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Seit dem Unfalltod ihrer Eltern leben Bianca und ihr Bruder allein in Rom, ohne Trost und Ziel, zwischen Jobs und Muckibude, Trash-TV und Pornos. Die Tage scheinen überhell, »ein Dauerzustand von Sonne und Licht«, eine Qual. Dann beziehen zwei zwielichtige Gestalten das Elternschlafzimmer und verwickeln die Geschwister in einen düsteren Plan um den legendären Maciste und einen Tresor voller Geld.
Auf wenigen Seiten kondensiert der 'Lumpenroman' Bolaños große Themen - Einsamkeit, lauernde Gewalt, Träume vom Glück - und ist dabei von solch schlichter und ergreifender Schönheit, dass man ihn gleich noch einmal lesen will.
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Produktbeschreibung
Seit dem Unfalltod ihrer Eltern leben Bianca und ihr Bruder allein in Rom, ohne Trost und Ziel, zwischen Jobs und Muckibude, Trash-TV und Pornos. Die Tage scheinen überhell, »ein Dauerzustand von Sonne und Licht«, eine Qual. Dann beziehen zwei zwielichtige Gestalten das Elternschlafzimmer und verwickeln die Geschwister in einen düsteren Plan um den legendären Maciste und einen Tresor voller Geld.

Auf wenigen Seiten kondensiert der 'Lumpenroman' Bolaños große Themen - Einsamkeit, lauernde Gewalt, Träume vom Glück - und ist dabei von solch schlichter und ergreifender Schönheit, dass man ihn gleich noch einmal lesen will.
Autorenporträt
Roberto Bolaño ist eine der großen Entdeckungen der Weltliteratur; seine Romane verweben 'schlechterdings alles Essentielle der vergangenen Jahrtausende' (Die Zeit). Roberto Bolaño wurde 1953 in Santiago de Chile geboren, lebte in seiner Jugend lange in Mexiko-Stadt und siedelte später mit seiner Familie nach Spanien um. Dort starb er 2003, im vergeblichen Warten auf eine Lebertransplantation, als er gerade an seinem Meisterwerk '2666¿'arbeitete. In der Werkausgabe von Roberto Bolaño sind im Fischer Taschenbuch bisher folgende Titel erschienen: 'Stern in der Ferne', 'Die Naziliteratur in Amerika', '2666', 'Amuleto', 'Das dritte Reich', 'Lumpenroman', 'Der unerträgliche Gaucho', 'Die wilden Detektive', 'Telefongespräche', 'Chilenisches Nachtstück' sowie 'Mörderische Huren'. Im S. Fischer Verlag erschienen erstmals auf Deutsch die Romane 'Der Geist der Science-Fiction' (2018), 'Monsieur Pain' (2019) und 'Die Eisbahn' (2021).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.08.2010

