Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 6,90 €
  • Gebundenes Buch

Einer der wichtigsten Autoren Portugals
Gibt es eine Formel für den Schrecken? Theodor Busbeck, Arzt und Historiker, ist besessen von der Idee, das Übel folge einer inneren Logik, und er arbeitet fieberhaft daran, künftige Schrecken im Voraus berechnen zu können. Seine Exfrau und Patientin Mylia trotzt seit Jahren den Prognosen der Ärzte über ihren immanenten Tod; Ernst Spengler, ihr ehemaliger Geliebter, ist seit seinem Aufenthalt in der Nervenklinik ein gebrochener Mann und des Lebens überdrüssig, und Hinnerk Obst ist ein vom Krieg Gezeichneter. In einer schicksalhaften Nacht treffen all…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Einer der wichtigsten Autoren Portugals

Gibt es eine Formel für den Schrecken? Theodor Busbeck, Arzt und Historiker, ist besessen von der Idee, das Übel folge einer inneren Logik, und er arbeitet fieberhaft daran, künftige Schrecken im Voraus berechnen zu können. Seine Exfrau und Patientin Mylia trotzt seit Jahren den Prognosen der Ärzte über ihren immanenten Tod; Ernst Spengler, ihr ehemaliger Geliebter, ist seit seinem Aufenthalt in der Nervenklinik ein gebrochener Mann und des Lebens überdrüssig, und Hinnerk Obst ist ein vom Krieg Gezeichneter. In einer schicksalhaften Nacht treffen all diese Personen aufeinander, und die Gewalt scheint unausweichlich ...

Mit lakonisch eindringlicher Stimme erzählt Tavares eine verstörende Geschichte. "Die Versehrten" ist eine atemlos-spannende Tragödie und zugleich eine philosophische Parabel über das 20. Jahrhundert, »ein vielschichtiges und bewegendes Drama über die Entfremdung in der heutigen Welt« (Alberto Manguel).
Autorenporträt
Goncalo M. Tavares wurde 1970 in Luanda/Angola geboren und wuchs in Portugal auf. Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller unterrichtet er Erkenntnistheorie an der Universität von Lissabon. Seit seinem Debüt im Jahr 2001 zählt Tavares zu den bedeutendsten portugiesischen Autoren seiner Generation. Viele seiner Bücher sind preisgekrönt, u.a. erhielt er den José Saramago Preis für Autoren unter 35. Tavares hat zahlreiche Bücher publiziert, die verschiedenste Gattungen umfassen. Sein Werk erscheint weltweit in rund 30 Sprachen.

Marianne Gareis, geboren 1957 in Illertissen, lebt als Übersetzerin, u. a. von José Saramago, in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieses Kammerspiel der menschlichen Psyche gefällt Nicole Henneberg wegen seiner an Jose Saramago erinnernden stilistischen Lakonie und Kargheit sowie der Radikalität, mit der Goncalo M. Tavares seine ambivalenten Figuren in einer einzigen Nacht aufeinander treffen lässt. Der Ideenroman beeindruckt die Rezensentin durch das Aufspüren feinster, allgemeinen Maßstäben widersprechenden Empfindungen, die, unmerklich fast, sogar ihre eigene Wahrnehmung vermeintlich natürlicher Ordnungsmuster infrage stellen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.06.2012

