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Faszinierende menschliche Rätsel
Merkwürdige Geschichten erzählt Tabucchi in diesem Buch. Von Ettore, der als Nachtclubsängerin Josephine rauschende Erfolge feiert. Vom von Selbstzweifeln geplagten Dichter, der zum Ergötzen mancher Abendgesellschaften auswendig Scott Fitzgeralds Romananfänge deklamiert. Von der Mutter, die sich an ihren liebenswürdigen Sohn erinnert und doch am Schluss wie La Pasionaria bittere Tränen vergießt. Oder von der Portugiesin Maria do Carmo, die hinter dem Rücken ihres Mannes exilierten Literaten hilft. Der große Meister des literarischen Vexierspiels liebt das…mehr

Produktbeschreibung
Faszinierende menschliche Rätsel

Merkwürdige Geschichten erzählt Tabucchi in diesem Buch. Von Ettore, der als Nachtclubsängerin Josephine rauschende Erfolge feiert. Vom von Selbstzweifeln geplagten Dichter, der zum Ergötzen mancher Abendgesellschaften auswendig Scott Fitzgeralds Romananfänge deklamiert. Von der Mutter, die sich an ihren liebenswürdigen Sohn erinnert und doch am Schluss wie La Pasionaria bittere Tränen vergießt. Oder von der Portugiesin Maria do Carmo, die hinter dem Rücken ihres Mannes exilierten Literaten hilft. Der große Meister des literarischen Vexierspiels liebt das Geheimnisvolle, Hintergründige, Beiläufige. Souverän spielt er mit der Phantasie und reizt das Vorstellungsvermögen seiner Leser. In den vorliegenden Erzählungen gibt Tabucchi faszinierende menschliche Rätsel auf, deren Entschlüsselung er jedoch mit Raffinement dem Lesenden überlässt.

Geschichten von den unvorhersehbaren Zufällen des Lebens. Die in diesem Band versammelten elf Erzählungen zählen zu den schönsten Antonio Tabucchis, einem der wichtigsten Repräsentanten der italienischen Gegenwartsliteratur.

Inhalt:

Das Umkehrspiel

- Das Umkehrspiel

- Brief aus Casablanca

- Theater

- Samstagnachmittage

- Der kleine Gatsby

- Dolores Ibarruri vergießt bittere Tränen

- Himmlisches Paradies

- Stimmen

Weitere Erzählungen

- Die Cheshire-Katze

- Vagabundenleben

- Ein Tag in Olympia

- Sätze für A.T. Christoph Meckel

Autorenporträt
Antonio Tabucchi, am 23. September 1943 in Vecchiano bei Pisa geboren, verstorben am 25. März 2012 in Lissabon, promovierte an der Universität Pisa in moderner Literatur. Er war Ordinarius für portugiesische Sprache und Literatur an der Universität Genua sowie Leiter des italienischen Kulturinstituts in Lissabon. Lehrtätigkeiten an den Universitäten Pisa und Siena. Er schrieb Romane und Kurzgeschichten, Essays und Bühnenstücke. Sein Werk wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Premio Campiello, dem Premio P.E.N. Club, dem Prix Médicis Etranger und dem Österreichischen Staatspreis für Literatur. Tabucchi war Mitglied und Mitbegründer des International Parliament of Writers.

Karin Fleischanderl (geboren 1960) ist eine österreichische Übersetzerin und Publizistin. 2005 rief sie gemeinsam mit Gustav Ernst die Leondinger Akademie für Literatur ins Leben. Seit 2007 ist sie Lehrbeauftragte der Universität Klagenfurt, seit 2009 Jurorin für den Ingeborg-Bachmann-Preis. Gemeinsam mit Gustav Ernst begründete sie 2009 auch den Johann-Beer-Literaturpreis. Karin Fleischanderl lebt in Wien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.02.2000

