Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 38,00 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

An den Rändern der Sprache. Musik als prekärer Gegenstand wissenschaftlicher Rede; Naturlaut und Klangnatur; Klangsprache und Sprachform; Ton und Bedeutung; Jenseits der Worte. Der dreifache Ausgang der Neuinterpretation von Wort und Zeichen in Bilderstreit und neuer Musik

Produktbeschreibung
An den Rändern der Sprache. Musik als prekärer Gegenstand wissenschaftlicher Rede; Naturlaut und Klangnatur; Klangsprache und Sprachform; Ton und Bedeutung; Jenseits der Worte. Der dreifache Ausgang der Neuinterpretation von Wort und Zeichen in Bilderstreit und neuer Musik
Autorenporträt
Jakob Ullmann wurde am 18. August 1929 in Bad Gottleuba bei Dresden geboren. Nach dem Krieg studierte er von 1948 bis 1954 evangelische Theologie und Philosophie in Berlin und Göttingen. Nach Abschluss seiner Promotion kehrte er 1954 in die DDR zurück und wurde Pfarrer in Colmnitz bei Freiberg (Sachsen). 1963 berief ihn das Katechetische Oberseminar Naumburg zum Dozenten für Kirchengeschichte. 1978 übernahm er die Dozentur für Kirchen-, sowie Welt- und Rechtsgeschichte am Sprachenkonvikt der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg in Berlin. 1987 trat er dem Arbeitskreis Initiative für Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung bei. 1989 begründete er gemeinsam mit Ulrike Poppe und Konrad Weiß die Bürgerbewegung Demokratie jetzt. 1990 wurde er Minister ohne Geschäftsbereich in der Übergangsregierung unter Hans Modrow und als Vertreter von Bündnis 90 einer der Vizepräsidenten der Volkskammer. Von 1990 bis 1994 war er für Bündnis 90/ Die Grünen Abgeordneter des Bundestags. Er plädi

erte in der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundes und der Länder für das verfassungsgemäße Recht auf Volksbegehren, Volksabstimmung und Volksentscheid. Von 1994 bis 1998 war er Abgeordneter von Bündnis 90/ Die Grünen im Europäischen Parlament.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.10.2007

