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Was der Archäologe Nicholas Conard und sein Team in den Karsthöhlen, zwanzig Kilometer westlich von Ulm, finden, lässt die Welt den Atem anhalten: Die Venus vom Hohle Fels, 40 000 Jahre alt, ist die älteste bekannte Menschendarstellung überhaupt. Ihr Fund gibt Anlass der großen Frage nachzugehen, wie in der Frühzeit unsere Kultur entstand und ist zugleich eine Einladung, sich in diese Zeit zurückzuversetzen: Wie wohnten, jagten und überlebten die Menschen damals? Welche Sprache, Rituale, Kulte hatten sie? Und was haben die Jäger und Sammler von damals mit uns gemeinsam?

Produktbeschreibung
Was der Archäologe Nicholas Conard und sein Team in den Karsthöhlen, zwanzig Kilometer westlich von Ulm, finden, lässt die Welt den Atem anhalten: Die Venus vom Hohle Fels, 40 000 Jahre alt, ist die älteste bekannte Menschendarstellung überhaupt. Ihr Fund gibt Anlass der großen Frage nachzugehen, wie in der Frühzeit unsere Kultur entstand und ist zugleich eine Einladung, sich in diese Zeit zurückzuversetzen: Wie wohnten, jagten und überlebten die Menschen damals? Welche Sprache, Rituale, Kulte hatten sie? Und was haben die Jäger und Sammler von damals mit uns gemeinsam?
Autorenporträt
Prof. Dr. Jürgen Wertheimer, geb. in München, studierte Germanistik, Komparatistik, Anglistik und Kunstgeschichte in München, Siena und Rom. Seit 1991 ist er renommierter Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

Der Deutsch-Amerikaner Nicholas J. Conard, 1961 in Cincinnati/Ohio geboren, ist seit 1995 Professor der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und leitet dort die Abteilung Ältere Urgeschichte am Institut für Frühgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010

Ein Mädchen aus dem Neandertal

Wer schuf die früheste Kunst - und warum? Nicholas Conard und Jürgen Wertheimer wagen ein literarisches Experiment mit der Altsteinzeit.

Von Ulf von Rauchhaupt

Die Neandertaler verschwanden aus dem eiszeitlichen Europa, kaum dass die ersten Vertreter des Homo sapiens vor etwa 40 000 Jahren dorthin vorgedrungen waren. Doch zugleich passierte noch etwas: Mitten im Gebiet der mutmaßlich unheimlichen Begegnung tauchte die erste überlieferten Kunst der Menschheitsgeschichte auf: figürliche Schnitzereien sowie Flöten, die melodisches Spiel erlauben.

Der Tübinger Archäologe Nicholas Conard war an etlichen solcher Funde beteiligt, die ihn mit der Frage konfrontierten, ob und, wenn ja, wie diese drei Ereignisse zusammenhängen: die Ankunft des Homo sapiens, das Ende der Neandertaler und die Entstehung der Kunst.

Conard weiß wie kein Zweiter, dass die archäologischen Daten es nicht erlauben, diese Frage wissenschaftlich zu beantworten. Aber ausmalen kann man es sich ja. Doch so eine literarische Interpolation von Forschungsbefunden ist riskant. Zwischen hollywoodesker Eiszeit-Saga und notdürftig als Handlung getarnter Faktenhuberei gibt das Sujet so ziemlich alles her. Dass die Erzählung "Die Venus aus dem Eis" nichts von dem auch nur entfernt nahekommt, hat auch damit zu tun, dass Conard sich mit dem Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer zusammengetan hat. Doch erwarte den Leser "weder Fantasy noch Poesie", versichern die Autoren im Vorwort.

In einer Hinsicht ist dieses Experiment klar gelungen. Die Geschichte von Khar, der jungen Neandertalerin, die an eine Homo-sapiens-Gruppe gerät und zur Mittlerin zwischen beiden Welten wird, besticht durch die Intensität und Präzision, mit der sie den Alltag und mögliche Gedankenwelten der Altsteinzeit nachzeichnet. Nichts verstößt gegen aktuelles Wissen, wohingegen plausible Details durchaus genutzt werden, auch wenn sie für die Zeit vor 40 000 Jahren unbelegt sind, wie der Gebrauch von Pfeil und Bogen. Eingestreute Sachtexte bieten dabei hilfreiche Grenzmarkierungen von Fakt und Fiktion, die ruhig noch ausführlicher hätten ausfallen können.

