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Die Biographie Mohameds wurde 200 Jahre nach dessen Tod verschriftlicht - mit politischer Intention: Muslimische Fürsten suchten ihre Position zu sichern und dem christlichen Jesus eine eigene, die Herrschaft legitimierende Erlöserfigur entgegenzusetzen. Dennoch hat sich das ambivalente Bild eines sich radikal verändernden und unter psychischen Problemen leidenden Menschen erhalten. Hier der milde, dort der gewalttätige Mohamed. Hamed Abdel-Samad zeichnet in seiner biographischen Skizze nach, welche bis heute verhängnisvollen Folgen aus diesen Traditionen erwachsen - und weshalb radikale…mehr

Produktbeschreibung
Die Biographie Mohameds wurde 200 Jahre nach dessen Tod verschriftlicht - mit politischer Intention: Muslimische Fürsten suchten ihre Position zu sichern und dem christlichen Jesus eine eigene, die Herrschaft legitimierende Erlöserfigur entgegenzusetzen. Dennoch hat sich das ambivalente Bild eines sich radikal verändernden und unter psychischen Problemen leidenden Menschen erhalten. Hier der milde, dort der gewalttätige Mohamed. Hamed Abdel-Samad zeichnet in seiner biographischen Skizze nach, welche bis heute verhängnisvollen Folgen aus diesen Traditionen erwachsen - und weshalb radikale Islamisten mit demselben Recht den »Propheten« zitieren wie laizistische und integrierte Muslime.
Autorenporträt
Abdel-Samad, HamedHamed Abdel-Samad, geboren 1972 bei Kairo, studierte Englisch, Französisch, Japanisch und Politik. Er arbeitete für die UNESCO, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur der Universität München. Abdel-Samad ist Mitglied der Deutschen Islam Konferenz und zählt zu den profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.Seine Autobiographie "Mein Abschied vom Himmel" sorgte für Aufsehen: "Was er von seinen Landsleuten erwartet, hat er selbst vorgemacht: Aufklärung durch Tabubruch." ZDF-Aspekte
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2015

Phantasieren über Muhammad

Gründer der Mafia und Initiator des ersten Holocaust? Hamed Abdel-Samad schießt in seiner morgen erscheinenden Biographie des Propheten weit über das kritische Ziel hinaus.

Hamed Abdel-Samad bleibt seinem Erfolgsrezept treu. Der ehemals fromme Muslim bedient mit einer weiteren scheinbar populärwissenschaftlichen Abhandlung die Angst vor dem Islam und leitet Wasser auf die Mühlen aller, die mit dem Islam lediglich Gewalt und Dschihad assoziieren. Er nennt sein jüngstes Buch "Mohamed. Eine Abrechnung". Es ist ein subjektives Buch und eine persönliche Abrechnung - eines Mannes, der, wie er in einem früheren Buch schrieb, in seiner Kindheit von Muslimen vergewaltigt wurde. Selbst wenn er immer wieder betont, dass er als Forscher schreibe. Dazu aber hätte er die Quellen klarer benennen und sorgfältiger mit ihnen umgehen müssen, selbst nach den Standards populärwissenschaftlicher Darstellungen.

In einigem hat Abdel-Samad ja recht. Etwa wenn er kritisiert, dass viele Muslime die Zeit des frühen Islams als "Blaupause für ein ideales, Allah-gefälliges Leben" verstünden, dass einige dem Vorbild ihres Propheten blind nacheiferten und versuchten, die Urgemeinde von Medina so weit wie möglich wiederherzustellen, dabei aber den Koran und Muhammads Leben nicht aus dem historischen Kontext heraus interpretierten, sondern das im 7. Jahrhundert Geschehene vielmehr zur "Richtlinie und Handlungsaufforderung für alle Zeiten" erhöben.

Plausibel ist auch, wenn Abdel-Samad nachzeichnet, welche jüdischen und christlichen Traditionen in den Islam eingeflossen sind. Nachvollziehbar sind zudem die Passagen über den Koran als "ein widersprüchliches Buch", das in den frühen Suren aus Mekka Frieden predigt, dann in den späteren Suren aus Medina Gewalt rechtfertigt. Islamische Theologen verweisen zwar darauf, dass der Islam in Etappen entstanden sei und der Kontext Widersprüche aufhebe. Nachvollziehbar bleibt dennoch Abdel-Samads Schlussfolgerung, dass dies den Koran als moralische Orientierungshilfe für das 21. Jahrhundert disqualifiziere.

