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"Es ist der beste deutsche Beitrag zur theoretischen Soziologie, den ich seit langer Zeit gelesen habe."Erich Weede in Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1996, S. 762 "Der Gedankengang des Buches ist klar und überzeugend. Insbesondere die Passagen darüber, was universalistische Normen auszeichnet, und über die Bedingungen, unter denen die Orientierung an universalistischen Normen gelernt werden kann, verdienen es, sozialwissenschaftliches Gemeingut zu werden."Reinhard Zintl in Associations 1998, S. 294 f. "Das Buch von Baurmann entwickelt mit Bedacht und auf hohem Niveau…mehr

Produktbeschreibung
"Es ist der beste deutsche Beitrag zur theoretischen Soziologie, den ich seit langer Zeit gelesen habe."Erich Weede in Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1996, S. 762
"Der Gedankengang des Buches ist klar und überzeugend. Insbesondere die Passagen darüber, was universalistische Normen auszeichnet, und über die Bedingungen, unter denen die Orientierung an universalistischen Normen gelernt werden kann, verdienen es, sozialwissenschaftliches Gemeingut zu werden."Reinhard Zintl in Associations 1998, S. 294 f.
"Das Buch von Baurmann entwickelt mit Bedacht und auf hohem Niveau einen rechts- und staatstheoretischen, soziologisch fundierten Lösungsvorschlag für eine aktuelle, viel diskutierte Problematik. ... Gegenüber manchen modischen Verfallszenarien wirkt der Ansatz Baurmanns ... erfrischend und ermutigend ..."Gerhard Dilcher in Neue Juristische Wochenschrift 1998, S. 3692
"Dem, der die ökonomische Theorie der sozialen Ordnung auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit erleben möchte, ... wird mit diesem ausgeklügelten Festival des Kontrafaktischen viel geboten."Wolfgang Kersting in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.4.1997, S. 12
Autorenporträt
Geboren 1952; Studium der Soziologie, Philosophie und Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main; 1978-83 wiss. Mitarbeiter an der Universität Frankfurt; 1983 Promotion; 1984-90 Hochschulassistent an der Universität Mainz; 1990-97 Akademischer Rat und Oberrat an der Universität Mainz; 1993 Habilitation; seit 1997 Professor für Soziologie an der Universität Düsseldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.1997

Ein Volk von Teufeln auf dem Markt der Tugend
Michael Baurmann entdeckt die liberale Gesellschaft als moralische Anstalt

Kant hat in seiner "Friedensschrift" gemeint, daß das "Problem der Staatserrichtung . . . selbst für ein Volk von Teufeln . . . auflösbar" sei, "wenn sie nur Verstand haben", und mit diesem drastischen Bild der Überzeugung des klassischen Liberalismus einprägsamen Ausdruck gegeben, daß alle erforderlichen sozialen Integrationsaufwendungen aus dem psychologischen Fundus des aufgeklärten Eigeninteresses bestritten werden könnten.

Fest im Diesseits verankert und immer mit dem Schlechtesten rechnend, ist der Liberalismus die Philosophie der metaphysischen und praktischen Minimalbeanspruchung. Der durch erzwingbares Recht geordnete soziale Frieden ist für jedermann von Vorteil; ihn zu sichern ist nur rationale Interessenverfolgung, jedoch keinerlei moralische Disziplinierung, Gemeinsinn oder Tugendhaftigkeit der Bürger vonnöten. Die Moral steckt allein in dem Austauschsystem des Marktes und der zwangsbewehrten Rahmenordnung, die die strategischen Anpassungsleistungen der Individuen ebenso listig wie effektiv koordinieren und wie mit unsichtbarer Hand einen allgemein nützlichen Gesamtzustand erzeugen.

Die skeptischen Betrachter der modernen Welt haben diesem liberalen Märchen von der moralunbedürftigen Selbsterhaltungsfähigkeit moderner kapitalistischer Gesellschaften nie geglaubt. In ihren Augen hat die liberale Ordnung von Beginn an bis heute auf Pump gelebt. Sie plündert die moralischen Vorräte der lebensweltlichen Traditionen, ohne sie jedoch selbst erneuern zu können.

