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In Patrick Roths neuem Buch Die Nacht der Zeitlosen begegnen uns Menschen auf der Suche, Träumende, Neugierige, Sehnende: ein Mr. Colman zum Beispiel, dem vor lauter Glück sein großes Glück zu entgehen droht; ein deutscher Student, der angesichts einer Engländerin, die ihm die dunkel-sexuelle Welt Poes näherbringt, heftig ins Phantasieren gerät; ein junger Filmemacher, der in Los Angeles beim Trödler den »Stab Moses« kauft, mit dem Charlton Heston in den Zehn Geboten das Rote Meer geteilt hatte, und damit wenig später in eine katastrophale Lage gerät; einen Deutschen, der auf einer Party in…mehr

Produktbeschreibung
In Patrick Roths neuem Buch Die Nacht der Zeitlosen begegnen uns Menschen auf der Suche, Träumende, Neugierige, Sehnende: ein Mr. Colman zum Beispiel, dem vor lauter Glück sein großes Glück zu entgehen droht; ein deutscher Student, der angesichts einer Engländerin, die ihm die dunkel-sexuelle Welt Poes näherbringt, heftig ins Phantasieren gerät; ein junger Filmemacher, der in Los Angeles beim Trödler den »Stab Moses« kauft, mit dem Charlton Heston in den Zehn Geboten das Rote Meer geteilt hatte, und damit wenig später in eine katastrophale Lage gerät; einen Deutschen, der auf einer Party in Hollywood Menschen kennenlernt, die über das Attentat auf Präsident Kennedy miteinander verbunden sind und ihn mit dem Problem von Schuld und Verstrickung in Schuld konfrontieren; und eine Frau namens Lucy Alvarez, die durch die Kraft der Liebe ihr Kind, das ein Erdbeben nicht überlebt zu haben scheint, dem Tod noch entreißen will.
Die Nacht der Zeitlosen: ein Geschichten-Mandala aus fünf deutsch-amerikanischen Stories, die Dämmerung und Morgengrauen, unser Ende und unseren Neubeginn spielend umkreisen. Geschichten, die, mit ihrem Bilderreichtum und ihrer Lust am Detail, von der Magie dessen erzählen, daß alles noch so unerklärlich Erscheinende seinen eigenen Gesetzen, seiner eigenen »Wahrheit« folgt. Entstanden ist dabei ein Buch von großer sprachlicher Schönheit und kompositorischer Klarheit, ein spannendes, unprätentiöses, sich jedem Klischee widersetzendes Buch.

Autorenporträt
Roth, PatrickPatrick Roth, geboren 1953 in Freiburg im Breisgau, lebt als freier Autor in Los Angeles und Mannheim. Er begann seine künstlerische Karriere in den USA als Regisseur und Drehbuchautor. Zu Beginn der 1990er Jahre wechselte er in die Prosa und entwickelte seinen charakteristischen Stil als Erzähler von biblisch-mythischen Stoffen, so im letzten großen Roman Sunrise. Das Buch Joseph (2012) und den früheren Texten der Christus Trilogie (1998). Neben die Bilder der Bibel tritt im weiteren Werk die Welt des Films, so in Meine Reise zu Chaplin (1997), Die Nacht der Zeitlosen (2001) und Starlite Terrace (2004). Der lebenslangen Liebe zum Kino geht der autobiographische Erzählband Die amerikanische Fahrt (2013) auf den Grund. Für sein literarisches Schaffen wurde Patrick Roth vielfach geehrt und mit Poetikdozenturen an den Universitäten in Frankfurt, Heidelberg und Hildesheim ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Holz aus dem Bibelschinken
Patrick Roths Erzählungen über die Wiederholung der Wirklichkeit / Von Walter Hinck

Man dreht für den John-F.-Kennedy-Film die Attentatsszene in Dallas. Die Rolle der Jackie Kennedy hat man für diese Aufnahme einer Statistin, Jacki Ballard, übertragen. Da die Wirkung der Schüsse gezeigt werden soll, setzt man neben Jacki nicht den Kennedy-Darsteller, sondern eine Wachspuppe, in deren Kopf Sprengladungen eingebaut sind. Als der Wagen die Stelle erreicht, wo damals die Schüsse fielen, ergreift Jacki plötzlich den Kopf der Puppe und zieht ihn nach unten auf den Sitz. Aber die Sprengladungen mit den im Kopf des Dummy gespeicherten Blutsäcken werden gleichzeitig gezündet. Das Blut der verletzten Hände Jackis und das künstliche Blut vermischen sich. Die Aufnahme wird abgebrochen, der Notarzt eilt herbei.

