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In den autobiographischen Jugenderinnerungen Thomas Bernhards sind zentrale Motive seiner Romane verankert und die Ursprünge früher Verletzungen nachzulesen: die Kindheit, die Schulzeit im Salzburger Internat, Lehre und Studium und seine Isolation als Achtzehnjähriger in einer Lungenheilstätte. Wer dieWelt von Thomas Bernhard verstehen will, findet hier den Schlüssel. Das ist die Geschichte eines jungen Menschen, auf dem eigentlich nur herumgetrampelt worden ist, sei es von Seiten der Stadt, ihrer Bewohner, der Verwandtschaft, ganz gleich. Thomas Bernhard Die Autobiographie ist Thomas…mehr

Produktbeschreibung
In den autobiographischen Jugenderinnerungen Thomas Bernhards sind zentrale Motive seiner Romane verankert und die Ursprünge früher Verletzungen nachzulesen: die Kindheit, die Schulzeit im Salzburger Internat, Lehre und Studium und seine Isolation als Achtzehnjähriger in einer Lungenheilstätte. Wer dieWelt von Thomas Bernhard verstehen will, findet hier den Schlüssel. Das ist die Geschichte eines jungen Menschen, auf dem eigentlich nur herumgetrampelt worden ist, sei es von Seiten der Stadt, ihrer Bewohner, der Verwandtschaft, ganz gleich. Thomas Bernhard
Die Autobiographie ist Thomas Bernhards reichstes und reifstes Werk. Sie gehört zu den großen literarischen Dokumenten der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. (Marcel Reich-Ranicki)
Autorenporträt
Thomas Bernhard geboren am 9. Februar 1931, gestorben am 12. Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). 1952-1957 Musikund Schauspielstudium an der Akademie Mozarteum Salzburg, ab 1957 freier Schriftsteller. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Österreichischer Staatspreis 1967, Georg-Büchner-Preis 1970
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2010

Zauberberg der Infamie
„Die Zeit macht aus ihren Zeugen immer Vergessende“: Ulrich Matthes, Peter Simonischek,
Gert Voss und andere lesen Thomas Bernhards autobiographische Schriften
Wo Thomas Bernhard schrieb, war die Zuspitzung zu Hause. Die Wiederholung, der Superlativ, das nachgestellte Adverb waren sein Element, „naturgemäß“. Es ist, paradox genug, das betörende Sprachreich des „Alles“ und des „nichts“ und des „immer“, in dem sich der Zweifel als Lebenshaltung einnistete. Die Musikalität seiner Sprache, die Geschmeidigkeit einer unverwechselbaren Suada schien Zirkus zu sein und Kunstverlangen und war Notwendigkeit. Anders ließen sich die Ängste nicht in Laute übersetzen. Darum gibt auch Thomas Bernhards Prosa ihren verzehrenden Kern erst vollends preis, wenn sie laut und beharrlich gelesen wird. Auf 15 CDs versuchen sich nun fünf Vortragsvirtuosen an den „Autobiographischen Schriften“.
Zu Beginn gibt Ulrich Matthes den Kartographen einer seelischen Urerschütterung. In „Die Ursache – Eine Andeutung“ schildert Bernhard das Jahr im nationalsozialistischen Internat zu Salzburg, dem „Kerker“ in der Heimatstadt, die „in Wirklichkeit eine Todeskrankheit“ sei. Refugium für den 12-jährigen Bernhard wird eine finstere Schuhkammer, in die er sich zum Geigenspiel zurückzieht, „das Schönste überhaupt auf der Welt“ ist die Musik. Matthes lässt Luft zwischen die Silben, dehnt die Vokale sacht, „o“ und „a“ vor allem, und schickt den Konsonanten einen Anhauch voraus. Kühl bis ins Mark gerät sein Vortrag, schubweise unterbrochen von Ausflügen ins hämmernd Burschikose: „Die Zeit macht aus ihren Zeugen immer Vergessende.“
Matthes, dem Entzifferer einer Landkarte des inneren Schreckens, folgt Peter Simonischek, dem Preußen der Österreicher. „Der Keller – Eine Entziehung“ wird zur keineswegs gemütlichen, aber doch engagierteren Erinnerung an die „Lehrstelle als Überlebensstelle“ beim Lebensmittelhändler Podlaha. Dorthin war der 16-jährige Bernhard nach dem Schulabbruch geflüchtet, um „in der allergrößten Nützlichkeit unter möglichst vielen Menschen zu sein“. Simonischek spricht schneller, rauer, schwankungsreicher und zieht so das Geschehen näher an sich heran. Die bekenntnishaften Stellen erhalten einen deutlich rechtfertigenden Tonfall: „Ich habe immer gestört, und ich habe immer irritiert. Alles, was ich schreibe, alles, was ich tue, ist Störung und Irritierung.“
Wolfram Berger, der Dritte im Bunde, macht „Der Atem – Eine Entscheidung“ zur abgründigen Plauderstunde. Wurschtig geradezu erzählt er von Bernhards „nasser Rippenfellentzündung“, die das „Durchstechen des Brustkorbs“ erzwang. Im Salzburger Landeskrankenhaus floss literweise die „gelb-graue Flüssigkeit“ aus Bernhards Lunge mittels Gummischlauch ins Gurkenglas. Der 18-Jährige sah sich in einer „Todesproduktionsstätte“ abermals gefangen. In Bergers privat wirkender Diktion werden die Pausen effektvoll gesetzt, „jetzt - will ich leben“. Ansonsten kennt der knurrig plätschernde Bewusstseinsstrom kein Halten.
Mit „Die Kälte – Eine Isolation“ kehrt eine Portion Fremdheit zurück. Burghart Klaußner nimmt die Silben als Leitplanken der Rede, vereinzelt sie fast, „hier, wo der Spucknapf herrschte“. Gemeint ist die Lungenheilanstalt Grafenhof, die nächste Etappe im Martyrium eines werdenden Künstlers. Machtvoll übernimmt jetzt die Groteske das Regiment – ein Zauberberg der Infamie entfaltet sich groß und wunderlich. Die ganze Menschenexistenz ist hier um die Produktion von möglichst viel Sputum zentriert. „Da ich einmal da war, wollte ich in diese Gemeinschaft gehören, auch wenn es sich um die scheußlichste und entsetzlichste Gemeinschaft handelte, die sich denken lässt.“ Bei Klaußner wird der Zweifel im zuweilen stockenden Vortrag selbst Klang, weshalb er diese Dimension der Bernhardschen Weltwahrnehmung am überzeugendsten vermittelt.
Bei Gert Voss schließlich betritt das Zirkuspferd die Bühne, der große August mit der Pauke inmitten der Manege. Voss liest, wie heute kaum jemand liest, mit Grandezza und Aplomb, er beißt die Silben und bellt sie heraus, schnauft und zischt, ist Silbenfaxenmacher und Wortdompteur. Ein veritabler Bruch ist diese effektvolle Deklamation, doch einen Bruch markiert auch „Ein Kind“. Das abschließende Werk über den 8-jährigen Knaben Thomas hat komische und zärtliche Züge. Großvater Freumbichler, der „einzig wirklich geliebte Mensch“, wohnt auf einem „heiligen Berg“ und verkörpert die ungetrübte Hoffnung, Menschen könnten menschlich einander begegnen. Das Kleinkinderglück sollte Episode bleiben. Wohingegen diese fünffach charakteristische Lesung durchaus Epoche machen darf.
ALEXANDER KISSLER
Thomas Bernhard
Autobiographische Schriften
Gelesen von Ulrich Matthes, Peter
Simonischek, Wolfram Berger,
Burghart Klaußner und Gert Voss.
Audio Verlag, Berlin 2010. 15 CDs,
1122 Minuten, 70 Euro.
„Da ich einmal da war,
wollte ich in diese
Gemeinschaft gehören . . . “
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