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Wieder ist Atiq Rahimi ein Werk von großer poetischer Kraft gelungen, das »uns die Tränen in die Augen, das Mitleid ins Herz und das Begreifen der Grausamkeit des Krieges in die Köpfe schreibt.« (Elke Heidenreich). Eine zarte Liebesgeschichte und die beeindruckende Schilderung eines Frauenschicksals im Islam aus dem Blickwinkel eines Mannes.

Produktbeschreibung
Wieder ist Atiq Rahimi ein Werk von großer poetischer Kraft gelungen, das »uns die Tränen in die Augen, das Mitleid ins Herz und das Begreifen der Grausamkeit des Krieges in die Köpfe schreibt.« (Elke Heidenreich). Eine zarte Liebesgeschichte und die beeindruckende Schilderung eines Frauenschicksals im Islam aus dem Blickwinkel eines Mannes.

Autorenporträt
Rahimi, AtiqAtiq Rahimi, 1962 in Kabul geboren, studierte Literatur. 1984 floh er nach Frankreich, wo er u. a. als Dokumentarfilmer tätig ist. Sein vielbeachtetes Debüt Erde und Asche wurde 2004 verfilmt, sein dritter Roman Stein der Geduld wurde 2008 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet und stand in Frankreich monatelang auf der Bestsellerliste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2003

Gefangen in der Nacht
Ein Teppich aus Haß und Zorn: Atiq Rahimis neue Erzählung

Die Handlung, die dem Buch zugrunde liegt, ist für das, worum es eigentlich geht, so nebensächlich, daß man sich scheut, sie zu erzählen. Der Student Farhad wird im Kabul der späten siebziger Jahre von prosowjetischen Soldaten malträtiert und dann von einer jungen Frau namens Mahnas gesund gepflegt und versteckt, bis er nach Pakistan fliehen kann. Der Leser lauscht derweil dem inneren Monolog Farhads. Nie erfährt er mehr, als sich in dessen Bewußtsein spiegelt. Man kann nur vermuten, daß Farhad am Ende stirbt, wenn es heißt: "Ist es schon Nacht geworden? So rasch!"

Dieser Bewußtseinsstrom hat etwas Autistisches. Es schließt den Leser in den Kokon eines Erzählers ein, der kaum ein Wort mit seiner Umwelt wechselt. Man fühlt sich dabei fast wie im Kopf des taubstummen Knaben Yassin, dem man in Atiq Rahimis im letzten Jahr erschienener Erzählung "Erde und Asche" begegnen konnte. Yassin, der nicht versteht, daß ihm eine Granate das Gehör geraubt hat, fragt sich dort, "warum die Menschen unnötig ihre Münder bewegen", obwohl sie doch keinen Laut von sich geben. Auch Farhad bemüht sich verzweifelt, die Ereignisse und Gesten, die er wahrnimmt, zu deuten.

Zwar kann er hören und sprechen, wenn es der Anlaß erfordert, aber was mit ihm geschieht, versteht er nicht. Als er im Haus von Mahnas erwacht, findet er sich nicht mehr zurecht. Die Welt, die er kennt, ist beschränkt. Es gibt die Mutter, sie ist der ihm wichtigste Mensch, und zwei Geschwister sowie den Freund Enayat, der nach Pakistan fliehen will. An seinem letzten Abend in Kabul betrinken sich die beiden, und am Ende wird Farhad, weil er die Sperrstunde mißachtet, aufgegriffen und von den Soldaten mißhandelt. Farhads Vater ist mit seiner zweiten, viel jüngeren Frau nach Pakistan abgehauen. In dieses engumgrenzte Leben tritt nun Mahnas, der immer eine Haarlocke ins Gesicht fällt. Farhad verliebt sich in sie.

