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Thomas Bernhards zornig-ironischer Blick auf den Literaturbetrieb. Auf die gesamte Menschheit schimpfend und über sich selbst den Kopf schüttelnd, entwirft Thomas Bernhard ein Selbstporträt des Autors als Preis- und Preisgeldempfänger. In zorniger Rückschau zieht er darin eine Bilanz der ihm verliehenen Literaturpreise. Detailliert schildert der begnadete Komiker die Tragödien, zu denen sich die Überreichung jeweils entwickelte - egal, ob Bremer Literaturpreis, Staatspreis für Roman, Grillparzer- oder Georg-Büchner-Preis. Thomas Bernhard hadert mit der Welt im allgemeinen, dem Kulturbetrieb im besonderen und ganz speziell mit sich selbst mittendrin.…mehr

Produktbeschreibung
Thomas Bernhards zornig-ironischer Blick auf den Literaturbetrieb. Auf die gesamte Menschheit schimpfend und über sich selbst den Kopf schüttelnd, entwirft Thomas Bernhard ein Selbstporträt des Autors als Preis- und Preisgeldempfänger. In zorniger Rückschau zieht er darin eine Bilanz der ihm verliehenen Literaturpreise. Detailliert schildert der begnadete Komiker die Tragödien, zu denen sich die Überreichung jeweils entwickelte - egal, ob Bremer Literaturpreis, Staatspreis für Roman, Grillparzer- oder Georg-Büchner-Preis. Thomas Bernhard hadert mit der Welt im allgemeinen, dem Kulturbetrieb im besonderen und ganz speziell mit sich selbst mittendrin.
Autorenporträt
Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 Bänden.
Rezensionen
»Thomas Bernhard hat den Literaturpreiszirkus Zeit seines Lebens verabscheut. Er hat ihn gefürchtet und gehasst, und er hat über ihn gelacht, so gut es ging. Die Rituale der Preisverleihung, die oft unsäglichen Grußworte und ahnungslosen Reden der Funktionäre, ... er hat es in einem Hass ausgekostet bis zur bitteren Neige.«
Hubert Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2009

Eine Lüge namens Bernhard

"Meine Preise" ist manchmal Kafka, manchmal Dostojewskij - und fast immer besser als Thomas Bernhards andere Werke. Über das große Buch eines kleinen Schriftstellers

Von Maxim Biller

Das Arschloch Thomas Bernhard, und das sage ich, obwohl ich ungern schlecht über Tote rede, das Arschloch Bernhard hat ziemlich sicher nur ein einziges gutes Buch geschrieben. Dieses Buch erscheint erst jetzt, obwohl er es schon 1980 geschrieben hat, und es zeigt, was für ein Arschloch er war, und vielleicht wollte er darum nicht, dass es erscheint, solange er noch lebte - und wenn ich wollte, könnte ich in diesem einschläfernden, alles und nichts sagenden Thomas-Bernhard-Ton endlos weitermachen, denn nichts ist einfacher, als so zu schreiben, ich meine, gedankenlos einen Satz an den anderen zu hängen, lauter Sätze, die sich gleichen und doch immer wieder ein bisschen verändern, denn genauso geschieht es auch im Kopf eines Schriftstellers beim Schreiben, und wenn man, sagen wir, Isaak Babel oder Junot Díaz heißt, sucht man sich schließlich den besten dieser sich so sehr ähnelnden Sätze heraus, aber das ist natürlich mehr Arbeit, als alle diese Sätze, so wie Thomas Bernhard es machte, einfach hinzuschreiben, damit sich der Leser den besten davon aussucht. Und wenn man dabei auch noch wie das große, faule, provinzielle, österreichisch-deutsche Arschloch Bernhard hier einen Maler, Politiker, Schriftsteller als Riesenarschloch beschimpft und dort eine Stadt als provinziell und kulturlos und österreichisch oder deutsch, dann hat man sowieso die Leser auf seiner Seite, die glauben, dass sie selbst keine kulturlosen, provinziellen österreichischen oder deutschen Arschlöcher sind, also alle, also auch die Österreicher, also auch die Deutschen, und das Wichtigste ist, seinen Hass nicht mit Argumenten zu untermauern und mit Begründungen zu begründen, so wie es der polternde, grummelnde, opportunistische Kaffeehaus-Schreihals Thomas Bernhard klugerweise auch nie getan hat, denn sonst hätte sich wirklich mal jemand von ihm getroffen gefühlt und nicht bloß literarisch erwähnt und geschmeichelt, und zwar zu Recht, und dann hätte der Oberheuchler Bernhard niemals zwischen Flensburg und Linz als Oberschriftsteller gegolten, und außerdem ist so was sowieso nie die Aufgabe deutscher Dichter und Denker gewesen, ich meine, ihre eigenen Leute grundsätzlich durcheinanderzubringen und ihre Lebenslügen in Frage zu stellen und so weiter. Aber das ist mir egal, und darum will ich, ein nicht ganz so deutscher Dichter und Denker, versuchen zu erklären, warum ich Thomas Bernhard nicht ausstehen kann, tot oder lebendig, und zwar anhand des ziemlich sicher einzigen guten Buches von ihm. Und damit mir das gelingt, muss ich zuerst begründen, warum es so gut ist.

