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Zu dritt bildeten wir eine uneinnehmbare Festung. Ich hatte den Eigensinn von Großvater und die Renitenz von Großmutter. "Nichts hatte ich zu bieten als einen durchgeknallten Opa und eine unmögliche Oma, die billige Schlager grölte." "Die Vossen ihr Opa" baute einen Bungalow. Der war außen mit Riffelplaste und Alufolie und innen mit golden bemaltem Pappstuck verziert. Der Hit waren die Dimmschalter von Tante "Elektra" aus dem Westen. Hier spielte sich das Leben der drei Irren ab, von dem Bastienne Voss erzählt. Ein Buch zum Herzerfreuen.

Produktbeschreibung
Zu dritt bildeten wir eine uneinnehmbare Festung. Ich hatte den Eigensinn von Großvater und die Renitenz von Großmutter. "Nichts hatte ich zu bieten als einen durchgeknallten Opa und eine unmögliche Oma, die billige Schlager grölte." "Die Vossen ihr Opa" baute einen Bungalow. Der war außen mit Riffelplaste und Alufolie und innen mit golden bemaltem Pappstuck verziert. Der Hit waren die Dimmschalter von Tante "Elektra" aus dem Westen. Hier spielte sich das Leben der drei Irren ab, von dem Bastienne Voss erzählt. Ein Buch zum Herzerfreuen.
Autorenporträt
Bastienne Voss, geboren 1968 in Berlin, machte ihr Abitur an der Spezialmusikschule "Gerhard Hauptmann" in Wernigerode. Sie war unter anderem Chefsekretärin im Zentrum für Kunstausstellungen der DDR, bevor sie in den neunziger Jahren eine Schauspielausbildung absolvierte und an der Hochschule "Carl Maria von Weber" in Dresden ein Gesangsstudium aufnahm. Es folgten Engagements in Fernsehserien, an diversen ostdeutschen Bühnen und im Berliner Kabarett DISTEL, wo sie von 1999 bis 2006 arbeitete. "Drei Irre unterm Flachdach" ist ihr erstes Buch.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.08.2007