Recht hat Abdel-Samad auch mit seiner Beobachtung, dass viele Muslime, die sich am Vorbild ihres Propheten orientieren, meinten, der Glaube erfülle sich allein in der Nachahmung des Propheten auf Schritt und Tritt und im Befolgen von Regelungen über "die banalsten Sachen des Alltags". Am wenigstens als Vorbild taugt zudem Muhammads Umgang mit den Frauen, auch das arbeitet Abdel-Samad ordentlich heraus. Zwar hätte Muhammad kaum so schnell so viele Anhänger gefunden, wenn er Dinge getan hätte, die im Kontrast zu seiner Zeit gestanden hätten. Doch wer jedem seiner Anhänger vier Frauen zugestand, selbst aber dreizehn Frauen ehelichte und dabei mit neun Frauen gleichzeitig verheiratet war - darunter mit der sechsjährigen Aischa, die beim Vollzug der Ehe neun Jahre alt war -, konnte auch damals nicht Vorbild gewesen sein.

Da nun beginnen die Ungereimtheiten. Abdel-Samad schreibt, Muhammad habe sechs Kinder gehabt, die er möglicherweise aber nicht gezeugt habe. Und er zitiert aus dem Koran, ein Mekkaner habe den Propheten "abtar" genannt, was Abdel-Samad als "kinderlos beziehungsweise impotent" übersetzt. Das Wort "abtar" bedeutet jedoch, dass der Name einer Person, die keine männlichen Nachkommen hat, ausstirbt - und Muhammad hatte keinen Sohn, der ihn überlebte. Immerhin erhielten die gemeinsamen Kinder mit seiner Frau Fatima die Ehrentitel "Scherifen" und "Sayyids".

Gerade im Kapitel über Muhammads Verhältnis zu den Frauen geht Abdel-Samad zuweilen die Phantasie durch. Gern wüsste man, woher er etwa die ausgeschmückte Geschichte hat, in der Muhammad im Zimmer seiner Frau Hafsa mit seiner christlichen Sklavin Maria Geschlechtsverkehr hatte und darauf seine wichtige Frau Aischa ihn mit eifersüchtigem Furor zur Rede stellte. Abdel-Samad tut so, als gebe es gesicherte Erkenntnisse zu Muhammads Leben; die gibt es kaum. Offenbar nimmt er aber phantasievoll ausgeschmückte Prophetengeschichten für bare Münze.

Zu den Geschichten, die wohl der Phantasie entspringen, gehören auch jene über Muhammads Großvater und Vater sowie die Episode, wie Khadidscha ihren Vater betrunken machte, damit er ihrer Heirat mit dem fünfzehn Jahre jüngeren Muhammad zustimmte. Insbesondere aber auch, wenn Abdel-Samad schreibt, dass "man vermuten" könne, Muhammads Mutter Amina sei mit dessen Vater Abdallah "lediglich eine begrenzte und bezahlte Form mit dem Ziel des Beischlafs eingegangen", sie sei also, so muss der Leser verstehen, eine Prostituierte gewesen.

Überhaupt, der lässige Umgang mit den Quellen. Meist stützt sich Abdel-Samad auf Sekundärquellen, und wie oft sind sie nicht nachvollziehbar! Wiederholt zitiert Abdel-Samad aus der Sammlung der Aussprüche und Handlungen Muhammads ("Hadithe") des Muhammad al-Bukhari (810 bis 870), die die meisten Muslime akzeptieren. Aber er gibt nicht an, auf welche Ausgabe er sich bezieht. Von Bukhari sind mehrere Hadith-Sammlungen in Umlauf: Die einen lassen "schwache" Hadithe weg, deren Überlieferungen als nicht überzeugend gelten und die erfunden sein können; andere führen auch diese Hadithe auf. Nur bedingt als Quelle für Historizität taugt auch die Muhammad-Biographie von Muhammad Ibn Ishaq (704 bis 768), die als Erbauungsliteratur eine Ansammlung von Geschichten über den Propheten ist, von denen wahrlich nicht alle wahr sein müssen.

Vieles in dem Buch ist schlicht fragwürdig, wenn nicht geradewegs falsch. Etwa wenn Abdel-Samad schreibt, dass die arabische Schrift zur Zeit Muhammads nur fünfzehn Buchstaben gekannt habe. Dagegen spricht die vorislamische Gedichtsammlung der Muallaqat; vielleicht meint Abdel-Samad, dass die diakritischen Punkte einiger Buchstaben weggelassen wurden und damit Wörter mehrdeutig sein konnten. Das ist aber etwas anderes.