Ja - warum eigentlich? Die ungewöhnlich leicht und unredundant und unverspannt und ungestelzt und auch sonst nicht besonders bernhardesk erzählten autobiographischen Geschichten in "Meine Preise" (Suhrkamp 2009, 15,80 Euro) handeln davon, jedenfalls auf den ersten Blick, wie unangenehm es für Thomas Bernhard immer war, für seine Arbeit als Schriftsteller einen Preis zugesprochen zu bekommen - und ihn dann auch noch anzunehmen. Das klingt schon mal nach einem verdammt uninteressanten interessanten Thema, und das ist es auch. Und es klingt widersprüchlich, verlogen, opportunistisch und dadurch hochliterarisch - und das ist es ebenfalls. Doch bevor man anfängt, Bernhard dafür zu hassen, dass er nein denkt, aber ja sagt, merkt man, dass es in diesem so angenehm thesenlosen und dafür umso erzählerischeren Erinnerungsband nicht nur darum geht, was für ein Heuchler er war, sondern auch, was für ein großes Abenteuer es ist, Schriftsteller zu sein, obwohl man meistens allein an seinem Schreibtisch sitzt, auch als Heuchler, gerade als Heuchler.

Jeder Preis, den Thomas Bernhard in seinem Leben bekam, hatte seine Geschichte, und die war mal tragisch, mal komisch, mal beides. Einmal starb der einzige erträgliche Mensch, der nach einer Preisverleihung beim Essen neben ihm saß und so viel lebendiger und interessanter war als jeder Kritiker oder Kulturbeamte, zwei Wochen später, genauso wie Bernhards vertratschter Verleger es flüsternd prophezeit hatte, und dass der Tote, der Präsident der Salzburger Handelskammer, Bernhard dreißig Jahre vorher die Prüfung als Kaufmannsgehilfe abgenommen hatte, gab der Sache einen ungewohnt menschlichen, melancholischen, unbernhardhaften Scott-Fitzgerald-Touch. Ein anderes Mal kaufte sich Bernhard eine halbe Stunde vor dem Festakt einen sehr teuren Anzug, den ersten seit einem Vierteljahrhundert, bei "Sir Anthony", am Graben, und dann ging er in die Akademie, nahm genervt und beleidigt, weil er nicht so beachtet wurde, wie er beachtet werden wollte, der Doppelmoralist, den Grillparzerpreis entgegen, bei dem es nicht einmal Geld gab. Eine halbe Stunde danach tauschte er den Anzug bei "Sir Anthony" sofort wieder um, weil er sich vor lauter Nervosität in der Größe verschätzt hatte, so dass irgendwann später irgendjemand anderes diesen Anzug kaufte, der schon mal mit Thomas Bernhard beim Grillparzerpreis war. Wie absurd, wie komisch - und mehr Kafka als Bernhard.

