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Vom Bluthund zum Vater des Vaterlandes und Halbgott zu Lebzeiten - Jochen Bleicken zeichnet in seiner großen Augustus-Biographie zugleich ein umfassendes Bild einer der dramatischsten Epochen der römischen Geschichte. Eine Zeit, die heute auf so verblüffende Weise modern erscheint.

Produktbeschreibung
Vom Bluthund zum Vater des Vaterlandes und Halbgott zu Lebzeiten - Jochen Bleicken zeichnet in seiner großen Augustus-Biographie zugleich ein umfassendes Bild einer der dramatischsten Epochen der römischen Geschichte. Eine Zeit, die heute auf so verblüffende Weise modern erscheint.
Autorenporträt
Bleicken, Jochen
Jochen Bleicken (1926-2005) bekleidete als Professor für Alte Geschichte Lehrstühle an den Universitäten Hamburg (1962), Frankfurt/Main (1967) und Göttingen (1977-1991). Seit 1978 war Bleicken Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Seine vielbeachtete Augustus-Biographie ist mittlerweile ein Standardwerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.1999

Einsamer niemand als Augustus
Jochen Bleickens kühler Blick in ein kaltes Herz

Als der römische Senator und Historiker Cassius Dio zu Beginn des dritten Jahrhunderts nach Christus seine römische Geschichte schrieb, widmete er der Zeit von der Ermordung Caesars 44 vor Christus bis zur siebzehn Jahre danach erfolgten Aufrichtung der Monarchie durch Augustus neun Bücher seines Werkes. Für den großen Rest der augusteischen Regierungszeit, insgesamt einundvierzig Jahre bis 14 nach Christus, genügten ihm ganze vier Bücher. Seine Erklärung lautete: Mit dem Beginn der Monarchie fand die öffentliche politische Diskussion ein Ende; an die Öffentlichkeit gelangten nur noch wenige Nachrichten und auch diese nur in gefilterter, manipulierter Form. Wollte er nicht Geschichte erfinden, mußte er sich von da an auch im Umfang bescheiden.

Vor Dios Dilemma steht jeder Historiker, der eine große Darstellung der Gestalt des Augustus versucht, auch Jochen Bleicken, der emeritierte Göttinger Althistoriker. Genau achthundert Seiten widmet er seinem Helden und Opfer, eingeschlossen ein kommentierender Anmerkungsteil, Bibliographie und ein kurzes Register. Doch fast dreihundert Seiten verwendet er auf den siebzehnjährigen Weg Octavians, des späteren Augustus, zur Monarchie, nur knapp vierhundert bleiben für einundvierzig Jahre unangefochtene Herrschaft über Rom und das gesamte Reich.

Dieser Disproportionalität konnte er kaum entkommen, wollte er seine Biographie nicht gegen die historiographischen Quellen schreiben. Sie sind wesentlich breiter und detailreicher für die frühe Epoche, kürzer und oft nur an der Oberfläche informierend für die eigentliche Prinzipatszeit. Sie zwingen durch ihre Natur auch dazu, auf die chronologisch dargestellten und stärker erzählenden Anfänge einen strukturell gegliederten "monarchischen" Hauptteil folgen zu lassen, in dem die zeitliche Abfolge und Entwicklung, aber auch die gegenseitige Bedingtheit der verschiedenen Politikfelder zurücktreten. Da ist die Gefahr groß, diese fast übermenschlich lange Regierungszeit zu einer entwicklungslosen Gleichzeitigkeit zu verkürzen. Der Autor ist dieser Gefahr weit weniger als andere erlegen.

Bleicken sieht den Prinzipat konsequent vom Standpunkt der Republik her. Das macht ihn hellsichtig für Veränderungen, die andere, von der Kaiserzeit her schreibende moderne Autoren weniger wahrnehmen. So ist Augustus für ihn von Anfang an, seit 27 vor Christus, absoluter Monarch, und zwar als Militärherrscher, der nicht nur in einem vierzehn Jahre dauernden Kampf gegen andere Militärpotentaten die Macht mit dem Heer an sich riß. Auch nachdem alle seine Feinde, zuletzt Marcus Antonius, ausgeschaltet waren, blieb das Heer seine entscheidende Basis. Bleicken liebt auch für diese Folgezeit die Charakterisierung des Prinzipats als Militärherrschaft. Doch, so der Autor, Augustus habe auch frühzeitig erkannt, daß eine reine Militärdiktatur keine dauerhafte Herrschaft schaffen konnte; vielmehr mußte eine Form, eine rechtlich-politische Form wie in der Republik, gefunden werden, die den Bruch mit der Vergangenheit, den Abschied von der Republik erträglich und eine dauerhafte monarchische Zukunft möglich machte. Doch wurde der auf diese Weise von Augustus geschaffene Prinzipat nicht zu einer inhaltsleeren Fassade, die nur die Diktatur maskierte, wie es etwa Sir Ronald Syme dargestellt hatte; denn die politisch-rechtliche Form erzwang auch eine Selbstbindung des Monarchen, eine Berechenbarkeit, die Orientierung erlaubte.

