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Der Wahrheit Stimme will ich sein Reinhold Schneider (1903 -1958) gehört zu den bekanntesten Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Romane, Erzählungen, Essays, Gedichte und Theaterstücke erscheinen seit Anfang der dreißiger Jahre im Insel Verlag. Reinhold Schneider, politisch-moralisch engagierter Autor gerade in der Zeit des Nationalsozialismus, vertrat den inneren Widerstand gegen das Naziregime und schrieb gegen die Judenverfolgung. 1938 erschien sein berühmter Widerstandsroman Las Casas vor Karl V., der, wie er schrieb, "mir mögliche Protest des Gewissens gegen die Zeit,…mehr

Produktbeschreibung
Der Wahrheit Stimme will ich sein
Reinhold Schneider (1903 -1958) gehört zu den bekanntesten Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Romane, Erzählungen, Essays, Gedichte und Theaterstücke erscheinen seit Anfang der dreißiger Jahre im Insel Verlag. Reinhold Schneider, politisch-moralisch engagierter Autor gerade in der Zeit des Nationalsozialismus, vertrat den inneren Widerstand gegen das Naziregime und schrieb gegen die Judenverfolgung. 1938 erschien sein berühmter Widerstandsroman Las Casas vor Karl V., der, wie er schrieb, "mir mögliche Protest des Gewissens gegen die Zeit, aber auch gegen die europäische Geschichte als Eroberung überhaupt".
In den Jahren der jungen Bundesrepublik galt Schneider als moralische Instanz, er wandte sich entschieden gegen die Wiederaufrüstung. Ein Jahr nach Hermann Hesse erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ein Leben lang hat sich Schneider mit Europa, seiner Geschichte, Philosophie und Literatur auseinandergesetzt, er hat den Spanier Unamuno und die Französin Simone Weill entdeckt und bis heute Gültiges über Portugal und seine Kultur geschrieben. Er verstand sich in seinem Schreiben als Christ, aber den christlichen Dichter als "Unruhestifter, Ankläger, verhasst den Mächtigen, unerwünscht den Oberhirten".
Autorenporträt
Reinhold Schneider (1903 - 1958) gehört zu den bedeutenden Autoren des 20. Jahrhunderts. Sehr früh erfolgreich als Romancier, Lyriker und Essayist, hat er Wesentliches zur Verständigung der Völker Europas nach 1945 beigetragen. Er setzte sich für die demokratische Entwicklung Deutschlands und für die Aufrichtigkeit politischen Handelns ein - eine Stimme auch für die Gegenwart und die Zukunft. 1956 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2003