Am ergreifendsten und poetischsten und am wenigsten Bernhard ist aber die Geschichte von Bernhards weißem Triumph Herald mit den roten Ledersitzen. Damals, es war das Jahr 1964, schwamm der Prosa-Parvenü Bernhard noch mitten in der postnatalen Euphoriewelle, die man nach jedem zu Ende geschriebenen Roman hat, vor allem, wenn es der erste ist, und das war "Frost". Und dann kam auch noch der Julius-Campe-Preis! 5000 Mark, 35 000 Schilling, keine feierliche Zeremonie, keine Reden von Idioten, keine Rede für Idioten, kein Händeschütteln, nur eine Reise nach Hamburg, das er immer schon liebte, weil man ihn dort schon immer liebte, im Gegensatz zu Salzburg und Wien, und in Hamburg also den Scheck bei Hoffmann & Campe abholen, im Verlag des von ihm vergötterten Heinrich Heine. Dies war ein Preis - der einzige in seinem Leben -, den Thomas Bernhard mochte und wollte. Kaum war er wieder zurück in Wien, sah er im Schaufenster des besten Autohauses der Stadt einen besonders schönen Wagen, der genau 35 000 Schilling kostete. Er kaufte den kleinen, weißen, stolzen Triumph auf der Stelle und liebte ihn, wie andere Menschen Menschen lieben. Er fuhr damit am gleichen Tag fast bis nach Ungarn, und dann fuhr er wieder zurück und zeigte das Auto stolz seiner seltsamen Tante, die gar nicht seine Tante war, sondern nur 35 Jahre älter als er und sein "Lebensmensch", wie er sie nannte, und genauso nannte neulich der Liebhaber von Jörg Haider den dreißig Jahre älteren Jörg Haider nach seinem tödlichen Autounfall, und ob das etwas darüber sagt, ob Thomas Bernhard auch sexuell ein Heuchler war und nicht nur moralisch-literarisch, ist eine andere Geschichte - oder auch nicht. Danach fuhr Bernhard mit der "Tante" und dem Triumph nach Lovran, nach Kroatien, und dort schrieb er schnell die Erzählung "Amras". Wenn er nicht schrieb, bestieg er in Turnschuhen und Sommerhose und kurzärmeligem Hemd den Monte Maggiore oder fuhr mit dem Triumph an der Mittelmeerküste spazieren und "war so glücklich wie noch nie". Fünf Tage, nachdem er das Manuskript von "Amras" nach Frankfurt geschickt hatte, kam ein Telegramm aus Frankfurt: ",Amras' hervorragend, alles in Ordnung." Jetzt war er noch glücklicher und fuhr singend nach Rijeka, und auf dem Rückweg fuhr ihm ein dämlicher Jugoslawe seinen schönen Triumph total kaputt, und Bernhard blutete so stark am Kopf, dass er dachte, das ist das Ende, auf das er sich seit seiner Kindheit eingestellt hatte.

Seitdem, schreibt er, war nichts mehr, wie es vorher war in seinem Leben, obwohl "Amras" erschien und gelobt wurde, obwohl die Versicherung ihm einen neuen Triumph bezahlte, obwohl er danach noch oft an die grünblaue Küste von Kroatien fuhr.

Fortsetzung auf der folgenden Seite

Man glaubt es ihm, absolut, bis in die tiefsten metaphysischen Nervenspitzen, man fühlt es, man will so was schrecklich Schönes selbst auch einmal erlebt haben, und man denkt, ganz schön Dostojewskij, dieser Bernhard, wenn er sich nur anstrengt.

