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Peter Nauten führt das Leben eines einzelgängerischen, auf liebenswürdige Weise hilflosen Menschen. Schon früh muss er erkennen, dass er trotz größtem Bemühen keine Aussichten besitzt, es im bürgerlichen Dasein zu etwas Vorzeigbarem zu bringen. In München beginnt er ein Studium der alten Sprachen; es bringt ihn mit den rebellischen Umtrieben von 1968 in Berührung und endet, nach wenigen schönen Semestern voller Nichtstun, im Debakel. Er arbeitet bei einer Versicherung, wofür er sich wenig eignet; als man ihn bereits nach kurzer Zeit wieder auf die Straße setzt, ist er nicht weiter verwundert.…mehr

Produktbeschreibung
Peter Nauten führt das Leben eines einzelgängerischen, auf liebenswürdige Weise hilflosen Menschen. Schon früh muss er erkennen, dass er trotz größtem Bemühen keine Aussichten besitzt, es im bürgerlichen Dasein zu etwas Vorzeigbarem zu bringen. In München beginnt er ein Studium der alten Sprachen; es bringt ihn mit den rebellischen Umtrieben von 1968 in Berührung und endet, nach wenigen schönen Semestern voller Nichtstun, im Debakel. Er arbeitet bei einer Versicherung, wofür er sich wenig eignet; als man ihn bereits nach kurzer Zeit wieder auf die Straße setzt, ist er nicht weiter verwundert. Er heiratet eine Frau, gegen die einiges spricht und die Scheidung lässt nicht lange auf sich warten. Er wird Kellner in einem Münchener Szene-Café der wilden Achtzigerjahre; die Gäste halten ihn für eine Witzfigur und schließen ihn doch in ihr Herz, denn keiner kann sich erinnern, je einen Kellner erlebt zu haben, der mit so verschrobener Eleganz einen Cocktail zu servieren verstand. Schließlich wagt er sich an eine Aufgabe, die das ehrgeizigste und zugleich sonderbarste Unternehmen seines Lebens ist: Die Entzifferung der Schmetterlinge. Es gilt, eine Geheimschrift zu entziffern, die ihm endlich Aufschluss über die Rätselhaftigkeit der Welt geben soll...
Autorenporträt
Stefan aus dem Siepen wurde 1964 in Essen geboren, studierte Jura in München und trat in den Diplomatischen Dienst ein. Über Stationen in Bonn, Luxemburg, Shanghai und Moskau führte ihn sein Weg nach Berlin, wo er seit 2009 im Planungsstab des Auswärtigen Amtes arbeitet. Stefan aus dem Siepen lebt mit seiner Frau und vier Kindern in Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2008

Kein Held unserer Zeit

Sonderling, hör die Signale, das Busenattentat auf Adorno war doch politisch gemeint! Der Diplomat Stefan aus dem Siepen porträtiert einen Weltfremden.

Peter Nautens Vater ist Nervenarzt. Seine Praxis macht viel Arbeit und wirft wenig ab, beim schweigsamen Feierabendbier liest der Pflichtmensch in Fachzeitschriften. Die Mutter ist Hausfrau, pünktlich im Gießen der Topfpflanzen, unsicher und so wortkarg wie ihr Gatte. Dass aus Sohn Peter kein Temperamentsbolzen wird, erstaunt nicht.

Von frühester Kindheit in den fünfziger Jahren an wird der Antiheld aus Stefan aus dem Siepens Roman "Die Entzifferung der Schmetterlinge" auf die Rolle des blassen Sonderlings geeicht - so fest, dass er sie schon bald in vorauseilendem Gehorsam überaus korrekt ausfüllt. Das zur Straße hin untadelige, gartenseitig ausufernde, verwinkelte und rückzugstaugliche Elternhaus, dessen Beschreibung Gaston Bachelard ein wunderbares Exempel für seine "Poetik des Raums" geliefert hätte, präfiguriert schon die Welt, wie Nauten sie sieht und später sehen wird: Nach außen herrscht Ordnung, im Inneren wuchert das Chaos.

Weder die rauhe Schulwirklichkeit noch die Urlaubsbekanntschaft mit dem Mädchen Elisabeth ändert etwas daran. Elisabeth gerinnt nach der Rückkehr aus den Ferien zu einem in der Erinnerung verblassenden Traumbild, Protagonist und Welt bleiben wie durch eine dicke Watteschicht dauerhaft voneinander getrennt. Nautens Kokon wird immer undurchdringlicher.

Der 1964 geborene Stefan aus dem Siepen, derzeit Diplomat an der Deutschen Botschaft in Moskau, legt mit "Die Entzifferung der Schmetterlinge" einen Roman vor, dessen lupenreine und feinziselierte Sprache zunächst ebenso besticht, wie der Charakter des Protagonisten fesselt. Die kurzen, fast wie Kalendergeschichten zu lesenden Miniatur-Kapitel werden von summarischen Überschriften wie "Nautens Zukunft liegt im Dunkeln", "Das unergründliche Haus" oder "Nauten tanzt" eingeleitet und fassen zusammen, was anschließend von einem personalen Erzähler so geschildert wird, als handele es sich bei Nauten um ein Studienobjekt im Laborkasten.

