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Der Freiburger Romanist und Fachhistoriker legt erstmals eine umfassende Geschichte der deutschsprachigen Anglistik und Amerikanistik im "Dritten Reich" vor, die anhand von Archivalien aus 47 Archiven und Bibliotheken sowie einer Analyse des einschlägigen Fachschrifttums erstellt wurde.Da Englisch nach der "Machtergreifung" der Nazis 1933 in der deutschen Oberschule anstelle des Französischen zur ersten erlernten (modernen) Fremdsprache wurde, nahm auch die Hochschulanglistik einen großen Aufschwung. Traditionell war das Fach seit seinen Anfängen im 19. Jahrhundert weit mehr sprachpraktisch…mehr

Produktbeschreibung
Der Freiburger Romanist und Fachhistoriker legt erstmals eine umfassende Geschichte der deutschsprachigen Anglistik und Amerikanistik im "Dritten Reich" vor, die anhand von Archivalien aus 47 Archiven und Bibliotheken sowie einer Analyse des einschlägigen Fachschrifttums erstellt wurde.Da Englisch nach der "Machtergreifung" der Nazis 1933 in der deutschen Oberschule anstelle des Französischen zur ersten erlernten (modernen) Fremdsprache wurde, nahm auch die Hochschulanglistik einen großen Aufschwung. Traditionell war das Fach seit seinen Anfängen im 19. Jahrhundert weit mehr sprachpraktisch und landeskundlich orientiert als die anderen Neuphilologien. Dies machten sich die nationalsozialistischen Bildungspolitiker zunutze und sorgten dafür, dass (Deutsche) Englandkunde neben Sprach- und Literaturgeschichte zur dritten Säule der anglistischen Hochschulausbildung wurde. Auch die Errichtung des ersten amerikanistischen Lehrstuhls in Berlin im Jahr 1936 passt zu einer derartigen Orientierung, denn die etablierte Amerikanistik sollte sich schwerpunktmäßig mit den politischen Institutionen, der demographischen Zusammensetzung und der Presse der USA befassen und den deutschen Anteil an der nordamerikanischen Gesamtkultur nicht vernachlässigen. Die Verantwortlichen hofften, sie könnten das Land durch derartige Forschungen im Konfliktfall in seiner Neutralität bestätigen und die Abhängigkeit von Großbritannien zurückdrängen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003

Schrei nach Liebe
Feindeslandeskunde: Anglistik unter Hitler / Von Patrick Bahners

Der Bericht des Kollegen las sich erschütternd. Die Engländer waren wild auf russisches Ballett, und niemand ging mehr ins Shakespeare-Theater. Bildungssabotage! Eine Kulturschande! Max Förster, der vorzeitig in den Ruhestand versetzte anglistische Ordinarius der Universität München, sah in dem Brief, in dem er 1936 dem Präsidenten der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft über seine Studienreise nach London berichtete, von solchen Wertungen ab. Aber seine Beobachtungen über einen Wandel der geistigen Bedürfnisse, den er als langfristige Wirkung der Industrialisierung deutete, waren geeignet, die berufsmäßigen deutschen Englandkenner in einem Sendungsbewußtsein zu bestärken, das sie mit jenem Humanismus brechen ließ, den ein Gelehrter wie Förster verkörperte. Der Glaube, daß Shakespeare ein deutscher Klassiker sei, hatte die Gesellschaft seiner deutschen Liebhaber seit ihrer Gründung 1864 beseelt. Lange mochte man die Ausstellung dieses Ehrenbürgerbriefs als Ausdruck eines romantischen Selbstbildes der deutschen Nation nehmen, die ihre Genialität im Übersetzen und Vermitteln suchte. Als sich aber unter Hitler der zweite deutsch-englische Krieg ankündigte, brach sich die fixe Idee Bahn, niemand verstehe Shakespeare außer den Deutschen, die den germanischen Barden vor seinen degenerierten Landsleuten retten müßten.