Köderfisch
Roberto Bolaños „Lumpenroman“ erzählt von einer räudigen Jugend und vom Erwachsenwerden als Höllenfahrt
Die einzige Bianca, die in die Literaturgeschichte eingegangen ist, hat drei kurze Auftritte in Shakespeares Tragödie „Othello“. Diese Bianca ist räudige Hure und große Liebende zugleich, vereint also Treue und Treulosigkeit in sich. Jetzt gilt es, eine neue Bianca kennenzulernen, und auch diese Bianca ist Weltliteratur. Und treulos-treu wie ihr Vorbild. Die Ich-Erzählerin aus Roberto Bolaños nachgelassenem „Lumpenroman“ („Una novelita lumpen“), der jetzt auf Deutsch erscheint, macht sich die sexuelle Hörigkeit der Männer zunutze, um sich von ihnen zu befreien.
Shakespeares Bianca ist eine betrogene Betrügerin, Bolaños allenfalls eine betrügerische Betrogene, obwohl sie sich selbst eine „Kriminelle“ nennt, eine „Ratte“, einen „Maulwurf“ oder einen „Köderfisch“. Denn auf die Frage, welcher Fisch sie gerne wäre, wenn sie ein Fisch sein könnte, antwortet Bianca: „Einer von denen, die man als Köder verwendet“. Die Frage steht in einem Fragebogen aus einer der Frauenzeitschriften, die in dem Friseursalon ausliegen, in dem Bianca ihr Geld verdient (siehe Kasten unten). Denn, so erläutert sie ihre Wahl, allein die großen Fische, die Eltern leben noch im See. Die kleinen Fische, die Jungen der großen, werden im Laden gekauft und dienen nur als Köder.
Bianca beschreibt damit das Lebensgefühl heutiger Jugendlicher in Italien, in einer kranken, kaputten Gesellschaft, von der es heißt, „und ab und zu fuhr auf der Straße ein nagelneues Auto mit heruntergekurbelten Scheiben vorbei, in dem junge Leute saßen, die ,Faschismus oder Barbarei’ schrieen“. Es ist das Lebensgefühl einer Jugend ohne Kindheit – und darin besteht der Betrug, der Bianca zur Betrügerin werden lässt, der Grund, weshalb sie den Köder spielt. In der verkommenen Villa des erblindeten Filmschauspielers Maciste, einst zweimaliger Mister Universum und Held unzähliger Sandalenfilme, soll sie den Tresor auskundschaften.
Die Fischer, die ihre Angel auswerfen, um den Goldschatz des gewesenen Kinostars zu heben, das sind Biancas Bruder und dessen neue Freunde, ein Bologneser und ein Nordafrikaner. Die beiden haben sich bei Bianca und ihrem Bruder in Rom eingenistet und nehmen in parasitärer Weise die Rollen der Eltern ein, in deren Bett sie schlafen. Die Eltern sind bei einem Autounfall umgekommen, ein Trauma, das Bianca blitzhaft erlebt, als eine dauernde kalte Helligkeit auch in der Nacht, als eine „Weißglut“, die nicht mehr nachlassen will. Der plötzliche Tod der Eltern versetzt die Geschwister in eine Schockstarreund disponiert sie für eine gespenstische Selbsterziehung zur Lieblosigkeit, als wollten sie ihre Wunde vereisen.
Als Wachstumsbeschleuniger, um schneller erwachsen zu werden, dienen die Geräte im Fitnessstudio, an denen der Bruder sich Männlichkeit antrainiert, und die Pornovideos, die er jeden Abend ausleiht, während die „Allesfresserin“ Bianca wahllos jeden Trash konsumiert, den es gibt. So wollen sie stark werden, sich einen Panzer zulegen – es ist eine Abhärtung für einen Lebenskampf, der keine Zeit zum Reifen lässt, und bei dem, wie es für heutiges Jungsein typisch ist, die Reihenfolge vertauscht ist: die Formen, in denen persönliches Erleben gerinnt, sind immer schon vor diesem Erleben da. Es gibt nichts mehr zu entdecken, alle Erfahrung ist vorgestanzt, und zwar in den jeweiligen Endstufen ihrer Brutalisierung, Pornographie und Gewalt. So ist die Jugend schon enteignet von Beginn. Sie versuchte, „die wenigen Dinge zu vergessen, die ich wusste“, sagt Bianca über diese Phase einer Löschung der eigenen, schmerzhaften Lebensgeschichte, an deren Stelle die kollektiven Mythen der Massenkultur treten. Es ist, als müsse man stumpf werden, um den Aufprall der Wirklichkeit zu ertragen, und dazu gehört, dass Bianca Nacht für Nacht mit einem der zwei Fremden schläft, ohne wissen zu wollen, welcher von beiden bei ihr liegt. Und wenn die Gefühle sich doch nicht unterdrücken lassen, dann rinnen ihre Tränen, als träte sie „in einen Windkanal, der mich grundlos zum Weinen brachte.“
Doch Bianca weint nicht, als sie hinabsteigt in die Hölle, ahnend, dass nur dieser Gang sie erlösen kann, weil ihr niemand folgen wird, weil ihr Bruder und seine Freunde feixend an der Pforte zurückbleiben. Sie denken, dass Bianca den Schlüssel zum großen Geld für sie aus dem Feuer holt, aber sie wird sich selbst aus den Flammen bergen und zurück an die Oberfläche kommen als Neugeborene. Die Hölle, das ist die Villa des glatzköpfigen Blinden in der Via Germano, der im Dunkeln wartet, im Fitnessraum, wo er Bianca mit Massageöl einsalbt, bevor er sie zum Schreien bringt. Und wenn Maciste schläft, ermattet vom Kraftsport der Liebe, durchsucht Bianca das Haus nach seinem Tresor.
Und doch fasst Bianca eine Art Zutrauen zu diesem Ungeheuer von Mann in seinem schwarzen Bau, diesem Minotaurus, der mehr und mehr wirkt wie ein trauriges Tier, das letzte seiner Art. Und sie wird stark an seiner Stärke, der „fast übernatürlichen“ Kraft, „im Schmerz zu leben“. Ihre Ahnung bestätigt sich, dass man sein Glück nicht wenden kann, entweder es ist da oder nicht, und wenn nicht, „geht es uns wie Vögeln in einem Sandsturm“, deren Verlorenheit niemand fühlt. Die Leidensfähigkeit macht sie überlegen, sie bringt die Dunkelheit zurück, einen Schutzraum, „wo ich weinen und mich vor Schmerz krümmen konnte.“ Und widerstehen. Indem sie sich Maciste anvertraut, bevor sie ihn für immer verlässt, hat Bianca ihren Bruder und dessen Freunde in der Hand, kann sie fortschicken, frei von Angst. „Ich dachte, ich müsse einen Platz für mich finden, müsse mir eine Wohnung besorgen, eine neue Arbeit, müsse etwas tun und nicht sterben“, sagt sie am Ende, da sie schwanger ist, ohne zu wissen, von welchem Mann.
Bolaños „Lumpenroman“ folgt dem klassischen Topos, dass an der Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsenwerden eine Prüfung zu bestehen ist, Tod und Wiedergeburt. Aber die Ungebrochenheit, mit der sich Bolaño der so unerbittlich zarten Stimme seiner jungen Erzählerin anvertraut, verleiht ihrer Gefühls- und Erfahrungswelt den Zauber des Anfangs. Das ist keine Rollenprosa, sondern die Wiedergewinnung einer verlorenen Unmittelbarkeit. Bolaños dunkel leuchtende, phosphoreszierende Poesie gibt einer sich ewig wiederholenden Urszene die mythische Einmaligkeit und damit jene Würde zurück, welche die Würdelosigkeit der Welt, in der Bianca zu bestehen lernt, ihr vorenthält.
Mit dem „Lumpenroman“ ist ein weiteres Stück aus dem literarischen Vermächtnis des 2003 verstorbenen Chilenen Roberto Bolaño geborgen. Sein unvollendetes Werk umgibt die schmerzhafte Schönheit eines Torsos. Ein Wunder ist jeder Fund, mit dem Bolaño aufs Neue berückt.
CHRISTOPHER SCHMIDT
ROBERTO BOLAÑO: Lumpenroman. Aus dem Spanischen von Christian Hansen, Hanser Verlag, München 2010, 112 Seiten, 14,90 Euro.
Stumpf wollen die Geschwister
werden, um dem Aufprall der
Wirklichkeit zu widerstehen
Der Müll, die Stadt und die Not: „Ab und zu fuhr auf der Straße ein nagelneues Auto mit heruntergekurbelten Scheiben vorbei, in dem junge Leute saßen, die ,Faschismus oder Barbarei’ schrien“, sagt Bianca über ihr Leben im Moloch von Rom. Foto: plainpicture
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2010

