• Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

Shakespeare war nicht der Mann, für den wir ihn lange Zeit hielten. Kurt Kreilers aufsehenerregende Biographie über den Earl of Oxford, der am Hof von Queen Elizabeth I. ein- und ausging, ist die erste, die mit dem langlebigen Mythos "Shakespeare" aufräumt und zeigt, wer der eigentliche Verfasser der weltberühmten Dramen ist.

Produktbeschreibung
Shakespeare war nicht der Mann, für den wir ihn lange Zeit hielten. Kurt Kreilers aufsehenerregende Biographie über den Earl of Oxford, der am Hof von Queen Elizabeth I. ein- und ausging, ist die erste, die mit dem langlebigen Mythos "Shakespeare" aufräumt und zeigt, wer der eigentliche Verfasser der weltberühmten Dramen ist.
Autorenporträt
Kreiler, KurtKurt Kreiler, geboren 1950 in München, promovierter Germanist, lebt als Essayist, Herausgeber, Hörspielautor und Übersetzer in Köln.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.01.2010

Wer schrieb die Dramen William Shakespeares?
Neues von der Opposition gegen Stratford: Kurt Kreilers Biographie des elisabethanischen Aristokraten Edward de Vere, Earl of Oxford
Der schlichte Titel, mit dem ein Buch über den hierzulande eher unbekannten „Edward de Vere, Earl of Oxford” angekündigt wird, enthält die für eine breitere Öffentlichkeit noch immer provozierende Feststellung, der als der Größte unter den Großen gerühmte Dichter-Dramatiker William Shakespeare sei eine „Erfindung”, hinter der sich ein anderer Autor verberge: eben jener 17. Graf von Oxford. Erbittert reagiert seit je das inzwischen dreihundertfünzigjährige Lager der Stratfordianer mit seinem millionenschweren Ikonenkult auf diese und andere seit etwa 150 Jahren nicht verstummende Verdächtigungen: Das kann und darf nicht wahr sein.
Unverborgen hingegen ist der Autor dieser bemerkenswerten Biographie: Kurt Kreiler, „promovierter Germanist, Essayist, Herausgeber, Hörspielautor und Übersetzer in Köln”, der sich seit Jahren für die Anerkennung de Veres als Schöpfer der Werke Shakespeares einsetzt und nun die Summe seiner Recherchen über das Leben dieses ungewöhnlichen englischen Adeligen präsentiert. Es geht also, um das sogleich deutlich zu sagen, um Edward de Vere (1550-1604) und nur nebenbei oder als basso continuo einer turbulenten Biographie im elisabethanischen England um das Werk Shakespeares – und so gut wie gar nicht um diesen selbst.
Wer war wie gebildet?
Dass es diesen William Shakespeare (in sehr unterschiedlichen Schreibweisen des Namens) aus Stratford-on-Avon gegeben hat, daran zweifelt niemand – Geburts- und Sterbeurkunden (1564-1616), geschäftliche Transaktionen von Land und Häusern, seine Präsenz im Londoner Theatermilieu, die Ehe mit einer etwas älteren Frau in Stratford, mit der er zwei überlebende Kinder hatte, das alles ist zweifelsfrei belegt. Aber dass der Sohn eines Handschuhmachers aus kleinen dörflichen Verhältnissen mit bescheidener Schulbildung bis zum zwölften Lebensjahr in London zu einem schon zu Lebzeiten vielgespielten und dann auch gedruckten Dichter und Dramatiker wurde, ohne dass die schreib- und klatschsüchtige zeitgenössische Gesellschaft mit ihren zahlreichen literarischen Zirkeln auf diesen Autor aufmerksam wurde, von dem es nicht ein authentisches schriftliches Zeugnis gibt, dessen Töchter Analphabeten waren und der als einzigen Wertgegenstand seiner Frau ein Bett testamentarisch hinterließ, ohne auch nur ein Wort zu verlieren über die Rechte an seinen bereits publizierten ersten Stücken oder die Bücher seiner Bibliothek, dessen Tod im Unterschied zu dem seiner zahlreichen Dichterkollegen auch nicht durch einen einzigen Nachruf gewürdigt wurde, so als hätte es ihn nie gegeben – das alles und viel mehr (bzw. viel mehr ist von diesem William Shakespeare gar nicht bekannt) macht die Zuschreibung der (mindestens) siebenunddreißig Stücke, der Sonette und Gedichte höchst problematisch.