Ja, es ist wirklich sehr aufregend, ein Schriftsteller zu sein - vor allem wenn man so talentiert und mutlos ist wie Thomas Bernhard. Womit ich beim Bremer Literaturpreis wäre. Diesen Preis - es ist das Jahr 1964 - hasste Thomas Bernhard ganz besonders, allein schon wegen der sterilen Kleinstadt Bremen und ihrer kleinbürgerlichen Großbürger, von denen er ihn entgegennehmen sollte. Und dann saß er auch schon in diesem spießbürgerlichen Bremen im Hotel, und ein paar Bremer Bürgermonster kamen, um ihn zur Preisverleihung abzuholen. Er fühlte sich, sagt er, schreibt er, als führten sie ihn "zu einer Gerichtsverhandlung" ab. "Sie hatten ihren Häftling in die Mitte genommen und waren mit ihm vom Hotel in die Stadt hineingegangen ins Rathaus". Wer fragt sich nicht an dieser Stelle, warum Bernhard auf Josef K. machte und mitging. Wäre es so schwer gewesen, nein zu sagen? Hätten sie ihn erschossen? Aber der grummelnde Heuchler und Mitläufer und Schein-Widersprecher Bernhard hatte bei jedem Preis, den er hasste, aber annahm, eine Begründung gefunden, warum er sich in sein Preisträgerschicksal zu fügen hatte. Meistens war es natürlich wegen des Geldes, weil er gerade Schulden bei seinem Lektor hatte oder er noch ein Haus kaufen wollte, und den Büchnerpreis akzeptierte er nur deshalb, denkt er, sagt er, schreibt er, weil die "Tante" am selben Tag Geburtstag hatte wie Büchner, und den Österreichischen Staatspreis nahm er nur an, weil sein geliebter Großvater, der heimatliche Schwachschreiber Johannes Freumbichler, ihn auf den Tag genau dreißig Jahre zuvor bekommen hatte, und so weiter.

Ein Jahr nach Bremen musste Thomas Bernhard wieder nach Bremen, jetzt war er selbst Mitglied in der Preisjury, und als er Elias Canetti vorschlug, sagte jemand am Tisch, um seine Ablehnung zu begründen: "Der ist ja auch Jude", und das war es. Endlich! Endlich konnte der große Held und Arschlochbeschimpfer und Mitläuferverächter Thomas Bernhard zeigen, was für ein anständiger Mensch er selbst war. Aber er sagte nichts, gar nichts, er "zog es vor, mich an der weiteren Debatte überhaupt nicht zu beteiligen", dieser beschissene, feige Mitläufer, der er selbst war - und das ist noch nicht alles. Als er drei Jahre darauf beim Österreichischen Staatspreis - dem verdammten Kleinen Staatspreis, denn wenn schon, dann hätte er natürlich lieber den Großen Staatspreis bekommen, weil den Kleinen bekamen nur "Arschlöcher", wie er in "Meine Preise" seitenweise seine jüngeren Kollegen beschimpft -, als er vom Kulturminister als "ein in Holland geborener Ausländer, der unter uns lebt" beleidigt wurde, stand er ebenfalls nicht auf und widersprach nicht oder ging raus, obwohl er am liebsten den Minister geohrfeigt hätte. Und das ist immer noch nicht alles! Als Nächstes kam der Anton-Wildgans-Preis, und weil derselbe Kulturminister seine Teilnahme an dieser Preisverleihung aus natürlicher Bernhard-Aversion abgesagt hatte, wurde die ganze Zeremonie abgesagt, und das fand der große Allesverneiner Thomas Bernhard noch viel schlimmer als die Sache mit dem Ausländer beim verfluchten Kleinen Staatspreis, eine "Schweinerei" fand er das, ja, genau. Dann traf er im Kaffeehaus seinen Freund Gerhard Fritsch, den Schriftsteller und Mitglied in der Anton-Wildgans-Preis-Jury, und forderte ihn auf, Zivilcourage zu zeigen und wegen der "Schweinerei", die ihm angetan wurde, aus der Jury auszutreten. Aber Fritsch sagte, das könne er nicht, er brauche das Geld für seine vielen Frauen und Kinder. Und als was beschimpfte daraufhin Bernhard den Fritsch, der genau wie Bernhard seinen Opportunismus so gut und spießbürgerlich zu begründen wusste? Als inkonsequent und armselig. Aha, natürlich, danke. "Nicht lange nach dieser Unterredung", beendet Thomas Bernhard die Anton-Wildgans-Preis-Geschichte in "Meine Preise" mit einer Kälte, hinter der sich der hitzige Gedanke verbirgt, der verlorene Freund und Verräter habe es nicht anders verdient, "hat sich Fritsch an dem Haken seiner Wohnungstür aufgehängt. Sein von ihm selbst verpfuschtes Leben war ihm über den Kopf gewachsen und hatte ihn ausgelöscht". Ja, was für ein bigottes, katholisches, larmoyantes Mitläufer-Arschloch, dieser Thomas Bernhard!