Die verschlossene Kirche
Gonçalo M. Tavares’ finsterer Roman „Die Versehrten“
Ein wenig erinnert die zentrale Figur in „Die Versehrten“ an den amerikanischen Psychologen Steven Pinker: Ebenso wie dieser ist der Psychiater Theodor Busbeck auf der Suche nach einer Formel, die den Schrecken aus der Welt verbannt. Doch während Pinker in seinem Buch über „Gewalt“ der Menschheit eine zunehmende Rationalisierung voraussagte, muss Busbeck das Gegenteil entdecken: Kollektives wie individuelles Leben laufen auf eine Bilanz von Leiden und Leidenmachen hinaus, das Grauen bleibt der Untergrund der Geschichte.
Diesen Pessimismus scheint sein Autor Gonçalo M. Tavares nicht nur zu teilen, er erhebt überdies den Erzrationalisten Busbeck auch gleich zu seinem ersten Opfer: Der Wissenschaftsbetrieb glaubt ihm nicht, man hält seine Forschungen für irrational. Und Busbeck hat, so erzählt der Roman in Rückblenden, längst selbst genug Leid angerichtet: Er hat seine schizophrene Patientin Mylia zunächst geheiratet, dann aber doch in der Psychiatrie untergebracht. Weil sie von einem anderen Patienten schwanger geworden war, hat er sich scheiden lassen und einer Zwangssterilisierung zugestimmt. Inzwischen hat Mylia Gebärmutterkrebs, ihr schwerbehindertes Kind Kaas lebt bei Busbeck – bis es in der einen Nacht, in der der Roman spielt, von einem perversen Kriegsheimkehrer abgeschlachtet wird.
Auf Deutsch ist von Tavares, der 1970 in der damaligen portugiesischen Kolonie Angola geboren wurde, bisher nur ein schmaler Band Kurzgeschichten in einem kleinen österreichischen Verlag erschienen. In seiner Heimat Portugal dagegen zählt er längst zu den bedeutenden Autoren. Der alte José Saramago mochte „Die Versehrten“ „unter den großen Werken der westlichen Literatur“ sehen. Dass Tavares an der Universität Lissabon Epistemologie lehrt, merkt man seinem Buch an. Der tiefe Rationalitätszweifel verweist auf Michel Foucault: Die Psychiatrie diszipliniert das Andere der Vernunft, hier werden Weiblichkeit und Stärke der schwer durchschaubaren Mylia eingehegt. Als Vorläufer des Gefängnisses definiert die Klinik unmoralisches Handeln zur allgemeinen Beruhigung als eine Form von Wahnsinn.
Für Tavares dagegen bleibt Grausamkeit das „Drama der Freiheit“, wie für Rüdiger Safranski in seinem Essay über „Das Böse“. Die Schicksale von fünf Figuren sind hier eng verwoben, Tavares leuchtet mit Lust die winzigen Momente aus, in denen sie sich für das Schlechtere entscheiden, in denen der Neid, die Eifersucht, die erotische Gier, die Lust am Demütigen siegen. Die Tugenden zeigen sich zuletzt in jener Nacktheit, an der sie noch de Sade erkannte: dass es Lust bereitet, sie zu schänden. Bei Tavares, und da schaudert’s einen wirklich, kann man erfahren, was lustvoll daran sein könnte, ein Kind zu töten. Denn Töten allgemein vernichtet für einen Moment die Urangst, in der die Figuren dieses Buches allesamt waten: die vor dem eigenen Tod.
Denn weil „das unangetastete Problem“, wie es die krebskranke Mylia nennt, alle einschließt, so schließt auch die Schuld alle ein. Winzige Nachlässigkeiten haben hier verheerende Folgen, und am liebsten verbirgt sich das Böse im Guten. Der Arzt übt Gewalt über das nackte Leben, und die sauberste Wissenschaft treibt man in den KZs, den Lieblingsobjekten des Gewaltforschers Busbeck. Tavares gewährt die Beruhigung der Unschuld und des Opfers nicht. Noch die Wahnsinnigen quälen einander, und der behinderte Kaas schlägt aus Spaß an der Freud’ die blinde Großmutter.
So viel Welterklärungswille also war lange nicht mehr. Was aber an dem Roman vor allem fasziniert, ist, dass der literarische Rahmen die philosophischen Bleigewichte trägt. Dabei bleibt Tavares ein Konstrukteur, ein sichtbarer Spieler im Marionettentheater der Grausamkeit. Er gibt seinen Figuren nur das nötigste Fleisch auf die Rippen, zimmert ihnen nur rohe Kulissen. Die ungewählte Sprache beschreibt nicht viel, die oft nur eine halbe Seite langen Kapitel entreißen die Situationen nur kurz ihrem nächtlichen Schatten, den Großteil des Textes nimmt ohnehin die rekonstruierende Erinnerung der Figuren ein. Doch gerade durch diese eigentümliche Entortung und Entzeitlichung gerinnt eine Straße oder ein leeres Zimmer hier zur absoluten Chiffre. Das komplexe, nicht gänzlich makellos gewobene Zeitgeflecht verdichtet sich schlüssig zur symbolischen Nacht der Schuld und findet seine räumliche Entsprechung in einer verschlossenen Kirche, dem geheimen Zentrum, dem alle Figuren mehr oder minder zustreben.
Denn ebenso wie Busbeck, dieses merkwürdige Alter Ego seines Erzählers, in seinen Schreckensforschungen postuliert, „dass Gesundheit eine Sehnsucht nach Gott voraussetzt“, so operiert auch Tavares mit Bibelzitaten und religiösen Bezügen. Dass der Verlag nicht schlicht den portugiesischen Originaltitel „Jerusalém“ übernommen hat, scheint der mangelnden Bekanntheit des Autors geschuldet. Denn Religion fungiert bei Tavares keineswegs als übrig gebliebene Verklärungsinstanz, Macht und Wollust verbergen sich vielmehr gern auch dort. Aber weil er Wahnsinn, Krankheit, Tod und Schuld für schlechthin nicht rationalisierbar hält, stellt sich ihm das Problem der Erlösung. Der heillose Verschuldungszusammenhang, so postuliert dieses Buch, ist entweder absolut sinnlos oder vollständig sinnvoll, entweder berechtigter Grund zum Nihilismus oder der Plan einer rätselhaften Vorsehung. Ein Drittes gibt es nicht.
Den Unterschied zu nur brutalen Büchern markiert hier der Verzicht auf jenes Pathos, das in der Häufung von Grausamkeiten schon das wahre Antlitz der Welt aufzudecken glaubt. Wie alle radikalen Pessimisten ist Tavares ein heimlicher Moralist und deshalb nie nur zynisch. Die Welt bleibt in diesem radikalen, großartigen „opus metaphysicum“ vor allem eins: schmerzhaft unverständlich. MICHAEL STALLKNECHT
GONÇALO M. TAVARES: Die Versehrten. Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Marianne Gareis. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012. 240 Seiten, 19,99 Euro.
Wie alle radikalen Pessimisten
ist Tavares ein heimlicher Moralist
und deshalb nie nur zynisch
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2013

