Marktplatzangebote
28 Angebote ab € 1,00 €
  • Gebundenes Buch

Fliegen, das ist Bonnas großer Traum. Doch er kommt aus einer armen Familie, lebt mit seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern in einer winzigen Wohnung. In der Fliegerschar der Hitlerjugend geht schließlich sein großer Traum in Erfüllung: Bonna darf fliegen. Endlich kann er der Enge entfliehen, frei sein! Doch um welchen Preis?Authentisch und konsequent aus Bonnas Perspektive erzählt Dagmar Chidolue die Geschichte seiner Jugend von 1932 bis 1940, als der Alltag hoffnungslos erschien und große und kleine Verführer es verstanden, junge Leute dem Ideal des Pflichtbewusstseins folgen zu lassen…mehr

Produktbeschreibung
Fliegen, das ist Bonnas großer Traum. Doch er kommt aus einer armen Familie, lebt mit seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern in einer winzigen Wohnung. In der Fliegerschar der Hitlerjugend geht schließlich sein großer Traum in Erfüllung: Bonna darf fliegen. Endlich kann er der Enge entfliehen, frei sein! Doch um welchen Preis?Authentisch und konsequent aus Bonnas Perspektive erzählt Dagmar Chidolue die Geschichte seiner Jugend von 1932 bis 1940, als der Alltag hoffnungslos erschien und große und kleine Verführer es verstanden, junge Leute dem Ideal des Pflichtbewusstseins folgen zu lassen und in den Bann des NS-Regimes zu ziehen. Sie erzählt die Geschichte ihres Vaters.
Autorenporträt
Dagmar Chidolue wurde 1944 in Sensburg/Ostpreußen geboren und lebt heute in Frankfurt/Main. Sie zählt zu den namhaftesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2007

Hochfliegende Pläne
Wie sich ein Junge vom Nationalsozialismus verführen lässt
Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.” Mit diesem Slogan hatte Anfang der achtziger Jahre die Friedensbewegung gegen die Stationierung neuer Raketen demonstriert. Jetzt griff ihn die renommierte Kinder- und Jugendbuchautorin Dagmar Chidolue wieder auf. Laut Vorwort ihres neuen Romans hatte sie mit dem Aufruf schon als Jugendliche ihren Vater konfrontiert, von ihm wollte sie wissen, weshalb er sich 1937 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte. Geantwortet hat er ihr aber erst kurz vor seinem Tod, im Jahr 2005, so dass die Auskunft als Geständnis wie als Vermächtnis zu lesen ist.
Die Tochter erzählt chronologisch aus der Perspektive des Vaters, doch bedient sie sich dabei der Form eines biografischen Adoleszenzromans und verfügt so frei über seine Sicht der Dinge. Der Vater steht für jenen Teil seiner Generation, der in Armut und ohne Bildung aufwächst. An seinem Fall beschreibt Chidolue eine bedrückende Jugend; sie endet im Jahr der Volljährigkeit damit, dass der Vater als Soldat die Rolle eines Erwachsenen ausfüllen kann. Wie es dahin kommt – „Die Uniform ist wie ein Korsett, das ihn hält und stützt” –, darum geht es in dem Roman.
Der 13-jährige Bruno, genannt Bonna, lebt mit seinen fünf Geschwistern und seinen Eltern von 18 Mark im Monat auf engstem Raum. Der Gestank widert ihn an; eine Rückzugsmöglichkeit gibt es nicht. Ungewollt lauscht er den Intimitäten der Eltern, und auch die pubertierende Schwester Herta bereitet ihm Pein. Die Suche nach einer Lehrstelle oder einer Frau wie Frieda, deren herausfordernde Weiblichkeit ihn bedroht, machen seinen Alltag zudem kompliziert. Der Junge sieht sich der männlichen Rolle ganz und gar nicht gewachsen. Ekel ist sein bestimmendes Lebensgefühl, womit er seine Angst vor Weiblichkeit und Tod abwehrt.
Chidolue trägt die Ereignisse nüchtern, zuweilen recht spröde vor; dabei malt sie die Traumatisierung der Figur eindrücklich aus, doch die Szenen geraten ihr stellenweise zu lang, wirken wie aufgereiht. Nichtsdestotrotz besticht der Roman durch seinen Erzählstil, da er dem Leser die innere Not des Helden spüren lässt: ein lähmendes Gefühl, das sich breitmacht, wenn man in Erwartung lebt und bedrängende Affekte und Gedanken wegdrückt, um ja nicht „hinschauen” zu müssen.
Der rettende Gedanke heißt Flucht und gewinnt Gestalt in hochfliegenden Plänen, sich als „toller Bursche” zu erheben über Elend, „Schufterei” und beschämende Niederlagen. Fliegen wird zu seiner Passion, und die nationalsozialistische Bewegung verhilft ihm dazu. Chidolue zeigt, wie der Held immer tiefer hin-eingerät, getrieben von seinem Traum, angesteckt von Gleichaltrigen und Hitlers gleichgeschalteter euphorischen Presse, so dass er sich schließlich freiwillig zur Luftwaffe meldet, um Flugzeugführer zu werden. Die Handlung macht ganz deutlich: Auch wenn der Held die Propaganda als „langweilige Predigt” empfindet, er erliegt ihr doch, weil sich mit ihrer Verheißung das innere Chaos bändigen, durch zackiges Kommandieren einfach wegbrüllen lässt.
Der so entworfene Charakter erinnert an Gedanken des Psychoanalytikers Wilhelm Reich, der die Affinität des Kleinbürgertums zur Ideologie des Nationalsozialismus behauptet hat. Niemand kann die Entwicklung aufhalten. Dem Vater fehlen überzeugende Argumente, er denkt in Bildern und beschwört mit bekannten Stichwörtern wie „Autobahn” oder „Kanonenfutter” den Schrecken eines bevorstehenden Krieges.
Dagmar Chidolue bezweifelt mit dem neuen Roman, dass man mit Horrorszenarios über jene Zeit wirksam aufklären kann. Mit „Angstmacherei” kommt man nicht weit, wie der Leser an Bonna sieht, denn als Jugendlicher verfolgt er seinen Anspruch auf Glück bedingungslos. Stattdessen nimmt die Autorin seine materielle Lage in den Fokus, die den Charakter des Helden prägt, sie ist entscheidend für seine Verführbarkeit. Und damit wendet sich mit Chidolue der Blick auf das Heute, auf die Ausgangslage jener sozialen Schicht, die neuerdings mit dem euphemistischen Etikett „Prekariat” bezeichnet wird. HEIDI STROBEL
DAGMAR CHIDOLUE: Flugzeiten. Fischer Schatzinsel 2007. 192 Seiten, 12,90 Euro. Ab 12 Jahren
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das Besondere an diesem biografischen Adoleszenzroman liegt für Heidi Strobel zum einen im nüchternen (bisweilen auch spröden) Erzählstil, der ihr die Not nahe bringt, die den Helden der nazistischen Ideologie zuführt. Zum andern schätzt die Rezensentin den Ansatz der Autorin Dagmar Chidolue, sich der Vergangenheit nicht über "Horrorszenarios" zu nähern, sondern erzählend materialistisch zu argumentieren: Die beklemmende Lebenssituation des Menschen bestimmt sein Handeln. Für Strobel eröffnet das auch den Blick auf das "Prekariat" von heute.

© Perlentaucher Medien GmbH