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Zum 90.Geburtstag Helmut Schmidts - der Abschluss der großen Biographie
Helmut Schmidt ist der angesehenste Politiker und Elder Statesman Deutschlands. Seine Erfahrungen und sein hoher analytischer Verstand gepaart mit rhetorischer Überzeugungskraft machen den Mitherausgeber der "Zeit" noch heute zum gefragten Gesprächspartner und Ratgeber. Zu seinem 90. Geburtstag erscheint der zweite Teil der Biographie des früheren Bundeskanzlers aus der Feder des Historikers Hartmut Soell, der wie kein anderer Zugang zu bisher unzugänglichen Quellen, darunter auch zu Schmidts reichhaltigem Privatarchiv,…mehr

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Produktbeschreibung
Zum 90.Geburtstag Helmut Schmidts - der Abschluss der großen Biographie

Helmut Schmidt ist der angesehenste Politiker und Elder Statesman Deutschlands. Seine Erfahrungen und sein hoher analytischer Verstand gepaart mit rhetorischer Überzeugungskraft machen den Mitherausgeber der "Zeit" noch heute zum gefragten Gesprächspartner und Ratgeber. Zu seinem 90. Geburtstag erscheint der zweite Teil der Biographie des früheren Bundeskanzlers aus der Feder des Historikers Hartmut Soell, der wie kein anderer Zugang zu bisher unzugänglichen Quellen, darunter auch zu Schmidts reichhaltigem Privatarchiv, hat.

Im zweiten Band seiner anschaulich erzählten Biographie schildert Hartmut Soell die Zeit Helmut Schmidts in der Regierung: zunächst als Verteidigungsminister, dann in den Ressorts Wirtschaft und Finanzen, bevor er 1974 in der Nachfolge Willy Brandts zum Bundeskanzler gewählt wurde.

Die weltweite Wirtschaftsrezession in Folge zweier Ölkrisen, der Terrorismus der RAF, die Gründung der G7und des europäischen Währungssystems sowie der höchst umstrittene Nato-Doppelbeschluss, der letztlich zur Auflösung der Blöcke beitrug, gehörten zu den größten Herausforderungen seiner Kanzlerschaft, die 1982 mit einem Misstrauensvotum ihr jähes Ende fand. Soell nimmt auch die Zeit danach in den Blick, in der Schmidt der Öffentlichkeit als Publizist und weltpolitischer Beobachter erhalten geblieben ist.

Auf einmaliger Quellenbasis, reich an Details und ausgewogen im Urteil zeichnet Soell das Lebensbild Helmut Schmidts von 1969 bis heute - und entwirft gleichermaßen ein Panorama der deutschen Geschichte und Politik
Autorenporträt
Soell, Hartmut
Hartmut Soell, geboren 1939, lehrte als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg. Er war mehrere Jahre lang Mitarbeiter des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt und 1980 bis 1994 selbst Mitglied des Deutschen Bundestags. Soell veröffentlichte u.a. "Fritz Erler. Eine politische Biographie" (1976) und "Der junge Wehner. Zwischen revolutionärem Mythos und praktischer Vernunft" (1991). 2003 erschien der erste Band, "Vernunft und Leidenschaft", seiner großen Schmidt-Biographie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2008

Der sensible Macher
Hartmut Soell vollendet seine kenntnisreiche und faktengesättigte Biographie über Helmut Schmidt

Man nannte ihn einen Großmeister im Währungsschach, Retter Europas, Eisernen Kanzler, Überkanzler, Weltökonomen, Krisenmanager, stahlharten Macher und preußischen Hanseaten. Diese Beinamen zeugen von der Bewunderung, die dem deutschen Bundeskanzler, der das westeuropäische Konzert dominierte, in den westlichen Staaten zuteil wurde - aber auch von deren Furcht vor einem erneuten deutschen Großmachtstreben. Sie verweisen auf die Anerkennung, die Helmut Schmidt für seine umsichtige und vorausschauende Bewältigung der Krisen in der Bundesrepublik gezollt wurde, aber auch auf die Häme einiger Journalisten, die ihn als gefühllos und unduldsam, als Mann ohne Visionen beschrieben.