Shakespeare, so haben die inzwischen computerisierten Forscher herausgefunden, verfügte mit 18 000 Worten über den größten Wortschatz aller Dichter und Schriftsteller der Geschichte, das Fünffache eines gebildeten Menschen von heute; der englischen Sprache vermachte er rund 1500 neue Worte und Wortverbindungen, in seinen Werken werden mehr als 200 klassische und post-klassische Schriftsteller zitiert oder paraphrasiert, und was der linguistischen Superlative noch sein mögen.
Kein Wunder, dass sich an einem gewissen Punkte Zweifel an der Autorschaft des Mannes aus Stratford einstellten. Dieser „Punkt” kam Ende des 19. Jahrhunderts, prominent ausgelöst von Mark Twain, der die Shakespearekenner fragte, ob eine solche literarische Großleistung von einem Kleinstadt-Lateinschulabsolventen erbracht werden konnte, der noch dazu Norditalien und Frankreich bereist, eine außergewöhnliche historisch-politisch-philosophisch-literarische Bildung genossen haben und sich in der englischen Aristokratie und am Hofe bestens ausgekannt haben musste.
Wie ist es zu erklären, dass ein erster neugieriger Biograph wenige Jahrzehnte nach Shakespeares Tod systematisch Stratford und Umgebung nach literarischen Spuren und mündlichen Zeugnissen durchsuchte, ohne auch nur den geringsten Erfolg zu haben? Konnte, ja musste nicht jemand anderes Shakespeares Werke geschrieben haben? So wurden im Laufe der nächsten Jahrzehnte mindestens ein knappes Dutzend Kandidaten ausfindig gemacht, deren jeder es hätte sein können – und dem dann doch mindestens ein entscheidendes Element fehlte.
Da war etwa ein gewisser Earl of Rutford: Einer der vielen Stratford-Kritiker hatte ihn entdeckt und war auf seinen Spuren nach Italien gereist, wo er den Earl nicht nur als 1596 eingeschriebenen Studenten der Universität Padua entdeckte, sondern auch noch zwei dänische Kommilitonen dazu mit den Namen Rosencrantz und Guildenstern! Der Dichter des „Hamlet” war gefunden. Nur hatte die erstaunliche Entdeckung einen Haken: Dieser Rutland/Shakespeare musste dann Shakespeares Werke schon im spätkindlichen Alter von 15 Jahren zu schreiben und zu publizieren begonnen haben.
Bald geriet auch Edward de Vere ins Fadenkreuz der Biographie-Detektive. Entscheidend wurde eine Untersuchung von 1923, die Sigmund Freud, einen intensiven Shakespeare-Leser so überzeugte, dass er sich noch kurz vor seinem Tod in London zum großen Ärger der Stratfordianer öffentlich als „Oxfordianer” bekannte. Von jetzt ab war es nicht mehr völlig illegitim, die Autorenfrage wenigstens zu stellen. Aber obwohl Edward de Vere der stärkste Kandidat geblieben ist, hat er nur wenige Konkurrenten aus dem Rennen geworfen – die Suche geht ununterbrochen weiter.
Noch vor wenigen Jahren wurde die vorläufig letzte „Demaskierung” des wahren Shakespeare in einer allem Anschein nach sorgfältigen Untersuchung vorgestellt (Brenda James and William D. Rubinstein: The Truth Will Out. Unmasking the real Shakespeare; Harlow, UK, 2005), und zwar von keinem Geringeren als dem künstlerischen Leiter des rekonstruierten Globe-Theaters, Mark Rylance, in der Person eines bis dahin nicht einmal als Fußnote erwähnten Sir Henry Neville. Zwar wurde der neue Thronanwärter von den Advokaten aller anderen Bewerber sofort vernichtend kritisiert, konnte sich aber dennoch bisher durchaus behaupten.
Zwischen Gauklern und Narren
Unserem deutschen de-Vere-Parteigänger ist er allerdings nicht einmal eine Fußnote wert: Für Kreiler ist die Sache längst entschieden. Er sieht den Zweck seiner Arbeit vor allem darin, dem Menschen de Vere ein literarisch-historisches Gesicht zu geben und herauszuarbeiten, was seinen Protagonisten veranlasste, sich jenes wenig auffälligen, aber als Theatermann legitimierten Shakespeares zu bedienen, um seine dramatischen Meisterwerke (die er möglicherweise nicht einmal als solche selbst erkannt hatte) aufzuführen und später auch drucken zu lassen. Diese selbstgestellte Aufgabe ist Kreiler eindrucksvoll, auch literarisch anspruchsvoll gelungen, nicht zuletzt deshalb, weil er sich auf die ebenso faszinierende wie frustrierende Autorenfrage gar nicht erst einlässt: De Vere ist für ihn der Autor, der „Shakespeare” hinter Shakespeare. Wer aber war dieser 17. Graf von Oxford?
