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Der neue Roman von Jonathan Safran Foer nimmt dem Leser erneut den Atem mit seinem Tempo, seiner Sprachgewalt und seinem halsbrecherischen Witz. Und er lässt einen verstehen, dass manchmal nur Phantasie hilft, den Irrsinn der Welt zu ertragen.

Produktbeschreibung
Der neue Roman von Jonathan Safran Foer nimmt dem Leser erneut den Atem mit seinem Tempo, seiner Sprachgewalt und seinem halsbrecherischen Witz. Und er lässt einen verstehen, dass manchmal nur Phantasie hilft, den Irrsinn der Welt zu ertragen.
Autorenporträt
Jonathan Safran Foer wurde 1977 geboren und studierte in Princeton Philosophie und Literatur. Sein erster Roman "Alles ist erleuchtet" war ein sensationeller Erfolg in den USA. Foer lebt und schreibt in New York an seinem zweiten Roman.
Trackliste
CD 1
1Was Zum?00:08:01
2Was Zum?00:08:08
3Was Zum?00:09:25
4Was Zum?00:07:34
5Warum Ich Nicht Bei Dir Bin 21. 05. 196300:11:25
6Gugolplex00:08:06
7Gugolplex00:09:32
8Gugolplex00:11:36
9Gugolplex00:03:22
CD 2
1Gugolplex00:11:32
2Meine Gefühle 12. 09. 200300:10:44
3Meine Gefühle 12. 09. 200300:09:11
4Das Einzige Tier00:08:17
5Das Einzige Tier00:10:36
6Das Einzige Tier00:08:55
7Warum Ich Nicht Bei Dir Bin 21. 05. 196300:09:39
8Warum Ich Nicht Bei Dir Bin 21. 05. 196300:10:03
CD 3
1Warum Ich Nicht Bei Dir Bin 21. 05. 196300:02:47
2(Bleifüße) Superschwere Bleifüße00:07:38
3(Bleifüße) Superschwere Bleifüße00:05:51
4(Bleifüße) Superschwere Bleifüße00:06:25
5(Bleifüße) Superschwere Bleifüße00:09:10
6(Bleifüße) Superschwere Bleifüße00:10:02
7(Bleifüße) Superschwere Bleifüße00:10:06
8Über Die Lautsprecher00:06:01
9Über Die Lautsprecher00:07:03
10Glück, Glück00:10:54
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2005

Was vom Tage übrigbleibt
Erntezeit für Leser: Die schöne Literatur in diesem Herbst

Carl Friedrich Gauß ist acht Jahre alt, als sein mathematisches Genie von einem Dorfschullehrer entdeckt wird. Daniel Kehlmann, selbst kaum dreißigjährig, beschreibt den Jungen in seinem neuen Roman "Die Vermessung der Welt" (Rowohlt) als seufzenden Melancholiker mit triefender Nase, der auf den Vorwurf, es gehöre sich nicht, daß ein Kind immer traurig sei, Erstaunliches zur Antwort gibt. Er sei traurig, weil die Welt recht stümperhaft geschaffen sei, erklärt er dem jungen Mathematiker Bartels, und weil man es ohne Schlaf und Vergessen in ihr nicht aushalte: "Nicht wegsehen können war Traurigkeit. Wachsein war Traurigkeit. Erkennen, armer Bartels, war Verzweiflung. Warum, Bartels? Weil die Zeit immer verging." Gauß wird das Reich der Zahlen und das Weltall erforschen. Aber auch hinter den Sternen wartet nur der Tod.

Kehlmanns Roman über Gauß und den Naturforscher Alexander von Humboldt ist die leichthändig ineinander verwobene Doppelbiographie zweier großer Gelehrter, so unterhaltsam, humorvoll und auf schwerelose Weise tiefgründig und intelligent, wie man es hierzulande kaum für möglich hält. In bester angelsächsischer Manier legt Kehlmann einen handwerklich nahezu perfekten Roman vor, der zeigt, was deutsche Autoren in der Regel allenfalls in der Theorie wissen: daß Bildung nicht Ballast sein muß, sondern ein Vergnügen sein kann.

Ganz anders als Kehlmann, der Szenen und Dialoge sehr genau kalkuliert und seinem oft trockenen Humor nie die Zügel schießen läßt, hält es der noch einmal zwei Jahre jüngere Amerikaner Jonathan Safran Foer in seinem zweiten Roman "Extrem laut und unglaublich nah" (Kiepenheuer & Witsch). Foer ist ein literarisches Wunderkind, das fast alles kann und sich buchstäblich alles zutraut. Behandelte sein Debüt "Alles ist erleuchtet" (2003) den Holocaust und die Geschichte des Antisemitismus in Osteuropa, so geht es nun um das amerikanische Trauma, das der Terrorangriff vom 11. Septembber 2001 ausgelöst hat. Sein Ich-Erzähler ist ein achtjähriger Junge, der seinen Vater verloren hat und nun dessen rätselhaftem Vermächtnis nachspürt, wenn er nicht gerade seinen autoaggressiven Schüben nachgibt und sich selbst grün und blau schlägt. "Extrem laut und unglaublich nah" ist ein mitunter befremdlich anmutendes Feuerwerk der Trauerarbeit, eine Art Bewältigungsmarathon, phantasievoll, überraschend, anrührend, kitschig und eitel.

Daß nicht nur Menschen Trauer kennen, sondern auch die Dinge ihre Tränen haben, erfuhr Uwe Timm vor mehr als vierzig Jahren von einem Freund, den er wenig später aus den Augen verlieren sollte. Als er Jahrzehnte später den Spuren des Toten nachgeht, begegnet er auch dem Sohn des Freundes. Lukas Ohnesorg hat seinen Vater nie kennengelernt, denn der Student Benno Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 in Berlin bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien in Berlin von einem Polizisten erschossen, bevor sein Kind geboren wurde. Aber als hätte er den Satz des Vaters von den Tränen der Dinge sein ganzes Leben im Ohr gehabt, hat Lukas Ohnesorg sein Haus in ein gewaltiges Sammelsurium verwandelt, ein Asyl der verstoßenen Dinge, die hier ihr Gnadenbrot fristen.

Die Erzählung "Der fremde Freund" (Kiepenheuer & Witsch) gibt der Ikone Benno Ohnesorg eine persönliche Geschichte zurück, aber eine Biographie Ohnesorgs darf der Leser sich nicht erwarten. Wie schon in "Am Beispiel meines Bruders" verfolgt Timm hier das Projekt einer Autobiographie auf Umwegen, die zugleich Auskunft über eine ganze Generation geben soll.

Um Familien, beschädigte, chaotische, trostlose, geht es auch in den Romanen von Arno Geiger, Hans-Ulrich Treichel und Irene Dische. Mit "Es geht uns gut" (Hanser), "Menschenflug" (Suhrkamp) und "Großmama packt aus" (Hoffmann & Campe) zeigen diese drei Autoren noch einmal, wie fruchtbar das unverwüstliche Genre des Familienromans nach wie vor ist, aber auch, wie wichtig vielen Autoren noch immer die Schrecken der Nazizeit als Ausgangspunkt und Hintergrund ihrer Schilderungen sind. Mittlerweile meldet sich mit Arno Geiger oder auch Eva Menasse bereits die Enkelgeneration zu Wort, um vor ihren eigenen Geschichten zunächst noch einmal die ihrer Eltern und Großeltern zu erzählen.

Daß nicht alle literarischen Wege in die Vergangenheit führen müssen, zeigt Matthias Polityckis vitalistisches Kuba-Epos "Herr der Hörner" (Luchterhand) ebenso wie Ingo Schulzes Roman "Neue Leben" (Berlin Verlag). Zwei Romane, zwei Kraftakte von jeweils etwa siebenhundert Seiten, was auf ein gewisses Selbstbewußtsein und beachtliche Energievorräte der Autoren schließen läßt. So unterschiedlich die Bücher auch sind, schon allein in der Wahl ihrer Schauplätze Kuba und Thüringen, eines haben sie leider gemeinsam: eine Hauptfigur, die den Leser nicht zu fesseln vermag. Beide Romane verlangen vom Leser, daß er sich ihnen für viele Stunden überläßt, bleiben aber die Gründe dafür schuldig. Schulzes Konstruktion eines fiktiven Herausgebers, die Fußnoten, der Anhang von 150 Seiten - all das baut mehr Distanz auf, als der Roman verkraften kann.

Wer zuviel wagt, kann ebenso scheitern wie derjenige, der zuwenig wagt. A. L. Kennedy wagt in jedem ihrer Bücher mehr, als ratsam scheint. Sie unternimmt extreme Gratwanderungen, scheut vor größter Drastik ebensowenig zurück wie vor größter Intimität und zartesten Gefühlsregungen. Aber die existentielle Wucht und innere Notwendigkeit ihrer Literatur trägt den Leser über alle Klippen und Abgründe. Ihr neuer Roman "Paradies" (Wagenbach) erzählt die Liebesgeschichte zweier Alkoholiker, eine Glückssuche, in deren Zentrum Hannah steht, eine Frau, die im geregelten Ablauf des bürgerlichen Lebens untergeht wie in einem reißenden Fluß. Wer den Kapitalismus erfunden hat, glaubt Hannah, könne gewiß kein Alkoholiker gewesen sein.

Ein Satz, dem Michel Houellebecq vermutlich zustimmen würde. Sein neuer Roman "Von der Unmöglichkeit einer Insel" (DuMont) handelt von der Gegenwart ebenso wie von der Zukunft und ähnelt darin dem neuen Buch des in England aufgewachsenen japanischen Autors Kazuo Ishiguro. "Alles, was wir geben mußten" (Blessing) beginnt wie eine klassische englische Internatsgeschichte. Aber die Kinder, die hier umsorgt und unterrichtet werden, sind geklonte Wesen. Bei Houellebecq ist der Klon der Übermensch der Zukunft, bei Ishiguro ist er ein menschliches Ersatzteillager, dessen einziger Lebenszweck darin besteht, Organe zu spenden. Houellebecqs Name ist in aller Munde, Ishiguro ist dem breiten Publikum einstweilen noch weitgehend unbekannt, obwohl die Verfilmung seines mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Romans "Was vom Tage übrigblieb" recht erfolgreich war. Jetzt dürfte er auch in Deutschland die Aufmerksamkeit erfahren, die ihm gebührt: "Alles, was wir geben mußten" ist ohne Frage der bedeutendste Roman dieses Bücherherbstes.

Er schildert das beklemmende Experiment, das in dem Internat Hailsham durchgeführt wird, um herauszufinden, ob die Klone eine Seele haben, also wie Menschen behandelt werden müssen. Dazu werden sie aufgezogen wie ganz normale Kinder - und so entwickeln sie sich auch. Einer der genialen Kunstgriffe Ishiguros besteht darin, daß er uns das Geschehen nur aus der Sicht der Klone beobachten läßt. Sie haben Träume und Sehnsüchte, sie lieben und leiden, aber ihr Schicksal in Frage stellen oder dagegen aufbegehren, das können sie nicht. Ihre Trauer ist von der gleichen Art wie die des kleinen Gauß, denn auch für sie bedeutet Erkennen Verzweiflung.