Tastende Anfänge
Antonio Tabucchis „Das Umkehrspiel”
Diese frühen, zwischen 1978 und 1981 entstandenen Erzählungen (ergänzt um drei ein paar Jahre später geschriebene) zeigen, wie vorsichtig, bescheiden sich Antonio Tabucchi dem nähert, was später seine große Qualität ausmachen wird: der Herstellung einer dichten Erzählatmosphäre, der präzisen Schilderung von Figuren, dem Respekt gegenüber Stoffen, die er sich aneignen will. Ob er wiedergibt, was ihm (wie er behauptet) erzählt worden ist, ob er Situationen erfindet oder eigene Erinnerungen – etwa an jene unendlich lang erscheinenden Urlaubstage des Halbwüchsigen mit dem Ernst eines Autors ausbreitet, der noch nicht genau weiß, wohin das alles führen wird: Gemeinsam ist all diesen Texten das Tastende, das sich noch nicht zu einer entschiedenen Form verfestigt hat.
Tabucchi interessiert sich für nicht ganz geheure Figuren: eine Portugiesin, die (wahrscheinlich) im Widerstand gegen Salazar tätig war, einen jungen Dichter, der über die Jahrmärkte zieht, einen Fünfkämpfer (der uns schließlich als der junge Pindar vorgestellt wird), einen alten englischen Schauspieler, der sich nach Afrika zurückgezogen hat und jeden Donnerstag in seinem Cottage Shakespeare rezitiert: Es sind lauter Probestücke. Von vielen kann man annehmen, sie wären auch für mehr als eine kurze Erzählung tauglich, aber Tabucchi belässt es bei der Skizze.
Was ihm schon gelingt, ist die Erzeugung eines Erzählklimas, das auf die Figuren neugierig macht und die Darstellung von zielloser Trauer (kein Wunder, dass ihn die Saudade so fasziniert!), aber auch der Versuch, sich von Vorbildern abzustoßen: Von Joseph Conrad, Scott Fitzgerald, Natalia Ginzburg. Diese Erzählungen sind im Grunde Werkstattstücke. Dass der Hanser Verlag, der bereits zehn Bücher des Autors veröffentlichte, auch dieses Buch (das 1986 ohne die drei letzten Texte in einem kleinen deutschen Verlag erschienen war) wieder vorlegt, ist ein Akt der Höflichkeit: Man pflegt seine Autoren. Und wer Tabucchi schätzt, wird auch diese Anfänge spannend finden.
ROLAND H. WIEGENSTEIN
ANTONIO TABUCCHI: Das Umkehrspiel. Erzählungen. Aus dem Italienischen von Hanser Verlag, München 2000. 208 Seiten, 34 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2000

Sehschule
Antonio Tabucchis Umkehrspiele · Von Winfried Wehle

Als Maria do Carmo starb, war der, der sich "ich" nennt, gerade im Prado in Madrid und prägte sich "Las Meninas" von Velázquez ein. Ohne es schon zu begreifen, trat er dabei ihr Vermächtnis an. "Der Schlüssel für dieses Gemälde liegt in der Figur des Hintergrundes", hatte sie ihm gesagt. Dass das zugleich allgemein gelten sollte, begriff er erst später. Warum, darauf brachte ihn dann ihr Testament, ein Abschiedsbrief. Er enthielt nur ein einziges Wort, unklar, befremdlich: "sever". Er erinnerte sich: Maria liebte als Kind das Umkehrspiel. Wer als Erster ein Wort von hinten aussprechen konnte, hatte gewonnen. So begann "sever" sich mitzuteilen: "revés", spanisch: "Kehrseite"! Darauf also kam es an. Wieder angewandt auf "sever" ergibt dies: "ver/se"; erst so ist (spanisch) "etwas zu sehen", eben die andere Seite. Und jetzt erklärt sich auch die Figur von Velázquez im Hintergrund. Von ihr aus betrachtet ist das Bild ein Bild dafür, wie es betrachtet sein will. Wer es verstehen möchte, darf sich in den Augen Marias nicht beim Vordergründigen aufhalten. Er hat, wie die Figur im Hintergrund, zugleich die Gegenansicht einzunehmen. Sie wendet sich dem "anderen" Bild zu, das der Maler anlegt und den Blicken, die von außen kommen, entzogen ist. Und auch dies gibt Maria zu bedenken: Für diese Umkehrung der Blickrichtung - dazu braucht es den Maler, die Kunst. Sie lehrt diese verkehrte Sicht der Dinge, die wahre.