Zur Antwort auf diese Frage wird nicht die Philologie, sondern die Geschichtswissenschaft und historische Genealogie bemüht. Das Buch quillt geradezu über von Namen und Titeln der englischen Adelsgesellschaft der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ihrer Verschwägerungen und Verschwisterungen, intimen Feindschaften und Kämpfe um Einfluss am Hofe. Nach einiger Lektüre ermüdet die Aufmerksamkeit, dem Leser schwirrt der Kopf und er verliert die Übersicht. Klarer wird das Bild erst, wenn der Historiker Kreiler dem Genealogen das Heft aus der Hand nimmt und die politisch-dynastischen Beziehungen und Konflikte zu entwirren versucht.
Überaus spannend ist Kreilers Lektüre des „Hamlet” als Schlüsseldrama zum Verständnis der Rolle des Theaters am elisabethanischen Hof, in dessen Titelfigur sich de Vere selbst mit abbildet . Der konnte und wollte sich nicht zu erkennen geben: Ein Mann in so hoher und darum verwundbarer Position konnte sich nicht als Autor gemein machen mit der Welt der Gaukler, Clowns und Schauspieler, so gern sich der Hof ihrer zur Unterhaltung und Belustigung auch bediente.
Der Truppe der „King’s Men” wiederum war es egal, woher ihr Impresario William Shakespeare seine Texte bezog – Hauptsache sie spielten sich gut und erfolgreich. Die literarischen Zeitgenossen respektierten den Wunsch des exzentrischen Adeligen nach Anonymität, und der Hof war’s zufrieden, wenn die Truppe auf hohem Niveau gut unterhielt. Erst spät, allerdings noch zu Shakespeares Lebzeiten, gelangten unter dessen Namen einige der populären Dramen in den Druck.
Kreiler muss eine Erklärung dafür finden, dass nahezu die Hälfte der Dramen Shakespeares erst lange nach de Veres Tod im Druck erschienen sind (und seine Antwort klingt plausibel), aber auch, warum aus der sonst so sorgfältig archivalisch organisierten Adelsgesellschaft kein de Vere’sches Manuskript erhalten blieb; seine Erklärung ist ein Schlossbrand, der 1647 die de-Vere-Bibliothek vernichtete, „den Rest der Vergessensarbeit besorgte – im gleichen Jahrzehnt – das puritanische Theaterverbot”, das Shakespeare in der Figur des Malvolio in „Was ihr wollt” vorhergeahnt hatte.
Kurt Kreiler tritt nicht mit dem Anspruch der Demaskierung Shakespeares und Enthüllung seiner wahren Identität auf. Warum sollte er auch? Es macht die dauerhafte Faszination dieses einmaligen Dichters aus, dass er sich jeder Enträtselung entzieht. Mark Rylance hat dieses Sich-Entziehen auf den Punkt gebracht: Alle großen Shakespeare-Figuren – Imogen, Rosalind, Celia, Julia, Portia, Hamlet, Kent zum Schutze von Lear – „verstecken sich, um sich und andere zu schützen oder um die Menschen besser kennenzulernen . . . Shakespeare ist ein Meister des Verbergens und Enthüllens.”
Darum wird das produktive Rätsel Shakespeare weiterleben und jede Enthüllung des „wirklichen” Shakespeare, selbst wenn es den letzten Beweis für de Vere oder auch Sir Neville geben sollte, als Shakespeare überleben. EKKEHART KRIPPENDORFF
KURT KREILER: Der Mann, der Shakespeare erfand. Edward de Vere Earl of Oxford. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 595 Seiten, 29,80 Euro.
Unzweifelhaft ist der Herr zur Linken Edward de Vere, 17. Earl of Oxford; ob hingegen das vom Shakespeare Birthplace Trust im März 2009 in London präsentierte Porträt zur Rechten William Shakespeare zeigt, darf bezweifelt werden. Fotos: Ullstein Bild / Granger Collection (links), Getty Images (rechts)
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2010

