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Wiepersdorf bei Jüterbog, Schloß und Park Achim und Bettine von Arnims - später dann und bis heute: Refugium und Arbeitsort für Dichter, Maler, Musiker, Sänger: ein idyllischer, der Zeit scheinbar enthobener Ort. Wie von selbst mischen sich dort unter die Künstler der Gegenwart die der Vergangenheit. Auch Thomas Rosenlöcher, der Dichter aus Dresden, der einer der heitersten Erkunder unserer Gegenwart ist, wurde in Wiepersdorf vom Gegen- und Ineinander der Zeiten ergriffen und von den Verwandlungen, die einem allenthalben geschehen. "Die Wege werden zu eigenen Wesen / und stürzen weiß leuchtend…mehr

Produktbeschreibung
Wiepersdorf bei Jüterbog, Schloß und Park Achim und Bettine von Arnims - später dann und bis heute: Refugium und Arbeitsort für Dichter, Maler, Musiker, Sänger: ein idyllischer, der Zeit scheinbar enthobener Ort. Wie von selbst mischen sich dort unter die Künstler der Gegenwart die der Vergangenheit. Auch Thomas Rosenlöcher, der Dichter aus Dresden, der einer der heitersten Erkunder unserer Gegenwart ist, wurde in Wiepersdorf vom Gegen- und Ineinander der Zeiten ergriffen und von den Verwandlungen, die einem allenthalben geschehen. "Die Wege werden zu eigenen Wesen / und stürzen weiß leuchtend dem Waldstück entgegen" - am Abend, wenn die Landschaft "erst richtig" beginnt.
Autorenporträt
Thomas Rosenlöcher, geboren 1947 in Dresden, studierte von 1976 bis 1979 am Literaturinstitut in Leipzig und lebte als freier Schriftsteller in der Nähe von Dresden. Rosenlöcher war Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und der Akademie der Künste in Berlin. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Rosenlöcher verstarb am 13. April 2022 in Dresden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2002

Spalier der Aufrechtsärge
Thomas Rosenlöchers Wiepersdorf-Gedichte

In Wiepersdorf gibt es "nichts, was nicht fotografiert ist", sagt der Fotograf. Er ist Stipendiat, einer von vielen Dichtern und bildenden Künstlern, die seit der Umwandlung des Arnimschen Schlosses in ein Künstlerhaus hier gelebt haben. Und man kann seine Ratlosigkeit verstehen. In Wiepersdorf sind nicht nur die Biedermeiermöbel etwas abgegriffen, sondern auch die poetischen Motive, die sich so verführerisch bequem anbieten, wie sie seit Sarah Kirschs Zyklus von 1977 unwiederholbar geworden sind: das bescheidene Schloßinventar und die rokokohaften Götterfiguren im Park, die Gräber Bettinas und Achims, in der Ferne die Wölfe in den brandenburgischen Wäldern. Hier gibt es nichts, was nicht fotografiert ist; Wiepersdorf ist komplett bedichtet.

Dabei ist der Stoßseufzer des Fotografen selbst schon ein Vers. Er steht im vierten Gedicht eines Zyklus, der so gelassen einherschlendert, als habe er Wiepersdorf eben neu entdeckt, und wie nebenbei Bilder sieht, die vor ihm noch keiner sah. Auf der Wäscheleine im Schloßgarten hängen "Hemden und Socken mit Okays bedruckt"; und wie von selbst gerät die Detailaufnahme zum emblematischen Bild: "ein Einverständnisbaumeln in der Sonne". Dies ist die nicht nur im sozialistischen Dichterheim lange unaussprechliche Sehnsucht, um die sich Thomas Rosenlöchers Wiepersdorf-Gedichte drehen: wenigstens vorübergehend zu Hause zu sein in der alltäglichen Welt. Es komme nicht darauf an, sie zu interpretieren, bemerkt ein anderes Gedicht, sondern darauf, sich in ihr zu etablieren.