Das erste, überraschende Wort, das ihm entgegenschallt, als er im Haus von Mahnas unter Schmerzen erwacht, ist "Vater". Yahya, Mahnas' kleiner Sohn, dessen Vater vor Jahr und Tag verschleppt wurde, reklamiert den Verletzten kurzerhand als Ersatzpapa: "Jedesmal bist du wieder weggegangen, bevor ich aufgewacht bin. Also habe ich Mama geschworen, daß ich dich eines Nachts, wenn du mir wieder begegnest, fangen und dich nicht mehr gehen lassen würde." Farhad versucht, sich mit Hilfe der Erzählungen des Großvaters aus den islamischen Totenbüchern und mit Zauberformeln zur Abwehr der Djinnen in dieser neuen Welt zurechtzufinden. Als ihm jedoch klar wird, daß er nicht im Jenseits gelandet ist, möchte er vor allen Dingen zu seiner Mutter, um sie zu beruhigen und ihr zu sagen, daß er noch lebt. Weil er von den Soldaten gesucht wird - warum, verschweigt uns der Autor -, überbringt Mahnas der Mutter die gute Nachricht. Und die Mutter sorgt dann dafür, daß der Sohn von einem Schlepper zur pakistanischen Grenze gebracht wird, wo er nach einer Nacht in einer ominösen Moschee der Willkür einiger Mudschahedin zum Opfer fällt. So jedenfalls scheint es.

Die Konstruktion der Erzählung (von einem "Roman" kann keine Rede sein), auch wenn man sie nur verschleiert wahrnimmt, erscheint ein wenig gezwungen. Doch man kann diesen Mangel vernachlässigen, weil es nicht darum geht, eine schlüssige Geschichte zu entwickeln, sondern Erzählanlässe für Stimmungen und Gefühle zu schaffen, besonders für Trauer, Schrecken und Ratlosigkeit. Oder, so könnte man auch sagen, für die Unfähigkeit der einfachen Afghanen, das Unglück, das mit dem kommunistischen Putsch über sie hereinbrach, zu begreifen. Atiq Rahimi hat den maßlosen Ehrgeiz, das Unsagbare und Undarstellbare auszudrücken, das Leid an sich. Daher gerät er selbst oft an die Grenze zum Verstummen.

"Der Krieg und die Liebe" ist die radikale Durchführung einer Opferperspektive, ohne jeden Kommentar, ohne jede Beurteilung, ohne jeden höheren, erklärenden Standpunkt. Trotz der dem westlichen Leser womöglich sentimental anmutenden Gefühlswelt Farhads bekommt dieses neue Stück afghanischer Literatur mit zunehmender Lektüre eine fast unheimliche Intensität. Sätze und Bilder, auf den ersten Blick unscheinbar, beginnen zu leuchten. Besonders eindringlich ist etwa die Symbolkraft der Arabeske eines Teppichs, in deren Unendlichkeit sich der Blick Farhads stets aufs neue verliert und doch zugleich Halt findet: "Im Sonnenlicht erscheinen die schwarzen Linien des Teppichs noch schwärzer und sein roter Hintergrund noch röter. Zum ersten Mal erkenne ich, wieviel Haß und Zorn in Teppichen wie diesem verborgen sind! Als hätten die Hände, die ihn geknüpft haben, die roten Stränge ihres Zorns mit den schwarzen Strängen ihres Hasses verknüpft; Frauenhände, Kinderhände." Mit dieser Poesie, mit zahlreichen, im Anhang von der Übersetzerin sorgfältig erklärten Anspielungen auf den volkstümlichen Islam und mit manchen zunächst unscheinbaren, dann lange nachglühenden Szenen gelingt es Atiq Rahimi, wie hinter einem halb verklärenden, halb verschleiernden Gazetuch die Empfindungen eines einfachen, von den Ereignissen überrollten Afghanen nachfühlbar zu machen.

Atiq Rahimi: "Der Krieg und die Liebe". Roman. Aus dem afghanischen Persisch übersetzt von Susanne Baghestani. Claassen Verlag, München 2003. 171 Seiten, geb., 16,80 [Euro].

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