Der Freiburger Romanist Frank-Rutger Hausmann ist der beste Kenner der Geisteswissenschaften in der Hitlerzeit, die sich schon damals, dem Zug der Zeit zum Realen und Totalen gemäß, gerne Kulturwissenschaften nannten. Der Geschichte seiner eigenen Disziplin (F.A.Z. vom 14. November 2000) stellt Hausmann nun eine Untersuchung ihrer anglistischen Zwillingsschwester an die Seite. Die wechselseitige Emanzipation der beiden zunächst unter den Dächern neuphilologischer Seminare vereinten Fächer kam erst auf dem darwinistischen Daseinskampfplatz der nationalsozialistischen Polykratie zum Abschluß. Das neue Selbstgefühl der Englischen Philologie proklamierte ein neuer Name: Deutsche Englandwissenschaft.

Disziplinäre Konsolidierung beflügelt den interdisziplinären Ehrgeiz; wo Fachgrenzen gezogen werden, wird ein Annexionsprogramm markiert. Försters Schüler und Nachfolger Robert Spindler durfte 1939 in der Festschrift der Deutschen Wissenschaft zum fünfzigsten Geburtstag Hitlers darlegen, daß "der weltanschauliche Umbruch des Jahres 1933" die Anglistik "aus ihrem abgekapselten Sonderdasein herausgerissen, ihr damit neue Gebiete erschlossen und sie vor umfassendere Aufgaben gestellt" habe, "die dazu alle irgendwie mit dem Weltbild des Nationalsozialismus organisch verbunden sind". Was im heutigen Diskurs der Andere ist, war damals das Fremdvolk: Zauberwort einer antipositivistischen Kulturkunde, die logische Relationen verdinglichte und überall nichts entdeckte als Identität und Differenz. Als Wesenskunde wurde die Anglistik betrieben, Lehre vom ewigen England und Forschung nach dem ursprünglichen Engländer.

Je nach Perspektive, die maßgeblich von der politischen Konjunktur bestimmt wurde, von Spekulationen auf Bündnis oder Friedensschluß, wurde die Dekadenz schon in der Urzeit des Inselvolkes entdeckt oder aber der höhere Trieb von den niederen Instinkten unterschieden. Der antagonistische Ansatz der Feindeslandeskunde verdeckte eine dezisionistische Mechanik. Positive und negative Wertungen ließen sich beliebig variieren. Spätestens nach dem Sieg mußte der letzte Engländer erkennen, daß der wahre Gentleman Adolf Hitler war.

Auch Hausmanns neues Buch besticht durch einen in nüchterner Betrachtung des eigenen Metiers erworbenen wissenssoziologischen Scharfblick. Das "Versagen" der Geisteswissenschaften, so das Fazit des Verfassers, "resultierte vor allem aus einer Wendigkeit, die wechselnde Anpassungen an neue wissenschaftliche Stile hervorbrachte und es erleichterte, Überzeugungen mühelos über Bord zu werfen". Die phantasmatische Natur der unter den Namen von Volk, Blut und Rasse beschworenen Wesenheiten erleichterte das Kombinieren disparater Stoffe. Der Zusammenhang ergab sich im Zweifelsfall nach Spindlers schlagender Formulierung "irgendwie organisch". Es verwundert nicht, daß grenzüberschreitende Forschung dieses Stils ihre Erfüllung im Sammelband fand.

Dem "Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften", der durch Aufsatzbände über "England und Europa" die Siegesgewißheit erhärten und die Weltmeinung gewinnen wollte, hat Hausmann eine frühere Pionierarbeit gewidmet (F.A.Z. vom 13. April 1999), die er nun ergänzen kann - beispielsweise um ein Briefzitat des Marburger Romanisten Werner Krauss, der am 20. September 1939 über seinen anglistischen Kollegen zu berichten wußte, dieser sei "total übergeschnappt" und habe sämtliche Kollegen angesteckt. "Er tut einen lebenswichtigen Betrieb Kulturkunde auf, glaubt, daß die höchste Generalität hierher abkommandiert würde, um nationale Morphologie mitanzuhören." Das Kriegswichtige der Sprachformenlehre lag darin, daß sie Völkerwanderungen zu dokumentieren schien. Wer England für eine uneinnehmbare Inselfestung hielt, hatte wohl noch nie von den indogermanischen Becherleuten gehört.