Die Andacht zum Kleinen, für die man diesen Dichter oft gerühmt und beargwöhnt hat, ist treuherzig und listenreich. Nur als ein lyrisches "Tagebuch" stellt sein Zyklus sich vor; und tatsächlich kann man diese malenden und reflektierenden, manchmal epigrammatischen Verse lesen wie eine locker komponierte Erzählung aus sechsunddreißig Miniaturen. Es gibt Figuren, denen man auf den Spazierwegen durch Schloß und Garten mehrmals begegnet - den Dichterfreund Adolf Endler etwa oder die avantgardistische Malerin ("In ihrer letzten Ausstellung hing handsigniert Scheiße. Kam gut"), nicht zu vergessen den "Gegenwartskomponisten", dem im vierten Gedicht der Computer mitsamt den halbfertigen Wunderhornliedern zusammenbricht. Im achten Gedicht sehen wir auch ihn wieder, endlich in den erlösenden Schlummer gesunken; und neben dem Schlafenden "versendet der Rechner die Wunderhornlieder und piept / dreimal, alles super".

Rosenlöchers romantische Selbstironie läßt auch im Idyll keine falsche Behaglichkeit aufkommen. Der schloßeigene "Romantikerschrank" zum Beispiel beginnt mitten im Genrebild auf einmal zu rütteln und zu zittern - nicht von Geisterhand, sondern nur, "weil unten in der Küche die Frostaggregate ansprangen". In den Versmaßen kann man dieses Beben hören und fühlen. Distichen wechseln mit Alexandrinern, jambische Trimeter mit Blankversen, ein Sonett blitzt hervor; und nichts davon ist ganz regelrecht durchgeführt, immer gibt es kleine Lücken oder Überschüsse, gleitet ein Versmaß ins andere, mischt sich Prosaisches ein. Wie hinter dünnen Schleiern erscheinen die alten Formen, als etwas spukhafte und immer noch anmutige Schloßdamen: Wiedergänger, die Menuett tanzen und dann geisterhaft verwehen.

Rosenlöchers Kunst einer lässigen Unvollkommenheit hat mit der romantischen Liebe zum Fragmentarischen mehr zu tun, als der gemütliche Parlandoton glauben machen will. Auch die romantischen Verse erzittern, weil unter ihnen das Kühlaggregat der Ironie anspringt. Wie in sorgsam verschliffenen Distichen die Musik aus dem Schloßinnern und die Gewitterdrohung aus dem Himmel überblendet werden mit neuer Weltangst, das wird erst beim lauten Lesen bemerkbar - "alles beim alten, Arpeggien, Sonaten, das grummelt und kracht, / bestimmt gibts Gewitter, die Zeitung erklärt schon den künftigen Krieg". Wer hier beim Gewitter den Blitzeschleuderer Zeus nicht vergessen hat und nach dem Wort "Zeitung" die Zäsur spürt, kann Rosenlöchers Kunst der Andeutung ermessen. Indem er sie entromantisiert, belebt er die Romantik neu.

Seinem verfremdenden Blick zeigen sich deshalb selbst die abgegriffenen Motive so unverbraucht, als hätte noch niemand sie fotografiert. Vor allem die Götter im Garten erwachen hier wieder zu frecher Vitalität. Apoll betrachtet den flüchtigen Schloßgast, aus olympischer Distanz, als "Dauerschmarotzer / und Augenblicksarsch". Und zu Füßen des oft bedichteten Göttervaters sitzt, wunderbar und unvergeßlich, "das Huhn, / beim Zeus! der Adler. Na ja. / Wir alle sind nicht ganz das." Weil er sich mit der Einsicht abfindet, daß wir alle nicht ganz das sind, deshalb kann Thomas Rosenlöcher so leichtfüßig und uneitel balancieren zwischen Vanitas und Selbstbehauptung: halb Adler, halb Huhn. Es ist ein schöner Anblick, wie er, der inzwischen allzuoft als Idylliker etikettiert worden ist, hier dieses Etikett vorsichtig wieder abzieht. In einem Gedicht erzählt er von einer Gartenbegegnung mit Adolf Endler, der in einem Gespräch über lyrische Motive selbstkritisch beklagt, das Wort "Geschiebemergel" zu oft gebraucht zu haben. Mag das schon arg sein, so ist es doch noch nichts gegen das, was der Schreiber daraufhin in sinnender Lakonie für sein eigenes Werk konstatiert: "Ich nicht mal Geschiebemergel. / Ich immer Elbidyll."