Wer bin ich - und wenn ja, wie viele nicht?

Mit Sherlock Holmes auf Shakespeares Spuren: Kurt Kreiler sucht nach der angeblich wahren Identität des großen Dramatikers und vermischt munter Detektivarbeit und Klatschgeschichten, Verschwörungstheorien und Räuberpistölchen.

Mit William Shakespeare verhält es sich genau konträr zu Sherlock Holmes. Der Meisterdetektiv passt derart gut in seine Welt spätviktorianischer Kultur, leicht dekadent, feinsinnig, genialisch und dennoch dem Empirischen knallharter Fakten zugetan, dass er einfach keine ausgedachte Kunstfigur, Produkt eines bezahlten Schreiberlings, sein darf. Seit Anbeginn seiner Ermittlungsarbeit pilgern daher Leser und Verehrer scharenweise in die Baker Street, um Spuren seiner wahren Existenz zu sichten, und werden nicht enttäuscht: Lupe, Geige, Büchersammlung, Teeservice und weitere vertraute Gegenstände bezeugen dort die Tätigkeit des Meisters genau so, wie wir sie aus den treuen Niederschriften Doktor Watsons kennen. Gewiss werden in zweihundert Jahren allerhand Spürnasen die Fährte aufnehmen und nachweisen, dass ein gewisser Arthur Conan Doyle sich gänzlich unverdient als literarischer Verfasser aufzuspielen suchte - wohl nur, um sich etwas vom Ruhm zu borgen.

Shakespeare hingegen passt vielen Verehrern einfach nicht: Zu wenig kunstsinnig und kultiviert und vor allem viel zu provinziell erscheint ihnen der brave Handschuhmachersohn aus Stratford. Nach allem, was das umfängliche Werk erzählt, muss es sich bei dessen Autor, so geht seit 1856 die Kunde, gewiss um einen anderen gehandelt haben. Zwar hat es ganze 240 Jahre gedauert, bis dieser Verdacht ruchbar wurde, dafür ist immerhin die Zahl der Kandidaten, die man hinter ihm als Pseudonym vermutet hat, derart bemerkenswert gewachsen, dass jeder sich den passenden ganz nach Bedarf aussuchen kann.

Delia Bacon, die einst die Schnitzeljagd eröffnete, wählte ihren Namensvetter Francis Bacon, den englischen Staatsmann und Philosophen, von dem sie abzustammen glaubte. Dagegen wird Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, seit 1920 im Spiel und derzeit wieder hoch im Kurs, von einer umtriebigen Schar getreuer Anhänger favorisiert, zu deren Sprachrohr sich vor zwei Jahrzehnten der Earl of Burford, selbst ein aktueller Spross des Hauses de Vere, aufgeschwungen hat. Zu den prominentesten Anhängern dieser These gehören nicht nur große Sherlock-Holmes-Adepten wie beispielsweise Sigmund Freud, sondern auch namhafte Shakespeare-Darsteller wie John Gielgud, Derek Jacobi oder Mark Rylance, bis vor drei Jahren Gründungsintendant von Shakespeare's Globe in London.

Mittlerweile ist die gut organisierte Oxford-Bewegung zwar mit eigenen Kongressen und Journalen in eine Phase der Normalbetriebsamkeit gelangt, in der sie sich in Mimikry zur akademisch etablierten Philologie üben muss, welche sie ansonsten streng verachtet und nach Kräften schmäht. Die eigentlich bewegte Zeit ihrer Verfasserschaftsrecherchen waren aber jene großen Jahre eines Sherlock Holmes, als kriminalistische Buchstabenermittler darangingen, allerhand Akrostichen und Anagramme aus diversen Shakespeare-Texten rauszufiltern und durch ingeniöse Strategien geheime Hinweise auf ihren wahren Urheber zu dechiffrieren. Der Kernbestand an spurenfähigem Material, das zur Autorenüberführung taugt, ist jedenfalls seit jener Zeit nicht wesentlich gewachsen und wird nur immer weiter ausgebreitet oder vehementer gegen Abweichler verteidigt. Darin mag wohl auch der Publizist und preisgekrönte Hörfunkautor Kurt Kreiler, der jetzt seine Version der Geschichte in schöner Aufmachung und mit viel Umschweif darbietet, das Hauptanliegen sehen.

