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Der Schriftsteller und Stasi-Spitzel Cambert soll einen mysteriösen Autor beschatten, der "feindlich-negativer Ziele" verdächtigt wird. Da dieser Autor nie den Versuch macht, seine Texte zu veröffentlichen, ist der Verdacht jedoch schwer zu erhärten. Camberts Zweifel an der Notwendigkeit seiner Aufgabe, die ihn zu unheimlichen Expeditionen durch Berliner Kellergewölbe zwingt, wachsen mit der Unsicherheit, ob sich das Ministerium für Staatssicherheit für seine Berichte überhaupt interessiert. Immer öfter plagt ihn die Ahnung, nicht einmal seine Person werde ernst genommen. In dem muffigen…mehr

Produktbeschreibung
Der Schriftsteller und Stasi-Spitzel Cambert soll einen mysteriösen Autor beschatten, der "feindlich-negativer Ziele" verdächtigt wird. Da dieser Autor nie den Versuch macht, seine Texte zu veröffentlichen, ist der Verdacht jedoch schwer zu erhärten. Camberts Zweifel an der Notwendigkeit seiner Aufgabe, die ihn zu unheimlichen Expeditionen durch Berliner Kellergewölbe zwingt, wachsen mit der Unsicherheit, ob sich das Ministerium für Staatssicherheit für seine Berichte überhaupt interessiert. Immer öfter plagt ihn die Ahnung, nicht einmal seine Person werde ernst genommen. In dem muffigen Zimmer zur Untermiete bei Frau Falbe, die ihm keineswegs nur Kaffee kocht, verschwimmen ihm Dichtung und Spitzelbericht so sehr, daß er bald nichts mehr zu Papier bringen kann. Tief sitzt die Angst, unter dem Deckmantel Cambert könnte der lebendige Mensch längst verschwunden sein...
Wolfgang Hilbigs Thema in diesem atmosphärisch dichten, musikalischen Roman ist die Verwicklung von Geist und Macht. Er untersucht sie am Beispiel eines Literaten, der zu einem Spitzel der Staatsgewalt geworden ist. Indem Hilbig diesen Fall konsequent zu Ende denkt, gewinnt er ihm zahlreiche komische Wendungen und prächtige sarkastische Pointen ab.

Autorenporträt
Wolfgang Hilbig, geboren 1941 in Meuselwitz bei Leipzig, gestorben 2007 in Berlin, übersiedelte 1985 aus der DDR in die Bundesrepublik. Er erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Bremer Literaturpreis, den Berliner Literaturpreis, den Literaturpreis des Landes Brandenburg, den Lessing-Preis, den Fontane-Preis, den Stadtschreiberpreis von Frankfurt-Bergen-Enkheim, den Peter-Huchel-Preis und den Erwin-Strittmatter-Preis. Im S. Fischer Verlag erscheint die siebenbändige Ausgabe seiner Werke, »eine der wichtigsten Werkausgaben der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur« (Uwe Schütte, Wiener Zeitung).Wolfgang HilbigWERKEBand I GEDICHTEBand II ERZÄHLUNGEN UND KURZPROSABand III DIE WEIBER ¿ ALTE ABDECKEREI ¿ DIE KUNDE VON DEN BÄUMEN (Erzählungen)Band IV EINE ÜBERTRAGUNG (Roman)Band V »ICH« (Roman)Band VI DAS PROVISORIUM (Roman)Band VII ESSAYS, REDEN, INTERVIEWSLiteraturpreise:1983 Brüder-Grimm-Preis1985 Förderpreis der Akademie der Künste, Berlin1987 Kranichsteiner Literaturpreis1989 Ingeborg-Bachmann-Preis1992 Berliner Literaturpreis1993 Brandenburgischer Literaturpreis1994 Bremer Literaturpreis1996 Literaturpreis der Deutschen Schillerstiftung, Dresden 1997 Lessingpreis des Freistaates Sachsen1997 Fontane-Preis der Berliner Akademie der Künste1997 Hans-Erich-Nossack-Preis (Kulturkreis d. dt. Wirtschaft)2001 Stadtschreiberpreis von Frankfurt-Bergen-Enkheim2002 Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik2002 Georg-Büchner-Preis2002 Walter-Bauer-Literaturpreis der Stadt Merseburg2007 Erwin-Strittmatter-Preis des Landes Brandenburg
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2008

