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Eine einzigartige Situation ist es, in der sich Roger Willemsen in das legendenumwobene Afghanistan aufmacht: Nur wenige Monate nachdem hier eine über 25-jährige Kriegsgeschichte zu Ende ging, begleitet er eine exilierte afghanische Freundin auf ihrem Weg in die Heimat, von Kabul bis in das kriegserschütterte Kundus im Norden des Landes. Willemsen beobachtet ein Land, das erste Schritte in den Frieden wagt, sich sammelt, Lebensfreude gewinnt und diese auch zeigt. Er spricht mit einfachen Frontsoldaten, Kommandanten und Generälen, trifft Drogenschmuggler, Nomaden und Weise, begegnet Verstörten…mehr

Produktbeschreibung
Eine einzigartige Situation ist es, in der sich Roger Willemsen in das legendenumwobene Afghanistan aufmacht: Nur wenige Monate nachdem hier eine über 25-jährige Kriegsgeschichte zu Ende ging, begleitet er eine exilierte afghanische Freundin auf ihrem Weg in die Heimat, von Kabul bis in das kriegserschütterte Kundus im Norden des Landes.
Willemsen beobachtet ein Land, das erste Schritte in den Frieden wagt, sich sammelt, Lebensfreude gewinnt und diese auch zeigt. Er spricht mit einfachen Frontsoldaten, Kommandanten und Generälen, trifft Drogenschmuggler, Nomaden und Weise, begegnet Verstörten und Traumatisierten, Menschenrechtlerinnen und Häftlingen, ehemaligen Mudschaheddin und Taliban-Funktionären, Fußballerinnen und Musikern. Er besucht Fabriken, Märkte, Schulen und den Ältestenrat eines Dorfes, ist Gast bei einer Verlobungsfeier und inszeniert eine Kinovorführung für Frauen und Kinder. Er überquert den lebensgefährlich verminten Salang-Pass, besucht die schwer zugänglichenDörfer der Tadschiken, trifft turkmenische Kamelhirten in der Steppe und gelangt schließlich an die Ufer des mythischen Flusses Oxus, der die Grenze Afghanistans zu Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan bildet.
Am Ende ist Roger Willemsens Buch weit mehr als der persönliche Bericht von einer faszinierenden Reise, sondern eine literarische Betrachtung der Grundlagen allen Reisens und eine Suche nach dem Eingang in die Fremde.

»Dieses Buch ist ein Geschenk, verfasst von einem deutschen Intellektuellen, der mit neugierigem Kinderblick hinter die News-Front schaut. Dabei erweist sich der Autor als wunderbarer Beobachter. Wenn er von seinen Begegnungen mit Generälen oder Drogenschmugglern, Menschenrechtlerinen oder Taliban-Funktionären schreibt, bekommt das Nachkriegsland - jenseits der 'Tagesschau'-Fratze - endlich ein Gesicht.« stern
Autorenporträt
Roger Willemsen, geboren 1955 in Bonn, gestorben 2016 in Wentorf bei Hamburg, arbeitete zunächst als Dozent, Übersetzer und Korrespondent aus London, ab 1991 auch als Moderator, Regisseur und Produzent fürs Fernsehen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bayerischen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis in Gold, den Rinke- und den Julius-Campe-Preis, den Prix Pantheon-Sonderpreis, den Deutschen Hörbuchpreis und die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Willemsen war Honorarprofessor für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin, Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins und stand mit zahlreichen Soloprogrammen auf der Bühne. Zuletzt erschienen im S. Fischer Verlag seine Bestseller »Der Knacks«, »Die Enden der Welt«, »Momentum«, »Das Hohe Haus« und »Wer wir waren«. Über Roger Willemsens umfangreiches Werk informiert der Band »Der leidenschaftliche Zeitgenosse«, herausgegeben von Insa Wilke. Willemsens künstlerischer Nachlass befindet sich im Archiv der Akademie der Künste, Berlin.  Literaturpreise: Rinke-Preis 2009 Julius-Campe-Preis 2011 Prix Pantheon-Sonderpreis 2012
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.04.2006

Bücherecke
Nichts als das Leben
Roger Willemsen unternimmt eine „Afghanische Reise”
Die Amerikaner hätten seit 120 Jahren Elektrizität, die Afghanen seit 4000 Jahren Kultur, sagt einer der Männer, die Roger Willemsen auf seiner „Afghanischen Reise” trifft. Dieser eine Satz kondensiert das Drama eines ganzen Landes und seiner Menschen. Er bestätigt in seiner Kargheit, was der Reisende an der Sprache dieser Menschen beobachtet: Sie stellen fest, sie werten und sie polemisieren nicht. Sie benutzen keine Adjektive, keine Weichspüler von Inhalten. Die Fakten kommen hart und unverblümt.
Roger Willemsen bereist ein Land, das nach 25 Jahren Krieg zwischen Versehrtheit und Unrat, zwischen Minen und Ruinen nach den kümmerlichen Resten seiner Kultur schürft. In den Städten, in den Dörfern soll aus Trümmern eine Demokratie erstehen, soll der Duft der Freiheit den Gestank der Verwesung verwehen. Der Autor, der hier übrigens auch den ersten Kontakt für sein Interview-Buch „Hier spricht Guantánamo” knüpft, erlebt mit jedem weiteren Kilometer, mit jeder weiteren Beobachtung und mit jedem weiteren Gespräch eine offenbar bisher nicht erfahrene Reduktion auf das Wesentliche. In der Steppe ist er endlich konfrontiert mit dem Nichts: „Ist die Steppe aber vollendet still, ist man nur noch beim eigenen Atem, bei den eigenen Schritten. Also ist man ganz bei sich. Dort ist man selten.” Und der Abschied aus Afghanistan formuliert die Essenz dieser Reise:
„Senda baschi!”, hat Mirwais gesagt. „Du sollst leben.”
Als ich Afghanistan unter mir liegen sehe, denke ich nichts anderes.
Roger Willemsen begegnet auf seiner Reise ein ums andere Mal dem nackten Leben, das der Massenschlächterei des Krieges abgerungen wurde. Und er begegnet dem Tod als essenziellem Teil des Lebens. Weil er ihn als diesen begreift, kann er die Schlachtung eines Kalbes und dessen letzte Blicke und Regungen unsentimental und dennoch mitfühlend beschreiben; kann Buskaschi, den afghanischen Vorläufer des Polo-Spiels, in seiner vitalen Waghalsigkeit schildern, obgleich als Objekt unter dem Schläger ein Kalbs- oder Ziegenkadaver dient. Oder in Kriegszeiten der Körper eines Feindes.
Er lernt, sich den Umständen und Gebräuchen der Menschen anzupassen, denen Gastfreundschaft noch immer oberstes Gebot ist. Lernt also, Essenseinladungen abzulehnen, wenn er weiß, dass seine Gastgeber nichts haben. Er hat kundige Helfer, unter anderem von der internationalen Hilfsorganisation Care. Ihnen ist es wohl zu verdanken, dass Willemsen die Rolle des mitleidigen und daher notgedrungen auch hochmütigen Betrachters erspart bleibt. Die wichtigste Helferin aber ist Nadia Karim, eine in Deutschland lebende Exil-Afghanin, mit deren Cousins Mirwais-jan und Turab-jan er sich auf seiner Reise anfreundet. Das häufigste Wort, das die Afghanen vom deutschen Besucher hören, ist ein fragendes „Ach ja”. Es ist der sprachlose Seufzer des westlichen Kultur-Connaisseurs, der, konfrontiert mit endlosen seelischen und körperlichen Verstümmelungen und deren Geschichten diskret verstummt: Ein deutscher Humanist und Afghanistanfreund - so wird er vorgestellt.
Seine Reise geht von Kabul über Kunduz über den Salang-Pass, zu tadschikischen Dörfern bis in die Steppe der Kamelhirten hin zum Fluss Oxus an der Grenze von Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan. Er trifft, wie erwartet, Drogendealer, und zieht selbst mal ein Tütchen rein. Aber seine Reise ist naturgemäß keine gewöhnliche Reise: Er bewegt sich in einer „postumen Landschaft”, wie er es nennt: „Landschaft nach Abzug allen Geschehens, zurückgeblieben als Statthalter einer abwesenden Geschichte.” Er trifft Kinder, die außer sich sind, und Erwachsene, die neben sich stehen, auf Männer, die auf unterschiedlichen Seiten kämpften, auf Mudschahedin und Taliban-Funktionäre; er begegnet dem personifizierten Kulturkampf einer ganzen Region. Er spricht mit denen, die das daraus resultierende, immer wieder aufwallende Gemetzel überstanden haben, die Folter, die Bomben. In jeder Familie ein Krüppel, in jeder Familie ein Toter.
Sein Reisebericht gewinnt die Qualität einer Novelle, als er von seinem wahnwitzigen Versuch erzählt, eine Kinovorführung ausschließlich für Frauen und Kinder zu organisieren. In dem Land, in dem Frauen ihren Knast in Gestalt eines blauen Körperzeltes mit Gitterfensterchen um sich tragen, kommt keine Einzige. Es kommen die Männer. Aber Willemsen spricht auch mit Mädchen, die einen Teil der Zukunft dieses ausgepowerten Landes verkörpern, mit jungen Fußballerinnen. Sie dürfen zum Spielen die Burka ablegen.
Spielen, das unter den Taliban unter Strafe verboten war, ist wieder erlaubt. Auch das spielende Kind, das sich vorsorglich duckt aus Angst, dafür geschlagen zu werden, wird dies vielleicht bald begreifen: Als Teil eines noch sehr jungen Friedens.
EVA-ELISABETH FISCHER
ROGER WILLEMSEN: Afghanische Reise. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 221 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der 2016 verstorbene Roger Willemsen hat ein ungewöhnliches Reisetagebuch vorgelegt: Er begleitet eine Freundin nach Afghanistan, eine Reise, die er gewohnt wach und wissbegierig beschreibt, die ihn aber auch vor Herausforderungen stellt, wie Rezensent Alexander Kosenina bemerkt: Wie begegnet man einem Land, das völlig anders funktioniert, als Westeuropäer*innen es gewohnt sind? Diese Aufmerksamkeit und Bedächtigkeit, mit der sich der Autor dem Land und seinen Menschen nähert, vermittelt dem Rezensenten auch Sprecher Matthias Brandt. Er zeigt sich beeindruckt von der Nuanciertheit, mit der sich Willemsen vor allem den afghanischen Frauen und ihren Kämpfen um mehr Rechte, mehr Freiheit, mehr Demokratie widmet. Schmerzhaft ist für ihn zu wissen, dass nach der Machtübernahme der Taliban 2021 viele dieser Träume unerfüllt bleiben müssen.

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