In sich selbst verstrickt
Vor hundert Jahren wurde der reisende Schriftsteller und einsame Katholik Reinhold Schneider geboren
Auf einem Landgut im Erzgebirge ist nichts, wie es scheint. Die Möbel, die Fenster und die Türen sprengen das vertraute Maß. Der Herr des Landguts Beerreuth hat alles vergrößern lassen, damit es seiner Körperlänge entspricht. „Er mag in anderer Umgebung nicht leben, nicht fortgesetzt sich bücken, weil Häuser, Straßenbahnen, Autos für ein anderes Geschlecht gebaut sind, mit dem er nichts zu tun hat.” Als ihn jene „kleine, hübsche Frau” besucht, für die der Gutsherr entflammt ist, nimmt sie Reißaus. Sie will nicht leben als Spielzeug eines Riesen. Der Mann bleibt zurück, „untersteht wieder seinem eigensten Gesetz. Die Einsamkeit harrt, unwidersprechlich, aber sie zerbricht ihn nicht.”
1929 schreibt Reinhold Schneider die Novelle „Zwischenspiel in Beerreuth”, die selbst ein Intermezzo geblieben ist. Ende des Jahres beendet er die ungleich gewichtigere Arbeit über das portugiesische Nationalepos „Die Lusiaden” und den Schriftsteller Luis Vaz de Camões. Anfang 1930 untersagt er die Veröffentlichung der Novelle: „Dieses Problem ist gerade bei seiner Sichtbarkeit und Klarheit viel zu delikat”. In der Tat wäre es ein Leichtes gewesen, vom fiktiven Gutsherrn auf den Autor zu schließen, den 2,04 Meter großen Reinhold Schneider, der auf fast allen Fotos in gebückter Haltung zu sehen ist und der aus einem Italienurlaub den Stoßseufzer schickt, er werde „wie ein Möbelstück bestaunt”. Zugleich vertritt der Herr von Beerreuth den modernen Menschen. Dieser hält es nur mittels Apparaturen, um den Preis der Vereinzelung und Entfremdung in einer künstlich gewordenen Welt aus.
Wenig später, am 20. Januar 1931, im selben Jahr, in dem Reinhold Schneider zwischen Dresden, München, Göttingen und Berlin mehrmals die Bleibe wechselt, entsteht ein dunkelgraues Selbstporträt von viereinhalb Seiten. Der junge Dichter attestiert sich Pedanterie, Verletzlichkeit, Lebensangst: „Aus Furcht vor mir selbst schließe ich die Läden, lege ich die Hand über die Augen, oder ich wähle Zimmer, die keine Aussicht mehr bieten.” In einem Sonett an den Vater heißt es: „Mir war der Schwermut Erbe übermacht, / Es ist mein Untergang und ist mein Lohn.” Zu diesem Zeitpunkt hat Schneider bereits so viele Dramen, Sonette, Erzählungen, Aufsätze, Reisebücher geschrieben, dass er ein Inventar anfertigt und sieben große Pakete mit den Manuskripten füllt. Im Selbstporträt aber beklagt er „das Gefühl des persönlichen Hinschwindens, der Zerstörung der eigenen Natur, wenn ich arbeite.”
Über die Erde hinaus
Reinhold Schneider, heute vor hundert Jahren in Baden-Baden geboren, zählt zu den großen Verzweifelten der Literatur. Wie Lenau, Trakl, Klepper oder Burger rief er sich schreibend zur Räson. Er nahm sich nach einem gescheiterten Selbstmordversuch nicht das Leben, sondern schrieb über den Suizid als philosophisches Problem, und spürte doch, dass jede Zeile ihn tiefer in sich selbst verstrickt. Der Dominikanermönch Las Casas, der vor Karl V. gegen die Ausrottung der Indios durch die Spanier aufbegehrt, muss sich die Bemerkung gefallen lassen: „Wir glauben an die Wahrheit seines Leidens, wir fragen aber, ob er dieses Leiden nicht überallhin mitbringt.” Dieselbe Frage stellt sich Reinhold Schneider am Ende seines Lebens in Wien, wo 1957/58 jenes bekenntnishafte Werk entstand, das ihm einen Logenplatz auf dem Parnass sichert, „Winter in Wien”: „Unsagbar, welche Traurigkeiten nisten in dieser Stadt. Oder nur in mir?”
Beschwerlich war das Leben des Reinhold Schneider, am Rande der Existenz, jenseits der Gesundheit. Eine chronische Magen-Darm-Erkrankung vergällte ihm das Sitzen, das Schlafen und das Essen. Monatelang konnte er kaum arbeiten, die letzten Jahre ernährte er sich von rohen Eiern, Säften und Wein. Rückblickend schreibt er, seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs habe sich ein „totaler Pessimismus” seiner bemächtigt. Der eng mit ihm befreundete Theodor Heuss spricht vom „Unheimlichen” dieser „außerordentlichen Produktivität”. Schneiders Schreibwut aber verdankte sich einer Mission. Er, der Trost nur in der Literatur fand, wollte Trost spenden, wollte wenn schon nicht das eigene, so tausendfach das fremde Herz vor der Verzweiflung bewahren. Diese Mission gab ihm Kraft und Mut. Die Erzählung „Las Casas vor Karl V.” war 1938 eine klare Kampfansage an die Nationalsozialisten und deren Ausrottungsprogramm.
