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In Indien begegnet der junge Ormus Cama der lebenshungrigen Vina, der großen Liebe seines Lebens. Doch schon nach der ersten Liebesnacht, auf die er vier Jahre gewartet hat, verschwindet Vina spurlos. Ormus läßt die Sehnsucht nach ihr in seine Musik fließen. Nach Jahren der Trennung findet er mit Vina schließlich die Stimme für seine Lieder, und die beiden Liebenden werden in Amerika Idole der Popmusik.

Produktbeschreibung
In Indien begegnet der junge Ormus Cama der lebenshungrigen Vina, der großen Liebe seines Lebens. Doch schon nach der ersten Liebesnacht, auf die er vier Jahre gewartet hat, verschwindet Vina spurlos. Ormus läßt die Sehnsucht nach ihr in seine Musik fließen. Nach Jahren der Trennung findet er mit Vina schließlich die Stimme für seine Lieder, und die beiden Liebenden werden in Amerika Idole der Popmusik.
Autorenporträt
Salman Rushdie, geboren 1947 in Bombay, studierte in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman 'Mitternachtskinder' wurde er weltberühmt. Seine Bücher erhielten renommierte internationale Auszeichnungen, u.a. den Booker Prize, und sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2008 schlug ihn die Queen zum Ritter. Salman Rushdie erhielt 2014 den Hans Christian Andersen Award und den PEN/Pinter Prize.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.1999

Taube Ohren
Salman Rushdies Weltpop-Roman · Von Lothar Müller

Der neue Roman von Salman Rushdie beginnt mit einem Erdbeben in Mexiko am 14. Februar, dem Valentinstag des Jahres 1989. An diesem Tag hatte der Ayatollah Chomeini die Fatwa mit der Todesandrohung gegen den Autor des Romans "Die Satanischen Verse" ausgesprochen. Inzwischen hat sich die iranische Regierung von diesem Mordaufruf distanziert, Rushdie ist aus seinen Verstecken in die Öffentlichkeit zurückgekehrt. Man merkt dem Roman die Lust an, mit der sein Autor die große Bühne wieder betritt. Und man merkt ihm an, daß er als Weltbestseller kalkuliert ist. Sein Stoff ist die Rockmusik seit den fünfziger Jahren und seine Grundidee die, daß in der Geschichte von Rock und Pop erstmalig die moderne, supranationale Weltkultur Gestalt annimmt, der gegenüber alle regionalen Traditionen sich künftig zu bewähren haben.

Rushdie stimmt die Internationale des Rock und Pop als Siegeshymne der profanen Welt an. Triumphierend legt er die Hits auf, die den religiösen Fundamentalisten in West und Ost zuwider sind. Er summt die Melodie von Satisfaction und Subversion und bastelt sich einen überdimensionalen Starschnitt zusammen. Von Kapitel zu Kapitel wächst das Poster einer imaginären Band namens "VTO". Der aus Bombay stammende Gitarrist und Komponist Ormus Cama träumt von einem totgeborenen Zwilling wie Elvis, hat die Songs von Dylan, der Beatles und Stones lange vor ihrem Erscheinen im Blut und stirbt wie John Lennon durch ein Attentat. Seine Partnerin, die Sängerin Vina Apsara, ist eine Collage aus Janis Joplin, Tina Turner und Madonna. In Amerika als Tochter einer Griechin und eines Inders geboren, gerät sie nach Bombay, hat dort ihre Schicksalsbegegnung mit Ormus und wird nach ihrem Tod Gegenstand eines weltweiten Trauerkultes wie Lady Diana.

