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Adolf Eichmann gilt weltweit als Symbolfigur des nationalsozialistischen Judenmords. Der britische Historiker David Cesarani hat mit seinem Buch die erste große fundierte Biographie vorgelegt. In seinem Werk gibt Cesarani Antwort auf die immer wieder gestellte Frage, was »ganznormale« NS-Bürokraten zu Massenmördern werden ließ.

Produktbeschreibung
Adolf Eichmann gilt weltweit als Symbolfigur des nationalsozialistischen Judenmords. Der britische Historiker David Cesarani hat mit seinem Buch die erste große fundierte Biographie vorgelegt. In seinem Werk gibt Cesarani Antwort auf die immer wieder gestellte Frage, was »ganznormale« NS-Bürokraten zu Massenmördern werden ließ.

Autorenporträt
David Cesarani, geboren 1956, war langjähriger Leiter des renommierten Institute of Contemporary History and Wiener Library in London und Research Professor für Geschichte am Royal Holloway College der University of London. Zahlreiche Buchveröffentlichungen zur jüdischen Geschichte und zum Holocaust. David Cesarani verstarb im Oktober 2015.
Rezensionen
»In seiner umfassenden Biographie rückt Cesarani eine Reihe von Fehldeutungen zurecht ...« FAZ »Bereits in der Einführung seines zupackend geschriebenen Buches entlarvt Cesarani vieles von dem, was wir sicher zu wissen glaubten, als Mythos...« Bayerischer Rundfunk      »Cesarani ist es gelungen, was lange erwartet wurde: eine Biografie, die die alten Stereotypen hinter sich lässt und eine Interpretation dieser Figur im Licht der neueren Forschung vorlegt.«Die Zeit

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2005

Ein Manager der Vernichtung
David Cesarani rückt Fehlurteile über Adolf Eichmann zurecht

David Cesarani: Adolf Eichmann. Bürokrat und Massenmörder. Übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt. Propyläen Verlag, Berlin 2004. 606 Seiten, 26,- [Euro].

Sein Name war 1945 nahezu unbekannt, tauchte in den Verhören von Nürnberg allenfalls am Rande auf und war fünfzehn Jahre später gänzlich vergessen: Adolf Eichmann. Erst durch seine spektakuläre Entführung aus Argentinien, den Prozeß in Jerusalem in Verbindung mit der Reportage von Hannah Arendt wurde er 1960/61 zu einer Symbolfigur des "Dritten Reiches" und des Völkermordes an den europäischen Juden - und ist das bis heute geblieben. Um so erstaunlicher, daß erst jetzt, über vierzig Jahre nach seiner Hinrichtung, eine umfassende Biographie vorliegt. David Cesarani rückt eine Reihe von Fehldeutungen zurecht: Eichmann war kein reiner Schreibtischtäter. Er war nicht ein "einfaches Rädchen" in der Maschinerie des Todes, sondern als Komplize massiv an der "Endlösung" beteiligt. Und: Er war kein reiner Technokrat der Vernichtung, sondern von handfesten antisemitischen Impulsen und Grundüberzeugungen geleitet.

Vor allem die Jugendgruppe der Jungfrontkämpfer-Vereinigung in Linz, die den "jüdischen Marxismus", den "jüdischen Bolschewismus" ablehnt, ist für Cesarani das "Transportband", das den jungen Eichmann unaufhaltsam nach rechts befördert. 1932 tritt er, gerade arbeitslos, in die NSDAP ein. Den Aufnahmeantrag auf einer Parteiveranstaltung hält ihm ein Bekannter der Familie mit den Worten vor: "Du, du gehörst zu uns" - Ernst Kaltenbrunner, der später Heydrich an die Spitze des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) nachfolgen wird. Wenige Monate später beantragt er, vermutlich gleichfalls auf Anraten Kaltenbrunners, die Aufnahme in die SS, wechselt nach einer paramilitärischen Ausbildung 1934 zum noch kleinen Parteigeheimdienst, dem SD, sortiert Karteikarten zur Freimaurerei. Hier trifft Eichmann auf weitere väterliche Leitfiguren - Gregor Schwartz-Bostunitsch, Leopold Itz Edler von Mildenstein -, die ihn mit den Grundzügen eines nicht mehr religiös motivierten "modernen" Antisemitismus, mit seinen Verschwörungstheorien wie auch mit seiner "wissenschaftlichen" Ausformung, mit Rassenlehre und Eugenik, bekannt machen, ins Referat "Judenangelegenheiten" holen, das zunächst nur über zwei Planstellen verfügt. Dort entwickelt er sich zum "Judenexperten".

