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Beobachtungen, Episoden, Einfälle, Tagebuchsplitter, Fragmente und Reflexionen des größten Reporters des 20. Jahrhunderts: ein Muss für alle Weltenbürger und jene, die es werden wollen!

Produktbeschreibung
Beobachtungen, Episoden, Einfälle, Tagebuchsplitter, Fragmente und Reflexionen des größten Reporters des 20. Jahrhunderts: ein Muss für alle Weltenbürger und jene, die es werden wollen!
Autorenporträt
Ryszard Kapuscinski ist 1932 in der ostpolnischen Stadt Pinsk geboren, die heute zu Weißrußland gehört. (Das war damals, wie er selber sagt, "Dritte Welt").
1945 kam seine Familie nach Warschau, wo er studierte. In den fünfziger Jahren wurde er als Korrespondent nach Asien und in den Mittleren Osten, später auch nach Lateinamerika und nach Afrika entsandt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2007

Der Wind weht Staubwolken hoch
Das Ende einer Ära: Das letzte Buch des großen Reporters Ryszard Kapuscinski, der diese Woche gestorben ist

Der große Reporter ist tot. Am Dienstagabend ist er in Warschau im Alter von 74 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Am Donnerstag erschienen in den Zeitungen der Welt die Nachrufe auf ihn, auf Ryszard Kapuscinski. Sie haben ihn alle noch einmal den "Reporter des Jahrhunderts" genannt, ein letztes Mal, bevor nun, langsam, das Vergessen beginnt.

Der Tod kam nicht überraschend. Bypass auf Bypass hatte man ihm in den letzten Jahren gelegt. Wenn man ihn besuchen wollte, in seinem alten Haus in Warschau, hieß es zuletzt immer erst "Aber ja, aber ja", und kurz darauf wieder "Besser doch nicht". Die Gesundheit schwankte, die letzte Lebenszeit war kostbar. Seit einer Weile ging Kapuscinski nur noch in den Büchern auf die Reise, die in der Kammer unter seinem Dach zu Bergen gestapelt waren. Er las und las und schrieb weiter, langsam, und unternahm Reisen in die Erinnerung hinein und wieder heraus. Ein letztes Buch hat er noch fertiggestellt, "Notizen eines Weltbürgers". In diesen Tagen erscheint es auf Deutsch. Das Schlusswort hat er nicht selbst gesprochen. Er hat "Das Lied der Buschmänner vom Tod" ans Ende gestellt. Es heißt:

"Wenn wir sterben,

Kommt der Wind an diesem Tag,

Um uns von hier fortzuwehen,

Die Spuren unserer Schritte zu

verwischen.

Der Wind weht Staubwolken hoch

Und verschüttet damit

Die Spuren, die dort waren,

Wo wir gegangen sind,

Sonst wäre es so,

Als würden wir

Weiterhin leben."

Das letzte Buch von Ryszard Kapuscinski ist ein sehr, sehr bitteres Buch. Es handelt vom Verschwinden immer wieder, vom Vergessen und von der Verzweiflung angesichts der Welt, so wie sie ist. Es sind Notizen seiner Lektüren, er liest viel Cioran und Beckett, zitiert aus den Zeitungen der Welt, aus Interviews mit Thomas Middelhoff und Siegfried Lenz, er beklagt die immer weiter zunehmende Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Welt. Und vor allem: den Niedergang der Medien, des Berufes des Reporters: "An Stelle der einstigen Heroen des Journalismus haben wir es heute mit einer breiten Schicht oft anonymer Medienarbeiter zu tun", schreibt er. Und er benennt sogar den Moment, in dem, nach seiner Meinung, der Niedergang begann. 1963 in Addis Abeba, bei einer Konferenz afrikanischer Staatsoberhäupter, das letzte große Zusammentreffen der besten Reporter der Welt, ohne Beteiligung eines Fernsehteams. Kapuscinski war dabei: "Im Rückblick erscheint mir das heute als das Ende einer Ära, in der man den Journalismus als wichtigen Beruf, als ehrende Berufung betrachtete, der wir uns restlos und ein ganzes Leben lang zu widmen bereit waren."

Dann begann irgendwann die "Medienhorde" durch die Welt zu hetzen. Eine immer größere Zahl Berichterstatter an den immer gleichen Orten. Die immer weitere Verbreitung der Massenmedien, der Berichterstattungsmöglichkeiten hat nicht zu einer Verbreiterung der Informationen geführt, nicht zu jenem globalen Dorf, wie es Marshall McLuhan vorhersagte, sondern zu einer immer weiteren Monotonisierung der Welt. "Eine riesige Schar von Medienvertretern zieht heute wie eine dichtgedrängte Horde durch die Welt, wobei jeder den anderen belauert, um nicht hinter der Konkurrenz zurückzubleiben. Aus diesem Grund berichten die Medien auch, obwohl es weltweit gleichzeitig mehrere wichtige Ereignisse geben kann, immer nur über ein einziges ausführlich, nämlich über das, um das sich die Herde gerade versammelt. Ich selber war mehrmals Mitglied dieser Herde und weiß, wie das funktioniert."

