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Spätestens seit der Veröffentlichung von Wolfgang Reinhards meisterlicher »Geschichte der Staatsgewalt« von 1999, einer vergleichenden Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, wird das umfangreiche wissenschaftliche Werk des Historikers immer mehr in seiner überragenden Bedeutung für die moderne Geschichtswissenschaft und die Gesamtheit historisch orientierter Sozialwissenschaften erkannt. Reinhards Analyse der sogenannten Gegenreformation als katholischer Modernisierung, seine Geschichte der europäischen Expansion und des Kolonialismus, seine Netzwerkanalysen zu…mehr

Produktbeschreibung
Spätestens seit der Veröffentlichung von Wolfgang Reinhards meisterlicher »Geschichte der Staatsgewalt« von 1999, einer vergleichenden Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, wird das umfangreiche wissenschaftliche Werk des Historikers immer mehr in seiner überragenden Bedeutung für die moderne Geschichtswissenschaft und die Gesamtheit historisch orientierter Sozialwissenschaften erkannt. Reinhards Analyse der sogenannten Gegenreformation als katholischer Modernisierung, seine Geschichte der europäischen Expansion und des Kolonialismus, seine Netzwerkanalysen zu Nepotismus und Klientelpolitik im Papsttum, seine umfangreichen Beiträge zu einer historischen Anthropologie - all dies wird immer mehr in seinen Zusammenhängen durchschaubar.
Mit Beiträgen von: Birgit Emich, Justin Stagl, Jürgen Osterhammel, Wolfgang Knöbl und Paolo Prodi
Autorenporträt
Hans Joas ist Max-Weber-Professor und Leiter des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien an der Universität Erfurt sowie Professor für Soziologie und Social Thought an der University of Chicago.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2008

Endlich mal ein Symposion ohne Pfeifen und trübe Tassen
So eine Werkdiskussion lobe ich mir: Der Historiker Wolfgang Reinhard hat zur Würdigung seiner Lebensleistung das Aufgebot bestellt

Es war vor knapp drei Jahren am Rande einer Tagung in Berlin, als Wolfgang Reinhard laut darüber nachdachte, warum andere Geistesgrößen wie Luhmann, Bourdieu und Foucault mit Werken über ihr Werk beehrt würden, nicht aber er. Es müsse daran liegen, vermutete er, dass er sich stets bemüht habe, verständlich zu schreiben, während jene anderen für ihre sprachlichen Unzumutbarkeiten mit einem Heer von Deutern belohnt worden seien, die des Meisters dunkle Worte ins rechte Licht rücken durften.

Inzwischen wird Reinhard seine Annahme etwas revidiert haben müssen, denn es ist ein kleines Buch erschienen, das mit seinem Konterfei wirbt und eine Diskussion über "Das Werk Wolfgang Reinhards" in Aussicht stellt. Ein Blick auf die erste Textseite genügt jedoch, um festzustellen, dass hier eine Mischgattung geboten wird. Der Band versammelt ein halbes Dutzend Vorträge von Historikern und Soziologen, die an einem vom Erfurter Max-Weber-Kolleg organisierten Symposion zur Feier von Reinhards siebzigstem Geburtstag gehalten wurden. Die "Diskussion" seines OEuvres fand also in einem Rahmen statt, dem die Gattung der Lobrede angemessen wäre, und entsprechend sind die Beiträge ausgefallen. Die meisten Autoren haben das aptum gewahrt, indem sie die beeindruckende Forschungsleistung des Jubilars würdigten und die in der Einleitung versprochene "kritische Auseinandersetzung" mit seinem Schaffen umgingen.

Kern des Bandes bilden vier Aufsätze über die vier wohl bekanntesten (aber wie weitem nicht einzigen) Forschungsfelder des Freiburger Emeritus, verfasst von namhaften Vertretern des jeweiligen Gebiets. Justin Stagl beleuchtet Reinhards Programm einer "materialistisch" geerdeten historischen Anthropologie und sekundiert ihm in seiner Polemik gegen die im "Wald der Symbole" verweilenden Theorien eines Turner oder Foucault: "Eine historische Wirklichkeit gibt es, und sie ist erforschbar. Manchmal ist eine Pfeife wirklich nur eine Pfeife: Doch auch Foucault ist eine Pfeife." Jürgen Osterhammel betrachtet Reinhards Studien zur Geschichte der europäischen Expansion, entdeckt den besonderen "Reinhard-Stil" in einem "theoriebewussten common sense" und findet zudem zwei Nachlässigkeiten des großen Mannes beim Fußnotensetzen.