Die Welt ist vermessen, kartiert und entzaubert. Die Literatur ist es noch nicht. Bis in den hintersten Winkel sind die Forscher und Geodäten gekrochen, Chronometer und Sextanten aus Messing, blankgeputzt und fein graviert, in ihrem Gepäck. Da kann und will die Literaturkritik nicht mit. Sie nimmt ihre Gegenstände in die Hand, dreht und wendet sie, wirft sie in die Luft, um spielerisch Gewicht und Flugeigenschaften zu prüfen, lugt in alle Ecken und Ritzen und stellt sie zurück ins Regal, damit ein anderer komme, um die Prozedur auf seine Weise zu wiederholen: der Leser. Der Bücherherbst erwartet ihn.

HUBERT SPIEGEL

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.08.2005

Jedes Buch ist nur der bestmögliche Kompromiss
Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer über die Trance beim Pingpongspiel und seinen neuen Roman „Extrem laut und unglaublich nah”
Am 24. August erscheint Jonathan Safran Foers neuer Roman „Extrem laut und unglaublich nah” (Kiepenheuer & Witsch), in dem er die Anschläge des 11. September aus der Perspektive eines Neunjährigen namens Oskar Schell erzählt, der seinen Vater in den Türmen verloren hat. In der Zwischenzeit wurde Foers Debütroman „Alles ist erleuchtet” von Liev Schreiber mit Elijah Wood verfilmt (US-Filmstart 22. August). Außerdem hat Foer, Jahrgang 1977, das Libretto für die Oper „Seven Attempted Escapes From Silence” geschrieben, die im September an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin uraufgeführt wird.
Jonathan Safran Foer: Es hat sich so einiges verändert. Ich bin nach Brooklyn gezogen, habe geheiratet, mir einen Hund zugelegt und bin Onkel geworden. Waren ein paar sehr nette Jahre gerade.
SZ: Vor zwei Jahren hatten Sie noch einen Roman in Arbeit, der in einem Museum spielen sollte, das einem fiktiven Autor gewidmet ist, dessen Mythos darauf beruht, dass er spurlos verschwand. Was ist daraus geworden?
Foer: Das Interessante ist, dass ich dieses Buch eigentlich nie bewusst zur Seite gelegt habe, um ein Neues zu beginnen. Ich habe es nur Stück für Stück verändert. Ich habe einen Ausschussordner auf meinem Computer, in dem ich alles ablege, das nicht ins Buch kommt. Und da habe ich mehr und mehr Stoff reingetan. Inzwischen sind in dem Ordner dreitausend Seiten. Nicht dass ich die nicht mochte. Manches davon mag ich sogar lieber als das ein oder andere im Buch. Aber ein Buch ist ja nicht einfach eine Sammlung deiner besten Seiten, es ist eher wie der bestmögliche Kompromiss.
SZ: Was ist denn davon in „Extrem laut und unglaublich nah” übrig geblieben?
Foer: Dass der Roman in New York spielt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger erstaunlich finde ich das, weil sich meine Erfahrungen in New York ja auch andauernd verändern. Und New York hat sich gewaltig verändert.
SZ: Die entscheidende Veränderung durch die Anschläge vom 11. September hatte sich aber schon zugetragen, als wir über den Museumsroman sprachen.
Foer: Aber da war es noch nicht so lange her. Da war alles sehr seltsam und traurig. Hm. Ich hasse es ja, wenn ich auf Worte wie seltsam oder traurig zurückgreife, weil sie dem allem nicht gerecht werden. Das war alles so unbegreiflich.
SZ: Haben Sie deswegen einen Neunjährigen zur Hauptfigur gemacht?
Foer: Nein, den Neunjährigen hatte ich schon, bevor sich das Buch um den 11. September drehte. Es fällt mir immer ziemlich schwer, zu rekonstruieren, wann und warum ich bestimmte Entscheidungen getroffen habe.
SZ: Das geht sonst eher Musikern so.
Foer: Das stimmt. Im Englischen gibt es diesen Spruch, dass eine Ameise kein Insektenkundler ist. Nur weil man etwas verkörpert, kann man es nicht erklären. Ich schreibe eigentlich immer dann am besten, wenn ich mir dessen am wenigsten bewusst bin. Der Maler Philip Guston hat erzählt, dass er jedes Mal, wenn er in sein Atelier ging, seine Frau und seine Tochter und sein Galerist mitkamen. Im Laufe des Tages sei einer nach dem anderen gegangen, und zum Schluss, wenn das Malen richtig gut lief, habe er dann selbst den Raum verlassen und nur das Malen an sich sei zurückgeblieben. Genauso geht es mir auch. Wenn das Schreiben richtig läuft, bin ich kaum da.