Oder wenn er schreibt, Muhammad sei bei seinem Stamm wenig angesehen gewesen und daher nicht bei seiner Mutter aufgewachsen, sondern zu fremden Beduinen weggegeben worden. Dabei müsste auch der Ägypter Abdel-Samad wissen, dass es auf der Arabischen Halbinsel üblich - und nicht sozial verwerflich - war, Kinder zum Stillen Frauen mit Kindern im selben Alter zu geben. Ein Beispiel für Abdel-Samads ärgerlichen Umgang mit den historischen Fakten ist seine Darstellung der Kopfsteuer Dschisya. So sollen die neuen Untertanen die Wahl zwischen Konversion, Kopfsteuer oder Tod gehabt haben. Die frühen Muslime hatten auf ihren Eroberungszügen jedoch wenig Interesse daran, dass die Unterworfenen zum Islam konvertierten. Die Einnahmen der Dschisya waren ihnen zur Finanzierung ihrer Eroberungen wichtiger.

Manche Stellen sind einfach geschmacklos, etwa wenn Abdel-Samad die islamische Vorstellung vom Paradies auf "endlosen Sex im himmlischen Bordell" und die "totale Entfesselung und Befriedigung des männlichen Sexualtriebes" reduziert. Für Dschihadisten mag das stimmen, für die meisten Muslime ist das Paradies jedoch ein Garten des Friedens und der Gottesschau. Durchsichtig ist auch die Absicht, wenn Abdel-Samad islamische Theologen lächerlich macht, indem er ihnen unterstellt, sie hielten Schwangerschaften von bis zu vier Jahren für möglich. Das bringt er wohl mit der islamischen Diskussion über Scheinschwangerschaften durcheinander.

Solche billigen Manöver nehmen den Punkten Glaubwürdigkeit, bei denen Abdel-Samad zu Recht an Wunden rührt. So war Muhammad eine ambivalente Persönlichkeit. Er vertrug keine Kritik, war jähzornig und ließ oft Empathie vermissen. Dennoch ist für die meisten Muslime Kritik an ihm tabu; für sie ist er der Empfänger der göttlichen Offenbarung.

Viele Passagen wären glaubhafter, würde Abdel-Samad nicht über sein Ziel hinausschießen. Es ist schon sehr böswillig, den Siegeszug des Islams auf eine "Allianz mit der organisierten Kriminalität" zurückzuführen und den Islam als "eine Form der organisierten Kriminalität" zu bezeichnen. Dann wiederum mischt sich Abdel-Samad unter die Sprachforscher und will nachweisen, dass die Mafia vom arabischen Wort "maa'fia" abstammt und sie ihren Ursprung deswegen auf Sizilien habe, weil dort die Araber zwei Jahrhunderte geherrscht hätten.

Vollends wird das Buch zum Ärgernis, wenn er Muhammads Vertreibung und Ermordung von drei Stämmen in Medina zum "Holocaust" deklariert und schreibt, was Muhammad mit den Juden von Medina getan habe, sei "in mancher Hinsicht und in kleinerem Maßstab mit dem Holocaust vergleichbar". Muhammad hat die drei jüdischen Stämme Medinas vertrieben und ermordet; aber der Vergleich mit dem Holocaust des zwanzigsten Jahrhunderts verbietet sich.

Einen Punkt macht Abdel-Samad immerhin mit dem Hinweis darauf, dass sich der "Islamische Staat" auf das Tun Muhammads bezieht - wie es übrigens auch viele mystische Sufis tun. Die Ideologen des IS lesen allerdings Muhammads Biographie so einseitig, wie es auch Abdel-Samad tut. Der Islam kann aber auch anders als den Dschihad-Modus. Abdel-Samad bleibt jedoch die Antwort darauf schuldig, weshalb der Islam in der Gegenwart nicht wieder an seine kreative und tolerante Phase im islamischen Mittelalter anknüpfen kann, die er immerhin kurz streift. Sonst liefe er ja Gefahr, dass es in der Kasse weniger klingeln könnte. Der Islam braucht eine Erneuerung. Von Abdel-Samad kommt sie nicht.

RAINER HERMANN.

Hamed Abdel-Samad: "Mohamed". Eine Abrechnung.

Droemer Verlag, München 2015. 240 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der Prophet als "Vollpsycho", so umreißt Rezensentin Christiane Müller-Lobeck die Charakterisierung des Propheten durch Hamed Abdel-Samed. Nicht gerade erhellend, findet sie. Und dass Samed den Propheten andauernd beim Wort nimmt, irritiert sie auch. Tun das nicht normalerweise die Islamisten? Andererseits will sie Hameds bittere Abrechnung auch nicht billig nennen, schließlich wurde der Autor schon zwei Mal mit dem Tod bedroht. Etwas Neues hat sie aus dem Buch allerdings nicht gelernt. Sie würde daher jetzt lieber konkret über die Finanzierung eines besonders engstirnigen Islams durch die Türkei und Saudi-Arabien reden.

© Perlentaucher Medien GmbH
" [...] Der Sohn eines Imams hat eines der bemerkenswertesten Bücher des vergangenen Jahres vorgelegt, das immer noch auf der Bestsellerliste steht." DER SPIEGEL 201603