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Eine gefährdete Liebe, eine Familie im Konflikt, ein Roman voller Geschichten - vom Autor des Welterfolgs "Die Korrekturen".Eine Serie von Erdbeben erschüttert Boston. Als die Großmutter von Louis Holland dabei ums Leben kommt, entbrennt ein erbitterter Familienstreit um ihr Vermögen. Seine Freundin, die junge Seismologin Renée, bemüht sich unterdessen, die Ursachen des rätselhaften Bebens zu ergründen. Doch je näher sie ihrem Ziel kommt, desto heftiger gerät das moralische Fundament der Familie Holland ins Wanken.

Produktbeschreibung
Eine gefährdete Liebe, eine Familie im Konflikt, ein Roman voller Geschichten - vom Autor des Welterfolgs "Die Korrekturen".Eine Serie von Erdbeben erschüttert Boston. Als die Großmutter von Louis Holland dabei ums Leben kommt, entbrennt ein erbitterter Familienstreit um ihr Vermögen. Seine Freundin, die junge Seismologin Renée, bemüht sich unterdessen, die Ursachen des rätselhaften Bebens zu ergründen. Doch je näher sie ihrem Ziel kommt, desto heftiger gerät das moralische Fundament der Familie Holland ins Wanken.
Autorenporträt
Jonathan Franzen, 1959 geboren, erhielt für seinen Weltbestseller «Die Korrekturen» 2001 den National Book Award. Er veröffentlichte außerdem die Romane «Die 27ste Stadt», «Schweres Beben», «Freiheit» und «Unschuld», das autobiographische Buch «Die Unruhezone», die Essaysammlungen «Anleitung zum Alleinsein», «Weiter weg» und «Das Ende vom Ende der Welt» sowie «Das Kraus-Projekt» und den Klima-Essay «Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen». Er ist Mitglied der amerikanischen Academy of Arts and Letters, der Berliner Akademie der Künste und des französischen Ordre des Arts et des Lettres. 2013 wurde ihm für sein Gesamtwerk der WELT-Literaturpreis verliehen, 2022 der Thomas-Mann-Preis. 2015 erhielt er für seinen Einsatz zum Schutz der Wildvögel den EuroNatur-Preis. Er lebt in Santa Cruz, Kalifornien.
Rezensionen
"Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Jonathan Franzen zeigt ungemein unterhaltsam und humorvoll, was die Stärken des amerikanischen Romans ausmacht." -- Literaturen

"Ein sprachgewaltiges Panorama." -- Die Welt

"Moralisch und zynisch, heftig und sanft, komisch und traurig zugleich. Als hätten Bob Dylan und The Clash zusammen einen Song geschrieben." -- die tageszeitung

"Ein großer Roman. Eine der schönsten Liebesgeschichten dieser Zeit." -- Süddeutsche Zeitung
Ein sprachgewaltiges Panorama. Die Welt