SZ: Musiker haben noch ein Instrument zwischen sich und dem Publikum. Ist das Schreiben nicht eher wie Singen?
Foer: Da hat man doch auch ein Instrument - die Sprache. Die stellt sich sogar sehr oft zwischen einen selbst und die Person, an die man sich richtet. Ein Freund von mir sagt, jeder Maler träumt davon, ein Schreiber zu sein, und jeder Schreiber, ein Maler zu sein. Jeder Maler würde sich gerne deutlicher erklären, jeder Schreiber genau das Gegenteil. Mit Sprache ist es manchmal verdammt schwer, nichts Konkretes auszusagen.
SZ: Als Kritiker ist es viel schwerer, über Musik zu schreiben als über ein Buch.
Foer: Das ist auch interessant: Schreiben ist die einzige Kunst, die sich mit ihren eigenen Mitteln kritisiert. Niemand kritisiert einen Song mit einem Song oder ein Bild mit einem Bild. Das ist auch mit ein Grund dafür, warum das Schreiben in den letzten hundert Jahren konservativer geblieben ist als jede andere Kunstform. Vergleicht man zum Beispiel Shakespeare mit Jonathan Franzens „Die Korrekturen”, dann würde Shakespeare „Die Korrekturen” immer noch erkennen können. Wenn man dagegen die Unterschiede zwischen Mozart und Eminem betrachtet, dann sind die gewaltig.
SZ: Grafische Elemente und Fotos spielen in „Extrem laut und unglaublich nah” eine wichtige Rolle. Haben Sie die Fotos selbst gemacht?
Foer: Ein paar. Viele habe ich aus Fotoarchiven. Ich habe bestimmt tausend Stunden im Onlinearchiv von Corbis verbracht und oft Sachen gefunden, nach denen ich gar nicht gesucht habe und dann den Text danach geändert. Das hat großen Spaß gemacht. Auch wenn mir viele vorwerfen, das sei bloß ein Gimmick. Was genauso schwachsinnig ist, als wenn man sagen würde, die Musik eines Balletts sei überflüssig, weil es doch ums Tanzen geht. Wenn ein Maler wie Ed Ruscha Worte in seine Bilder einbaut, stört es ja auch niemanden.
SZ: Man braucht eben ein Empfinden für Bildsprache und visuellen Rhythmus, das kann vielleicht nicht jeder nachvollziehen.
Foer: Über visuellen Rhythmus habe ich bei der Arbeit viel nachgedacht - wie sich Bilder aufeinander beziehen, wie eine Reihe von Bildern eine Art Reim entwickeln kann. Ich habe früher Schlagzeug gespielt, und das hat auf mein Schreiben enormen Einfluss gehabt. Wann immer ich schreibe, schlage ich mit dem Fuß einen Takt. Und wenn es um Bilder, Worte, Geschichten und Charaktere geht, denke ich eigentlich auch immer rhythmisch.
Ein guter Freund von mir, wieder ein Maler, hat mich zum Pingpongspielen gebracht. Er ist eigentlich ein sehr intellektueller Typ, aber er meinte, er sei ganz bei sich nur, wenn er Pingpong spielt, weil er dann gleichzeitig physisch und intellektuell aktiv sei. So geht es mir auch, weil man einerseits daran denken muss, was man tut, andererseits nicht zu genau darüber nachdenken darf, weil es sonst nicht mehr funktioniert. Beim Schlagzeugspielen geht es mir auch so.
SZ: Ist es beim Schreiben schwerer, diesen Zustand zu erreichen?
Foer: Ja, eben wegen der Sprache. Sprache ist so ungenau, dass man meistens weniger als ein Prozent von dem sagt, was man sagen könnte.
SZ: Weniger als ein Prozent?
Foer: Na ja, ich habe ja während der Arbeit an dem Buch drei, vier Jahre gelebt. Da gab es so viele Geschichten, die ich gerne erzählt hätte. So ein Buch ist ein winziger Ausschnitt aus einer persönlichen Erfahrung. Die meisten Leser glauben immer, so ein Buch sei die Summe des Autors selbst. Aber das ist ein Irrtum.
SZ: Sonst wäre es aber kein Roman, sondern ein Blog.