Ich glaube, der verlogene Held unseres verlogenen Bildungsbürgertums war in keinem seiner Bücher so ehrlich wie in "Meine Preise". Das gehört aber immer dazu, wenn man ein großer Schriftsteller sein möchte. Endlich versteckte er sich nicht hinter seinem fast schon kolumnistenhaften, unliterarischen, unbegründbaren Hass auf andere und hinter seinem allesverdunkelnden, redundanten Schleifenstil, der den Leser so lange einlullt und hypnotisiert, bis der gar nicht mehr weiß, was er liest, außer, dass er liest, und das ist etwas, was deutsch sprechende und deutsch nichtdenkende Halbdenker immer am liebsten machen, also so tun, als ob - als ob sie die Literatur lieben, als ob sie verstehen wollen, was sie lesen, als ob sie die Welt schöner, wahrer, besser machen wollen. Auf dieser Lüge basierte schon immer die ganze antiaufklärerische Hölderlin-, Thomas-Mann- und Rainald-Goetz-Verschwörung, und wer mir das Gegenteil beweisen kann, bekommt von mir den Ilf-und-Petrow-Preis und zehn Rubel. In "Meine Preise" hat Bernhard endlich einmal mit diesem deutschen Bildungbürgerkonsens gebrochen, er hat erzählt, wie es wirklich war und wie es ist, er hat die Wahrheit gesagt, nichts als die Wahrheit, auch und gerade über sich und seine Heuchelei und Schwäche, was er sonst nie tat, und darum ist dieses Buch so gut, so sehr LITERATUR und REALITÄT in einem, und darum erkennt man, wenn man es liest, wie beschissen und verlogen und unliterarisch seine anderen Bücher waren. Ihm selbst ist einmal die ganze Wahrheit rausgerutscht, seine eigentliche Poetik sozusagen, er hat, wenn man so will, gegen die deutsche Künstler-Omertà verstoßen, und er hat allen, die es verstehen wollten, verraten, wie seine so raffiniert weltabgewandte Un-Literatur funktioniert. Das war in seiner Rede zum Büchnerpreis, den er natürlich annahm, was sonst. "Was wir veröffentlichen", sagte er dort, "ist nicht identisch mit dem, was ist, die Erschütterung ist eine andere, die Existenz eine andere." Wenn Saul Bellow, Denis Johnson oder Pasternak das hören würden, würden sie nicht glauben, dass es eine Sprache auf der Welt gibt, in der man sich trauen kann, ein solches irreguläres, unehrliches, dämliches, ängstliches, amateurhaftes Literaturkonzept zu formulieren, ohne vom Podium verjagt zu werden.

