Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 19,00 €
  • Gebundenes Buch

Heinrich Ströbel (1869-1944) gehörte mehr als drei Jahrzehnte zur Elite der deutschen Sozialdemokratie: als Redakteur des "Vorwärts", Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und Reichstages, Ministerpräsident von Preußen und steuer- bzw. finanzpolitischer Sprecher. Als Gegner der Kriegspolitik vor und nach 1914 und Mitbegründer der USPD forderte er nach 1918 einen "rücksichtslosen Bruch mit der blutbesudelten Vergangenheit", eine Aussöhnung mit Polen und Frankreich sowie ein friedensorientiertes, abgerüstetes und den europäischen Aufbau förderndes demokratisches Deutschland. Dabei geriet…mehr

Produktbeschreibung
Heinrich Ströbel (1869-1944) gehörte mehr als drei Jahrzehnte zur Elite der deutschen Sozialdemokratie: als Redakteur des "Vorwärts", Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und Reichstages, Ministerpräsident von Preußen und steuer- bzw. finanzpolitischer Sprecher. Als Gegner der Kriegspolitik vor und nach 1914 und Mitbegründer der USPD forderte er nach 1918 einen "rücksichtslosen Bruch mit der blutbesudelten Vergangenheit", eine Aussöhnung mit Polen und Frankreich sowie ein friedensorientiertes, abgerüstetes und den europäischen Aufbau förderndes demokratisches Deutschland. Dabei geriet er nicht nur in Widerspruch zu den Feinden der Demokratie, sondern auch zu den Vorständen der Arbeiterparteien, die die diagnostische Schärfe seiner Analysen und Prognosen verkannten und verwarfen. In seinen Leitartikeln für die "Weltbühne" und "Das Andere Deutschland" warnte er vor dem Zweiten Weltkrieg und dem weiteren Irrweg in die Barbarei. Das von Ströbel zwischen 1914 und 1931 entwickelte Konzept, von Lothar Wieland als "dritter Weg" bezeichnet und der SPD, KPD und SAP als Modell für die Abwehr von Militarismus und Faschismus angeboten, rückt hier zum ersten Mal in den Forschungsfokus zur Geschichte der Arbeiter-, Friedens- und Gewerkschaftsbewegung. Ströbels Biografie und Einsichten verdeutlichen, dass die Entwicklung zu 1933 keine zwangsläufige war. Von der politischen Rechten bedroht, emigrierte er Ende 1931 in die Schweiz, von wo er seinen Kampf gegen "Hakenkreuz und Stahlhelm" fortsetzte. Seine klare und differenzierte Kritik an der Mitverantwortung der Arbeiterparteien an 1933 führte nach dem von ihm vorausgesagten Krieg dazu, dass er "vergessen" wurde - nicht zuletzt von denen, die sich allzu leicht in dem ihnen vorgehaltenen Spiegel wiedererkennen konnten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2009

Unbequem
Heinrich Ströbels Leben

Viele Jahrzehnte hat sich die Geschichtswissenschaft nur mit den Männern und Frauen aus der ersten Reihe in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft beschäftigt. Um deren Handeln zu verstehen, ist es jedoch unabdingbar, sich auch mit "Hinterbänklern" zu befassen. Zu diesen gehört Heinrich Ströbel, ein vergessenes Mitglied aus dem Führungszirkel der Sozialdemokratie. Aus Bad Nauheim stammend, fand der Sohn eines Kaufmanns früh den Weg zur SPD. Bienenfleißig arbeitete er sich in der Partei hoch, brillierte bald als Kenner der marxistischen Theorie, als Finanz- und Kulturexperte. Diese Tätigkeit wie zahllose Beiträge in der Parteipresse veranlassten August Bebel, ihn 1900 zu einem der Redakteure des "Vorwärts" zu machen. 1908 zog er als einer der ersten Sozialdemokraten in den Preußischen Landtag ein. Genauso konsequent wie er dort für den Sozialismus kämpfte, stritt er nach Kriegsbeginn 1914 für den Frieden. Ströbel gehörte zu den Ersten, die die "Burgfriedenspolitik" der Parteimehrheit ablehnten und sich schließlich in der USPD zusammenschlossen. Dennoch lehnte er die Bolschewiki als Vorbild ab. Denn für ihn war wirkliche Demokratie ein genauso hohes Gut wie der Frieden. Anders als manche Genossen ging er daher nicht zur KPD. Nach einem Intermezzo als preußischer Ministerpräsident kehrte er vielmehr 1920 zur SPD zurück. Diese vertrat er bis 1931, als er aus Protest gegen die Tolerierungspolitik die Partei verließ, im Reichstag. Im gleichen Jahr emigrierte er in die Schweiz, wo er verarmt, aber bis zuletzt politisch tätig 1944 starb.

Ströbel war ein unbequemer Sozialdemokrat. Kompromisse wie den "Burgfrieden" 1914, die Politik Eberts und Noskes Ende 1918 oder auch den Kurs der Partei in der Ära Brüning verachtete er zutiefst. Dass er damit eines der Grundprinzipien einer funktionierenden Demokratie ablehnte, wollte er nicht sehen. Darin liegt die Tragik, vielleicht auch das Versagen einer Generation von Politikern, die das Beste gewollt haben, den einzig möglichen Weg jedoch nicht zu gehen verstanden. Lothar Wieland zeichnet Ströbels Leben eindrucksvoll nach, wenn auch manchmal mit etwas zu viel Verständnis für dessen Handeln.

MICHAEL EPKENHANS.

Lothar Wieland: "Wieder wie 1914!" Heinrich Ströbel (1869-1944). Biographie eines vergessenen Sozialdemokraten. Donat Verlag, Bremen 2008. 407 S., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr