manche, die etwa Marx retten wollten, schoben alle Schuld bereitwillig auf Engels. Er habe seinen Freund auf tragische Weise missverstanden und damit der Erstarrung des Marxismus zur orthodoxen Heilslehre Vorschub geleistet. Der „Engelismus“ schien direkt in den Stalinismus zu führen. Aber: Stimmt das?
  Tristram Hunts Buch beginnt und endet mit einem Besuch in Engels, der Stadt im Süden Russlands, die bis 1941 die Hauptstadt der Wolgadeutschen war. Er rekapituliert den Denkmalssturz nach 1989 und wirbt für Unvoreingenommenheit. Seine chronologische Erzählung verbindet geschickt Persönliches mit Kultur- und Ideengeschichte. Er zeichnet kein neues Bild des Mannes, der als Fabrikantensohn in Preußen aufwuchs, als hoffnungsvoller Journalist Karl Marx traf, dem er in der Emigration jahrzehntelang beistand, dessen Studien er mit Einnahmen aus wenig geliebter Kaufmannstätigkeit ermöglichte, dessen unvollendete Manuskripte er nach dem Tod des Gefährten umsichtig edierte. Die Stationen dieses Lebens sind bekannt, Briefe und Lebenszeugnisse ediert, selten aber so klug und umsichtig gewürdigt worden wie hier.
  Man mag sich über das Doppelleben des Friedrich Engels amüsieren, der die Fuchsjagd, nicht unbedingt ein proletarisches Vergnügen, liebte, ein Frauenheld war und bis ins hohe Alter gern Champagner trank. Warum auch nicht? Die Hinwendung zum Diesseits und irdischen Freuden war gewiss auch eine Reaktion auf die Enge der Herkunftswelt, in der zwar der Genuss des Plusmachens, nicht aber der des Lebens angestrebt wurde. Sie stimmte zudem mit den Positionen des „Jungen Deutschland“ und der Junghegelianer überein, von denen der junge Engels die „Emanzipation des Fleisches“ ebenso lernte wie die Unbotmäßigkeit gegenüber allen Autoritäten und die Hochschätzung der Tat, auch wenn diese sich zunächst bloß kritisch-theoretisch äußerte.
  Charakter und Lebensstil hätten Engels wohl rasch in Konflikt mit späteren orthodoxen Marxisten gebracht, die ihre „sozialistische“ Gesellschaft nach den Modellen von Arbeitshaus und Kasernenhof formten. Man findet in dieser Biografie immer wieder Momente, die eine Unvereinbarkeit von Engels und Sowjetmarxismus nahelegen. Dazu gehört dessen Blick für tatsächliches Leiden, reales Elend, für die „menschlichen Kosten“ der kapitalistischen Industrialisierung. Tristram Hunt stellt neben eine Passage aus der klassischen Reportage über Manchester – „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845) – den Bericht eines chinesischen Wanderarbeiters aus dem Jahr 2007. Auch wenn eine Kommunistische Partei diese ungebremste Ausbeutung billigt oder sogar forciert – auf Engels kann sie sich dabei nicht berufen.
  Der Mann, der in seiner Jugend ein stolzer Soldat war und 1848 auf den Barrikaden stand, hat auch später immer wieder auf den Augenblick des Umsturzes gehofft, und als der ausblieb, etwa im Dezember 1857 geklagt, dass die „lange Prosperität“ durch „fruchtbar demoralisiert“ habe. Sozialisten und Revolutionäre, die nicht den ersten Band des „Kapitals“ studierten oder gar auf Genossenschaften, Arbeiterassoziationen und allerlei Reformen hofften, konnte er mit ungebremster Polemik verfolgen. Er war auch „Marx’ Bulldogge“.
  In seinen letzten Lebensjahren steht die graue Eminenz der europäischen Arbeiterbewegung jedoch regelmäßig auf der Seite derer, die später als Revisionisten und Reformisten verschrien wurden. Die deutsche Sozialdemokratie, die er von London aus beriet, verblüffte durch unaufhaltsam scheinende Wahlerfolge, die sie strikter Gesetzestreue und disziplinierter Organisation verdankte. Da schien es nicht zu weit hergeholt, die Fortschritte der Sozialisten mit dem Triumph des Christentums in den Spätzeiten des Römischen Reiches zu vergleichen. Alles Putschistische, das Avantgardegesäusel, das unter Lenin zur Doktrin erhoben wurde, waren Engels eher fremd. Den Revolutionären und Umstürzlern sagte er 1895: „wir gedeihen weit besser bei den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz. Die Ordnungsparteien, wie sie sich nennen, gehen zugrunde an dem von ihnen selbst geschaffenen gesetzlichen Zustand.“
  Leider bleibt Hunt etwas blass, wenn es um den Theoretiker Engels geht (am ausführlichsten beschäftigt er sich mit dem „sozialistischen Feminismus“ des alten Mannes in dem Buch über den „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“). Das hat etwas Enttäuschendes für den Leser, aber auch sein Gutes, wenn es Ernüchterung befördert. Was kann man vom marxistischen Orakel aus der Regent’s Park Road lernen? Keine Merksätze, keine Tricks, um immer recht zu behalten, weit eher die produktive Verbindung von Bohème und calvinistischer Arbeitsethik, dass Treue zur „Sache“ vor allem Treue zu Menschen ist oder: wie man die Welt verbessert, ohne zu verbiestern.
JENS BISKY
  
Tristram Hunt: Friedrich Engels. Der Mann, der den Marxismus erfand. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Propyläen Verlag, Berlin 2012. 576 Seiten, 24,99 Euro.
Ein Doppelleben zwischen
Fuchsjagd und Vereinsarbeit
Er wollte die Welt verbessern,
ohne zu verbiestern
Friedrich Engels überwacht den Bau der Barrikaden in Elberfeld.
Foto: IAM/akg-images

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"In Tristram Hunts materialreicher Biographie passt zwischen Friedrich Engels und seinen philosophischen Meister kein Blatt." Oliver Kühn Frankfurter Allgemeine Zeitung 20121017