Ein Weltbestseller, mag Rushdie gedacht haben, kann nicht nur an Popfreaks adressiert sein. Er muß mit den Grenzen zwischen den Kulturen auch die zwischen populärer Kultur und Hochkultur überwinden. Denn er konkurriert mit alteuropäisch-bildungsgesättigten Rivalen, wie Umberto Eco sie schreibt. Wie dieser die Mönche und Gelehrten des Mittelalters popularisierte, so klebt Rushdie umgekehrt seinen Breitwandstarschnitt auf ein Gerüst aus Gelehrsamkeit und erlesenen Anspielungen von Marsilio Ficino bis zu Musil, Joyce und Kafka. Das Motto des Romans entstammt Rilkes Sonetten an Orpheus, die Handlung ist dem Mythos von Orpheus und Eurydike nachgebildet.

Das Spiel mit der Mythologie gehört zu den Markenzeichen Rushdies. Hier hat es einen doppelten Sinn. Es setzt, mit gewohnt salopper Geste, die Bibliothek der polytheistischen Mythen gegen die Ansprüche der monotheistischen Religionen, gegen Judentum, Christentum und Islam: "Das sind Religionen für die Titelseiten, für CNN, aber nicht für mich." Und es schlägt die Brücke zwischen dem indischen Orpheus und dem Westen, der Stammheimat der Rockmusik.

Die anglophile Vätergeneration, allen voran Darius Cama, der Vater des kommenden Weltstars, wandelt auf den Spuren der vergleichenden Mythologie. Sie ist besessen von den Verbindungen zwischen griechischen, arischen und indischen Göttern, von den genealogischen Bindegliedern zwischen den Kulturen des Westens und Ostens. Die Kultband "VTO" schmilzt dieses Erbe mit musikalischen Mitteln in ihre Erfolgsstory ein, und damit dem Leser die Überblendung von alten Göttern und jungen Rockstars nicht entgeht, ist eine Figur des Romans damit beauftragt, zwischen Bibliothek und Pop, Westen und Osten zu vermitteln.

Diese Figur ist der Erzähler des Romans, der aus Bombay stammende Fotograf Rai. Die "Desorientierung", der Verlust des Ostens, ist sein Thema. Er trägt Züge seines Autors und ist wie dieser nie um eine Geschichte verlegen. Rushdie hat ihm allzu viel aufgebürdet, darunter eine eigene Liebesgeschichte mit der Rockdiva. Er ist zunächst zuständig für die autobiographische Schicht des Romans, für den verklärenden Rückblick auf das Bombay der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre. Hier, in der Welt der "Mitternachtskinder", gelingen ihm die eindrücklichsten Szenen des Buches. Er ist zweitens Pressesprecher der Rock-Götter in der Hall of Fame. Er begleitet die Helden von Bombay über London bis nach Amerika und läßt keine Anekdote, kein Klischee und keinen Hit aus. Zur imaginären Kultband kommt das imaginäre Rocklexikon. Es erzählt von Londoner Piratensendern und Managern, von legendären Studioszenen, Skandalen und Drogenexzessen, vom polymorphen Sex und von einer Nymphomanin, in der sich alle Groupie-Energien verdichten. Der indische Rock-Orpheus überlebt seinen Unfalltod, aus dem Koma zurückgerufen durch die Stimme der neuen Eurydike.

Das Lexikon der Rockmusik ist mit dem mythologischen Lexikon durchschossen. Der Fotograf Rai, bei den Vätern in die Schule der komparativen Mythologie gegangen, erkennt in jedem Open-air-Konzert das Echo antiker Mysterien, in den orgiastischen Zuckungen der Rockfans die Wiederkehr des Bocksgesanges. Gern zupft er seinen Generalbaß, die ausgeleierte Polarität des Dionysischen und Apollinischen. Dieser Rai mag ein guter Fotograf sein, aber er ist leider auch ein Schwadroneur, der sich keinen Kommentar, keine Anekdote versagt. Der Ruhm seines Autors wird ihn davor bewahrt haben, sein Schwadronieren vor einem Lektor verantworten zu müssen.