Bullerbü in Blankenburg
Eine tragikomische Kindheit in der DDR
Das Personal wirkt so schräg wie das Ambiente: Wilma, Gustav und Bastienne hausen in einem aus Teerpappe, Alufolie und Platten zusammengeschusterten Ami-Bungalow am Stadtrand Ostberlins. „Drei Irre unterm Flachdach” – das sind Oma, Opa und eine Enkelin, deren frankophone Namens-Mitgift allein schon die treudeutsche DDR-Gemütlichkeit sprengt. Rebellion ist in diesem Haushalt an der Tagesordnung, und oft zielt der Widerstand haarscharf am schieren Wahnsinn vorbei.
Mittlerweile streift Bastienne Voss die vierzig, hat auf labyrinthischen Umwegen den Schauspielerberuf ergriffen, ist eine Weile durch die RTL-Kulissen von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten” gegeistert, danach den Kabarettisten der Berliner „Distel” beigetreten, um schließlich mit dieser knurrigen Liebeserklärung an ihre Kinderstube ins Autorenlager zu wechseln. Nach den ersten zwei, drei Kurzkapiteln mag man sich fragen, was diese Lektüre taugt; aber je weiter Bastiennes Welt wuchert, desto zwingender fesselt der Slapstick des Alltags den Leser. Zumal die Autorin ihre Humoreske nicht auf Sitcom-Niveau verheizt, sondern mit Bitterkeit und jener ohnmächtigen Verzweiflung würzt, die Kinder angesichts der Erwachsenenwelt befällt.
Warum Opa Gustav den „Ober-Irren” im häuslichen Trio gegeben hat, begreift die Enkelin erst nach seinem Tod. Zwar begleitet die Schülerin „Terror-Täve” nach Sachsenhausen, aber was der Alte da verloren hat, bleibt ihr rätselhaft. Auch der zufällige Fund einer gestreiften Uniform mit rotem Winkel auf der Brust hilft nicht weiter. Sicher ist nur, dass Gustav im permanenten Ausnahmezustand lebt: Jede Blume, die das Enkelkind im heimischen Gartenparadies zertrampelt, jedes Wassertröpfchen, das es insgeheim in die Badewanne lässt, jeder Ausflug auf das lockende Pappdach wird vom Großvater mit dezibelstarken Tobsuchtsanfällen quittiert. Abgesehen davon zimmert er einzigartige, wenn auch fluguntaugliche Drachen oder rezitiert – auch er ein gelernter Schauspieler – schauerliche Balladen unterm Weihnachtsbaum, den er stets mit schneeweißen Wattebällchen und feuerroter Stern-Spitze ausstaffiert. Er hat Phantasie und Zärtlichkeit, dieser Großvater, und wird zugleich von seiner Erinnerung zerfressen. Doch was weiß ein Kind schon von Erinnerung.
Gustavs despotische Pedanterie kontert Wilma mit großer Klappe und exorbitanter Schlampigkeit bis in die Falten ihrer ständig bekleckerten Blusen. Amüsiert, irritiert bis furchtsam schaut die Umwelt auf dieses seltsame Paar und die Enkelin, deren Eltern im Moskauer „Schlaraffenland” an einer Tanzkarriere basteln und nur hin und wieder hereinschneien. Dass die Vossens nicht ganz dicht sind, gilt rundherum als gesicherte Erkenntnis, was die Lage der Enkeltochter ebenso erschwert wie erleichtert.
Denn Bastienne erlebt einerseits eine Kindheit wie aus dem Bilderbuch – Bullerbü in Blankenburg. Die Anarchie der Alten schließt ihre Narrenfreiheit ein, jedenfalls so lange Gustav nicht protestiert. Andererseits sind diese Großeltern auch ein peinliches Paar, das Schulfreunde vergrätzt und die Westverwandtschaft vor den Kopf stößt, die immerhin abgetragene Jeans und ausrangierte Samtpullis spendiert. Beizeiten lernt die Enkelin, mit diesem keifenden Gespann auf Augenhöhe zu verkehren und zugleich ein Gespür für das Außergewöhnliche, Unangepasste und damit Vorteilhafte ihres Heranwachsens zu entwickeln.
Ganz nebenbei entwirft Bastienne Voss das Brueghelsche Sittenbild einer in Selbsttäuschung und Heuchelei gefangenen Gesellschaft. Jenseits staatlicher Gängelung bleibt auch im Sozialismus jeder sich selbst der Nächste. Der Triumph des Kapitalismus anno 1989 ist beinahe die logische Konsequenz. Bastienne und Wilma werden vom Nachwende-Blues geschüttelt und machen schreckliche, auch schrecklich zutreffende Beobachtungen – etwa, dass die Berliner Großmannssucht am Potsdamer Platz eine monströse „Kassel-will-Weltstadt-sein-Architektur” gebiert.
Gustav muss das alles nicht mehr erleben. Lange vor dem Mauerfall stirbt er an Darmkrebs. 1998 entdeckt die Enkelin seine Aufzeichnungen: „Ein Unbekannter schreibt.” Dreihundertfünfzig Seiten Memoiren – die Laufbahn eines Kommunisten, der das NS-Konzentrationslager als Haustyrann verlässt, weil er die Gespenster der Vergangenheit nur brüllend in Schach halten kann. Bastienne Voss ist mit so viel trockenem Witz gesegnet, dass sie dieser familiären Tragikomödie ein herrlich abgründiges Buch abgerungen hat – eine wahre Geschichte, die putzmuntere Fiktionen à la „Good bye, Lenin!” ziemlich müde aussehen lässt. DORION WEICKMANN
BASTIENNE VOSS: Drei Irre unterm Flachdach. Eine Familiengeschichte. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2007. 238 Seiten, 16,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hingerissen zeigt sich Dorion Weickmann von Bastienne Voss' Geschichte ihrer Kindheit in der DDR. Diese verbrachte sie mit ihren ebenso anarchischen wie schrägen Großeltern Wilma und Gustav (der das KZ als Haustyrann verlassen hat) in einem selbstgezimmerten Bungalow am Stadtrand Ostberlins. Einerseits scheint Weickmann diese Kindheit als eine "Kindheit wie aus dem Bilderbuch", wie "Bullerbü in Blankenburg". Andererseits sieht der Rezensent natürlich auch, dass Bastienne Voss oft genug unter ihren sonderbaren Großeltern, die als nicht ganz dicht galten, litt, etwa wenn diese Schulfreunde oder die Westverwandtschaft vergrätzten. Der Witz und der Humor der Schilderungen haben ihm bestens gefallen, vor allem der "Slapstik des Alltags". Dabei attestiert er der Autorin, nicht auf Sitcom-Niveau zu sinken, sondern ihre Geschichte immer auch mit der "Bitterkeit und jener ohnmächtigen Verzweiflung" zu würzen, die Kinder angesichts der Erwachsenenwelt befalle.

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