Foer: Ich glaube, ein Blog sind eher null Prozent. Wenn ich ein Buch schreibe, dann bringt mich das Buch zu den Punkten, die ich sagen will. Der Dichter W.H. Auden hat gesagt, er schaut sich an, was er schreibt, damit er sieht, was er denkt. Die meisten, die einen Blog schreiben, haben das Gefühl, dass ihr Leben irgendeine Bedeutung hat, das wollen sie mit dem Rest der Welt teilen. So geht es mir beim Schreiben gar nicht. Ich habe nichts gegen Blogs, es gibt sicher Blogs, die besser sind als mancher Roman. Aber eigentlich ist das alles eher deprimierend. Das hat so was von Bastelkeller. Gleichzeitig ist das Phänomen sehr erstaunlich, weil wir in einer Welt leben, in der wir als Individuen anonymer sind und gleichzeitig mehr Macht haben als je zuvor. Das ist ein eigenartiges Paradox.
SZ: Ist das eine Frage der Werkzeuge?
Foer: Theoretisch ist das eine wunderbare Sache. Aber da gibt es so viele Gefahren. Niemand muss sich mehr für seine Aussagen verantworten. Du kannst alles sagen, was du willst, und dabei so zerstörerisch sein, wie du willst. Bisher musste man sich in einem Bezugssystem legitimieren, wenn man etwas öffentlich machen wollte. Da gab es Lektoren, Redakteure, Verlage, die sich hinter dein Buch stellen mussten. Das waren alles Mechanismen, die uns vor durchgeknallten Botschaften geschützt haben. Heute herrscht in den Medien insgesamt die Lust am Vernichten.
Derzeit steht es höher im Kurs, etwas fertig zu machen, als etwas zu schaffen. In der Literatur ist das doch auch so. Haben Sie schon bemerkt, dass Kritiken immer bösartiger geworden sind? Haben Sie schon mal Michiko Kakuktani in der New York Times gelesen? Mit der ist doch irgendwas nicht in Ordnung. Die hat gerade über Michael Cunninghams neues Buch geschrieben. Ich konnte gar nicht glauben, wie fies das war. Inzwischen hebt die New York Times Book Review Verrisse sogar auf den Titel. Kann das die Aufgabe der Kritik sein?
SZ: Nun ja, wenn ein wichtiger Autor ein schlechtes Buch schreibt, dann ist das eben wichtig.
Foer: In dem Fall wird ein Verriss aber nicht viel ändern. Einem Bestsellerautor wird er sogar eher helfen. Würde man stattdessen ein geniales Debut auf den Titel heben, könnte das etwas verändern.
SZ: Richten sich solche Entscheidungen nicht oft auch nach der Prominenz des Kritikers? Oft kritisieren ja große Schriftsteller ihre großen Kollegen, das ist dann eben eine Sensation.
Foer: Das ist ziemlich billig. In anderen Ländern machen sie so was nicht. In Europa gibt es professionelle Kritiker, und so sollte das auch sein.
SZ: Aber wenn John Updike Tom Wolfes neues Buch verreißt und Tom Wolfe dann einen bösen Essay über Updike schreibt, schlägt das eben Wellen.
Foer: Aber brauchen wir solche Debatten?
SZ: Hat man Ihnen schon Kritiken angetragen?
Foer: Man hat mir angeboten, Philip Roths Frühwerke für eine neue Ausgabe zu besprechen. Das wäre eigentlich ein Traumjob gewesen. Aber ich habe trotzdem abgesagt, weil das ein Interessenskonflikt wäre.
SZ: Haben andere Schriftsteller über Sie geschrieben?
Foer: Walter Kern. Das war allerdings ein Super-GAU, weil das ein drittklassiger Schriftsteller ist, den niemand liest, und wann immer der über ein Buch schreibt, macht er es fix und fertig. Genau deswegen engagieren sie ihn ja auch. Wie einen Kampfhund. Der greift jeden Schriftsteller an, der jünger ist als er.
SZ: Das scheint Ihnen doch nahe zu gehen.
Foer: Nein, es liest sich eher amüsant. Im Großen und Ganzen wurde mein neues Buch sehr gut aufgenommen. Und was soll man auch sagen? Wenn mein Buch Mist sein sollte, schreibe ich eben ein anderes. Ich habe nie behauptet, dass ich nur gute Bücher schreibe.
Interview: Andrian Kreye
„Ich habe nie behauptet, dass ich nur gute Bücher schreibe.” Jonathan Safran Foer
Foto: Neville Elder/ Corbis
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"Ein Geniestreich." Die Zeit"Atemberaubend!" Süddeutsche Zeitung.