Einmal zitiert der Erzähler den Vorwurf heimischer Zeitungen an Ormus Cama, "daß er seine Ursprünge verleugnet hat". Das ist eine Replik Rushdies auf indische Kritiker, die ihm seine Distanz zum Herkunftsland, seinen Aufstieg zum Weltstar verübelten. Sie sollen Figuren nationaler Verengung sein. Aber auch wer Rushdie den Kosmopolitismus gönnt, kann die erzählerischen Probleme nicht übersehen, die sich aus seinem nonchalanten Umgang mit Ursprüngen ergeben. "Genau wie England die englische Sprache nicht mehr ausschließlich für sich beanspruchen kann, so ist Amerika nicht mehr der einzige Eigentümer des Rock'n' Roll." Das ist, analog zur Formel "The Empire writes back", ein Kernsatz des Romans. Aber wo kommt die Musik her? Die Idee der in die Rockgeschichte retuschierten indisch-amerikanischen Mega-Band ist durch die Zwillingsmythologie, der zufolge Ormus und Elvis eins sind, nur halb gedeckt. Aufgehen kann sie nur, wenn sich dem Leser das Geheimnis dieser Musik erschließt oder er glauben kann, daß sie eines hat. Rushdie aber gibt nur die Hülle, ein Plattencover mit dem Ost-West-Logo. Zwar ironisiert er den Räucherstäbchen-Mystizismus der indienbegeisterten Hippies. Doch ist "VTO" ein "Orientexpreß", der dem krisengeschüttelten Amerika der siebziger Jahre zu geben vermag, was ihm fehlt. Diese "andere Seite" von Rock und Pop, "die unamerikanischen Klänge", die Ormus Cama seinen Tracks beimischt, enthalten folgende Bestandteile: "die Sexyneß der kubanischen Blechbläser, die faszinierenden Rhythmen der brasilianischen Trommeln, die chilenischen Holzbläser, die klagen wie der Sturm der Oppression, die afrikanischen Männerchöre, die sich wie Bäume im Wind der Freiheit wiegen, die großen alten Damen der algerischen Musik mit ihrem jammernden Krächzen und ihrem Wehklagen, die fromme Leidenschaft der pakistanischen "qawwals". Der indische Orpheus entpuppt sich als routinierter Barmixer, der einen im Trend liegenden Cocktail Allerweltsmusik anrührt, sein Prophet als Werbetexter, dem das ausgelaugte Adjektiv gut genug ist.

Passagen wie diese sind nicht nur Ausrutscher des Erzählers Rai. Zwar enthält der Roman einen Hymnus auf die Macht des Gesanges, auf die Magie der Stimme, aber sein Zentrum, an dem die Stimme der Rockmusik zu erklingen hätte, bleibt leer. Die sprachlose Begeisterung für Oldies kann es nicht füllen, auch nicht der Mix von Rocklexikon und Plattencover. "Es ist typisch für die Rockmusik, daß sie sonst eher vernünftige Menschen zu Exzessen hinreißt." Solche flachen Sätze gibt es zuhauf in diesem Buch. Statt der Musik literarisch Paroli zu bieten, gibt es sich mit einem Backstage-Panorama zufrieden. Wie den "unamerikanischen Klängen", die es auflistet, fehlt ihm der Ursprung im Blues. Es hat ihn auf dem Weg in die Hall of Fame, in die Breitwandprojektion verloren. Und mit dem Blues die Form der Ballade, von der dieser Roman Prägnanz hätte lernen können, ohne auf das Pathos der großen Liebesgeschichte verzichten zu müssen. Die ausgewalzte Bilderwelt des Erdbebens, der das Buch seinen Titelsong (Carol King: "I feel the earth move under my feet") und die metaphorische Einheit von Rockmusik und Erschütterung der Kultur verdankt, ist dafür kein Ersatz. Hinter der Bühnenshow versteckt sich eine dünne Musik. Denn der Roman tritt nicht selbstbewußt in einen Wettstreit mit Rock 'n' Roll und Pop, er himmelt beide nur an.

Salman Rushdie: "Der Boden unter ihren Füßen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Gisela Stege. Kindler Verlag, München 1999. 746 S., geb., 49,90 DM.

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