Sie ist daher strukturell suizidal. Wenn die traditionellen Ressourcen der lebensweltlichen Solidarität und moralischen Selbstbindung versiegen und die Üblichkeiten des Respekts und der fairen Rücksichtnahme verschwinden, dann wird die liberale Gesellschaft dem zentrifugalen Druck des wachsenden Individualismus nicht länger standhalten können; sie wird zerbersten und dorthin zurückkehren, woher sie ihrem Gründungsmythos zufolge gekommen ist: in den Naturzustand der Gesetzlosigkeit und des Krieges aller gegen alle. Der liberalen Gesellschaft bleibt in den Augen ihrer besorgten Kritiker nur ein Weg, um dieses Schicksal abzuwenden: Sie muß den ökonomischen Kalkül zügeln und sich dazu des Beistands der Traditionsmächte versichern, Religion und Metaphysik rehabilitieren und die lebensweltlichen Bindungen stärken.

Michael Baurmann widerspricht in seinem gewichtigen Buch beiden. Den Liberalen, die den Markt für eine Epiphanie der unsichtbaren Hand halten und die gesellschaftliche Integration allein einem effizienten Zwangssystem übertragen wollen, hält er entgegen, daß das Recht keinesfalls vom Zwang allein lebe und die moderne kapitalistische Gesellschaft daher in hohem Maße der moralischen Kooperation ihrer Bürger bedürfe. Jedoch ist das für ihn kein Grund, sich nun der kommunitaristischen Krisenrhetorik anzuschließen, denn die liberale Gesellschaft sei durchaus in der Lage, ihren nicht unerheblichen Moralbedarf gänzlich aus eigenen Quellen zu decken.

Im Untertitel gibt sich Baurmanns Buch als "soziologische Untersuchung" aus. Aber man sollte sich davon nicht täuschen lassen. Das Buch bietet keine empirische Darstellung, sondern eine begriffliche Inszenierung. Es ist bis zum Rand gefüllt mit theoretischen Spekulationen, die im Rahmen eines ungemein aufwendigen Gedankenexperiments argumentationslogisch organisiert werden.

Baurmann versucht sich als sozialtheoretischer Geschichtenerzähler. Zuerst erzählt er uns ausführlich und minutiös die Geschichte vom "homo oeconomicus" in der "Alten ökonomischen Welt"; und dann erzählt er uns, nicht minder ausführlich und womöglich noch minutiöser, die Geschichte vom "homo sapiens" in der "Neuen ökonomischen Welt". Dem, der die ökonomische Theorie der sozialen Ordnung auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit erleben möchte, der sich nicht mit großformatigen Entwürfen zufriedengeben mag, sondern detailversessen und jeder filigranen Verästelung zu folgen bereit ist, wird mit diesem ausgeklügelten Festival des Kontrafaktischen viel geboten.

Der Wunschtraum des homo oeconomicus ist der Rechts- und Verfassungsstaat; aber die ökonomische Welt kann diesen Wunsch nicht verwirklichen. Glücklicherweise hat sich die Geschichte zumindest in Europa und den nordamerikanischen Staaten nicht an die engen Grenzen der Theorie gehalten und dem homo oeconomicus ein Wunder beschert. Die Wirklichkeit hat sich als weit vernünftiger erwiesen, als es ihr die ökonomische Theorie erlaubt hat, die den nachweislich zum begrifflichen Inventar moderner Selbstverständigung gehörenden homo oeconomicus zum Fremden im eigenen Land erklärt.

Man sollte meinen, daß sich die ökonomische Theorie von dieser Blamage nicht erholen kann und die Sozialwissenschaft den Modellplatonismus zugunsten einer wirklichkeitsaufmerksamen Hermeneutik aufgibt. Baurmann hält jedoch an dem ökonomischen Modell fest. Er ändert nur seine anthropologischen Prämissen so weit, daß jetzt erklärbar wird, wie eine rechtsstaatliche Ordnung auf der Grundlage allein interesseorientierten Handelns entstehen kann.

Seine zweite Geschichte hat darum einen anderen Protagonisten, einen rationalitätstheoretisch modifizierten homo oeconomicus, der erkannt hat, daß er sich durch Selbstbindung nicht in eine nachteilige Position begibt, sondern Rationalitätsreserven mobilisieren kann und sich konsequent die erforderlichen Fähigkeiten zulegt, die er benötigt, um den Gewinn normgebundenen und regelgeleiteten Handelns einstreichen zu können. Baurmann beschreibt seinen neuen Helden als "dispositionellen Nutzenmaximierer" und bezeichnet ihn als "homo sapiens".

Das ist dreist, aber nicht ohne Witz: dreist, weil der reflektierte Opportunismus sich hier das Ehrenprädikat klassischer ethischer Selbstverständigung anmaßt; nicht ohne Witz, weil die Bemühungen des nicht mehr nur ökonomischen, sondern zusätzlich sapienten Menschen wie beim Weisen der philosophischen Tradition dem Charakter und der Lebensführung gelten.