Die Gestapo vergalt es ihm mit Hausdurchsuchungen, der Völkische Beobachter hetzte, seine Essaysammlung „Macht und Gnade” wurde eingezogen, Papier nicht mehr bereitgestellt. Dennoch zirkulierten im Zweiten Weltkrieg rund eine Million seiner Kleinschriften mit Titeln wie „Der Kreuzweg”, „Das Vaterunser” oder „Die Macht der Friedfertigen”. Im Samisdat-Verfahren hergestellt, gelangten sie bis nach Stalingrad und in die Konzentrationslager. Mehr als 30000 Leserbriefe erreichten den invaliden Dichter und dankten für den Zuspruch. Nach dem Krieg kämpfte Schneider als „das Gewissen Deutschlands” – so Edzard Schaper – mit dem selben verzweifelten Ernst gegen die Wiederbewaffnung und gegen das Freund-Feind-Denken im Kalten Krieg. 1956 nahm er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen und erklärte: „Die These, dass der Feind mit der böseren Waffe niedergehalten werden könne oder müsse, ist entweder Wahn oder Unaufrichtigkeit.”
Trotz der späten Ehrungen blieb Schneider lebenslang der schwarzen Galle verhaftet. Befreiung von ihr gab es nur im Gebet, der Klage vor dem leidenden Christus, denn „man muss beten, auch wenn man es nicht kann”, und auf Reisen. Am liebsten wäre Schneider dorthin gereist, wohin es Cölestin V. zog, den Titelhelden seines Dramas „Der große Verzicht”. Cölestin trat 1294 vom Papstamt zurück, flüchtete sich erschöpft in die Arme eines Bruders: „O dass du mich führen könntest an das Ende der Erde, über die Erde hinaus.”
Diese Sehnsucht trieb Schneider von Wohnung zu Wohnung, von Land zu Land. Fast ganz Europa durchreiste der überzeugte Europäer, die Tagebücher, Reisebilder, historischen Darstellungen, die er aus Italien, Portugal, Frankreich, England und Skandinavien mitbrachte, zählen zu den Meisterstücken ihrer Gattung und finden sich auszugsweise in dem Lesebuch „Der Wahrheit Stimme will ich sein”. Schneider stellte seiner Grammatik des Endens eine klug durchdachte, zart empfundene Theorie des Sehens entgegen. Das „Glück der Fremde” stellt sich ein, weil und insofern der Reisende das Unbekannte mit vollem Herzen bejaht. Nachts an Deck, mitten in der Biskaya, „als der Halbmond im dunkelsten Orange aus den verschleierten Wassern stieg”, ereignet sich die Revision der stets tragischen, da von Menschen gemachten Geschichte. „Es war, als ob die Welt noch nicht geschaffen wäre und jene Geheimnisse sich vor unseren Augen abspielen sollten, die im Anfang waren.”
Das große Unterwegs
Das Zurück hinter die Zeit, das Zurück aus der Materie in den Geist konnte nur auf Reisen gelingen. Die „zwangsmäßige Erholung” schenkt den Augen die Gnade des ersten Blicks, der Seele die momentweise Erlösung aus einem Dasein, das schuldig macht. „Das Endziel alles Reisens”, notiert Schneider im Reisetagebuch „Portugal”, „wäre vielleicht dieses Gefühl: ich lebte überall, aber ich kann nirgends bleiben. Die Welt gehört mir, aber ich gehöre nicht ganz hinein.” Nicht nur das romantische Konzept von der menschlichen Pilgerschaft steht hinter den Worten, sondern eine subtile Lesart der Moderne: Der moderne Mensch betäubt seine Schwermut, indem er es sich im großen Unterwegs angenehm einrichtet. Notgedrungen eilt er durch die Jahre, bis ihn plötzlich, auf Schiffen, im Flugzeug, im Gebet, der Schock der Realität überfällt wie ein Dieb in der Nacht.
ALEXANDER KISSLER
REINHOLD SCHNEIDER: Der Wahrheit Stimme will ich sein. Essays, Erzählungen, Gedichte. Hrsg. von Carsten Thiede und Karl-Josef Kuschel. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2003. 332 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.2003