So erschien beispielsweise im Jahr 2006 bei Liverpool University Press eine seriöse De-Vere-Biographie, die Oxfordianer nicht nur deshalb sehr erboste, weil die Shakespeare-Frage darin kaum einmal gestellt wird. Vielmehr wies ihr Autor, Alan Nelson, auf den schlichten Umstand hin, dass sämtliche poetischen Hinterlassenschaften, die von de Vere bekannt sind, doch sehr bescheiden und alles andere als genieverdächtig sind. Sollte der gute Graf also - ein ausschweifender Lebemann, den Frauen wie dem Kriegshandwerk von Herzen zugetan - seine mittelprächtigen bis schwachen Verse unter eigenem Namen, seine Meisterwerke aber, die uns heute noch bewegen, unter Pseudonym veröffentlicht haben? Das einzige Argument, warum überhaupt der ganze Aufwand einer vorgetäuschten Autorschaft zu treiben sei, ist seit 150 Jahren stets dasselbe: Ein Mann von Stand, der etwas auf sich halte, dürfe im sechzehnten Jahrhundert nicht als Autor populärer Unterhaltungsstücke gelten. Umgekehrt traut man dem Bürgersohn aus Stratford so viel Kunst und Kraft, so viel Weisheit und Lektüre, so viel Einsicht in die Hof- und Adelswelt, wie sie aus Shakespeares Stücken sprechen, nun einmal nicht zu. So muss der eine für den anderen herhalten. Was aber sind die Textbelege, die dafür zu finden sind?

Zum Beispiel dies: "Hey ho hollydaye", "hey ho the high hill", "hey ho Bonibell". Achtzehn solcher "hey ho's" finden sich in der August-Ekloge aus Edmund Spensers Pastoralzyklus "The Shepheardes Calender", der 1579 im Druck erschien und mit derlei Kennzeichen, wie Kreiler zu bedenken gibt, "in neckischer Weise den Tonfall des Narrenlieds" nachahmt, mit dem Shakespeares "Sommernachtstraum" endet: "with hey, ho, the wind and the rains". Spenser folge also Shakespeares Vorbild. Der Punkt ist entscheidend. Üblicherweise wird dieses Stück nämlich auf Mitte der 1590er Jahre datiert. Da Edward de Vere allerdings vierzehn Jahre älter als William Shakespeare war und 1604 zwölf Jahre vor ihm starb, steht und fällt die ganze Autortheorie damit, dass sämtliche Werke zehn bis zwanzig Jahre rückdatiert werden, um wenigstens notdürftig zur Lebenszeit des Earl zu passen.

Von dieser Art ist die Beweisführung. "Bekanntlich strahlten - oder stachen - Elizabeths Augen wie die Sonne", erfahren wir an anderer Stelle. Wenn daher in "Verlorene Liebesmüh" von strahlenden Sonnenaugen die Rede ist, erkennt Kreiler hier den untrüglichen Hinweis auf die Königin und liest das ganze Stück als Offenbarungstext biographischer Entschlüsselung. Von literarischer Topik oder einem Repertoire konventioneller Formulierungen, die alle Dichtung weniger individualisiert erscheinen lassen, als wir sie in postrhetorischer Ästhetik lesen mögen, darf solche Autorfahndung keine Kenntnis nehmen. Zum zentralen Auskunftstext, der auf diese Weise ohne Rücksicht auf sein theatrales Rollenspiel zur Auswertung gelangt, werden wieder einmal die Sonette, die schon den Romantikern als Schlüssel zu des Barden Seele galten. Mit dem Earl of Oxford als Verfasser richtet die erotische Beziehung zu dem schönen Jüngling, die darin zum Ausdruck kommt, sich gar auf dessen eigenen Schwiegersohn - eine recht pikante Spielart der notorischen Verwicklungen, von denen sie zu künden scheinen.