Der Heidelberger Historiker Hartmut Soell verzichtet im zweiten Band seiner monumentalen, kenntnisreichen und faktengesättigten Schmidt-Biographie, in der er dessen Zeit als Bundesminister und die Jahre der Kanzlerschaft schildert, bewusst auf solche einseitigen und manchmal auch verletzenden Etikettierungen. Er stellt die Biographie des früheren Bonner Regierungschefs in den Horizont der Zeitgeschichte, zeichnet nicht nur ein Porträt Schmidts, sondern auch ein Panorama der Politik der siebziger Jahre und berichtet kundig über den Richtungsstreit innerhalb der SPD. Soell macht sich den Blickwinkel Schmidts zu eigen, ist aber keineswegs distanz- und kritiklos gegenüber seinem "Helden".

Pragmatisches Handeln, das sittlichen Zwecken dient, und ein Pathos der Verantwortung und Pflicht waren Soell zufolge die Leitlinien, denen Schmidt bei seiner politischen Arbeit folgte. An einigen Stellen der Biographie beschreibt Soell die politische Karriere Schmidts geradezu als einen Opfergang: "1969 wurde er gegen seinen Willen dazu gezwungen, das politisch undankbare Verteidigungsministerium zu übernehmen. Mitten im Wahlkampf 1972 musste er das Erbe des fahnenflüchtigen Karl Schiller übernehmen. Im Mai 1974, mitten in der Weltrezession, hatte er Brandts Nachfolge als Kanzler anzutreten." Hatte Schmidt die Schlange des Ehrgeizes nicht gebissen, hatte er das Kanzleramt tatsächlich nicht angestrebt, wie er selbst immer wieder behauptet hat? Der Biograph widerspricht vorsichtig. "Angesichts der Entschlossenheit, mit der Brandt die Zügel der Kanzlerschaft" 1969 ergriff, habe Schmidt seine eigenen Ambitionen auf dieses Amt schwinden sehen. Nach der Bildung des zweiten Kabinetts Brandt habe sich bei Schmidt das "frustrierende Gefühl" eingestellt, "dass das Ziel, Erster zu werden, vollends von Krankheit und Lebensalter überspielt würde". Die in der Presse immer wieder auftauchenden Putschgerüchte verweist Soell allerdings in das Reich der Legende und lässt auch keinen Zweifel daran, dass Schmidt beim Rücktritt Brandts vom Amt des Bundeskanzlers nur eine Randfigur war. Der Amtsverzicht Brandts sei nicht die Folge eines "Schurkenstücks" gewesen. Brandt sei nicht auf Drängen Wehners, sondern aus eigener Einsicht zu dem Entschluss gekommen, Schmidt das Amt zu übergeben, der aufgrund seiner wirtschafts- und finanzpolitischen Kompetenz die eingetretene Weltwirtschaftsrezession besser zu meistern verstand. Schmidt rechnete zunächst nur mit einer kurzen Regierungszeit.

Mitentscheidungsrecht beim Einsatz von taktischen Atomwaffen.

Das Amt des Verteidigungsministers, das Schmidt 1969 antrat, war nicht nur unter Karrieregesichtspunkten eine undankbare Aufgabe. Schmidt, der erste sozialdemokratische Verteidigungsminister seit Gustav Noske, der während der Novemberrevolution 1918/19 die aufständische Arbeiterschaft blutig niederschlagen ließ, sah sich nicht nur mit dem Noske-Trauma vieler Sozialdemokraten konfrontiert, sondern auch mit den Bestrebungen der Finanzminister, die Höhe des Verteidigungshaushaltes möglichst gering zu halten. Der neue Verteidigungsminister ließ sich durch Widerstand freilich nicht schrecken. Er setzte sich erfolgreich für ein Mitentscheidungsrecht der Bundesregierung im Falle des Einsatzes von taktischen Atomwaffen ein und für die Entfernung jener von den Vereinigten Staaten in Bunkern nahe der innerdeutschen Grenze gelagerter Atomminen. Schmidts Entscheidung, Bundeswehrhochschulen zu errichten, die in einer Zeit, als eine rechtskonservative Gesinnung im Militär noch vorherrschte, für eine akademische Bildung des Offiziersnachwuchses sorgen sollten, gilt als eine Wende in der deutschen Militärgeschichte. Schmidt, der zu Recht eine Mitautorschaft für die von der sozialliberalen Koalition betriebene Ostund Deutschlandpolitik beanspruchte, machte sich obendrein zur Aufgabe, durch eine Flankensicherung nach Westen Spielräume für die Ostpolitik der sozialliberalen Regierung zu schaffen.

Als Schmidt im Juli 1972 Doppelminister für Wirtschaft und Finanzen wurde, stand das Weltwährungssystem von Bretton Woods infolge verfehlter amerikanischer Geldpolitik kurz vor dem Zusammenbruch. Der Erdölpreisschock, Produktionseinbrüche, hohe Inflationsraten und wachsende Arbeitslosigkeit machten das Jahr 1973 zum schwersten Krisenjahr seit Kriegsende. Noch bevor das Schlagwort der Globalisierung geboren wurde, war er, den unablässig die Furcht umtrieb, dass die Weltwirtschaftskrise wie schon zu Beginn der dreißiger Jahre die Grundfesten der Demokratie erschüttern werde, der festen Überzeugung, dass der weltweiten Rezession nur durch gemeinsames Handeln der führenden westlichen Industrienationen begegnet werden könne. Zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing versuchte er die Europäische Gemeinschaft (EG) vor dem Zerfall zu bewahren. Bei seinem schließlich erfolgreichen Bemühen, Großbritannien in der EG zu halten, sah er sich in die Lage eines Mannes versetzt, "der versucht, die Damen und Herren von der Heilsarmee von den Vorteilen des Trinkens zu überzeugen".

Obwohl auch der deutsch-französische Honigmond - wie Soell detailliert nachweist - durch das Beharren der Gaullisten auf der Grandeur Frankreichs, durch Differenzen über das Agrarpreissystem und Frankreichs Weigerung, gemeinsame energiepolitische Maßnahmen zu ergreifen, bedroht war, waren es Giscard und Schmidt - der dem französischen Staatspräsidenten angesichts der deutschen Vergangenheit immer den Vortritt ließ -, die durch die Einberufung eines Weltwirtschaftsgipfels in Rambouillet im November 1975 einen Rückfall der führenden Industriestaaten in den Protektionismus verhinderten. Dank der Rolle des Schlichters, die dem versierten Kenner der Weltökonomie auf diesen Gipfelkonferenzen häufig zufiel, avancierte Schmidt schnell zum wichtigsten Festlandpartner der Vereinigten Staaten und zum dominanten Politiker in Westeuropa. Insofern dürften die seit 1975 jährlich stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel nicht nur "eine Art Seelenmassage zur Stärkung des wirtschaftlichen Selbstbewusstseins der westlichen Industrieländer" gewesen sein, wie Soell schreibt, sondern auch eine "Art Seelenmassage" für den Bundeskanzler, der daheim oft herbe Kritik einstecken musste. Schmidts beredtes Plädoyer für die Gipfeldiplomatie entsprang nicht zuletzt auch der zutreffenden Erkenntnis, dass Außenpolitik angesichts der wechselseitigen Abhängigkeit der Nationen nicht mehr eine "begrenzte Spezialdisziplin weißbärtiger Geheimdiplomaten" sei, sondern "Weltwirtschaftspolitik, Weltentwicklungspolitik, Weltsicherheitspolitik".

Während auf den Gipfeltreffen Fortschritte oft nur "im Schneckengang" zu erzielen waren, gelang es Giscard und Schmidt im Sommer 1978 trotz der Kritiker in Deutschland, die vor einer "Kollektivierung der DM" und einem "europäischen Inflationsverbund" warnten, und der Gaullisten in Frankreich, die die Grande Nation dem Diktat des übermächtigen rechtsrheinischen Nachbarn ausgesetzt sahen, den Grundstein für eine europäische Währungsunion zu legen. Schmidts Bemühen, militärisches Gleichgewicht und Entspannungspolitik zu verbinden, mündete im Dezember 1979 in den Nato-Doppelbeschluss. Soell verschweigt nicht, dass dieser Beschluss von Anfang an unter einem Geburtsfehler litt: "Kein deutscher Diplomat saß mit am Verhandlungstisch." Schmidts Hoffnung, durch die Drohung mit der Stationierung der Pershing 2 Moskau zu Verhandlungen über den Abbau der SS-20-Raketen zwingen zu können, wurde von der Carter-Administration schon bald konterkariert, die den Doppelbeschluss einseitig als ein Ja zur Stationierung interpretierte. Dies wiederum stärkte die Friedensbewegung und die wachsende Zahl der Kritiker des Nato-Doppelbeschlusses in den SPD-Reihen.