In der Losung eines Mitarbeiters des "Reichsamtes für Vorgeschichte", es werde "nach 1066 jetzt wieder die erste germanische Eroberung Englands fällig", enthüllt sich für einen Moment die unverwüstliche Kraft jener englischen Nationallegende, die von den deutschen Gegnerforschern vergeblich bekämpft wurde, weil der Eifer der Widerlegung die enttäuschte Liebe verriet. Es kam dem Autor des Aufsatzes offenbar nicht in den Sinn, auch die Invasion von 1688, die Landung des Holländers Wilhelm von Oranien und seiner deutschen Hilfstruppen, als germanische Eroberung zu betrachten: So stark war die Whig Interpretation of History, der Mythos der Selbstbefreiung des englischen Volkes.

Wenn man gegenüber Hausmanns durchgängig aus den Akten gearbeiteter, sorgfältig abwägender und deutlich urteilender Studie ein Desiderat geltend machen kann, so liegt es auf dieser Gegenseite, jenseits des Kanals. Hausmann warnt vor einem "Revisionismus" in der Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, den er vor allem durch den Nolte-Schüler Christian Tilitzki repräsentiert sieht. Aber läßt sich zu Hausmanns Thema nicht in Noltes Sinne bemerken, daß die Geschichte einer kämpfenden Wissenschaft ohne das von ihr bekämpfte Gegenüber nicht komplett sein kann? Daß den Anglisten ihr Gegenstand zum Gegner wurde, geht auf das Konto ihres Chauvinismus, eines nationalen Ressentiments, mit dem sich wohl ein disziplinäres Minderwertigkeitsgefühl mischte. Doch von 1939 an herrschte tatsächlich Krieg, und der schrecklichen Vereinfachung des deutschen Englandbildes entsprach eine Klärung im englischen Selbstbild.

Der Irrglaube der Engländer, das auserwählte Volk zu sein - ein Topos nationalsozialistischer Polemik, antisemitisch gefärbt. Tatsächlich erneuerte aber beispielsweise der Historiker Herbert Butterfield mit einem Kriegsbüchlein die heilsgeschichtliche Deutung des nationalen Schicksals, deren Dekonstruktion ihn berühmt gemacht hatte. Inwieweit war diese Produktion der Kollegen den deutschen Englandforschern zugänglich? Daß 1936 "vom Standpunkt deutscher Englandwissenschaft" postuliert werden konnte, es gelte Cromwells Verhältnis "zu kommunistischen Strömungen" zu untersuchen, kommentiert Hausmann mit einem "sic", wohl um das Anachronistische der Fragestellung zu kennzeichnen. Doch es war ein marxistischer Historiker, Christopher Hill, der durch das Kriegserlebnis zum größten Cromwell-Forscher unserer Zeit werden sollte und der Geschichtswissenschaft die Frage aufgab, ob man am radikalen Rand der englischen Revolution schon Kommunisten entdecken kann.

Frank-Rutger Hausmann: "Anglistik und Amerikanistik im ,Dritten Reich'". Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2003. 572 S., br., 59,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Als sorgfältig abwägend und deutlich urteilende, durchgängig aus den Akten gearbeitete Studie lobt Rezensent Patrick Bahners das neue Buch des Freiburger Romanisten ("der beste Kenner der Geisteswissenschaften in der Hitlerzeit"), der ihn schon mit einer früheren Studie über den zur Geschichte seiner eigenen Disziplin im Nationalsozialismus beeindrucken konnte. Bahners Rekonstruktion der zentralen Thesen des Buches lässt auch auf eine spannende Lektüre schließen. Ein wichtiges Forschungsergebnis in Hausmanns "Pionierarbeit": dass die Emanzipation der deutschen Anglistik und Romanistik zu eigenständigen Disziplinen erst auf dem "darwinistischen Daseinskampfplatz der nationalsozialistischen Polykratie" zum Abschluss gekommen ist. Disziplinäre Konsolidierung habe dabei gleichzeitig den interdisziplinären Ehrgeiz beflügelt: "Wo Fachgrenzen gezogen werden, wird ein Annexionsprogramm markiert." Zum Beispiel: Shakespeare, den "germanischen Barden", vor seinen degenerierten Landsleuten zu retten.

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