Wie alle Oxfordianer muss Kreiler sein Hauptaugenmerk auf das Frühwerk legen und hiervon wiederum auf solche Stücke, die mit Figuren aus der höfischen Welt spielen, in der ein Graf sich auszukennen hat. Sämtliche Shakespeare-Dramen, die nachweislich nach 1604 entstanden sind, darunter immerhin so gewichtige wie "Der Sturm", müssen ebenso notgedrungen aus de Veres Schaffen ausgesondert werden wie alle, die sich intensiv mit plebejischen oder volkstümlich-märchenhaften Welten einlassen, weil sie zum Dünkel des Aristokratischen nun einmal nicht passen. Die Argumentation ist stets dieselbe: Die wahre Kunst, die unter Shakespeares Namen firmiert, wird derart hochgejubelt und in den Olymp gelobt, dass nur ein Mann von höchstem Stand als deren Schöpfer zugelassen werden kann. Was nicht in dieses Muster passt wie beispielsweise die späte Romanze "Pericles", ist dann "ein reichlich dummes und fades Stück", das weiter nicht zu interessieren braucht.

Dabei verfährt Kreiler nach dem bewährten Muster von Verschwörungstheorien: Wenn es Indizien für seine Hypothese gibt, sind es Indizien; wenn es aber keine gibt, sind es Beweise, denn Verschweigen deutet auf Verschwörung. Der Rest ist Geniekult. "Wir ahnen", heißt es dazu in bezeichnender Wortwahl, "dass dieses Werk nach Inhalt und Umfang nicht auf der Basis eines lebenslangen Dienstverhältnisses entstand, sondern auf der Grundlage geistiger und ökonomischer Selbstbestimmung." Mit solchen Glaubenssätzen weist die Oxford-Theorie sich hier erneut als späte Erbin romantischer Genie-Ästhetik aus, deren Vorstellung von künstlerischer Produktion einen entsprechend ausgewiesenen Produzenten fordert. Das ist sicher auch der Grund, warum gerade prominente Schauspieler, die an solchem Charisma berufshalber partizipieren müssen, sich zu ihren Anhängern erklären.

Ansonsten ist die vielbeschworene Faktenbasis, der Kreiler sich verpflichtet sieht, auch nach der Lektüre seines dicken Bandes weiterhin sehr dünn. In einer derart klatschsüchtigen Gesellschaft wie der elisabethanischen, die sich aufs Dokumentieren und Archivieren gut verstand und Geheimnisse oder Komplotte nur schmiedete, um sie bei passender Gelegenheit vorteilhaft aufdecken zu können, ist es schlechterdings undenkbar, dass ein so weitreichendes System der Täuschung und Verstellung, wie es die Oxford-Theorie verlangt, je dauerhaft funktioniert hätte, geschweige denn noch Hunderte von Jahren standhielte. Wer an dieser Gesellschaft interessiert ist und ein farbiges Kaleidoskop ihrer hochgestellten Lebenswelten sucht, der blättere in diesem Buch, das uns manch schöne Textbeispiele und amüsante Anekdoten präsentiert. Wer allerdings an spannender Ermittlungsarbeit sowie schlüssiger Beweisführung Interesse hat, der lese besser Sherlock Holmes. Und wer sich überhaupt für Shakespeare interessiert, der lese einfach weiter Shakespeare.

TOBIAS DÖRING

Kurt Kreiler: "Der Mann, der Shakespeare erfand". Edward de Vere, Earl of Oxford. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 600 S., geb., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Großen Eindruck hat Kurt Kreilers Biografie des elisabethanischen Aristokraten Edward de Vere, Earl of Oxford, bei Rezensent Ekkehart Krippendorff hinterlassen. Im Mittelpunkt sieht er nicht den seit 150 Jahren währenden Streit um die wahre Identität William Shakespeares. Im Gegenteil: Für den Autor ist längst entschieden, dass der Earl of Oxford der Schöpfer des Shakespeare'schen Werks ist. Kreiler gehe es vielmehr darum, dem Edward de Vere ein Gesicht zu geben und zu klären, was ihn dazu brachte, sich des unaufälligen Theatermanns Shakespeare zu bedienen, um seine Dramen aufzuführen und drucken zu lassen. Diese Aufgabe hat der Autor nach Ansicht Krippendorffs überzeugend gemeistert, seine Recherchen findet er rundum plausibel, die Biografie auch literarisch "anspruchsvoll".

© Perlentaucher Medien GmbH