14. Der Blinde und das Mädchen

Erst diese Woche wurde bekannt, dass es von Roberto Bolaño, dem vor sieben Jahren viel zu früh gestorbenen großen chilenischen Schriftsteller noch einen neuen Roman geben wird. Damit hatte nun wirklich niemand gerechnet - bis auf seine Witwe vielleicht, Carolina López, die, als ihr Ehemann starb, ein Arbeitszimmer in chaotischem Zustand vorgefunden hatte: Manuskripthaufen und Ordner, Notizen und Schreibmaschinenabschriften seiner eigenen PC-Dateien türmten sich hier. Es war das Gegenteil von Ordnung.

Carolina López war es nun, die im allmählich sich lichtenden Dickicht das 300 Seiten umfassende Manuskript von "Los sinsabores del verdadero policía" ("Die Unannehmlichkeiten des echten Polizisten") gefunden hat, das sich, wie der Leiter des Anagrama-Verlags, Jorge Herralde, diese Woche gegenüber "El País" versprach, "auf demselben Niveau wie das Meisterwerk ,2666'" bewege und in dem zwei Figuren aus "2666" sogar wieder auftauchen sollen. 13 Jahre lang soll Bolaño an diesem bisher unbekannten Buch gearbeitet haben. Es entstand in der Zeit zwischen seinem Roman "Die wilden Detektive" und "2666". So schön kann Unordnung sein: Durch sie lebt Bolaño über den Tod hinaus fort und wird dabei immer neu entdeckt. Wer weiß, welche Manuskripte sich in seinem Chaos noch versteckt halten?