Maria war eine kluge Frau; so sinnreich, wie nur jemand sein kann, der sein Leben Antonio Tabucchi verdankt. Er ist ein Meister solch intermittierender Botschaften. Und die Geschichte, die er sich von Maria erzählt, gibt nicht nur dem Buch den Titel, in dem sie vorkommt. Sie ist zugleich auch die Figur des Hintergrundes für die elf sehr ungleichen Erzählungen, die scheinbar willkürlich Stimmen mischen, Orte, Kontinente wechseln; keine Zeit einhalten, Personen unsituiert lassen. Zwar spielt vieles aufeinander an, wie in einem Musiksatz. Motive, Sätze, Villen, Namen, Mittagsstunden, Bahnhöfe kehren, Reprisen und Modulationen gleich, wieder. Dennoch ziehen sich die Geschichten an, weil sie alle nach derselben Melodie erzählt sind. Ein Brief, ein Schlager, Fotos lassen die Wände der Gegenwart brüchig werden und Erinnerung oft unvermittelt eindringen. Doch der, welcher sie vorträgt, lässt sie, so unterschiedlich, wie sie sind, ins gleiche Dilemma geraten, so dass sie sich überblenden und zuletzt auf ihren Beweger, den Erzähler, verweisen. Er ist sie alle.

Aber es wäre nicht Tabucchi, würde er sich mit dieser Lesart schon zufrieden geben. Das Autobiographische daran scheint nur ein Lockmittel. Denn er tut alles, um Autobiographie gerade nicht aufkommen zu lassen. Was daran eigener Lebensinhalt sein mag - er ist ausgelagert, abgeführt in fremde Geschichten. Wenn trotzdem etwas auf ihn zeigt, dann der Blickwinkel, das Prisma, nach dem er alles bricht, was er durch die Sprache leitet. Sein Element ist die Perspektive. Er hat sich der Wahrheit verschrieben, dass alles eine Sache der Wahrnehmung ist. Und zieht, für sich, daraus die Konsequenz, dass nichts so genommen werden muss, wie es erscheint. Aus diesem Grund schreibt er Geschichten. Sie eröffnen Mal um Mal eine sprachliche Sehschule, wo Unterricht in Mehransichtigkeit erteilt wird. Im gegebenen Fall: eine Einführung in den Umkehrblick.

Portugal, in der ersten Geschichte, ist nicht so sehr das Land von Tabucchis Frau und Gegenstand des Professors für portugiesische Sprache und Literatur an der Universität Siena. Portugal ist eine Perspektive. Davon zeugt bereits "Wer war Fernando Pessoa" (deuscht 1992) oder "Lissabonner Requiem. Eine Halluzination" (deuscht 1994) oder "Die letzten drei Tage des Fernando Pessoa?" (deuscht 1998). Durch die Literatur dieses Landes, durch Maria hindurch identifiziert er eine Einstellung, die einen Sinn dafür hat, dass etwas hingebungsvoll unerfüllt, unerreichbar bleiben kann. In einer anderen Schlüsselgeschichte, "Samstagsnachmittage", breitet er, sehr berührend, eine Kindheitsszene aus. Mit einfachster Alltäglichkeit entsteht eine nervöse Untätigkeit bei Mutter, Sohn und Tochter. Kaum etwas geschieht und doch wächst das Gefühl, dass die Gegenwart der drei eigentlich eine bedrückende Abwesenheit sein muss. Gesagt wird nichts. Am Ende ist man irritiert; beginnt erneut zu lesen. Auf diesen zweiten Blick kommt es Tabucchi an. Im Grunde war bereits im ersten Statz alles gesagt. Aber das geht eigentlich erst rückblickend vom Ende her auf - "revés".

Ein anderer dieser Spiegelreflexe; sehr kurz, mit Herzklopfen und der Verwirrung, die nötig ist, um anderen Gedanken Einlass zu gewähren. Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter; eine Stimme - Erinnerungen an Jahre zuvor; eine Trennung. ,Er' fährt hin. Wie war sie jetzt? Und mit dem anfahrenden Zug setzten sich Vorstellungen, Bilder - Versionen in Gang. Als er am Bahnhof ankam, zögerte er mit dem Aussteigen. Der Zug fuhr wieder an; das Rendezvous war verfehlt. Später fragte er den Schaffner, wann einer zurückführe. Um dann wen noch zu treffen? Die Vergangenheit, die Erinnerung? Oder sich selbst, wie er dabei ist, sich von dem Abschied, der er in ihren Augen war, zu verabschieden, um sich, von ihr her, neu zu sehen? "Alles ist relativ", heißt es in der vorhergehenden Erzählung. Aber es ist hintersinnig gemeint. Beziehungen haben zwei Seiten; sie gehen nicht nur in die eine oder andere Richtung; recht bedacht eröffnen sie innere und äußere Passagen. Es ist nur eine Frage, wie man sie sieht.