Allegorie des Stasi-Systems
Wolfgang Hilbig: „Ich”
Die Sprache der Stasi strotzte vor Genitiven. Sie ging auf in der näheren Bestimmung des Verweises auf den Verweis: „. . . Festlegung der durchzuführenden Zersetzungsmaßnahmen auf der Grundlage der exakten Einschätzung der erreichten Ergebnisse der Bearbeitung des jeweiligen Operativen Vorgangs . . .”
Cambert, so sein Deckname, ist ein erfolgloser Schriftsteller, der – eine Vaterschaft wird ihm angehängt – von der Staatssicherheit dazu genötigt wird, als IM für sie zu arbeiten. Im Lauf seiner Tätigkeit verirrt er sich nicht bloß im Gestrüpp der Genitive. Sein Führungsoffizier säuft wie ein Loch, was Cambert zupass kommt, weil er selbst sich regelmäßig Inspiration antrinkt.
Das Ziel der Stasi – die heimliche Unterwanderung der Gesellschaft – nimmt Cambert wörtlich: In Berlin, wo die Keller vieler Mietshäuser miteinander verbunden sind, weiß er genau, wie man von einem Keller in den nächsten gelangt. Haustüren passiert er bei seinen Spitzeltätigkeiten immer seltener. Seine Aufgabe: Er soll einen Schriftsteller in der Dissidentenszene beschatten, den sogenannten „Reader”, der des öfteren in Privatwohnungen Lesungen abhält. Problematisch an dem Auftrag ist: „Reader” will nicht öffentlich bekannt werden und offenbar auch nicht in den Westen entkommen. Immerhin zählt eine junge Frau aus Westberlin zu den regelmäßigen Zuhörern seiner Lesungen.
Cambert schreibt brav Bericht um Bericht. Sei es weil er Schriftstellerei und IM-Arbeit verwechselt, sei es weil er nicht nur Denunziant sein will, denkt er sich allerlei aus. Sein Führungsoffizier ermahnt ihn, er solle sich „selber mehr draußen lassen”. Das gelingt ihm nicht, aber seinem eigenen Leben kommt er allmählich abhanden. Wolfgang Hilbigs Roman „Ich” karikiert die Arbeit der Stasi genau so weit, wie es nötig ist, um ihr letztlich vollkommen absurdes Wesen herauszustellen.
Alle Welt war von dem Film „Das Leben der Anderen” angetan. Verglichen mit Hilbigs „Ich” ist der Film eine Schmonzette mit aufgesetzten Schaudereffekten. In „Das Leben der Anderen” gibt es einen recht klaren Unterschied zwischen „gut” und „böse”. Nicht so bei Hilbig: Allein der Staatssicherheit haben manche Autoren der „Szene” es zu verdanken, dass sie zu Ruhm kommen. Camberts Zimmerwirtin, Frau Falbe, hat es seit Jahren im Bett nur mit IMs zu tun gehabt. Sie meint, solche Männer entwickelten eine eigene, ihrer Tätigkeit irgendwie anverwandelte Sexualität.
Die Einsamkeit des Stasi-Offiziers in „Das Leben der Anderen” unterscheidet sich nur äußerlich von der eines Steuergehilfen, der über der Bearbeitung einer Akte unvermittelt ins Phantasieren kommt. Die Einsamkeit von Hilbigs Cambert hingegen ergibt sich notwendig aus seiner Spitzeltätigkeit. Die Figur ist psychologisch vollkommen plausibel geschildert und dabei zugleich die Personifikation, besser gesagt: eine Allegorie des Systems der Stasi. Mit „Ich” ist Hilbig ein großes Kunststück gelungen. Das Buch ist beides zugleich: schrecklich und hochamüsant. FRANZISKA AUGSTEIN
Wolfgang Hilbig Foto: Friedrich /SZ Photo
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2002

Wolfgang Hilbig: "Ich"
1993 - Die Literatur ist die Stasi, und die ist die Literatur