Paolo Prodi bespricht Reinhards Beitrag zur Konfessionalisierungsforschung, gibt sich nebenbei selbst als einen ihrer Mitbegründer zu erkennen und stellt geschichtsphilosophische Meditationen auf Italienisch an, die in der deutschen Übersetzung nichts von ihrer Unverständlichkeit zu verlieren scheinen: "Der Pluralismus der Identitäten und Erscheinungen ist während der Jahrhunderte der alten Regierungsformen von einer Tendenz bekämpft worden, die ein neues Zentrum schaffen wollte, wo das Heilige und die Macht danach strebten, sich quasi in vertikaler Richtung aufzulösen." Wolfgang Knöbl schließlich beurteilt Reinhards Modell der Staatsbildung "aus soziologischer Perspektive" und gelangt dabei zur einzig wirklich kritischen Auseinandersetzung mit seinem Denken, einer Infragestellung von Reinhards These eines gegenwärtigen Übergangs in ein "nachstaatliches Zeitalter", die Knöbl mit Philip Bobbitts Konzept des "Marktstaates" konfrontiert.

Eingerahmt werden diese thematischen Würdigungen von zwei persönlich gefärbten Beiträgen, die einer gewissen Skurrilität nicht ermangeln. Zu Beginn des Bandes stellt Reinhards Schülerin Birgit Emich den Jubilar als "Lehrer, Forscher, Schulenbilder" vor, wobei sie ihrer Bewunderung in der Form eines Gutachtens Ausdruck gibt, das ihren Chef beinahe wie einen protestantischen Ordinarius des 19. Jahrhunderts erscheinen lässt - von der absolut gesetzten Berufspflicht über das Pochen auf Pünktlichkeit bis zum mäßigenden Einfluss der als Gastgeberin brillierenden Gattin.

Am Ende gibt der Gefeierte selbst eine "Replik", in der er, da es ja kaum etwas zu replizieren gibt, zu einem erstaunlichen Selbstporträt ausholt, das ohne Rücksicht auf Widersprüche die dumpfe Energie hinter seinem unbändigen Schaffensdrang freilegt: eine eher unspezifische moralische Entrüstung - am ehesten über all jene, deren Macht er zu spüren bekommt. Reinhard bezeichnet sich als "Anarchist" und "gut altliberal", und er will auch ein "Dekonstruktivist" sein, freilich einer, den die Frage umtreibt: "Und wie verhält es sich in Wirklichkeit?" Daneben pocht er auf seine "Ersturheberrechte am Konfessionalisierungsparadigma", schluckt willig die bittere Pille von Leuten, die seine einschlägigen Werke verdrängen, indem sie "das Rad gleich mehrfach neu zu erfinden" trachten, und wundert sich, "was für trübe Tassen manche Kollegen auf Lehrstühle zu hieven verstehen, während ich in meiner selbstverschuldeten Ohnmacht froh sein muss, wenn meine Stars aus eigener Kraft (...) Karriere machen".

Wolfgang Reinhard ist zweifellos einer der größten Frühneuzeithistoriker der jüngeren Geschichte, und sein Werk beeindruckt nicht bloß durch außergewöhnliche Originalität und Vielfalt, sondern auch durch den Mut und die Gabe, die Dinge provokativ zuzuspitzen, ohne sie dabei zu simplifizieren. Es verdient eine gründliche Diskussion, die seine Stärken und Schwächen herauszuarbeiten vermag, und einige Trabantenwerke von anderer Hand würden ihm durchaus gut stehen. Besser jedenfalls als eine zweite Festschrift im Gewand einer kritischen Auseinandersetzung.

CASPAR HIRSCHI

Hans Joas: "Die Anthropologie von Macht und Glauben: Das Werk Wolfgang Reinhards in der Diskussion". Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 138 S., br., 19,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Festschrift ja, kritisch nein. Nicht dass der Rezensent dem Frühneuzeithistoriker Wolfgang Reinhard keine Lorbeeren gönnt. Oder erst eine gründliche Diskussion seiner Arbeit. Im Gegenteil. Die in diese anlässlich von Reinhards siebzigstem Geburtstag verfasste Lobhudelei eingeflossene Energie, denkt sich Caspar Hirschi wohl insgeheim, wäre dafür doch verwendbar gewesen. Weder in den vier den Kern bildenden thematischen Aufsätzen (über Reinhards historische Anthropologie etwa), noch in den persönlicheren Beiträgen jedoch entdeckt Hirschi einen Funken Kritik. Oder doch: Irgendwo stand doch etwas über Reinhards nachlässige Art des Fußnotensetzens oder den offenbar notwendigen mäßigenden Einfluss der Gattin.. Nur einmal horcht der Rezensent auf: Wenn Wolfgang Knöbl Reinhards Modell der Staatenbildung soziologisch betrachtet und des Meisters These eines Übergangs in ein "nachstaatliches Zeitalter" infrage stellt.

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