Homo oeconomicus und homo sapiens sind beide kluge Manager, der eine ein Manager seines interesseorientierten Handelns, der andere ein Manager seiner selbst. Er erkennt, daß in kooperativen Unternehmen, in einer kooperativen Gesellschaft es vorteilhafter ist, wenn man einen Charakter besitzt, Tugenden ausbildet, Prinzipientreue zeigt, an seiner persönlichen Integrität interessiert ist und sich eine moralische Identität zulegt. Er lernt weiterhin, daß in einer anonymen und mobilen Gesellschaft sich auch der Tugendmarkt universalisiert und globalisiert.

Die Modernisierung der Gesellschaft erzieht so zur universalen Moral, und die Globalisierung der Wirtschaft entdeckt die menschenrechtliche Orientierung als geeignete Umgangsform. Diese Geschichte von der kalkulierten Moral, vom moralischen Selbstmanagement aus Nützlichkeitserwägungen ist offenkundig ökonomische Theologie und daher mißglückte Säkularisation. Die pragmatische Diesseitigkeit, von der Baurmann als befreiender Voraussetzung liberalen Denkens immer redet, ist keine, wenn in ihr Menschenmodelle das göttliche Schöpfungsspiel imitieren und die individualistische Rationalität eingeführt wird als Gedanke des Menschen vor aller Gesellschaft und Geschichte. Weiß der allzu menschliche Hermeneutiker, daß aller Anfang nicht nur schwer, sondern eigentlich unmöglich ist, so fangen die Modellmenschen der ökonomischen Theorie unaufhörlich an. Ihr ganzes Leben ist ein einziges Anfangen und Herstellen; ihre Welt nur ein Produkt. Baurmann radikalisiert diese Anfanglosigkeit ökonomischer Existenz noch; sein homo sapiens ist ein demiurgisches Kunstwesen, das - causa sui - zum Selbstschöpfer und rationalen Charakterbildner wird. Während die Individualisierungstheorien und das Bastelbiographiegeschwätz nur Emanzipationstalmi liefern, geht man bei diesem ökonomischen Selbstmanagement weitaus gründlicher zu Werke.

Und damit die Disposition zum regelgeleiteten und nicht mehr einzelfallangepaßten Entscheidungsverhalten auch wirklich wirksam wird, wird sie mit einer ganzen Maschinerie innerer Sanktionen ausgestattet: Reue, Scham, Integritätsbedürfnis, Verantwortungsgefühl werden gleich miterworben. Wie freilich jemand Reue und Scham empfinden kann, der nur aufgrund interesseorientiert erzeugter Dispositionen Regeln beachtet, wie Regeln als verpflichtend empfunden werden können, die nur Gegenstand eines nutzenmaximierenden Kalküls sind, ist unverständlich. Entweder sprechen wir die Sprache der Moral, entweder empfinden wir moralisch, oder wir sprechen die Sprache des Interesses und achten auf unseren Vorteil.

Dem homo oeconomicus ist es unmöglich, sich in die Botmäßigkeit der von ihm selbst erfundenen Moralgötter zu begeben, wenn er ihnen nicht glaubt. Die ökonomische Erklärung der moralfundierten gesellschaftlichen Integration vermag also die Integrationswirkungen der Moralüberzeugungen nicht angemessen abzubilden. Mehr noch: Würde sich die Moral der liberalen Gesellschaft selbst im Licht ihrer ökonomischen Rekonstruktion erblicken und die ihr offerierte Entstehungs- und Funktionsgeschichte für bare Münze nehmen, würde sie sofort kollabieren. Als Kant das Moralischwerden als Revolution der Denkungsart, als Umsturz der Gesinnung bezeichnet hat, hat er nicht nur die Unwahrscheinlichkeit lauterer Moralität zum Ausdruck bringen wollen, sondern auch die Unmöglichkeit einer ökonomischen Instrumentalisierung der Moral. Baurmanns Ökonomismus betreibt Markendiebstahl; seine Moral ist eine Designermoral, die der richtigen zwar äußerlich zum Verwechseln ähnlich sieht, aber innerlich, und darauf kommt bei der Moral alles an, nichts mit ihr gemein hat. WOLFGANG KERSTING

Michael Baurmann: "Der Markt der Tugend". Recht und Moral in der liberalen Gesellschaft. Eine soziologische Untersuchung. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1996. 681 S., geb., 198,- DM.

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