Narrenschiff statt Flugzeugträger
Neuausgaben zum hundertsten Geburtstag Reinhold Schneiders

"Wollte ich, was sich in mir während dieses Winters ereignet, im Gespräch mit dem Phänomen Wien pathetisch ausdrücken, so müßte ich von einem inneren Unfall sprechen, vom Einbruch der dunklen Wasser in einen leer gewordenen Raum, einem Einbruch also von unten her. Man blickt nicht ungestraft in den Kosmos, die Tiefsee, die Geschichte - und vielleicht auch nicht ungestraft in sich selbst, in den Menschen." Was der heute vor hundert Jahren geborene Reinhold Schneider in seinem letzten, postum 1958 erschienenen Buch "Winter in Wien" als existentielle Erfahrung beschreibt, läßt sich schwer in Einklang bringen mit dem Bild, das das öffentliche Langzeitgedächtnis von diesem Schriftsteller zeichnet. "Winter in Wien", entstanden aus Aufzeichnungen während eines mehrmonatigen Aufenthalts, ist ein zutiefst pessimistisches und düsteres Buch, Ausdruck einer Verzweiflung, die mit dem Wort Glaubenskrise nicht genau genug bezeichnet ist.

Denn an Glauben mangelt es Schneider nicht: "Fest überzeugt von der göttlichen Stiftung und ihrer bis zum Ende der Geschichte währenden Dauer, ziehe ich mich doch am liebsten in die Krypta zurück; ich höre den fernen Gesang. Ich weiß, daß Er auferstanden ist; aber meine Lebenskraft ist so sehr gesunken, daß sie über das Grab nicht hinausgreifen, sich über den Tod hinweg nicht zu sehnen und zu fürchten vermag." Oder an anderer Stelle: "Der Glaube an Auferstehung setzt den Wunsch nach Auferstehung voraus - oder die Angst vor dem Nichts." Beides schien für Schneider seinen Stachel verloren zu haben. Die persönliche, durch eine quälende Magenkrankheit und Depressionen verfinsterte Befindlichkeit, sein Lebensüberdruß, korrespondiert beim späten Schneider mit einem apokalyptisch eingefärbten Blick auf die historische Stunde, der Wien gerade wegen der Allgegenwart vergangener kaiserlicher Größe zum Symbol des Verfalls wird.

Die Verwirklichung des Glaubens als geschichtliche Macht war Schneiders Lebensthema. Nach anfänglichen Sympathien für die nationalsozialistische Bewegung, in der der Monarchist eine Wiedererweckung des Preußentums zu erkennen glaubte, hatte er erst in den dreißiger Jahren zum katholischen Glauben seiner Kindheit zurückgefunden. Mit seinen weitverbreiteten laientheologischen Trostschriften und seinen historischen Werken, die Hitler-Deutschland im Spiegel vergangener Reiche zur Kenntlichkeit entstellen wollten, wurde Schneider zum geistigen Kristallisationskern christlicher Opposition. Nach 1945 war er einer der bekanntesten katholischen Intellektuellen, der sich allerdings durch seine entschiedene Haltung gegen die Wiederbewaffnung und das atomare Gleichgewicht des Schreckens nicht in die neuen Fronten des Kalten Krieges einreihen ließ. Ein neuer Sammelband im Insel-Verlag dokumentiert neben vielen anderen Facetten seines Werks auch Schneiders Wirken als intellektuelle Leitfigur und moralisches Vorbild.

Die Rolle des belächelten Außenseiters hat Schneider dabei durchaus in Kauf genommen: "Wer den Frieden will in der Geschichtswelt, kann dem Vorwurf der Torheit nicht entgehen. Es ist fast unvermeidlich, daß er in Gesellschaft von Narren gerät. Aber besser, auf einem Narrenschiff zu reisen als auf einem Flugzeugträger." Sein früher Tod 1958, ausgerechnet an einem Ostersonntag, gab freilich Anlaß zu versöhnender Legendenbildung. Noch die vorliegende Ausgabe des "Winters in Wien" im Herder Verlag irritiert durch die Reproduktion der Totenmaske - als symbolischer Tribut an eine Jenseitshoffnung, die Schneider selbst zum Problem wurde.