So wütet und trauert sich Kapuscinski durch die Welt. Sieht überall nur Niedergang, Unrecht, Abstieg. Auch in den Künsten, auch in der Literatur, in den Büchern der Gegenwart. Überall sieht er Verflachung, Seichtigkeit, medienbestimmte Schablonenhaftigkeit des Denkens und des Schreibens. Wenige Helden halten noch dagegen. Er liest begeistert die australische Autorin, die, ohne Uhr, ohne Termine in zwei Jahren mit ihrer Yacht von Australien nach Afrika reiste. "Ja, Langsamkeit!", freut sich der alte Reporter: "Ruhig! Langsam! Verharre! Wenn du dich beeilst, siehst du nichts, erlebst du nichts, erfährst du nichts, denkst du nicht! Das rasche Tempo trocknet die tiefsten Schichten deines Geistes aus, dämpft deine Empfindsamkeit, sterilisiert und entmenschlicht dich."

Auf Dauer sind Kapuscinskis Klagen etwas ermüdend. Seine Stärke war immer seine Neugier, sein genauer Blick, die Reisen an die Orte, an die sonst keiner fuhr. Es ist traurig zu lesen, wie er in seinem letzten Buch beklagen muss, dass sein Schreiben nicht Schule machte, dass es nicht Schule machen konnte, dass die Gegenmächte der Massenkommunikation, so wie er sie sieht, zu mächtig geworden sind. Es ist doch die Aufgabe der Intellektuellen, schreibt er immer wieder, das andere zu beschreiben, den Blick auf andere Weltgegenden zu richten, in anderen Denkschulen zu denken, als in den zufällig gerade vorherrschenden, weiter zu denken, als es der enge Rahmen des Fernsehers vorgibt.

Und wenn man beim Lesen gerade denkt: "Ach, klage doch nicht nur", da kommt man an eine Stelle, an der Kapuscinski eine Begegnung mit zwei Lesern in Poznan schildert. Sie kommen, um sich zu beschweren, nach einer Lesung. Das sei ja alles ganz schön, aber so wahnsinnig pessimistisch. Ob er nicht ein wenig optimistischer denken könne? "Gemessen an der Realität", sagt der Kritisierte, "ist das noch sehr optimistisch ausgefallen." Er habe absichtlich hellere, wärmere Töne gewählt, um die Leser nicht zu verschrecken. Er habe die Wahl, die Wahrheit zu sagen oder zu beschönigen. Er habe sich nun einmal für die Wahrheit entschieden.

Und am Ende bleibt nur eine Sehnsucht zurück: "Nach jahrelangen Reisen durch die Welt sehne ich mich heute nach einer Klosterzelle. Leere Wände, eine Tür, ein Fenster, ein Bett, ein Tisch, ein paar Bücher, Papier, ein Bleistift, ein Fenster hinaus zum Klostergarten. Dieser ist leer bis auf einen Baum. Ein Stück Wiese, Berberitzensträucher. Sonst ist nichts zu sehen. Von draußen dringen keine Stimmen herein. Manchmal verirrt sich ein Vogel ins Zimmer. Manchmal regnet es. Im Winter wird es weiß."

VOLKER WEIDERMANN

Ryszard Kapuscinski: "Notizen eines Weltbürgers". Eichborn, 296 Seiten, 19,90 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kritisch äußert sich Rezensent Stephan Wackwitz über diese Sammlung von "nachgelassenen Weisheiten" - Reflexionen, Notizen, Ideen, Meinungen und politischen Voraussagen - des kürzlich verstorbenen polnischen Journalisten Ryszard Kapuscinski. Er berichtet von der Wandlung des Autors vom für seine Reisereportagen berühmten Journalisten zur hoch verehrten moralischen Instanz mit einer gläubigen Lesergemeinde. Die Lektüre des Bands hat ihm ein gewisses Unbehagen bereitet, das etwas zu tun hat mit Kapuscinskis Anspruch auf eine keinen Widerspruch duldende, abschließende Allgemeingültigkeit, der für ihn auf jeder Seite des Bands zu spüren ist. Dabei scheinen ihm Kapuscinskis Einsichten und Formulierungen eher banal und alles andere als aufregend. Trotzdem sei der Band aufschlussreich, schon weil er dem westlichen Leser Einblicke in die Vorstellungen und Mentalitäten Polens gewährt, zwar nicht in die der nationalkatholischen Provinzbewohner, aber in die des liberalen Bürgertums. Alles in allem spricht aus dem Band für ihn aber die "hypermoralische Enthobenheit eines unkonkreten und unpolitischen Bescheidwissens und Besserseins, das sich von unserer Welt längst verabschiedet hat".

© Perlentaucher Medien GmbH