Auf diese Form hin erzog der Monarch Augustus mit einer harten, oft brutalen Konsequenz seine ganze Umgebung, insbesondere die von ihm neu konstituierte Führungsschicht, da die alte, die Nobilität, bereits seit den späten Jahren Caesars nicht mehr existierte. Allein schon deshalb hatte die Republik nach Caesar keine Überlebenschance. Augustus richtete diese von ihm erst geschaffene Führungsschicht auf die neuen Wege aus, die in die Zukunft führten. Weil diese rechtlich-politische Form über mehr als vierzig Jahre hin eingeübt wurde - was im übrigen auch von Augustus selbst ein hohes Maß an politischer Konsequenz erforderte -, überdauerte sie nicht nur seinen Tod, sondern auch noch die Regierungszeit unfähiger Nachfolger.

Den Ergebnissen der Aufbauarbeit des Augustus gehört weithin Bleickens Sympathie. Er läßt sich nicht von der "Freiheitsduselei" eines Tacitus dazu verführen, das Werk des Begründers der römischen Monarchie abzuwerten. Doch die Person des ersten römischen Monarchen wird für ihn damit nicht sympathischer. Im Gegenteil. Augustus wird, wenn man von Bleickens Epilog mit einer oft sehr überraschenden Akzentuierung absieht, weithin eher als abstoßend geschildert, und umgekehrt werden dadurch viele Personen seiner Umgebung entlastet, da sie zumeist als seine Opfer erscheinen. Antonius etwa wird manches nachgesehen, was bei Octavian Anlaß zu scharfer Kritik ist. Doch verdient der Besiegte wirklich so sehr die Sympathie der Nachgeborenen - in Umkehrung der Maxime: "Die Geschichte schreibt immer der Sieger"?

Kälte, Brutalität, Menschenverachtung, Konsequenz in der Durchsetzung dessen, was er als richtig und zukunftsweisend erkannt hatte, sind bei Bleicken Charakterzüge nicht nur des jungen Octavian auf dem schwierigen Weg an die Macht, sondern zumeist auch noch des Monarchen, der von gesicherter Position aus sein Werk weiterführte. Alle Personen um ihn werden zu seinen Werkzeugen, müssen sich ihm unterordnen. Echte Freundschaft mag man Bleickens Augustus kaum zugestehen. So wird Agrippa, der seit 44 vor Christus neben Octavian stand und sein wichtigster militärischer und ziviler Helfer war, zum Diener seines Herrn herabgestuft, nicht anders als später der Stiefsohn Tiberius. Wer wie die Tochter Iulia oder die gleichnamige Enkelin sich der tyrannischen Dominanz des Princeps-Vaters nicht mehr unterordnen wollte, erfuhr unnachsichtige Ausgrenzung oder Bestrafung. Selbst Livia, die Frau des Augustus, wird bei Bleicken zu einer zwar klugen, aber politisch sich völlig unterordnenden Person herabgemindert - in ihrem Fall gegen die gesamte Überlieferung. Diese ganz anders lautende Tradition sei, so Bleicken, eine Konstruktion der antiken Historiker.

Dominanz und Führung des Augustus wird niemand bestreiten wollen. Doch handelte er in so ausgeprägtem Maß allein? Hat er wirklich so dramatisch als einzelner alle Politik gestaltet? Auch eine Monarchie lebt von vielen Personen, die dem Monarchen raten, Vorschläge und Zukunftspläne entwickeln, möglicherweise auch andere Vorstellungen haben als der Alleinherrscher. Ist bei Augustus nicht stärker zu fragen, ob er wirklich schon vom Jahre 27 an politisch so dominierend war, daß sich ihm alle ohne eigenen Willen einfachhin unterordneten, auch alle in seiner eigenen "Partei"? War er schon das alleinige Machtzentrum, oder ist er das nicht doch nur sehr allmählich geworden? Waren von 27 an die politischen Bedingungen bereits so, daß er wirklich als Monarch agieren konnte, oder ist dies nicht weit mehr eine Entwicklung zumindest erst des folgenden Jahrzehnts gewesen? Wie für Bleicken erschien für die meisten antiken Historiker die Herrschaft des Augustus von 27 an absolut. Aber wurde da nicht zu oft das am Ende erreichte Ergebnis auch schon in den Anfang projiziert?