Jetzt gibt's aber erst mal den "Lumpenroman", das letzte Buch, an dem er zu Lebzeiten arbeitete. Wer nicht ohnehin zu den Bolaño-Verehrern gehört, für den ist diese kleine, dunkle Erzählung ein perfekter Einstieg in den Kosmos des Chilenen, weil sie - anders als der tausendseitige Riesenroman "2666" - nur hundert Seiten hat, was ja auch mal ganz angenehm ist: "Jetzt bin ich Mutter und auch eine verheiratete Frau, aber vor gar nicht langer Zeit war ich eine Kriminelle" - so beginnt der Bericht der Ich-Erzählerin, Bianca, deren Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind und die sich nun mit ihrem jüngeren Bruder in Rom durchs Leben schlägt. Die Waisenrente reicht vorne und hinten nicht, Bianca beginnt, als Friseurin zu arbeiten, ihr Bruder nimmt einen Aushilfsjob im Fitnesscenter an, die Schule schmeißen sie beide und verbringen den Rest der Zeit mit Quizshows und Pornofilmen vor dem Fernseher.

Doch beginnt die eigentliche Erzählung erst da, wo zwei Unbekannte auftauchen, zwei dunkle Kumpanen: der Bologneser und der Nordafrikaner. Der Bruder kennt sie aus dem Fitnesscenter, sie ziehen zu ihnen und spannen Bianca als Köder für die Realisierung eines lang gehegten Planes ein. Bianca soll für Maciste arbeiten (also: sich prostituieren), einen erblindeten Bodybuilder und Star aus den Gladiatorenfilmen der fünfziger Jahre, der zurückgezogen in einer riesigen Villa wohnt und einen Tresor besitzen soll. Diesen Tresor gilt es zu knacken. Das ist die Hoffnung auf ein besseres Leben, die Roberto Bolaño aber natürlich nicht einlöst, das würde nicht zu ihm passen.

Stattdessen erzählt er eine Geschichte von Unterwerfung, Hingabe, Gleichgültigkeit und Berechnung. Es ist eine dunkel-erotische Erzählung vom blinden Mann und dem Mädchen, ein temporärer Grenzgang, ein Experiment, dem sich Bianca bereitwillig aussetzt, wenn sie sich in den abgedunkelten Fitnessräumen der Villa von Kopf bis Fuß eingecremt auf Holzbänken vom glatzköpfigen Muskelprotz nehmen lässt. Und am Ende ist es auch die Geschichte einer plötzlichen Wende, einer Emanzipation: Manchmal reicht ein kurzer Entschluss, um der Macht des Dunklen zu entkommen und wieder hinauszukommen ins Licht.

Julia Encke

Roberto Bolaño: "Lumpenroman". Hanser, 110 Seiten, 14,90 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Cristina Nord zeigt sich sehr angetan von Roberto Bolanos "Lumpenroman", dem letzten Werk des 2003 verstorbenen chilenischen Schriftstellers. Dessen Talent, mit klaren Worten eine diffuse, undurchschaubare Atmosphäre zu erzeugen - sie spricht von einer "paradoxen Gabe" -, kommt auch hier wieder zum Tragen. So bleibt für sie auch im vorliegenden Roman unklar, was es eigentlich mit der Beziehung der jungen, haltlosen Bianca, die sich und ihren Bruder nach dem Tod der Eltern über Wasser halten muss, zum einstigen Bodybuilder und Filmstar Maciste auf sich hat, den sie regelmäßig besucht, um einen vermuteten Tresor in dessen Haus auszukundschaften. Nord findet aber eine Vielzahl von Anspielungen und Verweisen auf Mythen, Märchen und andere literarische Werke. Allerdings scheint ihr das Werk weniger aus- und abschweifend wie etwa Bolanos Roman "2666". Gleichwohl birgt das Buch nach Einschätzung von Nord "nicht weniger Könnerschaft im scheinbar fühllosen Vermessen moralischer Grauzonen".

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