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Monde über Monde kennen unsere Geschichten, von "Peterchens Mondfahrt" bis zum "Orlando Furioso", von Goethes Mondgedichten bis zum Werwolf im Film. Das Mondgesicht Oliver Hardy sind "Lazy Moon", Münchhausen muss seine Axt in den Mondkratern suchen, und die NASA hat die Landung auf diesem Himmelskörper bekanntlich im Studio gedreht. Wir erzählen uns stets aufs Neue vom Mond, weil er zu unserer Überraschung immer wieder über den Wäldern und den Dächern der Stadt steht, unbeständig und ewig verlässlich, eine Fläche, der wir unsere Wünsche und Ängste einschreiben und die wir mit unseren…mehr

Produktbeschreibung
Monde über Monde kennen unsere Geschichten, von "Peterchens Mondfahrt" bis zum "Orlando Furioso", von Goethes Mondgedichten bis zum Werwolf im Film. Das Mondgesicht Oliver Hardy sind "Lazy Moon", Münchhausen muss seine Axt in den Mondkratern suchen, und die NASA hat die Landung auf diesem Himmelskörper bekanntlich im Studio gedreht. Wir erzählen uns stets aufs Neue vom Mond, weil er zu unserer Überraschung immer wieder über den Wäldern und den Dächern der Stadt steht, unbeständig und ewig verlässlich, eine Fläche, der wir unsere Wünsche und Ängste einschreiben und die wir mit unseren Phantasien bevölkern können. Joachim Kalka, einer unserer besten Essayisten, verwebt Mondzitate aus Oper und Roman, Film und Comic, Reisebericht und Kinderbuch zu einer eigenen Gedankenlandschaft - ein hell strahlendes Buch, verliebt, gelehrt und wie sein Gegenstand magisch wandelbar.
Autorenporträt
Joachim Kalka, geboren 1948, lebt als Autor, Kritiker und Übersetzer in Leipzig. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verlieh ihm 1996 für sein Übersetzungswerk den Johann-Heinrich-Voß-Preis und wählte ihn 1997 zum Mitglied. 2009 nahm ihn die Bayerische Akademie der Schönen Künste auf. Bei Berenberg erschienen zahlreiche seiner Übersetzungen sowie zuletzt die Essaybände "Die Katze, der Regen, das Totenreich. Ehrfurchtsnotizen" (2012) und "Gaslicht. Sammelbilder aus dem 19. Jahrhundert" (2013).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tilman Spreckelsen findet Überraschendes in Joachim Kalkas Essay über Mensch und Mond in der Literatur. Kalkas kleine Kulturgeschichte erinnert den Rezensenten an bekannte Texte wie Peterches Mondfahrt oder Morgensterns Galgenlieder, aber auch an Entlegeneres wie Charles Fouriers Fantasien zu einem kranken Mond. Wohl geordnet und betrachtet von allen Seiten, erscheint der Mond Spreckelsen in all seiner Unheimlichkeit, aber auch in seiner wachstumsfördernden Kraft. Wie der Mond auf den Menschen wirkt, wäre also geklärt. Und andersherum? Außer der Raumfahrt hat der Autor hier Texte zu bieten, die bis in die Antike reichen, erklärt der Rezensent, aber auch Jules Vernes und Tintins Reisen tauchen auf. Ein wundervoller, immer wieder überraschender Band, findet Spreckelsen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2016

Hinter dem Schleierglanz des Mondes beginnt die Bedrohung
Vampire haben gut lachen: Joachim Kalka besucht unser liebstes Gestirn

Alter Tokajer, richtig eingesetzt, bewirkt die wunderbarsten Dinge. Er versetzt etwa einen ehrwürdigen Geistlichen namens Dean Spanley in eine Art Trance, und der kann dann, fragt man ihn nur, von einem früheren Leben erzählen, das er als Hund verbrachte. So beschreibt es der äußerst produktive irische Autor Edward Plankett, der 18. Baron von Dunsany, in seinem Roman "My Talks with Dean Spanley", erschienen 1936 und kürzlich verfilmt, was dem Leser unter anderem endlich den Grund dafür verrät, warum Hunde den Mond anbellen. Denn dessen Leuchten, berichtet Spanleys früheres Hunde-Ich, sei "verdächtig", es sei "nicht die richtige Art von Licht, etwas zuviel Magie dabei für meinen Geschmack, etwas, auf das man gut achtgeben mußte". Das tut der Hund dann auch, gemeinsam mit einem Gefährten, beide schwer verwirrt vom aufsteigenden Mond: "Bald war um uns lauter Magie, es war mehr, als ein einzelner Hund anbellen konnte."

An diese Episode erinnert Joachim Kalka in seinem fabelhaften Essay "Der Mond", der jetzt bei Berenberg erschienen ist, und an zahlreiche andere. Kalka zieht darin sicher nicht die Summe, wohl aber die Zwischenbilanz einer jahrelangen Beschäftigung mit dem Echo, das der Mond in der menschlichen Kulturgeschichte, und hier vor allem der Literatur, gefunden hat. Es sind sehr bekannte Episoden darunter, etwa die lunaren Passagen aus Arno Schmidts "Kaff", Gerdt von Bassewitz' Kinderbuch "Peterchens Mondfahrt oder Christian Morgensterns "Galgenliedern", zugleich aber beweist Kalka eine stupende Belesenheit auch in entlegenen Bereichen oder fördert bei Autoren wie Charles Fourier seltsame Phantasien zutage wie die von dem an einer Krankheit sterbenden Mond, an dessen Stelle gleich sechs nagelneue Trabanten treten.