"Auswärts der Held beider Welten - zu Hause auf der Isolierstation?" überschreibt Soell ein Kapitel der Biographie, das vor allem vom Verhältnis Schmidts zu seiner Partei handelt. Schmidts haushaltspolitischer Stabilitätskurs, der kostspieligen Reformen ein Ende setzte, stieß bei den "Genossen" auf wenig Verständnis. Schmidt verwaltete indes keineswegs nur den Status quo. Sein erstes Kabinett könne, so Soell, mehr noch als die von Brandt geführten Kabinette die Bezeichnung "Regierung der inneren Reformen" für sich beanspruchen. Dem Bundeskanzler lag vor allem die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in den Großbetrieben am Herzen.

Auseinandersetzungen in der SPD über Autorität und Führung.

Schmidts überscharfe Kritik an den Jusos, denen er vorwarf, die SPD von einer Volks- zu einer Klassenpartei zurückverwandeln zu wollen, und seine Angriffe auf die "Umweltidioten", wie er die sich formierende Anti-Kernkraft-Bewegung zuweilen herablassend nannte, sind bekannt. Schmidt, der sich als Verteidiger der Interessen der Arbeitnehmer verstand und das Bündnis mit den Gewerkschaften suchte, lastete Brandt die Auflösungserscheinungen am linken Rand der SPD an. Soells Feststellung, dass aus Schmidts Sicht "sein persönliches Verhältnis zu Brandt bis an dessen Lebensende im Herbst 1992 intakt" blieb, muss wohl eingeschränkt werden. Die Auseinandersetzungen beider über Autorität und Führung in Staat und Partei führten zu keinem Konsens, und Schmidt räumte später selbst ein, dass sich 1982 "zwei politische Naturelle" gegenüberstanden, "die nicht mehr ins Gespräch miteinander kamen".

Ein Teil der "Achtundsechziger" wählte nicht den Marsch durch die Institutionen und in die SPD, sondern in die Gewalt. Soells Kapitel über den Terrorismus der RAF spiegelt die Dramatik des "Deutschen Herbstes" 1977. Schmidt war nicht bereit, den Erpressungsversuchen der Terroristen nach der Entführung Hanns Martin Schleyers und der Kaperung der "Landshut" durch die palästinensische PLFP nachzugeben, da er der Auffassung war, dass der demokratische Staat der Schutzpflicht für die Gesamtheit seiner Bürger auch unter außergewöhnlichen Umständen nachzukommen habe. Dabei war er sich bewusst, dass er sich im "Bereich von Schuld und Versäumnis" bewegte. Schmidts Entscheidung besiegelte die Niederlage der RAF. Seine Weigerung, den Rufen Konservativer nach Einführung der Todesstrafe oder der Tötung der Häftlinge zu folgen, wahrte den Rechtsstaat.

Wie wenig das Klischee vom "stahlharten Macher" zutraf, zeigt sich allein schon daran, dass Schmidt selbst in den Tagen der terroristischen Herausforderung das Gespräch mit Heinrich Böll suchte, den konservative Kreise zu den Sympathisanten der RAF zählten. Schmidt lehnte geistige Führung wegen ihrer Nähe zu "der erlebten geistigen Verführung" ab, setzte aber Zeichen und vermittelte Werte, wenn er zum Beispiel für einen fernsehfreien Tag in der Woche plädierte, um die Sprachlosigkeit zwischen Eheleuten, Eltern und Kindern zu überwinden.

Eines der letzten Kapitel der Biographie ist eine Hommage an Loki Schmidt, ohne die Helmut Schmidts Weg in die Politik nicht gangbar gewesen wäre. Wer jedoch mehr über Loki erfahren und hinter den Panzer, der Schmidt in der Öffentlichkeit als Verschanzung diente, blicken möchte, der sollte als Ergänzung zu Soells großer Biographie auch Loki Schmidts Interviewband "Erzähl doch mal von früher" lesen.