Nach dem "Anschluß" Österreichs im März 1938 gelangt Eichmann als gerade beförderter SS-Obersturmführer an der Spitze der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" erstmals in eine Machtposition mit exekutiven Kompetenzen, diktatorischer Gewalt über Tausende von Juden, die er und sein Team durch Terror und ein serielles Verfahren rasant ausplündern und vertreiben können. Ein Karrieredurchbruch. Heydrich wird aufmerksam, läßt ihn nach dem Novemberpogrom - was Cesarani übersieht - aus Wien als "Vertreibungsexperten" zur interministeriellen Besprechung bei Hermann Göring in Berlin anreisen.

Bereits im Krieg gegen Polen brechen zivilisatorische Dämme, werden gigantische Bevölkerungsverschiebungen geplant, begonnen, verworfen - beginnen Ghettoisierung und Mord. Eichmanns Dienststelle IV D 4 im neu formierten RSHA ist an der Planung und Durchführung solcher "Juden- und Polenevakuierungen" intensiv beteiligt. Der Übergang zwischen Auswanderung und Deportation ist ein fließender. Auch der Übergang zwischen Deportation und Massenmord. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wird im Herbst 1941 aus dem Auswanderungs- und Deportationsexperten ein "Massenmord- und Genozidexperte". Die Indizien sind erdrückend - und erschreckend. Man weiß, daß er Massenerschießungen der Einsatzgruppen und Blutfontänen beobachtet hat auf seinen zahlreichen Reisen in jenem Herbst 1941, ausgestattet mit Fahrer, Dienstwagen und unbegrenzter Benzinzuteilung. Man weiß, daß er - die SS sucht nach "effizienteren" Tötungsmethoden - bei Chelmno mobile und in Belzec stationäre "Probe"-Vergasungen beobachtete, zu Rudolf Höß nach Auschwitz fuhr, wo ein großes Vernichtungslager aufgebaut werden soll.

Daß ihn selbst all dies kurzzeitig tatsächlich aufwühlte, hält Cesarani nicht für unglaubwürdig. Aber die Selbstbeschwichtigung wirkt: Kriegslage und -notwendigkeiten, die Opfer als gefährliche "Bazillen" und "Krebszellen" entmenschlicht, nicht zuletzt die Befehle von "ganz oben", von Hitler und Himmler vor allem. Als Protokollant auf der Wannsee-Konferenz dabei, wo die Durchführung des Massenmords zwischen den beteiligten Instanzen koordiniert wurde, wird Eichmann anschließend von Heydrich und "Gestapo"-Müller - mit dem er sich ohnehin einmal in der Woche trifft, gelegentlich Schach spielt - zu Cognac und Zigarre eingeladen und ist erleichtert: Er wird weiterhin gebraucht, obwohl es nicht mehr um sein Spezialgebiet Auswanderung/Vertreibung geht - seit Oktober 1941 gilt ein Ausreiseverbot für europäische Juden, ist die tödliche Falle zugeschnappt -, sondern um Vernichtung. Dazu Cesarani: "Und so machte sich Eichmann mit all seinen Managerfertigkeiten an seine neue Aufgabe. Die Deportation von Menschen in den Tod wurde mit der gleichen problemorientierten Unternehmensmentalität arrangiert, wie er früher den Transport von Benzin zu Tankstellen organisiert hätte . . . Er wurde zum Völkermord herangebildet und entschied sich dafür, das Gelernte in die Tat umzusetzen."