Dieser Vorfall ist die Schlüsselszene in der Titelerzählung von Patrick Roths neuem Erzählungsband "Die Nacht der Zeitlosen". Der seit 1977 in Los Angeles lebende Schriftsteller und Filmregisseur, dessen Weg als Erzähler durch die Riverside-Trilogie markiert wird ("Riverside, Christusnovelle", 1992, "Johnny Shines", 1993, "Corpus Christi", 1996), hat 1997 mit seiner Huldigung an das Filmgenie Charlie Chaplin ("Meine Reise zu Chaplin. Ein Encore") bei Film- wie bei Literaturkritikern für Aufsehen gesorgt, versah er doch das Filmgenie mit dem Schein der "Heiligkeit". Das Numinose, Religiöse, das in der bisherigen Erzählprosa Roths fast immer im Hintergrund aufscheint, ist im neuen Band, sieht man von Ausnahmen ab, ausgeblendet. Erhalten hat sich das Interesse für Grenz- und Dunkelzonen des Verstandes, für mysteriöse Fälle menschlichen Handelns und für die vielfältigen Brechungen der Rollenexistenz im Film.

Was hat Jacki getrieben, gegen die Anweisung des Drehbuchs und gegen den historischen Verlauf der Szene den Kopf der Kennedy-Puppe auf den Sitz zu drücken? Einfache Identifikation mit der Rolle der Präsidentengattin kann es nicht gewesen sein, dann hätte sie den Augenblick der Schrecksekunde abgewartet. Sie besaß ein Vorwissen, das der realen Jackie Kennedy fehlte, so erklärt sie dem Erzähler. Dieses Vorwissen mischt sich im entscheidenden Moment ein. Sie handelt schauspielerisch unprofessionell, sucht ihrer Rolle zu entkommen, glaubt das historisch Geschehene ungeschehen machen zu können. Für einen Augenblick fühlt sie sich verantwortlich dafür, das Unmögliche gegen die Wirklichkeit durchzusetzen. Auf den Film bezogen: Mit der Verweigerung der Rolle bricht ein ethischer Impuls in die ästhetische Wiederholung ein - der spontane, wenn auch naive Versuch der Korrektur von Geschichte.

Der Bericht und die Enthüllung der Motive gehen hervor aus der kunstvollen Verknüpfung verschiedener Erzählebenen. Den Rahmen bildet eine Party, die der Erzähler nach der Rückkehr aus Frankfurt in seiner Wohnung in Los Angeles für Gäste gibt, die alle irgendwie mit dem Kino zu tun haben. Der Erzähler hat von dem sonderbaren Vorfall gehört, trifft draußen Jacki und erzählt ihr, was man ihm über sie erzählt hat. Sie wird also mit dem Gerücht über ihren eigenen Fall konfrontiert, greift nun in die Erzählung ein, ergänzt und vertieft sie. Um den Personenkern herum gruppieren sich Figuren, die auf andere Weise mit dem Attentat auf Kennedy und dem Film verbunden sind.

Von diesem historischen Ereignis aber führt die Erzählung noch einmal tiefer in die Geschichte zurück, etwa mit dem Gegenbeispiel zu Jackis Fall, dem Bericht über Jackis Großmutter, eine deutsche Jüdin, die vor der Flucht ins amerikanische Exil, entschlossen, die Geliebte ihres Mannes zu töten, einen Revolver einsteckt und auf der Friedrichstraße in Berlin zufällig Adolf Hitler in Zivilkleidung trifft. Ihr späteres Bedauern, die "Chance" zum Attentat nicht genutzt zu haben, entspringt einem Wissen, das sie damals noch nicht hatte. Jacki bedrängt den Erzähler mit der Frage, ob er sich nicht gerade als Deutscher manchmal die Chance herbeigewünscht hätte, Geschehenes rückgängig zu machen. Zum Schluß weist, wenn auch nur in der Andeutung, Jackis Ausbruch aus ihrer Rolle weit über sich hinaus: Die Unmöglichkeit, historisches Geschehen im Medium des Films, der Kunst zu löschen, befreit nicht von der Verantwortung, seine Wiederholung in der Wirklichkeit zu verhindern.