Man kann natürlich auch alles einzeln lesen: Feuilletondebatten über die Verstrickung von Geist und Macht, Stasiaktenberge, Literaturgeschichten und, sofern einem danach ist, Sascha Andersons "Sascha Anderson". Oder eben gleich Wolfgang Hilbigs Roman "Ich", das All-Inklusive-Paket, wo all das und noch viel mehr schon drinsteckt. Es ist die vielleicht wahrere Geschichte von Anderson, die von Rainer Schedlinski, die von Wolfgang Hilbig, wenn er ein IM der Stasi geworden wäre. Das ist er aber nicht geworden. Der dichtende Heizer aus dem sächsischen Bergbaukaff Meuselwitz hatte der DDR widerstanden, er ließ sich nicht zum schreibenden Arbeiterklassenbesten stilisieren und nicht anwerben. Er ging 1985 in den Westen. Als erst die DDR zerbrach und nur das Renommee ihrer Literatur zu bleiben schien, dann aber auch das Renommee ihrer Literaten an deren Stasikontakten zu zerbrechen drohte - es betraf damals auch Heiner Müller und Christa Wolf -, da schwieg Hilbig, der noch am ehesten das Recht zur moralischen Entrüstung gehabt hätte. Von ihm kam nichts außer 1993 dieses Buch, ein schwergewichtiges, vollblütiges Stück Literatur als Kommentar zu einem Thema, das er als ein literarisches begriff und in Literatur auflöste. Oder auch umgekehrt.

Es ist die Geschichte eines Dichters, der zum Stasispitzel wird, und die ganze Zeit klingt es so, als sei zwischen beidem ohnehin kaum ein Unterschied, weil Erzählungen automatisch Denunziationen sind. Dieser Dichter heißt Ich, "Ich", M. W., W., Cambert, C.; und es ist nicht nur so, daß sein fragiles Ich zwischen Decknamen und Scheinexistenzen völlig zerfasert, es wird dadurch auch erst konstituiert: am Anfang ist es ein Arbeiter in einem sächsischen Kaff, der nebenher schreibt, der bald auch, halb erpreßt, halb freiwillig, für die Stasi schreibt, der sich emporschreibt bis nach Berlin, wo er tags durch die labyrinthischen Keller huscht wie eine Kanalratte und nachts die inoffizielle Literatenszene von Prenzlauer Berg bei ihren hermetischen Lesungen in Hinterhofwohnungen belauscht. Und die poststrukturalistischen Modesprüche dort, der Tanz um das unablässig gold kalbende Schlüsselwort "Simulation" decken sich exakt mit den Dialektik-Pirouetten seines Führungsoffiziers, eines eleganten, brutalen Schweins, das sich Feuerbach nennt und auch entsprechende Thesen hat: "Die meisten guten Gedanken kommen vom Gegner, es kommt aber darauf an, sie zu verändern."

Alles ist mehrfach nach innen gekrempelt, nicht leicht zu lesen, dann aber auch wieder hochkomisch in den unzähligen satirischen Anspielungen auf die Literaturszene der DDR und auf die Literaturgeschichte im allgemeinen, in den torkelnden Dialogen mit dem Führungsoffizier, in der Schilderung einer Gesellschaft, wo der Mensch dem Menschen ein Genitiv ist, ein zersetzender Schatten. Und ganz meisterhaft eingefangen ist in Hilbigs Buch die Lebensatmosphäre in den späten Jahren jener DDR, die damals gerade dabei war, von der "sogenannten" zur "ehemaligen" zu werden. Ein Land in Gänsefüßchen, ein Gespinst wie dieses "Ich", demgegenüber dasjenige Rimbauds regelrecht übersichtlich wirkt. Sicher war es ein Risiko, diesen Stoff von der Straße zu sammeln, als er noch so aktuell war, daß er jeden Tag die Zeitungen füllte, und ganz gewiß war es problematisch, so früh schon die Trennlinie zwischen Tätern und Opfern unter pathetischen und sarkastischen Wortkaskaden zuzudecken und zu leugnen. Aber Hilbigs Buch gewinnt seither mit jedem Jahr und wird nicht inaktuell: Weil phantastische Literatur an diesem Gegenstand das einzig Realistische ist, und weil man es auch als böse Satire auf die literarische und geistesgeschichtliche Moderne lesen kann. Der große Dichter Hilbig sollte ohnehin mehr gelesen werden. Im Falle von "Ich" ist das, benutzen wir das böse Wort einfach mal: eine Verpflichtung.

ripe

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