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Christoph Meckel porträtiert in diesem Bericht seinen Freund und Nachbarn, Mathieu, den vierundsiebzigjährigen Lavendelbauern in den Bergen der Dròme; Besitzer eines über 300 Jahre alten Hofes, auf dem die zweiundachtzigjährige Schwester ihm den Haushalt führt. Es entsteht das lebendige Bild eines Menschen am Rande der Gegenwart, gefangen in Kargheit und Enge seiner Provinz. Was draußen passiert, erreicht sein Bewußtsein nicht. Was dennoch eindringt, ist gefährlich - die schnelle Entwicklung der Epoche, die über Mathieu hinweggeht. Er, der keine Söhne oder Enkel hinterläßt, weiß, daß er sich…mehr

Produktbeschreibung
Christoph Meckel porträtiert in diesem Bericht seinen Freund und Nachbarn, Mathieu, den vierundsiebzigjährigen Lavendelbauern in den Bergen der Dròme; Besitzer eines über 300 Jahre alten Hofes, auf dem die zweiundachtzigjährige Schwester ihm den Haushalt führt. Es entsteht das lebendige Bild eines Menschen am Rande der Gegenwart, gefangen in Kargheit und Enge seiner Provinz. Was draußen passiert, erreicht sein Bewußtsein nicht. Was dennoch eindringt, ist gefährlich - die schnelle Entwicklung der Epoche, die über Mathieu hinweggeht. Er, der keine Söhne oder Enkel hinterläßt, weiß, daß er sich selbst überlebt hat. Doch ist dies für ihn kein Anlaß zur Larmoyanz. Gewohnheit und Lebenskraft tragen ihn weiter. Er findet Rückhalt in seiner alltäglichen Arbeit und - aller Wandlung zum Trotz - in den Normen einer archaischen Welt.
Autorenporträt
Meckel, ChristophChristoph Meckel, 1935 in Berlin geboren, studierte Grafik in Freiburg und München. Er lebt in Berlin und in Südfrankreich und veröffentlichte verschiedene Radierzyklen sowie zahlreiche Prosa- und Gedichtbücher, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Auszeichnungen u.a.: Bremer Literaturpreis 1981 und Joseph-Breitbach-Preis der Akademie für Literatur und Wissenschaft der Stadt Mainz 2003. Christoph Meckel verstarb am 29. Januar 2020.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.1997

Mein Freund, der Einzelbauer
Verbindlich, verbindlich: Christoph Meckel kennt einen Unbekannten

Christoph Meckels liebt Porträts. In "Erinnerung an Johannes Bobrowski" (1978/1989) hat der Lyriker, Erzähler und Graphiker seinem väterlichen Dichterfreund ein Denkmal gesetzt. Das "Suchbild. Über meinen Vater" (1980) kommt hingegen einem Denkmalsturz näher. Es ist Meckels Auseinandersetzung mit dem schriftstellerischen Niedergang und dem Mitläufertum seines Vaters in der Zeit des Nationalsozialismus. Im jetzt erschienenen Prosaband "Ein unbekannter Mensch" porträtiert er seinen nachbarlichen Freund, einen französischen Bauern.

Der "Bericht zur Entstehung einer Weltkomödie" (1985) dokumentierte Meckels künstlerische Neugier, den Wechsel der Arbeitsstätten und die Reisen in alle fünf Erdteile. Schon hier erscheint, als ein Arbeitsort, auch die Gemeinde Villededon im Hinterland der Drôme am Rande der Westalpen, seit Jahrzehnten neben Berlin der Wohnsitz Meckels. Jetzt treten im Porträt von Mathieu das Dorf und eine Landschaft als kräftiger Hintergrund hervor, in der die Römer Sommersitze und die Päpste von Avignon Ländereien besaßen und deren literarische "Klassiker" Jean Giono, Henri Bosco und René Char sind. Die Bewirtschaftung durch Einzelbauern, bislang Haupterwerbszweig, ist inzwischen in die Agonie geraten. Die junge Generation entflieht in die Städte, die Städter fallen in die Dörfer ein und bauen die Gehöfte zu Wochenend- und Ferienhäusern um.