So nah aber Rosenlöchers Idyllen sich manchmal an der Grenze zum Niedlichen bewegen, so sanft läßt er sie immer wieder hinübergleiten ins Unheimliche und Grausame. In einem Gedicht sieht der Schreiber sich selbst, an seinem Geburtstag, im Gras liegen und schlafen. Erst als Freunde ihn wecken wollen und er sie sagen hört: "Es ist geschehn", begreift er seinen neuen Zustand - "Wollte noch winken, der Arm viel zu schwer". Man kann bei diesem Umkippen vom Biedermeier ins Todesbild an manche Gedichte der Droste-Hülshoff denken, zum Beispiel an jene Verse, in denen die "Im Moose" Liegende unter den Blättern und Raupen die "Poren der Erde" erblickt, in denen sie endlich sich selbst, wie ein Rauch hinabgesogen, verschwinden sieht. Nicht nur vom Augenblicksglück handeln Rosenlöchers Gedichte, sondern immer auch von seinem Feind, von der Zeit.

Denn das Tagebuch, als das dieser Zyklus sich ausgibt, umfaßt keineswegs nur den Zeitraum zwischen Ankunft und Abreise, auch nicht nur den zwischen Sommermorgen und Winternacht, sondern unauffällig auch die Spanne eines Lebens. Am Anfang steht der Einzug, am Ende stehen die Gräber. Sie stehen ganz buchstäblich, als das winterfeste "Spalier der Aufrechtsärge" nämlich, in dem die erst im Abgang noch einmal zu mythischer Größe aufgereckten Götter verschwinden und die Wiepersdorfer Welt verlassen. Ihnen folgen die Menschen. Als das letzte der alten Motive erscheint hier das Bild der Dichtergräber Achims und Bettinas an der winterlichen Schloßkapelle - unheimlicherweise zugleich als das letzte Tagebuchblatt eines Schreibers, der doch eine Seite zuvor schon abgereist war. Von den Menschen verlassen, zeigt sich ein Anblick ohne Beobachter, ein Bild ohne Fotograf: "Auf den Grabplatten hinterm Eisengitter / die ernste Schrift aus makellosem Schnee / Mit dem girlandenartigen Postskriptum / einer darüberhingehuschten Maus." Das ist der letzte Satz, in kaum noch merkbaren Blankversen ein Idyll für die Toten. Weil Thomas Rosenlöcher ein Vanitas-Mahner ist, deshalb ist er ein Dichter des irdischen Glücks.

HEINRICH DETERING

Thomas Rosenlöcher: "Am Wegrand steht Apollo". Wiepersdorfer Tagebuch. Gedichte. Mit vier Zeichnungen von Dieter Goltzsche. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2001. 62 S., geb., 10,80 .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Heinrich Detering sieht erfreut, dass der Autor mit seinem Gedichtband, der während eines Künstlerstipendiums auf Schloss Wiepersdorf als eine Art "Tagebuch" entstandenen ist, seiner Etikettierung als "Idylliker" entgegentritt. Der Rezensent bemerkt in seiner ausführlichen Rezension, dass die Wiepersdorf-Gedichte "keine falsche Behaglichkeit aufkommen" lassen und findet zwischen "Niedlichem" immer wieder Ironie und ins "Unheimliche und Grausame" gleitende Bilder. Dabei sei es gar nicht so einfach, dem viel beschriebenen, oft gemalten und fotografierten Wiepersdorf neue Seiten abzugewinnen, vermutet der Rezensent. Rosenlöcher aber sei es in seinen Gedichten gelungen.

© Perlentaucher Medien GmbH