Aus dem Siepen betrachtet Verhaltensmomente, Schlüsselerlebnisse und Lebensstationen wie in einer Versuchsanordnung. Nauten, "der sich nicht merkwürdig zu benehmen braucht, um merkwürdig zu wirken", der unentschieden der Welt gegenübersteht, muss, wie schnell deutlich wird, zwangsläufig an ihr scheitern. "Student, Sachbearbeiter, Kellner, Entzifferer - was für ein sonderbarer und trostloser Lebenszickzack", heißt es im ersten Kapitel.

Nautens Unfähigkeit, sich in der Welt einzurichten, ist dabei nicht von der rätselhaften Entschiedenheit, wie sie sich im nachdrücklich wiederholten "Ich möchte lieber nicht" aus dem Mund des Melvilleschen Bartleby Bahn bricht. Nauten fehlt jegliche Entschlusskraft; einzig seine verzweifelte Faszination für alte Sprachen bringt ihn dazu, willentlich zu handeln. Als ihm Studium, Beruf und eine Ehe entglitten und seine Eltern gestorben sind, klammert er sich an das abstruse und eskapistische Forschungsvorhaben, in den Formen und Mustern der Natur Ähnlichkeiten zur Schrift aufzuspüren, die Natur dadurch zu entziffern.

Bisweilen wird das Durchexerzieren von Nautens Schwäche durch die Vorhersehbarkeit der Handlung jedoch etwas schal; die Schlüsselerlebnisse sind etwas schematisch geschildert, und aus dem Siepens humoristische Einlagen büßen etwas von ihrer anfänglichen Komik ein.

In der Zusammenschau seiner inzwischen zwei Romane wird indes deutlich, dass sich der Autor in besonderem Maß für Fluchtbewegungen Einzelner aus einer Welt unter veränderlichen und veränderten gesellschaftlichen Vorzeichen interessiert. Wie auf formaler Ebene die Übereinstimmung der Initialen Nauten und Neise den Hinweis gibt, dass aus dem Siepens Romane miteinander korrespondieren, so ist auch das große Thema des Autors in beiden Büchern aufzufinden: die Flucht des Einzelnen aus der Welt und damit auch vor allem Politischen.

In seinem Debüt "Luftschiff" aus dem Jahr 2006 steht der Protagonist Thomas Neise paradigmatisch für die Realitätsblindheit der Bevölkerung in der Weimarer Republik. "Die Entzifferung der Welt" lotet die Wirkungen der "wirtschaftswunderlichen" Zeitläufte rund dreißig Jahre später mit ihren dumpfen, zur Verdrängung neigenden Tendenzen im Spiegel von Nautens Charakter aus. Der Wind der Achtundsechziger, der während Nautens Studienzeit durch das stickige Denken des Landes wehte und alles durcheinanderzuwirbeln suchte, erreicht das Enge und Beklommene im Denken und Fühlen dieses Sonderlings nicht.

Im Busenattentat auf Adorno, das vom Autor merkwürdigerweise nach München verlegt worden ist, sieht Nauten nicht die beabsichtigte institutionelle Provokation, sondern bleibt mit träumerischem Blick an den nackten Brüsten der Studentinnen hängen. Er lernt nicht, die sich wandelnden Zeichen der Zeit zu lesen, und verlegt sich auf das vergebliche Entziffern seiner toten Studienobjekte. Aus dem Siepen allerdings ist die Entzifferung Nautens in weiten Teilen geglückt.

BEATE TRÖGER

Stefan aus dem Siepen: "Die Entzifferung der Schmetterlinge". Roman. Atrium Verlag, Zürich 2008. 224 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Stefan aus dem Siepens zweitem Roman macht Beate Tröger als tragendes Thema für den Autor die Beschreibung von Weltflüchtlingen aus, die die "Zeichen der Zeit" nicht zu deuten verstünden. An seinem sonderlichen Peter Nauten, der Hauptfigur dieses Buches, der sich der Erforschung der in der Natur vorkommenden Muster als eines der Schrift vergleichbaren Zeichensystems verschrieben hat, exerziert der Autor ein Außenseiterleben wie unter Laborbedingungen durch, stellt die Rezensentin fest. Ist sie zunächst von der geschliffenen Sprache beeindruckt und lässt sich von der Verschrobenheit des Protagonisten fesseln, so stellt sich bei ihr im Lauf des Romans eine gewisse Ermüdung ein, die aus der allzu exempelhaften Vorführung dieser gescheiterten Existenz herrührt, wie sie kritisiert. Zudem findet Tröger auch die Ausflüge Siepens in den Humor nicht immer gelungen. Und trotzdem kommt sie am Ende ihrer Kritik zu dem Schluss, dass der Autor, Diplomat in Moskau, wie Tröger mitteilt, hier durchaus gelungen einen Sonderling ergründet.

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