Die Freundschaft des Malers und Schriftstellers zum Bauern Mathieu beruht nicht auf einer Übereinstimmung der Lebensanschauungen. In Mathieus Kopf hocken die Vorurteile. Für alle Unbill werden Verseuchung und Kernkraftwerke haftbar gemacht. Immer noch ist Frankreich die große Nation, immer noch der Franzose der beste und stärkste aller Liebhaber; das Feindbild des boche bleibt, trotz der Freundschaft mit dem Deutschen, grell koloriert; in den ehemals afrikanischen Kolonien hat nur Schlechtes seinen Ursprung, die Araber sind eine "dreckige Rasse". Wenigstens diesen Fremdenhaß hat der deutsche Freund inzwischen dämpfen können, aber das stocknationale Denken Mathieus verharrt noch in jenem Trüben, in dem Politiker wie Le Pen ihre Wähler fischen.

Man begreift nicht recht, was diese Freundschaft so dauerhaft gemacht hat. Vielleicht erschöpft sich das Verhältnis einfach in ganz unsentimentaler guter Nachbarschaft (die freilich nicht Mathieus grenzenlose Hilfsbereitschaft einschließt). Aber gerade das Unbeteiligtsein des Gefühls gestattet Meckel die scharfe Beobachtung der bäuerlichen Lebensform und ihrer Wandlungen durch Technik und Industrie, der unerhörten Kargheit des Haushalts, in dem Mathieu mit seiner achtzigjährigen Schwester lebt, einem Geschöpf, das schon "in sich selbst" verschwindet. Was dieses bäuerliche Dasein am Rande des Gebirges von der früheren Lebensform unterscheidet, sind die lärmenden Bilder des Fernsehens, die der Altersstille den Garaus machen - selbst beim Essen bleibt der Apparat eingeschaltet.

Mit dem Einzug der Technik ist die im Rhythmus der Jahreszeiten gründende bäuerliche Lebensweise also - wie immer schon in Kriegszeiten - von der Geschichte eingeholt worden. Und vielleicht gilt nur noch für die aussterbende Generation, was Meckel vom Bauern sagt: daß er keine Biographie habe, weil er im Raum seiner Herkunft und Geburt bleibe. "Seine Biographie sind die Daten auf seinem Grabstein und vielleicht eine Fotografie unter trübem Glas."

Seine Tiefendimension erhält das literarische Porträt des "unbekannten Menschen" nicht von der Geschichte, sondern vom Raum her. Und dieser Raum ist das Weltsegment, das der Autor für einen großen Teil des Jahres mit Mathieu teilt. Meckels Topographie der Gemeinde Villededon und ihrer Umgebung bedient sich gelegentlich der seriellen Technik. Um dem Andrang des Gegenständlichen gerecht zu werden, nimmt die Sprache zur Aufzählung oder zur Reihung von Hauptwörtern Zuflucht. Dieser substantivierende Stil erlaubt höchste Beschreibungsdichte. Ein Höhepunkt solcher Beobachtungs- und Beschreibungskunst ist die Skizze der Markttage in der Provinz, der "Basare des Südens". Ein wunderbares Gemisch aus Gerüchen, Farben und Tönen, eine Überfülle der Warenangebote, ein Gewoge der Käufer, Flaneure und Genießer und ein "Simultantumult babylonischer Stimmen" bereiten den Augen und Ohren fast ein orientalisch-märchenhaftes, sinnliches Fest. So unbestechlich der Blick auf den Freund Mathieu auch bleibt, von der spröden Schönheit der Landschaft und dem Zauber der südlichen Provinz läßt der Erzähler sich hinreißen. WALTER HINCK

Christoph Meckel: "Ein unbekannter Mensch". Carl Hanser Verlag, München und Wien 1997. 108 S., geb., 26,- DM.

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