Ich schwöre - das wollte ich übrigens auch noch schnell sagen, denn ich selbst bin alles andere als ein Mitläufer mit geballter Faust in der Tasche -, ich schwöre, ich werde niemals einen Literaturpreis annehmen. Außer natürlich meine Tochter sagt, sie will nach der Schule unbedingt nach Harvard, und wir brauchen das Geld.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2009

Staatsknete abgreifen
Arg spießig: Thomas Bernhard schimpft über seine Preise
Auf die Idee, einem Dichter einen Preis zu geben, kam zum ersten Mal ein Dichter. Francesco Petrarca, gelehrt und selbstverliebt, hatte bei einem römischen Autor gelesen, das Ehrenzeichen des Lorbeers gebühre auf Erden genau zwei Personen: dem siegreichen Caesar und dem begnadeten Poeten. Diesen Gedanken wollte er zum Leben erwecken. Er besorgte sich einen König – es war der Herrscher von Neapel –, der mitspielte und feierlich seine Zustimmung erteilte, und ließ sich 1343 auf dem Kapitol in Rom in einem langwierigen Ritus voller lateinischer Reden einen Lorbeerkranz aufs Haupt drücken.
Das heutige Institut des Literaturpreises – in keinem Land der Welt ist es so verbreitet wie in Deutschland –, hat sich diesen gelehrten und amtlichen Anstrich erhalten. Nicht umsonst sind seine Bühnen häufig Stadttheater und Rathäuser. Denn Monarchen sahen Künstler zwar gern um sich und brauchten sie für ihre Feste. Aber fürs Metier mussten sie sich natürlich nicht interessieren. Wenn sie mit kleinen Geschenken – beispielsweise einer kostbaren Tabaksdose – ihren Beifall zeigten, mussten Genies wie Mozart oder Beethoven dankbar sein, ihnen ein paar Werke zueignen zu dürfen. Was für ein Krampf herauskommt, wenn ein Künstler, gar Dichter, auf Verständnis und wahrer Schätzung durch die Obrigkeit besteht, hat Goethe in seinem „Tasso” dargestellt, einem Stück, das jeder Schriftsteller lesen sollte, bevor er zu einer Preisverleihung fährt.
So delegierten die Herren der Welt das literarische Preiswesen am liebsten an ihre Akademien, die sowieso vor allem mit Sitzungen und Redenhalten beschäftigt waren. Von dort wanderte es am Ende des 19. Jahrhunderts im reich gewordenen wilhelminischen Deutschland an die Städte, wo es geblieben ist und seither eine ungebrochene Blüte erlebt. Damit war es in die Sphäre von lokalpatriotischer Wichtigtuerei und amateurhafter, aber aufrichtiger Kunstliebe gekommen. Der soziale Vorgang, der hier Jahr für Jahr an Dutzenden von Orten nachgespielt wird, ist ein Tausch von Geld und Symbolen: Der Dichter erhält eine gewisse Summe, die verleihende Körperschaft erfreut sich an seiner feierlichen Anwesenheit.
Besiegelt wird der Tausch durch Reden von beiden Seiten: Die den Preis verleihende Einrichtung bekundet nicht nur Verehrung, sondern verständnisvolle Schätzung; sie wird bewiesen durch die Laudatio. Der Dichter dankt mit einem kleinen Prunkstück aus seiner Werkstatt, und das ist der Höhepunkt, für den das viele Geld überhaupt ausgegeben wurde. Empfang, gesetztes Essen, noble Unterbringung, ein bisschen Drumherum sollte auch sein.
Wer einen Preis erhält, muss sich in einen Ritus fügen, der gerade Schriftstellern – Handwerkern der Einsamkeit – wenig liegt. Viele leiden furchtbar unter Lampenfieber, und das moderne Theorem dichterischer Sprachnot bekommt hier eine unerwartete praktische Verwendbarkeit.
Auch hat der monetäre Untergrund des Vorgangs unverkennbar etwas Demütigendes, das nur bei sehr großen, traditionsreichen Preisen, bei denen die Ehre ganz im Vordergrund steht, entfällt. Der Dichter macht Männchen auf einer oft provinziellen Bühne, wofür? Für einen Scheck, der manchmal nicht mehr als zwei luxuriöse Urlaubsreisen ermöglicht, den er aber doch gut gebrauchen kann. Caesaren sehen anders aus.