Der junge Autor Jonathan Safran Foer ist ein Akrobat des Geschichtenerzählens, aber viel wichtiger ist, dass er seine Themen und Figuren liebt. Er wird Sie begeistern und er wird Ihnen das Herz brechen." Joyce Carol Oates"
"Jonathan Safran Foers zweiter Roman erfüllt all unsere Erwartungen. Er ist ehrgeizig, brillant, geheimnisvoll und vor allem in der Schilderung des verwaisten Oskar zutiefst bewegend. Eine ungewöhnliche Leistung." Salman Rushdie

"Jonathan Safran Foer ist eine ungewöhnliche neue Stimme - virtuos, visionär, naiv, urkomisch und herzzerreißend." The Village Voice

"Temperamentvoll, eindringlich und wunderbar unterhaltsam bringt Foer den Leser dazu, die Welt mit all ihrem Grauen und all ihren Möglichkeiten aus der Perspektive eines Kindes neu zu sehen." National Post

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Anhänger der realistischen Literatur sollten den zweiten Roman von Jonathan Safran Foer lieber gleich wieder aus der Hand legen, meint Rezensent Georg Diez. Denn Foer beschwört in bekannter Manier nicht nur den Schrecken des 11. September, sondern den "der gesamten Welt", und präsentiert ihn in der Sprache eines kleinen Jungen. Dieser hat seinen Vater in den Trümmern des World Trade Centers verloren und kämpft nun gegen die "große Tragödie seines Lebens". Das Schicksal des Jungen vernetzt der Autor mit zahlreichen anderen Geschichten vom Suchen - das Hauptmotiv, wie der Rezensent herausfindet. In seiner "kindlichen" Lust am Sammeln von Begebenheiten und Eindrücken liege die Schönheit, aber auch "ein Teil der Probleme". Gelegentlich wirken die Menschen und Schicksale nämlich wie "ausgedachte Wesen". Dafür aber findet die Sprache Foers - von Übersetzer Henning Ahrens "flüssig" übertragen - die volle Zustimmung des Kritikers. Die "Lust an Dialogen" und die Freude an der "krummen" Sprache machen Foers neues Buch zu einer "brillanten" Erzählung, die "so sentimental ist, wie unsere Zeit es verlangt."

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