Davon weiß Josephine ein "Lied" zu singen. Sie war schon als kleiner Junge zu italienischen Verwandten nach Argentinien geschickt worden, wer weiß wegen welchem sozialen Unfall. Fremdheit wurde sein zweites Leben. Später arbeitete er in einer Nachtbar. Als Carmen, die Sängerin, einen Schwächeanfall erlitt, nahm er, er wusste nicht wie, ihre Rolle an. In seine Lieder mischten sich immer mehr Schlager, die die Mutter früher gesungen oder geliebt hatte. Am Ende wurde er ganz die Lieder, die er/sie sang; der glücklichste Moment seines Lebens. Erst die fremde Welt des Cabarets hatte ihm erlaubt, sich so mit seiner Fremdheit zu bekleiden, dass er seine verschüttete Erinnerung sich zu Eigen machen konnte. Josephine hieß im Übrigen die Palme vor dem elterlichen Haus.

Spätestens hier wird klar, dass sich, für Tabucchi, etwas zum Lebenswerten nur wendet durch die Kunst. Sie ist das "Umkehrspiel" für Erwachsene schlechthin. "Alles auf der Welt ist Zufall", heißt es an einer Stelle. Vielleicht lassen sich seine Figuren deshalb so gerne von den luftigen Räumen der Erinnerung, der Klänge und Bilder einnehmen. Das ändert an ihrer Realität zwar nichts; wohl aber an ihrer Wahrnehmung. Kaum jemand, der nicht diesen Grenzübergang der Kunst benutzte; aber auch kaum eine Erzählung der Autors, die es nicht ihrerseits so machte.

Als ob er seine Ansichten in denen anderer Blickkünstler spiegeln wollte - Velázquez, Scott Fitzgerald, Dino Campana, Pindar. Für Tabucchi ist dies ebenso eine Lust wie Versuchung - aber auch das Risiko seiner literarischen Kaleidoskope. Gelegentlich scheint er unersättlich und öffnet in seinen Geschichten Perspektiven über Perspektiven. "Der kleine Gatsby" ist Schriftsteller und Wahlverwandter des "großen Gatsby" aus dem Roman von Scott Fitzgerald. Mit dessen Augen sieht er seine Welt, der Erzähler wiederum in ihm sich selbst, so wie er früher in sich befangen war. Nicht immer scheint gewiss, ob Tabucchi ganz Herr seiner Spiegelkabinette ist - oder sein will. Anfällig für Zerrbilder sind sie allemal. So in der letzten Geschichte "Ein Tag in Oplympia". Einer erzählt, wie Pinar träumend erlebt hat, was er in den "Olympischen Oden" niedergelegt hat; das Ganze überblendet mit Theokrit und gedacht als Umkehrspiel Tabucchis - nicht einfach, einen Ausgang zu finden. Es sei denn, der Autor wäre ein wenig zu viel der Versuchung erlegen, zu zeigen, was er kann. Seine Kunst bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Virtuosität und Manierismus, und in den späteren Werken noch mehr als in den früheren, wie im vorliegenden aus den achtziger Jahren oder etwa in "Piazza d'Italia".

Ihn deswegen zu einem Postmodernen zu machen, wäre gleichwohl grobschlächtig. Gewiss, er zitiert, knüpft an, übernimmt, nährt sich an Künsten aller Art und allerorts. Aber er hat eine Absicht, der alles einverleibt wird. Und sie ist es, die ihn als Modernen kenntlich macht. Obwohl er seine Spuren verwischt, wie es sich gehört, gibt es Sätze, die wie Brennpunkte die Perspektiven sammeln. Einer, dem das "Umkehrspiel" gewidmet scheint, lautet: "weit weg zu sein, auch von sich selbst". Nur dann - "revés" - wäre man sich nahe. Um die Geschichten, in die man verstrickt ist, von sich abzuhalten, braucht es andere, literarische, in denen man sich auflösen kann. Sie erklären nichts, "genauso wenig wie der Wind etwas erklärt". Aber sie drehen den Blick auf sich selbst in eine andere Richtung.

Antonio Tabucchi: "Das Umkehrspiel". Mit einem Nachwort von Christoph Meckel. Aus dem Italienischen übersetzt von Dagmar Türck-Wagner und Karin Fleischanderl. Carl Hanser Verlag, München 2000. 201 S., geb., 34,- DM.

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