Hier gibt es nur zwei Auswege: Ablehnen oder ein Spiel daraus machen. Abgelehnt wird sehr selten. Die Grazie individuell angeeigneter Konvention – mit ein paar ernsten Momenten – gelingt gelegentlich. Beliebt war eine Zeitlang das existenzialistische Herumgeprolle, bei dem der Dichter sich als Außerirdischen aus einer Sphäre tieferer Gedanken, wahrerer Empfindungen, bedeutender Einsicht darstellt und die Hand, die ihm die Urkunde überreicht, mindestens kratzt.
Solche radikale Wichtignehmerei passt zur Wichtigtuerei der Stadträte, Minister oder Akademiker, die die Preise vergeben. Dass ein von Tod, Krankheit, Zerfall besessener Autor wie Thomas Bernhard ein eigenes Buch „Meine Preise” schreiben konnte, hätten wohl nur die geglaubt, die noch nie eine besonders hohe Meinung von ihm hatten. Nun ist es da, und es zeigt, wie Maxim Biller zutreffend feststellte, ein regelrechtes „Arschloch”. Dass Bernhards Suada tiefe Unlust am Denken verbirgt, war schon immer zu ahnen; hier ist es mit Händen zu greifen.
Bernhard leidet bei allen Preisverleihungen wie ein Hund; am liebsten ist ihm die Übergabe des Schecks in einem hanseatischen Kontor, ohne Reden, aber mit gutem Essen hinterher. So lief es 1964 beim Hamburger Julius-Campe-Preis, der erfreulichsten Preisverleihung in Bernhards Leben. Denn warum akzeptiert der leidende Schriftsteller überhaupt Preise, die „naturgemäß” vor allem eines verraten, „grenzenlose Niedertracht” – weniger darf es nie sein? Er braucht das Geld, für einen Bauernhof, für ein Auto, für Begleichung von Schulden, für neue Fensterstöcke. „Aber Preise sind überhaupt keine Ehre, die Ehre ist eine Perversität, auf der ganzen Welt gibt es keine Ehre.” Wenn es so ist, dann darf man auch selbst „charakterlos”, „ein Schwein” sein. Schließlich wäre man „ein Narr”, wenn man die Steuergelder nicht nähme.
Und dann kommt noch ein Argument, von dem man sich fragt, ob Bernhard seine Ekelhaftigkeit überhaupt wahrgenommen hat: Schlimmeres verhüten. „Nehme ich nicht das Geld, wird es einer Niete in den Rachen geworfen, die nur Unheil anrichtet mit ihren Erzeugnissen und die Luft verpestet.” Bernhard, so lässt sich der Inhalt dieses Nachlasswerks auf den soziologischen Nennwert bringen, will Staatsknete ohne Gegenleistung, damit kein anderer sie bekommt. Der Mann passt in die Welt, die er in seinen immergleichen Satzketten angeprangert hat.
Glücklicherweise erzählt dieses Buch nicht nur von den Preisen und den Umständen ihrer Verleihung, sondern auch davon, was Bernhard mit dem Geld angestellt hat. Der erstaunlich spießige, aber doch rührende Höhepunkt ist der im Kolorit eines Sechziger-Jahre-Films geschilderte Kauf eines weißen Autos mit roten Polstern, das die Gelegenheit für einen brausenden Mittelmeerausflug gibt, samt dramatischem Knall bei einem Verkehrsunfall.
Nur peinlich berührt das abgestandene Österreich-Geschimpfe, zumal Bernhard seine eigene Stoffeligkeit genussvoll, keineswegs selbstironisch vorführt. Die Österreichische Akademie hat es beim Grillparzerpreis versäumt, ihn am Eingang gebührend zu empfangen. Bernhard und seine Begleiterin setzen sich daraufhin nicht in die erste Reihe, sondern mitten ins Publikum. Nach vorn zu kommen, dazu ist er nur bereit, wenn der Akademiepräsident ihn persönlich dazu auffordert und begleitet. Auch hier wieder reinstes Spießertum: Freude am Demütigen anderer. Nichts Besseres kann diesem Bösen passieren, als wenn ein rührend ahnungsloser Kultusminister auf seine Provokationen hereinfällt – „Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als gemeines Desinteresse am Leben” – und den Saal türenknallend verlässt.