Kalka sichtet dieses Material, ordnet es und führt im Verlauf von gut hundert Seiten durch eine Vielzahl von Perspektiven, die auf den Mond gerichtet sind. Leitend sind ihm dabei zwei Fragen: Was macht der Mond mit uns, und was machen wir mit dem Mond?

Auf die erste Frage findet Kalkas Blütenlese einige überzeugende, literarisch verbürgte Antworten. Es ist kein Zufall, belegt der Autor an vielen Beispielen, dass ein englischer Ausdruck für den Zustand gelinden Wahnsinns das Wort "lunatic" ist. Das Mondlicht versetze uns in eine Verfasstheit, die wir - wie der Hund, der Spanley war - als bedrohlich wahrnehmen oder als beglückend, in der wir jedenfalls nicht mehr Herr unserer Sinne sind, so die Annahme der Autoren, und wenn einer, wie Ariosts rasender Roland, dann wirklich dauerhaft seinen Verstand verloren hat, eben "rast", dann machen sich seine Freunde auf die Suche danach und finden ihn erwartungsgemäß auf dem Mond, geborgen in einem Krug.

Zu trauen ist dem Gestirn nicht: "Der Mondschein ist romantisch-idyllisch, doch gleich hinter seinem Schleierglanz beginnt die Unheimlichkeit und die Bedrohung", schreibt Kalka. Am verbreitetsten ist der Glaube an die verwandelnde Kraft des Gestirns im Komplex des Werwolfmythos, denn wer mit der Anlage zur Verwandlung in einen Wolf geschlagen ist, hat darüber in der Regel keine Kontrolle: Scheint der Vollmond, muss er sich vor dem Licht verstecken, um Mensch zu bleiben, so wie umgekehrt Vampire die Sonne fürchten. Auch zahlreiche andere Zauber gelingen nur unter dem Einfluss des Mondlichts, das außerdem den Haar- und Pflanzenwuchs ebenso beeinflusst wie es den richtigen Moment der Ernte bestimmt - in Wilhelm Hauffs Märchen "Zwerg Nase" blüht etwa das für die rettende Pastete benötigte Kräutlein Niesmitlust nur in Vollmondnächten, und auch die Rückverwandlung des verzauberten Knaben lässt sich nur mit dieser Pflanze im Blütenstand bewerkstelligen.

Fragt man umgekehrt nach dem Einfluss, den der Mensch auf den Mond ausübt, dann ist da neben der tatsächlichen Raumfahrt, neben dem Einschlag der sowjetischen Sonde Lunik 2 auf dem Mond am 13. September 1959 und der Mondlandung der Apollo-11-Mission am 21. Juli 1969, die literarisch imaginierte Reise zum Mond, die bis in Texte der Antike zurückreicht. Die Hilfsmittel dafür sind Pferdewagen oder einzelne Reitpferde, es können Vögel sein, an deren Schwanzfedern sich der Reisende klammert, im Märchen klettert man gern an rankenden Pflanzen hinauf oder wirft ein Lasso, das sich in der Sichel des Monds verfängt.

Was die Reisenden vorfinden, ist anfangs vor allem eine spiegelbildliche, eine verkehrte Welt oder jedenfalls eine, die allegorisch aufgefasst und immer auf die irdische bezogen ist. Doch Kalka weist noch auf ein anderes Element literarischer Mondbeschreibung hin, das umso häufiger auftritt, je genauer die astronomischen Beobachtungsinstrumente werden: Die lunare Welt trägt kalte, schroffe Züge, sie ist lebensfeindlich und alles andere als von jenem sanften Zauber, der in den Beschreibungen irdischer Mondnächte zu spüren ist. Der Exponent dieser gefährlich schroffen Welt ist der Mann im Mond, der einst zur Strafe für einen Holzfrevel dorthin verbannt worden ist und sein Beil immer noch bei sich trägt.

Das Gestirn jedenfalls wird erobert, physisch wie in den technisch ausgefeilt dargestellten Reisen von Jules Vernes Barbicane (der den Mond verfehlt) und Hergés Tintin (der tatsächlich landet) oder in der Deutung durch die Erdbewohner wie in Morgensterns Gedicht "Der Mond": Dass er abnehmend an ein "a" in deutscher Schreibschrift erinnere, zunehmend die Rundung eines "z" derselben Schrift erkennen lasse, sei kein Zufall, sondern das Ergebnis eines göttlichen Befehls: "Befolgend dies ward der Trabant / ein völlig deutscher Gegenstand."

Bilder nutzen sich ab, selbst der unermüdliche Mondmetaphernerfinder Arno Schmidt wiederholt sich. Das eigentliche Wunder dieses reichen, schmalen Bandes ist aber, dass man, bei allen erwartbaren Stereotypen, so viele unerwartete Perlen findet, dass man an ein Ende dieser literarischen Mondreisen seit den ersten Schritten auf dem Gestirn nicht recht glauben mag.

TILMAN SPRECKELSEN

Joachim Kalka: "Der Mond"

Berenberg Verlag, Berlin 2016. 104 S., geb., 20,- [Euro].

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