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Wie wandeln sich Menschenbilder? Durch welche sozialen Praktiken organisieren Menschen ihr Zusammenleben? Und hat die menschliche Natur eine Geschichte? Entlang dieser Fragen gibt Jakob Tanner eine problemorientierte Übersicht über die Historische Anthropologie und argumentiert gegen eine Arbeitsteilung, welche die Natur zum Forschungsgegenstand der Anthropologen und die Kultur zu jenem der Historiker erklärt. Das Buch diskutiert, wie die Geschichtlichkeit des Menschen theoretisch und im Hinblick auf neue Forschungsansätze konzipiert werden kann.

Produktbeschreibung
Wie wandeln sich Menschenbilder? Durch welche sozialen Praktiken organisieren Menschen ihr Zusammenleben? Und hat die menschliche Natur eine Geschichte? Entlang dieser Fragen gibt Jakob Tanner eine problemorientierte Übersicht über die Historische Anthropologie und argumentiert gegen eine Arbeitsteilung, welche die Natur zum Forschungsgegenstand der Anthropologen und die Kultur zu jenem der Historiker erklärt. Das Buch diskutiert, wie die Geschichtlichkeit des Menschen theoretisch und im Hinblick auf neue Forschungsansätze konzipiert werden kann.
Autorenporträt
Jakob Tanner ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.01.2005

Ran an den Menschen
Zwei neue Einführungen zur Historischen Anthropologie
Der Begriff „Historische Anthropologie” hat im letzten Jahrzehnt ungemein an Strahlkraft gewonnen. Spätestens seit der Gründung der gleichnamigen Zeitschrift im Jahr 1993 durch Vertreter der Alltagsgeschichte und der Historischen Kulturforschung wie Alf Lüdtke und Richard van Dülmen besitzt er seinen festen Platz in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft. Gegenwärtig illuminiert er diese in einem besonderem Maße. Messbar ist die neue Wattstärke an der Fülle von Einführungen und Überblicksartikeln, die seit der Jahrtausendwende zur Historischen Anthropologie publiziert wurden. Jüngst sind zwei neue Einführungen hinzugekommen. Die eine stammt aus der Feder des in Zürich lehrenden Historikers Jakob Tanner, die andere aus der des Berliner Erziehungswissenschaftlers Christoph Wulf.
Das Etikett täuscht. Es gaukelt eine Einheitlichkeit in Wissenschaft und Lehre vor, die in Wahrheit nicht gegeben ist. Historische Anthropologie ist keine einzelne Fachrichtung, kein geschlossenes Forschungsfeld. Sie bündelt eine Vielzahl von Ansätzen, deren Gemeinsamkeiten im Untersuchungsgegenstand liegen: dem Menschen in seinem Denken und Handeln, Fühlen und Leiden. Die Bücher von Tanner und Wulf drücken diese Vielstimmigkeit in den Herangehensweisen aus. Nähert sich Tanner dem anthropos von der Geschichtswissenschaft, wählt Wulf als Mitglied des Berliner „Interdisziplinären Zentrums für Historische Anthropologie” einen philosophisch orientierten Zugang.
Die Fähigkeit der Historischen Anthropologie, die Errungenschaften verschiedener Disziplinen zu integrieren, stellt jede Einführung vor ein Darstellungsproblem. Sie muss die französischen Historiker der Annales-Schule über drei Generationen (Febvre, Braudel, Chartier) ebenso behandeln wie die Sozial- und Kulturanthropologie im angelsächsischen Raum von Bronislaw Malinowski bis Clifford Geertz; sie muss die Mikrohistorie italienischer Provenienz (Ginzburg, Levi) ebenso erklären wie die Entwicklung der bundesrepublikanischen Alltagsgeschichte in ihrer wortgewaltigen Auseinandersetzung mit der historischen Sozialwissenschaft.
Jakob Tanner ist an der Schwierigkeit, diese Fülle übersichtlich darzustellen, gescheitert. Ihm genügen die großen Einflusslinien für seine Einführung nicht. Er verfolgt darüber hinaus jeden Seitenstrang, zitiert hier noch eine Theorie, fügt da noch einen Namen an. An einer Stelle wird der Leser auf einer einzigen Seite mit den Namen Adorno, Lacan, Althusser, Derrida, Luhmann und Kittler konfrontiert, was den Rat und Orientierung Suchenden ebenso überfordern wie frustrieren dürfte. Wollte Tanner Werbung machen für all die anderen Einführungsbände in der Reihe des Junius Verlags? Weniger wäre mehr gewesen, das lehrt die auch nach Jahren immer noch mehr als lesenswerte Einführung Richard van Dülmens zum Thema.
So aber gelangt man ermattet zu den lohnenden Kapiteln im hinteren Teil des Buches. In „Der Anthropos im Lichte naturwissenschaftlicher Forschung” wird am Beispiel von Evolutionstheorie und Neurowissenschaft die Frage diskutiert, ob es so etwas wie anthropologische Konstanten gibt und wenn ja, wie diese aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive zu bewerten sind.
Auch bei Wulf ist das Anregendste, weil von diesem Autor Neuartigste, sein Kapitel über „Evolution - Hominisation - Anthropologie”. Die Auseinandersetzung mit der Evolutionsforschung verleiht nicht nur dem Titel des Buches „Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie” seine Berechtigung - ansonsten benutzt Wulf zumeist den Terminus Historische Anthropologie - sondern sie führt auch wieder zum heiklen Thema der Gewichtung von biologischen und kulturellen Faktoren in der Entwicklung und im Leben des Menschen. Wulf postuliert das „Ende einer verbindlichen anthropologischen Norm” und schlussfolgert, die Menschwerdung werde „als ein mehrdimensionaler Prozess aus den Wechselwirkungen ökologischer, genetischer, zerebraler, sozialer und kultureller Faktoren begriffen”.
Der Rest des Bandes führt klar strukturiert in die Forschung Wulfs und seiner Berliner Kollegen der letzten zwanzig Jahre ein. Die Themen, zu denen allesamt Einzelbände existieren, sind „Körper”, „Mimesis” und „Performativität”. Wer sich bislang noch nicht eingehend mit der Arbeit von Wulf beschäftigt hat, findet jetzt einen ersten, griffigen Zugang.
FLORIAN WELLE
JAKOB TANNER: Historische Anthropologie zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2004. 235 Seiten, 14,50 Euro.
CHRISTOPH WULF: Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 336 Seiten, 12,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Durchaus erfolgreich hat sich in den Augen von Carlo Caduff die historische Anthropologie als neuer interdisziplinärer Forschungsbereich etablieren können, auch wenn noch nicht abschließend geklärt sei, ob er sich der Tradition der klassischen angelsächsischen Sozial- und Kulturanthropologie anschließt oder eher der Geschichtsschreibung. Auch Jakob Tanner enthält sich in seiner Einführung eines abschließenden Urteils, was der Rezensent aber nicht weiter schlimm zu finden scheint. Als kundig lobt er Tanners durchaus programmatisch angelegte Schrift, die Marc Bloch und Lucien Febvre zu den Pionieren der historischen Anthropologie erklärt.

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