Dabei war Bernhard nicht völlig unempfänglich für die Freundlichkeit, die all die Niedertracht in Luft auflösen kann. Beim Preis der österreichischen Bundeswirtschaftskammer sitzt er neben dem Salzburger Handelskammerpräsidenten, der einst seine Abschlussprüfung an der Handelsschule abgenommen hat. Dieser Herr Haidenthaller ist, wie man Bernhard zuflüstert, schwer krank und hat nur noch zwei Wochen zu leben; und siehe: Er ist kein Monster, sondern ein aufmerksamer Mensch, mit dem der einstige Handelsschüler sich über die Hunderte chinesischer Teesorten austauschen kann.
In Darmstadt, beim Büchnerpreis, muss Bernhard erkennen, dass er zwei nicht ganz verächtliche Mitpreisträger hat: den Physiker Werner Heisenberg und den Kritiker Joachim Kaiser, der ihn durch „verblüffenden geballten Kenntnisreichtum” in Musikfragen beeindruckt. Aber freilich: „Von Literatur versteht Kaiser nichts.” Überhaupt waren die Herren der Akademie „die freundlichsten”. Als bekannt wird, dass Bernhards Begleiterin, seine „Tante”, am Tag der Preisverleihung Geburtstag hat (es ist auch Geburtstag Georg Büchners), besorgt der Akademiepräsident einen Strauß von 76 Rosen für die betagte Dame. Nicht einmal niederträchtig ist man zu Darmstadt!
Die Ansprache, die Bernhard zum Büchnerpreis hielt, ist eine der schlechtesten in der langen Reihe von Büchnerpreisreden. „Alles handelt von Fürchterlichkeit, von Erbärmlichkeit, von Unzurechnungsfähigkeit”, heißt es, dabei behauptet Bernhard, „Denken ist folgerichtig die konsequente Auflösung aller Begriffe”, aber mehr als solches Gewummere mit Allgemeinheiten enthält die nur fünfminütige Ansprache nicht. Später trat Bernhard aus der Darmstädter Akademie aus, mit dem leichtesten aller verbalen Siege, der Frage, worin eigentlich ihre Existenzberechtigung bestehe. Bernhards traurig-komischen Band „Meine Preise” durchlesend könnte man antworten: im erhöhten Leistungsdruck beim Halten von Reden. Ihm hat sich Thomas Bernhard erfolgreich entzogen. GUSTAV SEIBT
THOMAS BERNHARD: Meine Preise. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 141 Seiten, 15,80 Euro.
Es gibt hier nur zwei Auswege: Ablehnen oder ein Spiel daraus machen. Abgelehnt wird selten.
„Nehme ich nicht das Geld, wird es einer Niete in den Rachen geworfen.”
Thomas Bernhard 1971 im Kaffeehaus Foto: picture-alliance
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"Köstlich, traurig und überwältigend" lasen sich für Rezensentin Ina Hartwig viele der in diesem Band versammelten Texte Thomas Bernhards über seine Preise. Auch handelt es sich ihrer Ansicht nach bei den Preisreden um "reine Literatur", und zwar insofern, als der Umstand der jeweiligen Preisverleihung ihrem Eindruck zufolge bloß als Anlass diente, "um ein Füllhorn von typischen Motiven, Emotionen und Anekdoten zu offerieren". Auch zeigt der Band ihr einen Thomas Bernhard, den sie so bisher nicht gekannt hat: "einen erschütternd unfähigen, einen durch öffentliche Rituale vollkommen gelähmten Menschen" nämlich. Manchmal sieht sie in den Texten eine Anekdote sich zur komplexen Erzählung ausweiten. Auch gesteht sie vielen Honoratioren und preisverleihenden Instanzen zu, mit Recht beleidigt gewesen zu sein. Manche Städteporträts findet sie dann aber doch von geradezu "vorzüglicher Ungerechtigkeit".

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