Natürlich wird man beispielsweise Bleicken zustimmen dürfen, daß Agrippa immer in voller Loyalität zu Augustus stand und hinter ihm, wenn nötig, auch zurückstand. Der Verzicht auf die Feier eines eigenen Triumphes nach dem Jahr 27 spricht deutlich dafür. Doch tat Agrippa dies um den Preis der Selbstaufgabe? Die auf zentralen Münzserien durch Porträts beider demonstrierte Gleichrangigkeit war nicht nur ein Geschenk des Princeps. Historisch ist es somit auch durchaus wahrscheinlicher, daß Augustus seinem Helfer zunächst eher aus Gründen der Machtbalance nach der Krise des Jahres 23 die imperialen Sonderrechte der prokonsularen und tribunizischen Gewalt zugestehen mußte. Da scheint ein eigener Wille Agrippas greifbar zu sein. Daß davon nicht allzuviel und auch das nur relativ undeutlich bis zu uns gedrungen ist, liegt daran, daß das endgültige Ergebnis die Entwicklung dorthin verdunkelt hat; es liegt auch daran, daß Augustus immer mehr die Herrschaft über die öffentliche Meinung ausübte.

Sehr zutreffend hat Bleicken Augustus als ein PR-Genie charakterisiert, gerade auch in der Selbstdarstellung seiner eigenen Person. Aber Augustus hat nicht von Anfang an allein die gesamte Politik bestimmt und auch später nicht allein neue Akzente gesetzt. Die Ehe- und Sittengesetzgebung der Jahre 18 vor und 9 nach Christus wird von Bleicken als ureigenste Entscheidung des Augustus geschildert, gerade weil sie gegen die Gesellschaft durchgesetzt worden sei. Bezeugt ist auch tatsächlich ein nicht geringer Widerstand gegen diese Gesetze aus Kreisen von Ritterstand und Senat, vor allem in Rom selbst. Doch daß Augustus ohne die Ratschläge anderer, ohne die aktive Unterstützung auch aus weiten Kreisen der Senatoren diese Politik überhaupt initiiert hätte, ist wenig glaubhaft. Nur aus heutiger Warte, vom Blickpunkt eines liberalen Staates, der die Persönlichkeitsrechte seiner Bürger betont respektiert, sind die heftigen Attacken des Autors gegen diese augusteischen Gesetze verständlich. Doch für die meisten Mitglieder der damaligen Oberschicht waren der Schutz der Familie und die Sicherung der familialen Kontinuität Werte, die grundsätzlich bejaht wurden. Auch während der Republik wurden wichtige Teile des privaten Lebens, und zwar gerade der Führungsschicht, durch gesetzliche Eingriffe reglementiert. Das Handeln des Augustus wirkte also kaum revolutionär. Vielleicht hätte eine stärkere Reflexion über die allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellungen auch in diesem Zusammenhang zu einem weniger harten Urteil gegen Augustus geführt.

Denn ansonsten ist Reflexion über alle zentralen Probleme, aber auch über Tatbestände, die den meisten modernen Historikern in ihrer historischen Aussage üblicherweise ganz selbstverständlich zu sein scheinen, die große Stärke dieses Buches. Natürlich erzählt Bleicken, manchmal auch in großer Breite und Lebendigkeit. Doch er führt den Leser mit kühler Rationalität vor allem zum Mitdenken und Überdenken dessen, was überliefert ist oder in der modernen Forschung als Einsicht präsentiert wird. Auch derjenige, der sich oft mit Augustus und den vielen Rätseln, die ihn begleiten, herumgeschlagen hat, ist immer wieder perplex, wie klar Bleicken Probleme erkennt und durch konsequentes logisches Fragen zu Erklärungen und Einsichten kommt, wo man gar nicht danach gesucht hätte. Es gibt keine Augustusbiographie und damit keine Darstellung des frühen Prinzipats, die sich in dieser Hinsicht mit Bleickens Augustus messen könnte. Kein Zweifel: Dies ist ein bedeutendes Buch, dem man viele mitdenkende Leser wünscht. WERNER ECK

Jochen Bleicken: "Augustus". Eine Biographie. Alexander Fest Verlag, Berlin 1998. 800 S., Abb., geb., 78,- DM.

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