PETRA WEBER.

Hartmut Soell: Helmut Schmidt: Macht und Verantwortung. 1969 bis heute. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008. 1082 S., 39,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2008

Schweiß, Sparsamkeit, Solidarität
Hartmut Soell überlässt im zweiten Band seiner großen Schmidt-Biographie das Urteil im Wesentlichen dem Leser
Mit Vorschusslorbeeren kommt Hartmut Soells zweiter Band seines Monumentalwerkes über Helmut Schmidt auf den Markt. Da schon der erste Band (2003) positiv aufgenommen wurde, waren die Erwartungen an die Fortsetzung entsprechend hoch. Belohnt wird, wer Zeitgeschichte als Chronologie der Ereignisse versteht und Fakten, Hintergründe und Zusammenhänge sucht. Soells Buch ist eine Fundgrube für Zeitgeistforscher und Historiker. Wer hingegen kritische Bewertungen und Vergleiche wünscht, wird enttäuscht. Dies lässt eine gemischte Bilanz entstehen: eine Fleißarbeit, die das Urteil über die Schmidt-Ära dem Leser überlässt.
Soells Chronologie beginnt mit Schmidts Zeit als Verteidigungsminister im ersten Kabinett Brandt. Es folgt der stellvertretende Parteivorsitz und das Finanzministerium im zweiten Kabinett Brandt, als Schmidt für Schiller „in die Bresche” springt. Der Verteidigungsminister, so der Chronist, hatte Lust, „jedermann zu beweisen, dass er allen Sätteln gerecht werden könnte”. Schmidt hat die Bundeswehr reformiert und die ministeriellen Kompetenzen und militärischen Befehlsstränge neu geordnet. Das Doppelministerium für Wirtschaft und Finanzen sei „mehr Pflicht als Kür” gewesen. Als Finanzminister musste er einen amerikanischen „Währungskrieg” gegen die deutsche Mark abwehren und die Einführung der flexiblen Wechselkurse managen. Die Weltwirtschaftsrezession durch die Ölpreisexplosion brachte die Energie- und Versorgungspolitik ins Rampenlicht. Dann begann der Weg ins Kanzleramt – mit „Schweiß, Sparsamkeit, Solidarität”.
Helmut Schmidt hatte sich gegenüber Willy Brandt neben Respekt auch Gefühle der Freundschaft bewahrt. Als dieser nach der Guillaume-Affäre zurücktreten wollte, kam es zu „kommunikativen Störungen” innerhalb des SPD-Führungstrios. Brandt hatte sich Schmidt als Nachfolger gewünscht. Soell bemerkt, dass Wehners Rolle beim Rücktritt kleiner war, als von vielen Medien behauptet. Schmidt habe sich vor der Bürde des Kanzleramtes gefürchtet.
Die Außenpolitik der Schmidt-Kanzlerschaft wurde von der Freundschaft mit Giscard d’Estaing, von Europapolitik, Ostpolitik und den deutsch-amerikanischen Beziehungen geprägt. Beim KSZE-Gipfel im Juli 1975 hat Schmidt die Formel von Frieden durch Entspannung und Zusammenarbeit von Staaten in Ost und West als gemeinsames Ziel definiert. Endzweck seiner Regierung bleibe, „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlange”. Der Kanzler versuchte, die sowjetische Politik gegenüber Bonn durch finanzielle Angebote in Bewegung zu bringen. Historisch die Begegnung zwischen Helmut Schmidt und Erich Honecker in Helsinki, als die deutschen Chefdelegierten über den Gang „mit vorgereckten Oberkörpern” miteinander sprachen. Die Begegnung sorgte für Entspannung im innerdeutschen Dialog. Weitere Gespräche folgten.
Für Soell steht fest, dass Schmidt auch ein Kanzler der inneren Reformen war. Der Paragraph 218 wurde geändert, die „Hausfrauenehe” beseitigt, das Schuldprinzip im Scheidungsrecht abgeschafft, die Volljährigkeit auf 18 Jahre gesenkt, der Resozialisierungsgedanke gestärkt, das Mitbestimmungsgesetz verabschiedet und die Rentenversicherung für Hausfrauen geöffnet. Der Wähler hat es gewürdigt: 1976 erhielt die SPD 42,6 Prozent. Ein „achtbarer Erfolg”.