Die Intensität verdankt sich nicht zuletzt den schnell wechselnden Erzählperspektiven, die dem Leser eine gewisse Konzentration bei der Zuordnung der Personalpronomina abverlangen. Zuweilen gelingen damit atemberaubende Blicke mit Steinzeitaugen, etwa auf eine Sonnenfinsternis. Leider wird diese anspruchsvolle Erzähltechnik nicht überall ganz durchgehalten, stören Löcher im Stilniveau oder anachronistische Metaphern das sprachliche Urzeitgemälde.

Was hingegen ziemlich ratlos macht, ist ausgerechnet die Einbettung der figürlichen Kunst in diese so gekonnt ausgeleuchtete Eiszeitwelt. Das gilt insbesondere für die titelgebende Venus - gemeint ist eine vor zwei Jahren entdeckte üppige Frauenskulptur. In der Erzählung steckt sie zunächst ungeschnitzt in einem Elfenbeinstück, das Khar mit sich herumträgt, und begleitet in den Phantasien der Neandertalerin deren wachsendes Einfühlen in die abstrakte Welt des Homo sapiens. Dass Khar dann von einem Moment auf den nächsten technisch in der Lage sein soll, die Frau aus dem Elfenbein zu holen, ist so unplausibel wie die plötzliche Schnitzwut, welche das übrige Personal erfasst, nachdem sich die vereinigte Horde aus Homo sapiens und Neandertalern gemeinsam unbesiegbar wähnt. Das ist genauso phantastisch, wie es poetisch ist.

Der Szene wie dem ganzen Buch liegt die These zugrunde, dass Kunst keine einseitige Innovation des Homo sapiens gewesen sei, sondern ein Produkt der Begegnung mit den Neandertalern im eiszeitlichen Europa. Darüber hinaus möchten die Autoren den Neandertalern eine aktive Rolle in diesem Prozess zugestehen, pflegen aber zugleich die Vorstellung von der mutmaßlich größeren Aggressivität, ja Verschlagenheit des Homo sapiens. Deren Anführer in der Erzählung ist obendrein ein großer Mystagoge, während die Neandertaler zwar ein Kräuterweiblein kennen, aber sonst keine sozialen Unterschiede und kein Jenseits.

Das Problem, das "Die Venus aus dem Eis" damit aber vor Augen führt, ist, dass man nicht beides haben kann: einen friedfertigen, nur für den Tag lebenden Neandertaler als Gegenentwurf zu einer Menschheit, die sich in höherer Mission die Erde untertan macht - und einen künstlerisch produktiven Neandertaler. Die Möglichkeit von Kunst, und am Ende auch von Wissenschaft, erschließt sich nur dem, der über den Tag hinaus zu denken vermag, in die Zukunft, an unentdeckte Räume und über die materielle Welt und den Tod hinaus. Neandertaler, die das können, werden am Ende zu modernen Menschen. Bei Conard und Wertheimer geschieht dies auch biologisch in Gestalt des Kindes, das Khar von einem flötenspielenden Homo sapiens bekommt. Dass Vermischungen beider Gruppen vorkamen, allerdings schon lange bevor der Homo sapiens nach Mitteleuropa kam, wurde kürzlich durch Genanalysen nachgewiesen. Allein, ein Zusammengehen ursprünglich Ebenbürtiger war es kaum. Der Neandertaler mag nach dem Jointventure mitgeschnitzt und mitgemordet haben. Bald darauf ist er im Homo sapiens aufgegangen.

Nicholas Conard und Jürgen Wertheimer: "Die Venus aus dem Eis". Wie vor 40 000 Jahren unsere Kultur entstand. Knaus Verlag, München 2010. 260 S., 30 Karten u. Zeichnungen, geb., 22,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine altsteinzeitliche Novelle zu schreiben, hält Christian Jostmann für einen reizvollen Versuch, besonders, wenn es wie hier unter Anleitung eines echten Prähistorikers geschieht. Dass das Projekt von Nicholas Conard und Jürgen Wertheimer misslingt, schiebt der Rezensent auf den letztlich enormen Abstand von 40.000 Jahren zwischen dem Leser und den Figuren der Novelle, ein paar demagogischen Exemplaren des Homo sapiens, die in der Schwäbischen Alb versuchen, den Neandertaler zu reformieren, und dem hier verwendeten Stilmittel des Bewusstseinsstroms. Die derart suggerierte emotionale Nähe aber kann Jostmann nicht empfinden. Und die in den Text eingeflossene Ideologiekritik erscheint ihm ebenfalls eher fehl am Platz.

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