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Als Mädchen durchschritt Amélie Nothomb eine lange und schmerzliche magersüchtige Phase und kompensierte die fehlende Nahrung durch das Lesen. Heute erinnert sie sich.

Produktbeschreibung
Als Mädchen durchschritt Amélie Nothomb eine lange und schmerzliche magersüchtige Phase und kompensierte die fehlende Nahrung durch das Lesen. Heute erinnert sie sich.
Autorenporträt
Amélie Nothomb, 1967 in Kobe geboren, hat ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines belgischen Diplomaten in Japan und China verbracht. Nach Abschluß ihres Philologiestudiums hat sie beschlossen, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie lebt in Brüssel. Die Autorin schreibt, seit sie siebzehn ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2009

Wie? War das alles?

Von hinten aufgerollt: Die Autobiographie der belgischen Autorin Amélie Nothomb erzählt von ihrer Kindheit und Jugend als Diplomatentochter, vor allem aber handelt ihr Roman von der Kunst der Unersättlichkeit.

Maultaschen und Kaiserschmarrn gehören wohl kaum zu den Lieblingsgerichten dieser Autorin. Beides sind Mehlspeisen, haben im Übrigen jedoch wenig miteinander gemein. Umgekehrt verhält es sich nämlich mit den Büchern von Amélie Nothomb: unterschiedliche Zutaten, ähnliche Rezepte. Und wie die täglichen Mahlzeiten kommen in festen Abständen ihre neuen Romane auf den Verkaufstisch, jedes Jahr einer. Der vorliegende trägt schon im Titel den genitivus nothombensis: jenen Kunstgriff der unscharfen Zuordnung zweier wesensfremder Dinge, mit denen die 1967 im japanischen Kôbe geborene Autorin belgischer Herkunft gern spielt. "Metaphysik der Röhren", "Kosmetik des Bösen" hießen frühere Werke. "Ich bin der Hunger", heißt es in diesem Buch, das die ersten zwanzig Lebensjahre der Autorin, Tochter eines Diplomaten, in Japan, China, New York, Bangladesch und Burma erzählt. Da jedes erzählende Ich zwangsläufig eine Biographie hat, wird daraus die Lebensgeschichte des Hungers. Hunger als Objekt wie als Subjekt. Ein kindlicher Hunger nach Essbarem, Trinkbarem, Erlebbarem, nach Liebe, Sättigung, Tod.

"Nein, du hast in knapp vier Minuten fünfzehn Gläser Wasser in dich hineingeschüttet. Du platzt gleich" - ermahnt die Mutter die Zehnjährige. Was die Mutter nicht zu wissen scheint, ist, dass die Kleine von Natur aus etwas von einer Röhre hat - aufnehmen, aussondern - und gleich nach dem Trinken zehn Minuten lang auf der Toilette verbringen kann: eine osmotische Welteinstellung, wie wir seit der "Metaphysik der Röhren" wissen. Alles fließt, alles läuft durch. Zurück bleiben Momente von Lust und Befriedigung, aufgefangen wie kleine Erinnerungskristalle an den feinen Stacheln einer überdurchschnittlichen, egomanischen Intelligenz.

Sie bewirkt, dass die Anekdoten und Ereignisse dieser Biographie, die Kindergartenjahre im japanischen "yôchien", die frühen siebziger Jahre unter der Viererbande in China nach der Kulturrevolution, die Glücksjahre des permanenten Himmelblicks zwischen den Wolkenkratzern von New York, für sich genommen bedeutungslos sind und immer erst im Verhältnis zum überdimensionalen Ich der Erzählerin Substanz annehmen.

Welterfahrung läuft über die Zunge, Organ der Nahrungsaufnahme und der Sprache. Schon das "Frapanisch" sprechende Mädchen ist unersättlich für die im Französischen wie im Japanischen fein voneinander abgesetzten Silben und die klaren Laute, von denen man wie von Sushis, Pralinen oder Schokoladetafeln zwischen Zunge und Zähnen kleine Eckchen abbrechen kann, ganz im Unterschied zur Matschsprache Englisch, "die alles zu einem Lispelbrei zerkocht".

Diese Autobiographie ist geschrieben wie ein von hinten aufgespulter Entwicklungsroman. Geschildert werden Lebensstationen eines Mädchens, die immer erst im Nachhinein relevant werden. Denn allmählich beginnt die Röhre, die Erfahrungen nicht mehr einfach durchlaufen zu lassen, sondern durch differenzierte Aufnahme im Ich zu sortieren und so bestimmte Muster von Welt hervortreten zu lassen. "Wie? War das alles?" - diese Grunderfahrung der Unersättlichkeit gegenüber Speisen, Büchern, Gefühlen bleibt zwar bestehen, doch sie wird selektiv. Das hat wohl mit der Situation des belgischen Diplomatenmädchens zu tun, das gern in Atlanten schmökert und das nach dem Umzug nach Peking den Vater fragt, wann die Familie endlich wieder nach Hause geht, das heißt ins japanische Shukugawa. "Nie", antwortet der Vater. Im Lexikon findet die Kleine dann bestätigt, was das bedeutet. "Nie war das Land, in dem ich lebte." Die "Nieaner" glauben nicht an Wachstum, Vermehrung von Schönheit, Weisheit, Erfahrung, räsoniert die Erzählerin, sie wissen vielmehr von Geburt an, dass das Leben Verlust, Verfall, Enteignung ist.