Es gibt keine Unschuld

Kältekammer der Freiheit: In seinem kunstvoll radikalen Ideenroman schickt Gonçalo M. Tavares seine Figuren durch die irdische Hölle.

Der Roman "Die Versehrten" von Gonçalo M. Tavares lässt sich auch als Lehrstück lesen: Aristoteles, Augustinus, Kant und Goethe kommen zwar nicht namentlich darin vor, ihre Thesen über die Natur des Bösen hingegen schon - was kein Zufall ist, denn der Autor lehrt Erkenntnistheorie an der Universität von Lissabon.

Sein kunstvoll lakonischer, radikaler Ideenroman spielt in einer einzigen Nacht und lotet die Seelenabgründe von vier Menschen aus, die von Angst und Unruhe aus ihren Wohnungen auf die Straße getrieben werden und in einem lebensentscheidenden Moment aufeinandertreffen. Der karge Stil und die kühle Diktion erinnern an José Saramago, der denn auch persönlich eine begeisterte Laudatio hielt, als Tavares 2005 mit dem Prémio José Saramago ausgezeichnet wurde.

Das rätselhafte und verstörende Zentrum dieses labyrinthischen Kammerspiels ist Mylia, eine zarte, schöne Frau, die aber schnell gewalttätig und ausfallend werden kann - sie ist schizophren und leidet unter den Folgen einer Zwangssterilisation in einer psychiatrischen Klinik. Ihr Mann, Theodor Busbeck, hatte sie dort einliefern lassen, als ihre körperlichen Angriffe auf ihn immer häufiger wurden. Busbeck ist nicht nur ein bekannter Psychiater, sondern auch ein bewunderter Forscher: Er durchkämmt die Geschichte der Grausamkeit und des Leidens in der Welt, legt Statistiken an und entwickelt Kurven, die Zyklen von Gewalt vorausbestimmen sollen. Dem Herzschlag der Welt glaubt er auf der Spur zu sein und erkennt in Taten, die reiner Bösartigkeit entsprangen (wie die Massenmorde der Nationalsozialisten), den wahren Motor der Geschichte. Seine Begeisterung für das Thema macht ihn blind für die Grausamkeiten, die vor seinen Augen in der psychiatrischen Klinik geschehen oder die er selbst seiner Frau antut.

Alle Figuren und ihre Handlungen sind ambivalent in diesem Roman, dessen Stärke darin besteht, in feinste Wahrnehmungen und Empfindungen einzudringen und genau festzuhalten, wo diese das gesellschaftliche Maß und seine Ordnungsmuster sprengen. Auf unheimliche Weise verändert sich damit auch der Blick des Lesers, der plötzlich die Willkür hinter vermeintlich natürlichen Regeln sieht.

Jedes der knappen Kapitel liefert, in der Zeit vor und zurück springend, ein Stückchen einer verhängnisvollen Geschichte, deren Schicksalsmomente sich im Lauf des Romans als zwingend und doch als zufällig erweisen. Alle fünf Protagonisten - neben Mylia und Theodor noch der geh- und sprachbehinderte Sohn Mylias aus einer früheren Beziehung, ihr Geliebter Ernst und der Kriegsveteran Hinnerk - sind leidenschaftlich Suchende, die sich an leere Rituale und brüchige Beziehungen klammern und so immer tiefer in ihrem eigenen Kosmos versinken. Vielleicht werden sie deshalb von einer Kirche magnetisch angezogen. Doch das verschlossene Gotteshaus erweist sich als besonders desillusionierender Ort: Er öffnet sich für Mylia, die Hartnäckigste, erst dann, als sie eine ungeheuerliche Schuld behauptet - die in ihrer ausweglosen Absurdität einer griechischen Tragödie entsprungen scheint.

Es gibt keinen Unschuldigen in dieser Welt, die Menschen fühlen sich verlassen und in die Enge getrieben. Wonach sie sich sehnen, ahnen sie nur dunkel, daher sind sie der geheimen Verbindung, die das Böse mit der Transzendenz des Guten unterhält, hilflos ausgeliefert. Im Roman ist der exemplarische Ort, der diese Not nackt vorführen will, die Irrenanstalt, die allerdings unter dieser erzählerischen Beweislast zum thesenhaften Pappmodell schrumpft: Beherrscht von demütigenden Machtspiele und hybriden Ärzte (die "kranke" Gedanken einfach für amoralisch erklären), scheint sie direkt dem Denken von Michel Foucault entsprungen.

Doch Hinnerk und Mylia sind gerade in ihre Widersprüchlichkeit beeindruckende Figuren, die durch Phantasie, Verletzlichkeit und wütenden Eigensinn überzeugen - und durch ihr Ringen um Sprache. Sie verkörpern den Kampf um die menschliche Würde, die sich in gesunden wie in kranken Tagen gegen ein Gefühl doppelter Fremdheit behaupten muss: sich selbst und einer vielleicht sinnlosen Welt gegenüber.

NICOLE HENNEBERG

Gonçalo M. Tavares: "Die Versehrten". Roman. Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012. 240 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr