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Heinrich Zille (1858-1929) hat sein Berliner Milljöh nicht nur mit spitzer Feder festgehalten, sondern auch in Hunderten von Photographien. Als gelernter Lithograph verfügte er über das nötige technische Wissen, und als ebenso passionierter wie genauer Beobachter nahm er wahr - und auf -, was der flüchtige Blick übersieht oder lieber ausblendet: die Zustände in den Berliner Armen - vierteln, Hinterhöfe, Bretterzäune und Müllhalden, die Destille an der Straßenecke, Kinderspielplätze und den Sonntagsrummel, das Treiben der Marktfrauen und Abbruchszenarien. Die Prunkbauten des wilhelminischen…mehr

Produktbeschreibung
Heinrich Zille (1858-1929) hat sein Berliner Milljöh nicht nur mit spitzer Feder festgehalten, sondern auch in Hunderten von Photographien. Als gelernter Lithograph verfügte er über das nötige technische Wissen, und als ebenso passionierter wie genauer Beobachter nahm er wahr - und auf -, was der flüchtige Blick übersieht oder lieber ausblendet: die Zustände in den Berliner Armen - vierteln, Hinterhöfe, Bretterzäune und Müllhalden, die Destille an der Straßenecke, Kinderspielplätze und den Sonntagsrummel, das Treiben der Marktfrauen und Abbruchszenarien. Die Prunkbauten des wilhelminischen Berlin sucht man bei Zille vergebens, auch die damals branchenüblichen malerischen Winkel der boomenden Millionenstadt. Die frühesten Photographien gehen auf die Zeit um 1890 zurück. Zille, der seine Aufnahmen als Vorlagen für die Zeichnungen und graphischen Blätter verwendete, die ihn so populär machten, hatte als Photograph keine künstlerischen Ambitionen. Dafür sprechen schon seine Motive, die zu seiner Zeit alles andere als bildwürdig waren, und das Desinteresse, das seinen Photographien jahrzehntelang entgegengebracht wurde. Erst mit unserem 1975 erschienenen Buch Heinrich Zille - Photographien Berlin 1890-1910 wurde er als Pionier der sozialdokumentarischen Photographie und als einer der ersten Street Photographer der Photogeschichte entdeckt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Auf Realismus trifft Jens Bisky in diesem Band mit den Fotografien Heinrich Zilles. Dass die Fotos des Zeichners überhaupt entdeckt wurden, hält er mit den Beiträgern im Band (Jeff Wall, Roy Arden, Wolfgang Kemp) für einen Glücksfall. Ob es sich um moderne Kunst handelt, scheint Bisky indes nicht so wichtig zu sein. Auch ohne das Etikett findet er die zwischen 1877 und 1907 entstandenen Berlin-Bilder großartig. Fotos des Berliner Alltags, von Bauzäunen, Müllkippen, Aborten, von Trinkern und Wäscherinnen, die dem Rezensenten mitunter kleine Novellen zu erzählen scheinen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.01.2015

Exemplarisch belebt
Die Foto-Arbeiten des „Milljöh“-Zeichners Heinrich Zille, in Abzügen von Thomas Struth.
Sie zeigen Berlin in existenziellen Situationen, bis hin zu Aborten und Müllkippen
VON JENS BISKY
Wer das Mädchen gesehen hat, das auf der nebenstehenden Fotografie seinen Rock rafft, damit er beim Gang über die morastige Brücke sauber bleibe, der wird an Zeichnungen Heinrich Zilles mit demselben Sujet wahrscheinlich wenig Freude haben. 1898, im Jahr, in dem das Foto entstand, zeichnete der „Pinselheinrich“ auch „Mädchen auf der Knobelsdorffbrücke“. Sie zeigen viel Bein, aber der Charme, das berührend Vorsichtige sind verschwunden. Dreist wirken sie und keck; man spürt die Absicht, mit Milljöh und schmuddeligen Rangen Amüsemang zu bieten. Das Grobhumorige erträgt nicht jeder, und nur wenige ertragen es häufig.
  Die Fotografien Zilles hingegen bezaubern. Erst 1966 hatte man im Nachlass Glasnegative und Originalabzüge entdeckt, bis dahin war dieser Teil seines Werkes unbekannt geblieben. Eine Publikation durch Winfried Ranke wurde 1975 ein großer Erfolg. Noch einmal zehn Jahre später fragte ein junger Mann beim Verlag nach, ob es für ihn etwas zu tun gebe. Es war Thomas Struth, dessen Großstadtaufnahmen uns heute die Erhabenheit urbanen Lebens vor Augen stellen. Damals erhielt er den Auftrag, Schwarz-Weiß-Abzüge der Zille-Fotos anzufertigen. Diese liegen dem neuen Zille-Buch von Schirmer/Mosel zugrunde, es ist für Freunde der Fotografiegeschichte also mehrfach interessant.
  Dreißig Jahre lang, von 1877 bis 1907, hat Heinrich Zille bei der „Photographischen Gesellschaft“ gearbeitet. Zum Glück für uns nutzte er die Apparate und das Labor der Firma auch für Knipsereien ohne Auftrag: Familienbilder und Fotografien des Berliner Alltags. Dabei „Kunst“ hervorzubringen, lag wohl nicht in seiner Absicht. Er hielt Motive fest, um sie für seine Illustrationen zu nutzen. Dass ihm dabei doch „Kunstphotographie“, moderne Kunst gelang, behaupten und begründen in diesem Band Jeff Wall, Roy Arden und Wolfgang Kemp. Er nutzte das noch recht neue Prinzip der Serie – mehrere Aufnahmen einer Lebenswelt, eines Motivs – und suchte zugleich existenzielle Situationen. Wolfgang Kemp: „Als Zeichner ist Zille ein Meister des Wimmelbildes. Sein Berlin ist vor allem voll und durcheinander. Die photographierte Stadt erscheint . . . dagegen entweder leer oder exemplarisch belebt.“
  In der Millionenstadt der Kaiserzeit wird unentwegt gebaut. Man sieht es hier vor allem an einer Fülle von Bauzäunen, die Zille besonders fasziniert zu haben scheinen. Auch Aborte hielt er fest, wilde Müllkippen, das Elendsviertel Am Krögel – 1935 abgerissen –, auch das Charlottenburger Haus, in dem er wohnte.
  Im Gedächtnis bleiben vor allem die Bilder der kleinen Leute, die sich mit der Großstadt herumschlagen müssen, auf dem Markt einkaufen, Wäsche trocknen, Reisig sammeln. Und dann sind da Bilder, die kleine Novellen zu erzählen scheinen: Ein Mann zieht einen Umzugskarren durch die Hirtenstraße, ein anderer steht in der Friedrichstraße und trägt – vermutlich betrunken – schwer an der Last seines Ich. Ein Mädchen rafft den Rock und quert eine Brücke. So geht Realismus.  
Heinrich Zille: Das alte Berlin. Photographien 1890 -1910. In Abzügen von Thomas Struth. Mit Texten von Jeff Wall, Roy Arden und Wolfgang Kemp. Verlag Schirmer/Mosel, München 2014. 208 Seiten, 134 Duotone-Tafeln, 29,80 Euro.
Und dann sind da
Bilder, die kleine Novellen
zu erzählen scheinen
Eine Frau mit holzbeladenem Karren, im Hintergrund Charlottenburg, 1898.
Fotos: Heinrich Zille/Photographische Sammlung der Berlinischen Galerie/courtesy Schirmer/Mosel
Heinrich Zille fotografiert Kinder auf der Knobelsdorffbrücke,
Blick Richtung Charlottenburg, 1898.
Ähnliche Motive hat er auch auf
einigen seiner Zeichnungen verarbeitet.
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