Was bei anderen Autoren existentiell Fäden zieht, kommt bei Amélie Nothomb trocken, kantig, etwas schrill und stets auf mehrere Facetten geschliffen heraus. Das macht ihre Bücher kurzweilig, doch bleiben sie manchmal auch nur kurz im Gedächtnis. Die Virtuosität, mit der die Autorin Situationen, Anekdoten, Überlegungen vermischt, grenzt mitunter ans Frivole. Abgründiges wird auf Spiegellackbrettchen serviert, das Morbide schmilzt auf der Zunge, das Ernste zerbricht klirrend am Witz. Brigitte Große hat in ihrer relativ freien Übersetzung dafür die richtige Mischung gefunden. Ihre Sätze sind umgangssprachlich federnd, manchmal leicht salopp, ohne jeden Mehlstaub deutscher Umständlichkeit.

JOSEPH HANIMANN

Amélie Nothomb: "Biographie des Hungers". Roman. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 207 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.09.2009

Für Ultra-Narzissten
Amélie Nothomb sucht Schokolade und findet Zuckerwerk
Schlaue Narzissten erkennt man daran, dass sie sich ausgiebig über sich selbst lustig machen. Sie lachen charmant darüber, dass sie sich für bemerkenswert, grandios und gottgleich halten. Das Abgefeimte dieser Camouflagetechnik: Sie glauben, Gelächter hin oder her, trotzdem an ihre gottgleiche Persönlichkeit. Die Selbstironie ist nur ein Präventivschlag, der dem Verlachen durch andere zuvorkommt. Die belgische Autorin Amélie Nothomb ist eine Galionsfigur der Ultra-Narzissten: Seit 1992 schreibt sie einen Bestseller nach dem anderen, und sehr oft geht es in diesen Büchern um monströs-niedliche kleine Mädchen, die sich mit entwaffnender Komik beim Großwerden zuschauen und dabei den Lebenslauf der Amélie Nothomb selbstironisch in Szene setzen.
Auch die „Biographie des Hungers” handelt vom Aufwachsen der kleinen Amélie: Als Diplomatenkind besucht sie in Japan den Kindergarten, geht in China zur Schule, nimmt Ballettunterricht in New York und durchlebt die Pubertät in Bangladesch. Und wie kommt da der Hunger ins Spiel? Die Icherzählerin beschreibt sich als gefräßiges Monster, das nach Süßigkeiten giert und allmählich die Sprache entdeckt. Es „hungert” und „dürstet” sie nach Literatur, nach Liebe, nach Alkohol, nach Aufregung, ja, nach dem Leben im Allgemeinen. Ein Ego also, das ständig befüllt und betankt sein will – mit wachsendem Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass ein derart schlichter Gedanke tatsächlich auf 207 Seiten ausgebreitet wird.
Das „Schleckermäulchen” sucht Schokolade, doch dann wird das Lesen zum „Zuckerwerk für den Geist”. Nach solchen stilistischen Aussetzern und Plattitüden rechnet man mit dem Schlimmsten – mit einer Vokabel wie „Naschkatze” zum Beispiel (die zwar nicht auftaucht, aber das angestrebte neckisch-verspielte Image auf den Punkt gebracht hätte). Der dauererregte Tonfall komplettiert das Bild der exaltierten Diplomatentochter: „Ich umarmte die Welt bis zum Ersticken”, heißt es, Birma ist zum Zusammenbrechen schön und New York bedeutet „Jubel, Jubel, Jubel”. Da hilft es auch nicht mehr, dass sich die Icherzählerin auf durchaus komische Weise über ihren kindlichen Größenwahn lustig macht.
Klar, es geht auch um Alkoholismus und Anorexie, um Probleme also, die bedrohlich unter der Oberfläche des Lebenshungers lauern und der Luxusgöre das Leben schwermachen. Und dennoch ertappt man sich immer häufiger bei niedrigen Wünschen in Nazi-Opa-Manier: Dass dieses Ego wenigstens einmal im Leben richtig Hunger haben müsste.
JUTTA PERSON
AMÉLIE NOTHOMB: Biographie des Hungers. Roman. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 207 Seiten, 18,90 Euro.
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