Wir wollen immer nur bei uns sein
Nur Engel dürfen singen: „Die Entdeckung des Tones in der Musik” von Jakob Ullmann ist ein großer Wurf ins Unbekannte
Wer Selbstverständliches in Frage stellt, kann nicht mit spontaner Zustimmung rechnen. Der Komponist und Musikwissenschaftler Jakob Ullmann weiß das. Er sucht die Zustimmung seiner Leser, indem er sich mit nie ermüdender Akribie in die Anfänge vertieft, um zu verstehen, wie das entstanden ist, was wir „Musik” nennen. Stupende Gelehrsamkeit und ein ungewöhnliches Maß an Geduld bringt er auf, um alle Voraussetzungen zu klären, alle Fragen zu beantworten und alle Einwände im Voraus zu entkräften.
Was die Gelehrsamkeit angeht, gibt er sich größte Mühe, dem Leser auf die Sprünge zu helfen, besonders durch sorgfältig geprüfte Übersetzungen der fremdsprachigen Zitate – Geduld aber muss man auch selber mitbringen, um die Seite 617 zu erreichen. Und obwohl man sie kaum richtig verstehen kann, wenn man die vorangehenden 616 Seiten nicht gelesen hat, sollte man hier beginnen, besonders mit diesem Satz: „Seit geraumer Zeit sind die ,Töne‘ nun selbst zum Gegenstand kompositorischen Nachdenkens geworden; was sich hinter ihrem Horizont auftut, ist unentdecktes Land.”
Ullmanns Buch ist ein Buch zur Musikgeschichte, aber es ist noch entschieden mehr ein Buch zur Geschichtlichkeit der Musik, also auch zu ihrer möglichen oder unmöglichen Zukunft. Wort- und tonlos hatte diese Frage John Cage gestellt, als er die Musikwelt mit seiner Komposition „vier Minuten dreiunddreißig Sekunden” verstörte: Drei Teile Stille, dargeboten von einem Pianisten, der vor dem Klavier verharrt, ohne einen Ton zu spielen, bis die Zeit verstrichen ist. Ullmann beruft sich auf dieses Stück und bindet es überraschend an sein Thema. Bei einer „Aufführung” mit großem Orchester im Barbican Centre in London unter der Leitung von Lawrence Foster (2004) explodierte die Frage nach Status und Sinn der Musik im spontanen Gelächter des Publikums, als der große Dirigent sich mit einem weißen Tuch theatralisch die Stirn abwischte. Mit seinem über eine Stunde dauernden und beständig im Pianissimo angesiedelten „Catalogue of sounds” für Violine, Viola, Violoncello und Ensemble (1995-97) arbeitete sich Jakob Ullmann seinerseits ein Stück voran auf dem Weg hinter den Horizont des Tons.
Ein Zeichen für den Geist
„Wir wollen immer nur bei uns sein” – so hatte Ernst Bloch sein Buch „Thomas Münzer als Theologe der Revolution” begonnen, und Jakob Ullmann hätte diesen Satz auch als Motto über sein Werk schreiben können. Denn Thomas Münzer hatte als erster Reformator schon 1523/24 eine Deutsche Messe geschaffen, in der sich nach Jahrhunderten das wirkliche Wunder der Kirche neu ereignen sollte: Im „Wir” der Gemeinde sollte Christus wieder „mitten unter ihnen” sein, in ihrem Singen sollte sich die „ungeschriebene Überlieferung” der Wahrheit manifestieren. Aber diese unkodierte Botschaft spricht zu keinem Hörer, sie spricht aus dem Gesang der Singenden, und als Singende „sind” sie schon Engel vor dem Throne Gottes! „Der ganze Sinn der Botschaft, deren Tradition die liturgische Praxis begründet, ist es, nicht überliefert, sondern gegenwärtig zu sein.” Konsequent haben die frühen christlichen Gemeinden darum die gesamte antike und jüdische musikalische Praxis verschmäht, denn keine Sphärenharmonie und kein heiliger Text kann den Geist in sich konservieren, auf den allein es ankommt!
Die Radikalität der christlichen Botschaft ist zwar unausweichlich, aber das christliche Leben musste sich wohl oder übel mit seiner vorläufigen Existenz hienieden auf Erden abfinden und Formen für eine Religionsausübung finden, die es eigentlich nicht geben dürfte. In der Ostkirche wurde es nach dem erbitterten Bilderstreit erlaubt, Ikonen zu verehren (nicht sie anzubeten!) und der liturgische Gesang wurde der exklusive Raum, in welchem „ungeschriebene Überlieferung” anwesend schien.
