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Produktdetails
  • Verlag: Jaron Verlag
  • 1999.
  • Seitenzahl: 204
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 321g
  • ISBN-13: 9783897730021
  • ISBN-10: 3897730022
  • Artikelnr.: 08007223
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2000

Lesetipp zum Wochenende
Er hält es mit dem Jazz
Heinz Knoblochs Berliner Kindheit von der Olympiade zum Krieg
Er ist einer der letzten klassischen Berlin-Flaneure, und in der DDR, wo Heinz Knobloch, geboren 1926, für die Wochenpost schrieb, dürfte er der bekannteste und meistgelesene Feuilletonist gewesen sein. Im Westen ist der leise Autor nach wie vor weit weniger bekannt, als er es verdient hätte. Wer ihm bei der Arbeit zusehen möchte, könnte vielleicht zu einem seiner Friedhofsbücher, „Berliner Grabsteine”, und dabei entdecken: Der Mann besitzt ein wahrhaft mausoleisches Gedächtnis, und zwar für Menschen wie für Orte. In der DDR allerdings wurde dieses Gedächtnis offiziell nicht besonders geschätzt. Knoblochs Mementos irritierten das Selbstbewusstsein eines Staats, der sich nur dem Leben, der Zukunft zugewandt fühlte.
Nun hat Heinz Knobloch seine Berliner Kindheitsgeschichte aufgeschrieben und damit nach „Eierschecke” (über die frühe Dresdner Kindheit) und „Nase im Wind” (über seine Soldatenzeit) den dritten Band seiner Autobiografie vorgelegt. In knapp fünfzig Kapiteln breitet er sein Leben zwischen 1935 und 1944 aus, vom – für den Neunjährigen unerwünschten – Umzug nach Berlin bis zur Einberufung. Eine Hauptstadtkindheit in Zeiten der Diktatur. Es spuken Nazis und Mitläufer durch sie, doch gibt es auch zaghaft Widerstrebende, die wenigstens ihr Einzelgängertum nicht aufgeben wollen. Helden finden sich keine. Auch der Knabe Heinz mit dem auf mehreren Fotos festgehaltenen samtweichen Blick ist keiner. Ihm liegen weder Sport noch Wehrübungen: Er hält es mit dem Jazz.
Knoblochs Erzählen wird von perspektivischer Präzision geleitet. Sie schützt ihn vor nachträglichen Überzeichnungen und Ausschmückungen. Manchmal genügt dazu ein tagebuchartig knapper Stil. Das zumindest für ein Kind, einen Jugendlichen schwer Erfahrbare der frühen Hitlerjahre wird fassbarer im Winzig-Alltäglichen – die „Volksgemeinschaft” etwa in der festlichen Pflicht zum Schunkeln, dieser „dämlichen Massenbewegung, ursprünglich von Betrunkenen erfunden, da sie mit Hilfe fremder Ellenbogen nicht umfallen können. Gemeinsam schwanken – gemeinsam fühlen. ” Doch das Schöne und das Schlimme dieser Kindheit halten sich letztlich die Waage, ganz so wie Kästners Verse es fordern, die Knobloch als Motto am Ende nachschiebt: „Die Erinn’rung ist eine mysteriöse / Macht und bildet die Menschen um. / Wer das, was schön war, vergisst, wird böse. / Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm. ”
Besonders wichtig für Knobloch-Leser ist dieses Buch freilich, weil es von Berlin handelt und davon erzählt, wie dieser große Liebhaber und Chronist sich seine Stadt bereits in der Kindheit erobert hat. Lesend ahnt man, wie früh er wurde, was er ist. Zum Beispiel durch die Einhaltung des Prinzips Langsamkeit. „Langsam voran”, so lautet eine der Kapitelüberschriften, und das könnte für Knobloch Programm sein. Sein Zeichen als Flaneur ist nämlich, dass er das Tempo aus dem Stadterlebnis nimmt.
Wer ausdrücklich eine „Berliner Kindheit” schreibt, muss sich mit Walter Benjamin vergleichen lassen. Dessen „Berliner Kindheit um Neunzehnhundert” ist der moderne Klassiker des Genres. Ein Unterschied fällt vor allem auf: Benjamin verzaubert in der Rückblende die Kindheitswelt zu einem Urland, das nie wieder zu erreichen ist. Knobloch schlägt einen rauheren, wenn auch nicht weniger reizvollen Ton an. Sein Rückblick fällt skeptischer aus, vielleicht weil er weiß, dass Erinnerungen trügen können, zumal nach so vielen Zeitbrüchen und Katastrophen.
KURT OESTERLE
HEINZ KNOBLOCH: Eine Berliner Kindheit. Zwischen Olympia und Luftschutzkeller. Jaron Verlag, Berlin 1999. 204 Seiten, Abbildungen, 29,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kurt Oesterle scheint besonders angetan zu sein von dem kindlichen Blickwinkel, aus dem der Autor seine Berliner Kinderzeit von 1935 bis 1944 (als dritten Teil seiner Autobiografie) schildert. Dadurch seien diese Erinnerungen frei von "nachträglichen Überzeichnungen und Ausschmückungen", stellt Oesterle anerkennend fest. Die Stärke des Buches sieht der Rezensent darüber hinaus vor allem darin, dass das Kind ganz alltägliche Dinge beobachtet, ohne dabei natürlich den politischen Hintergrund wirklich erfassen zu können. Als Beispiel dafür nennt er die Verwunderung des Jungen über die "festliche Pflicht zum Schunkeln", was ihn an Betrunkene denken ließ, die sich auf diese Weise gegenseitig abstützen wollen. Verglichen mit Walter Benjamins Berliner Erinnerungen ("Berliner Kindheit um Neunzehnhundert") sei der Ton Knoblochs zwar etwas rauher, aber "nicht weniger reizvoll", so Oesterle.

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