Diese Erzählung das Glanzstück des Bandes zu nennen, fällt nicht schwer. Die Widersprüche zwischen Rolle und Ich, das Spannungsverhältnis von Ästhetik, Geschichte und verantwortlichem Handeln - sie werden hier ohne falsches Reflexionsgehabe dargeboten, werden anschaulich in fesselnder Verschränkung von episodenhaftem und dialogischem Erzählen. Ihre Vielsinnigkeit erreichen die anderen Erzählungen nicht. In der 1994 schon einmal veröffentlichten Kurzgeschichte "Die Frau, die den Dieb erschoß", der mysteriösen und fast reißerischen Geschichte von der Errettung zweier Erdbebenopfer, einer Mutter und ihres Kindes, wirkt die Erscheinung Gottes aufgesetzt.

Auch dem Filmmilieu verbunden sind dagegen zwei andere Erzählungen. Die eine, "Mr. Colman erwacht", quirlt Albtraum, Wachtraum und Filmbilder durcheinander; das Ich stürzt ab ins Bodenlose. Die andere, "Der Stab Moses", beginnt im Stil einer Humoreske und endet in einer Katastrophenstory. Bei einem sonntäglichen "garage sale", bei einem Trödelkauf vor einem Bungalow in Hollywood, erwirbt der Erzähler den Stab, mit dem Charlton Heston in Cecile B. DeMilles Bibelschinken "Die Zehn Gebote" als Moses das Rote Meer teilte. Zum Rettungsstab wird dieses zum Andenkenkitsch verkommene Filmrequisit noch einmal, als es bei einem Wohnungsbrand den Freunden Orientierung ermöglicht und sie den Flammen entkommen läßt.

Beide Geschichten sind erzählerische Etüden - der Autor kennt sein Hollywood und beherrscht sein schriftstellerisches Handwerk. In die Nähe der Titelerzählung aber gehört "Das verräterische Herz". Hier erweist Roth einem seiner literarischen Schutzpatrone, Edgar Allan Poe, die Ehre. Um der "Maskenmusik" der Sprache Poes "bis in die letzte Kammer" folgen zu können, nimmt der Erzähler Privatunterricht in Englisch. Doch ist es der Schüler, der seine Lehrerin bei der gemeinsamen Lektüre der Erzählung "The Tell-Tale Heart" ins unentdeckte Land der Poeschen Welt, "durchs Poesche Satznetz ins Hirn eines Verrückten" führt. Die Suggestivkraft des Textes wird so stark, daß sich die Nervenanspannung der Lesenden dem Zustand der Figur annähert. Welchen Ausgang die Erzählung nimmt, sei hier nicht verraten.

Vielfältige Erfahrungen und Anregungen der Lebenswelt, in der Roth nun schon ein Vierteljahrhundert zu Hause ist, schlagen sich in den Erzählungen dieses Bandes nieder. Wie sehr aber sein Bewußtsein in der Geschichte des Geburtslandes verankert bleibt, zeigt vor allem "Die Nacht der Zeitlosen". Eine Erzählung wie diese schreibt dem Autor so leicht keiner nach.

Patrick Roth: "Die Nacht der Zeitlosen". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 150 S., geb., 34,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hubert Winkels erkennt als die beiden Hauptthemen der Bücher Roths der letzten zehn Jahre das "Wunder" und die "Frage nach der Wirklichkeit". Auch in diesem Band mit fünf Geschichten werden seiner Ansicht nach diese Bezirke ausgelotet. Der Rezensent weist darauf hin, dass die sorgfältige und langwierige Arbeit des amerikanischen Autors an seinen Erzählungen auch genaues Lesen erfordert und meint, dass Roths Texte ein gewisses "Niveau an metaphysischer Spekulation" erreichen, die auch Anstrengungen von Leserseite erfordern. Dennoch könne man die Erzählungen auch "schlichter" auffassen, man könne sie auch als verrückte Fantasien oder gar psychologisch verstehen. Der Rezensent jedoch lobt besonders den "Mut zur Transzendenz", den Roth zeige und der heutzutage eher selten sei, und er preist das Buch als "wundersam und -schön" und seinen Autor dafür, "ganz und gar einzigartige" Texte zu schreiben.

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