Doch auf einen „Stolperstart” folgte das „Rentendebakel” der neuen Regierung. Das Finanzministerium hatte verkündet, die Rentenfinanzen würden auf ein „Desaster” zusteuern. Im Dezember 1976 wurde Schmidt nur mit einer Stimme über der absoluten Mehrheit zum Kanzler gewählt. Die Auseinandersetzung mit der RAF forderte seine volle Konzentration und Kraft. Hans Apel, so der Autor, hatte Schmidt „noch nie so am Rande des seelischen Zusammenbruchs erlebt wie während der Schleyer-Entführung”. Nach der Befreiung der Geiseln von Mogadischu sprach Schmidt von „Wut, Schmerz und Leid, Hoffnung, Glück und Enttäuschung”. Die Menschen in der Bundesrepublik seien „näher zusammengerückt”. Die Republik hatte eine „existenzielle Herausforderung” bestanden.
Die nächste große Herausforderung kam mit der Nachrüstungsfrage. Schmidt forderte „konkrete Maßnahmen zur Nachrüstung als Reaktion auf die seit Jahren anhaltenden Rüstungen im Warschauer Pakt”. Breschnew kritisierte den Nato-Doppelbeschluss, die deutsche Linke nannte Schmidt „Raketenkanzler”. Gescheitert ist der Kanzler letztendlich am Koalitionspartner FDP: Schmidt habe „erfolgreich regiert” – sei aber am Ende „ausmanövriert” worden.
Für Hartmut Soell war Helmut Schmidt ein Krisenmanager mit konkreten und ideenreichen Konzepten. Er hat die EG vor dem Zerfall bewahrt, die Wirtschaftspolitik der sieben westlichen Industrienationen koordiniert und mit Geduld und Selbstbescheidung regiert. „Seine eigenen Empfindungen und Verletzungen hatte er in den Kämpfen dieser Jahre meist hinter einer Panzerung verborgen, häufig aber auch durch aggressive Rhetorik überspielt und dabei andere verletzt.” Soell schätzt Schmidt als „deutschen und europäischen Staatsmann”. Das liest man gern. Schade nur, dass ein Großteil des Textes zäh und verschachtelt geschrieben wurde. Dem großen Inhalt fehlt die flüssige Form. Nicht jeder hervorragende Historiker ist auch ein guter Stilist. FRIEDERICH MIELKE
HARTMUT SOELL: Helmut Schmidt. 1969 bis heute. Macht und Verantwortung. DVA, München 2008. 1081 Seiten, 39,95 Euro.
Krisenmanager mit konkreten und ideenreichen Konzepten: Helmut Schmidt, hier in einer Aufnahme von 1992. Entgegen seinem Image war Schmidt auch ein Kanzler der inneren Reformen – von der Mitbestimmung bis zum Scheidungsrecht. Foto: Regina Schmeken
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nur Lobendes kann Rezensentin Petra Weber über diese Helmut-Schmidt-Biografie des Heidelberger Hitorikers Hartmut Soell sagen, die den "Überkanzler" vom Nimbus des ehrgeizigen, "gefühllosen und unduldsamen" Mannes ohne Visionen befreit. "Kenntnisreich und faktengesättigt" schildere Soell den politischen Werdegang Helmut Schmidts, den auch Weber in ihrer Rezension eingehend nacherzählt und ins zeitgeschichtliche Panorama versetzt: Hamburgs Sturmflut, Weltwirtschaftskrise, RAF, Schleyer-Entführung. Auch wenn sie dem Biografen nicht ganz darin folgen will, Schmidts Karriere in der Bonner Politik fast schon als einen "Opfergang" aus Parteidisziplin zu betrachten, hat sie sich aber von Soell überzeugen lassen, dass Schmidt bei dem Sturz Willy Brandts keine Rolle gespielt habe. Anderslautende Mutmaßungen verweise Soell in das "Reich der Legenden".

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