Im Westen, und das bedeutet: im Reich Karls des Großen, sprach der heilige Geist nicht spontan aus den Völkern, die oft erst kurz zuvor christianisiert worden waren. Sie waren auf die lateinisch geschriebene Überlieferung angewiesen, um Vater, Sohn und Heiligen Geist überhaupt erst einmal kennenzulernen. Der Herrscher musste die Einheit der Lehre und der religiösen Praxis rigoros durchsetzen, ehe man über deren mögliche Obsoletheit nachdenken konnte: Vereinheitlichung der kanonischen Texte und ebenso der liturgischen Melodien, bis in die Formen ihrer Schrift hinein, ist das Zentrum der karolingischen Kulturpolitik. Die Aporie von überlieferten Formen und gegenwärtigem Geist wird hier anders gemeistert: Die Melodie wird zum „signum”, zum Zeichen für den Geist, sie wird als solches ablösbar vom Text, man kann sie auf einem Instrument spielen – eben zum Beispiel auf der Orgel, welche durch den Besuch oströmischer Gesandter im Jahre 812 nach Aachen gelangt sein soll. Musik wird nun mit der Zeit nicht mehr eine besondere Stimmbewegung bei der Rezitation des Textes , sondern bekommt ihre eigene Syntax, mit ihren eigenen festgelegten Elementen, eben den Tönen. Diese Töne-Musik bildet einen neuen Raum von Bedeutung, der mit der christlichen Botschaft auf dunkle Weise verbunden zu sein verspricht: die Sprache der Töne offenbart und versteckt ein Geheimnis. Für den Christen ist es die frohe Botschaft. Heute können wir sehen, dass der Raum der Verbindung von Musik mit einer geheimen Botschaft „ein charakteristisches Merkmal der abendländischen Musik auch dann noch blieb, als der Raum . . . längst nicht mehr unauflöslich mit der . . . christlichen Botschaft verknüpft war.”
Pfingstwunder der Stimme
Das ist das Schicksal der abendländischen Musik: „Solange es Töne gibt,... so lange wird diese Musik das Erbe der Entstehung der Töne aus der Tradition der ,ungeschriebenen Lehre‘ . . . mit sich tragen müssen.” Der Ton als Basiselement der abendländischen Musik ist also weniger eine Entdeckung als ein Konstrukt, dem wider Erwarten eine Apotheose wiederfahren ist. Glauben wir nicht alle an dieses Pfingstwunder, das die Musik zur natürlichen Sprache aller Menschen macht? Käme sonst jemand auf den Gedanken, ein verzweifeltes Stück Beethoven zur Europahymne und zum Weltkulturerbe zu erklären?
Der letzte Abschnitt dieses Buches hat den Charakter eines Essays, der souverän mit dem erarbeiteten Wissen umgeht und nun wieder im Sinne Blochs „ganz bei uns” angekommen ist: „Es scheint nicht ausgeschlossen, dass auch die ,Musik‘ ein sprachliches Gewissen braucht.” Wie mit einem Refrain schließt das Buch mit den Worten, die schon den Schluss des zweiten Abschnitts bildeten und die der „Stimme” so etwas wie einen transzendentalen Wert beimessen: „Weil aber dies nicht ausgesprochen, sondern allenfalls bezeugt werden kann, darum gibt es Musik.”
Sätze wie dieser sind in diesem Buch eine Rarität. Und leider enthält das Buch, außer auf dem schönen Umschlag, keine einzige Note. Zwar kann der Autor uns unschwer davon überzeugen, dass es schwierig ist, über Musik zu sprechen, aber die Schwierigkeiten, die er dann fast beständig vor uns aufhäuft, sind wohl Ausdruck der Skrupel, die er empfindet, den Lesern irgendetwas vorzuenthalten – aber nur zu oft wuchern seine Sätze über alles Maß und vor allem über die Aufnahmekapazität des gebildetsten und gutwilligsten Lesers hinaus. Das ist schade, denn es wird die Wirkung des Buches beeinträchtigen, das als Denkanstoß für Musik und Musikkritik begrüßt und intensiv diskutiert zu werden verdient. HANS-HERBERT RÄKEL
JAKOB ULLMANN: Logos agraphos. Die Entdeckung des Tones in der Musik. Kontextverlag Berlin 2006. 640 Seiten, 40 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Hans-Herbert Räkel von diesem Buch über die "Entdeckung des Tones in der Musik", das der Komponist und Musikwissenschaftler Jakob Ullmann vorgelegt hat. Er würdigt das Werk als eine weit ausgreifende, tief gehende und äußert dichte Untersuchung der Grundlagen der abendländischen Musik, der Frage nach der Entstehung von Musik. Bewunderung zollt er der Gelehrtheit des Autors und seiner Geduld, sämtliche Voraussetzungen seiner Ausführungen, Fragen und Einwände zu klären. Geduld braucht in Räkels Augen auch der Leser, denn die Lektüre des Buchs ist keine leichte Kost. Gleichwohl wünscht er dem Werk, eingehend von der Musikkritik diskutiert zu werden.

© Perlentaucher Medien GmbH