Liest man heute "Winter in Wien", so irritiert eine Sprache, die noch ganz den Ernst deutscher Tiefe atmet, scheinbar unbefangen von "Heldentum", "Opfer" oder "Sendung" spricht und so deutlich macht, wie nachhaltig christliche Semantik für unsere Ohren durch den Nationalsozialismus diskreditiert worden ist. Doch durch den Schleier solcher Anachronismen bricht sich ein modernes Bewußtsein Bahn, dem die erhellenden Erkenntnisse der Naturwissenschaft die Weltsicht verdüstern. Die Schöpfung wird zum Schreckbild; das naturkundliche Museum zeigt wie die Gemälde Boschs und Brueghels den Kreislauf der Gewalt, der mit der Atombombe die Geschichte an ihr Ende geführt hat: "Statt der Kaiser residiert die Atombehörde in Wien."

Interessant sind die Parallelen zu einem anderen Theoretiker der Macht, zu Elias Canetti, der ebenfalls in den Werken Boschs die Natur des Menschen und das Wesen der Geschichte zu erkennen glaubte. Auch Canetti wurde die Atombombe - mehr als die Schoa, die erst mit der einsetzenden Breitenwirkung der "Dialektik der Aufklärung" als singulärer historischer Bruch begriffen wurde - zum Menetekel; auch Canetti litt am unüberbrückbaren Graben zwischen dem Menschen und den anderen Lebewesen. Doch während Canetti sich, beeinflußt etwa von hinduistischen Mythen, ein Jenseits für Tiere und Pflanzen ausmalte, ersehnt Schneider das Gegenteil, die Entlastung von der Hervorhebung des Menschen durch die Erlösungstat Christi: "Aber ich bin nicht imstande, diese Singularität im All zu leben: es zieht mich zum Untergange mit der Kreatur; ich ersehne den Frieden, den sie erwarten darf." - "Ihr sterbt mit allen Tieren, und es kommt nichts nachher", so hatte Brecht diese Sehnsucht als materialistisches Dogma formuliert.

Was an Reinhold Schneider heute noch reizt, ist seine eigentümliche Synthese zeittypischer Strömungen. Daß auch nach seiner christlichen Wende Mitte der dreißiger Jahre der Pessimismus Schopenhauers und ein düsterer Pantragismus wirksam bleiben und am Ende - genährt durch eine sensible Wahrnehmung des wissenschaftlichen Fortschritts - wieder die Oberhand gewinnen, läßt "Winter in Wien" als ein Werk aktuell bleiben, das den schmerzlichen Widerstreit von Glauben und Erfahrung dokumentiert.

RICHARD KÄMMERLINGS.

Reinhold Schneider: "Der Wahrheit Stimme will ich sein". Essays. Erzählungen. Gedichte. Herausgegeben von Carsten Peter Thiede und Karl Josef Kuschel. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2003. 332 S., geb., 24,90 [Euro].

Reinhold Schneider: "Winter in Wien". Aus meinen Notizbüchern 1957 / 58. Vierte Auflage. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2003. 304 S., geb., 24,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Einen "großen Verzweifelten" der Literatur nennt Rezensent Alexander Kissler den "reisenden Schriftsteller" und "einsamen Katholiken" Reinhold Schneider, der heute vor hundert Jahren geboren wurde. Ausführlich berichtet Kissler aus dem beschwerlichen, von Krankheit gezeichneten Leben Schneiders, der mit seiner Erzählung "Las Casas vor Karl V." den Nazis und ihrem Ausrottungsprogramm eine "klare Kampfansage" erteilte. Kissler widmet sich insbesondere den weiten Reisen des überzeugten Europäers Schneider. Die Tagebücher, Reisebilder und historischen Darstellungen, die Schneider aus Italien, Portugal, Frankreich und Skandinavien mitbrachte, würdigt Kissler als "Meisterstücke ihrer Gattung"; sie finden sich auszugsweise in dem nun vorliegenden Schneider-Lesebuch "Der Wahrheit Stimme will ich sein". Kissler erblickt in Schneiders Reiseliteratur nicht nur das romantische Konzept von der menschlichen Pilgerfahrt, sondern auch eine "subtile Lesart der Moderne": der moderne Mensch betäubt seine Schwermut, indem er es sich im großen Unterwegs angenehm einrichtet, interpretiert Kissler. "Notgedrungen eilt er durch die Jahre", so der Rezensent abschließend, "bis ihn plötzlich, auf Schiffen, im Flugzeug, im Gebet, der Schock der Realität überfällt wie ein Dieb in der Nacht."

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