Eichmann, mittlerweile SS-Obersturmbannführer, entwickelte sich zum mehr als willigen, zum fanatischen Vollstrecker der "Endlösung", kontrollierte, systematisierte, dirigierte alle Etappen eines Leidenswegs von Millionen bis zu den Lagertoren, intervenierte immer wieder, um von Saloniki bis zur Slowakei Ausnahmen von der Deportation in die Vernichtung durch Gas oder Zwangsarbeit zu verhindern. Die 2000 Züge der Reichsbahn in die Todeslager ordert sein Referat. Die Bestellungen für das tödliche Zyklon B, die "Lieferung" von Skeletten und Schädeln bolschewistischer Kommissare an NS-Rassenforscher gehen über Eichmanns Schreibtisch. Die Verwendung der Haare der Opfer wird in seinen Akten geregelt. Die Statistik über die Todeszahlen hängt im Büro seines Stellvertreters, die mit Eichmanns Hilfe durch den Statistiker Richard Korherr abgefaßte "Bilanz der Vernichtung" wird auf einer Schreibmaschine mit extra großen Lettern getippt - damit auch Hitler sie lesen kann.

Überdies wurde Eichmann noch unmittelbar zum Täter, als er 1944 in Ungarn ein eigenes mörderisches Sonderkommando leitete, dabei - von ungarischer Seite unterstützt - "buchstäblich selbst vierhunderttausend Juden in Eisenbahnwaggons zur Deportation stieß", am Ende beharrlich Todesmärsche organisierte, mit Rückendeckung von Heinrich Müller und Kaltenbrunner sogar gegen Himmler opponierte, der ihn angesichts der herannahenden Niederlage plötzlich zum "Judenpfleger" machen wollte. Eichmann, der sich bis zum Schluß nicht von Rassenhaß und Rassenwahn zu lösen vermochte, blieb ein überzeugter Nationalsozialist, war tief in den Völkermord verstrickt, war ein "genocidaire", wie man heute in Frankreich sagt. Daß er gehängt und seine Asche am 1. Juni 1961 ins Meer gestreut wurde - es war das einzig mögliche Ende angesichts jener Millionen von Opfern, denen ihre Mörder selbst nicht einmal ein Grab zugestanden hatten.

DANIEL KOERFER

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Wahrscheinlich liegt es an der enormen Wirkung von Hannah Arendts Buch über Adolf Eichmann und die "Banalität des Bösen", die Historiker lange Zeit daran hinderte, sich an eine Biografie des NS-Verbrechers zu wagen, mutmaßt Michael Wildt. Deshalb begrüßt er nachdrücklich, dass sich nach einem "historischen Essay" von Irmgard Wojak der britische Historiker David Cesarani an diese Aufgabe gemacht hat. Dem Autor geht es vor allem darum, Eichmann zu "entdämonisieren" und zunächst einmal klarzustellen, dass dessen Antisemitismus durchaus mit dem seiner Zeitgenossen vergleichbar war, stellt der Rezensent zustimmend fest. Eichmann wird deswegen auch nicht als "Initiator des Holocaust" sondern vielmehr als "Manager des Völkermords" beschrieben, der sein "Amt" mit großem beruflichen Ehrgeiz versah, so Wildt weiter. Der Gefahr, dass eine Biografie Eichmanns sich in die Beschreibung der Organisation der "Endlösung" wandelt und damit die Person Eichmann aus dem Fokus gerät, ist der Autor nicht erlegen, räumt der Rezensent ein. Dafür aber hat Cesarani zu Wildts Bedauern die Zusammenhänge von Vernichtungspolitik, Befehlsabhängigkeit und der Diskrepanz zwischen "organisatorischer Wichtigkeit und konzeptioneller Bedeutungslosigkeit" nicht genau genug erfasst. Trotzdem ist es dieser Biografie gelungen, mit "alten Stereotypen" aufzuräumen und die Person Eichmann im Spiegel der "neueren Forschung" zu betrachten, betont Wildt eingenommen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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