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2005

Anleitung zum Glücklichsein
In seinem großen Roman „Schweres Beben” erzählt Jonathan Franzen, wie man den Halt verliert
Das Schicksal wählt nicht, und so wiederfährt ausgerechnet dem selbstgerechten Looser Louis Holland eine der schönsten Liebesgeschichten dieser Zeit. Er ist dreiundzwanzig Jahre alt, weitgehend kahlköpfig, stammt aus gutem Hause, trägt eine Art Fliegerbrille und hat früh beschlossen, dem amerikanischen Traum von Reichtum und Erfolg abzuschwören. Louis gehört zu jener Sorte junger Männer, die sich treiben lassen, mit allem abgeschlossen haben, um nicht enttäuscht zu werden, die entweder zu viel oder zu wenig reden und selten das rechte Wort treffen. Ein unausgegorener Charakter, der für sich einnimmt, weil er die Lebenslügen seiner Umwelt durchschaut, die Nichtigkeit des Mittelschichtlebens erkannt hat, und der in seiner unglenken Art, in seiner Neigung zur Überreaktion doch abstößt.
Ein Zufall führt ihn an die Seite der dreißigjährigen Seismologin Renée Seitchek, die sich durch Ehrgeiz und Ordnung das Leben vom Leib hält. Ihre Küche gleicht der eines Menschen, „der alle Sorgfalt darauf verwendet, das Geschirr vom Abendessen abzuspülen und die Arbeitsflächen sauber zu wischen, bevor er ins Schlafzimmer geht und sich eine Kugel ins Gehirn schießt”.
Da sind zwei, für die das Amerika der frühen neunziger Jahre keine Rollen, keine Lebensentwürfe bereit hält, zwei, die ihre Kraft im Dagegensein und Nicht-Dazugehören verausgabt haben und nun ebenso ratlos wie routiniert den Alltag in Boston bewältigen müssen, sie an der Universität, er bei einem kleinen Radiosender. Sie scheinen für einander bestimmt, begegnen sich wortlos vertraut, sinnlich überwältigt, und doch einander grundlos fremd.
Von diesem Paar und seinem Weg zum Glück handelt Jonathan Franzens zweiter Roman, der nun endlich auf deutsch vorliegt. Franzen, der seit dem Welterfolg der „Korrekturen” von dem Missverständis verfolgt wird, er schreibe Familienromane, war dreiunddreißig, als „Strong Motion” 1992 in den USA erschien. Es gibt von ihm kein Jugendwerk, nichts halb gekonnt Frisches, nichts Improvisiertes, kein Erproben im Kleinen. Er geht auch hier aufs Ganze, entwirft ein Gesellschaftspanorama.
Die Maschinerie, die er dazu in Gang setzt, ist gewaltig: Das Chemieunternehmen Sweeting Aldren spielt ebenso eine Rolle wie mehrere Schwarmbeben im Großraum Boston. Die christliche Rechte und fleißige Marxisten, von denen Louis weiß, dass sie tags denken und nachts trinken, haben ihre Auftritte. Es geht um Geldgier, Abtreibung, Konsum, Umweltbehörden, Zeitungen, Fernseh- und Rundfunkstationen, Sex, Hochzeiten, Mordversuche und Todesfälle. Der Leser trifft auf Nachbarn und Irre, Karikaturen und Mütter, aber es ergeht ihm wie Louis Holland in der entscheidenden Nacht, als nach vielen mehr oder weniger harmlosen Erschütterungen ein starkes Beben die Stadt heimsucht, eine Chemiefabrik verbrennt und dutzende Tote zu beklagen sind: Er kann das Geschehen „mit keiner Verantwortlichkeit zwischen den Polen von Richtig und Falsch in Verbindung bringen”. Die Katastrophe wirkt nicht anders, als was man bisher im Leben sah: „wiederholte Handtaschenräuberei” oder ein zerlumpter Mann, der in Houston mit heruntergelassenen Hosen im Park stand und onanierte. Alles erscheint unwirklich, „so unwirklich wie Kriegsberichte oder Aufnahmen von Attentaten im Fernsehen”.
Dabei scheint der Plot dazu angelegt, Schuld eindeutig zuzuweisen: Die Beben in Boston und Umgebung hat, soweit Seismologen das eindeutig sagen können, Sweeting Aldren verursacht, weil der Chemiekonzern jahrelang giftige Abfälle in ein Bohrloch einleitete. Louis Hollands Mutter hat Aktien des Unternehmens in Wert von 22 Millionen Dollar geerbt. Und während Louis aus Wut auf die skrupellose Konzernführung die Recherchen seiner Freundin Renée unterstützt, erwartet seine Mutter von der beeindruckenden jungen Frau Ratschläge, ob und wann sie ihren Besitz am günstigsten verkaufen kann. Als Renée angeschossen wird, glaubt die Öffentlichkeit die Schuldigen zu kennen. Seit Monaten agiert in der Stadt eine Kirche der christlichen Aktion gegen das Recht auf Abtreibung. Seit Renée es in einem unglücklichen Fernsehinterview verteidigt hat, wird sie von überengagierten, das Recht auf Leben verteidigenden Mittelstandsfrauen terrorisiert. Sie hat, da Louis einem erotischen Schwarm aus früheren Tagen nicht wiederstehen konnte und sie stehen ließ, selbst abgetrieben. Was liegt also näher als der Verdacht, den Schießwütigen im Kreis der christlichen Fundamentalisten zu suchen?
Der Handlungsfülle und Vielzahl der Personen kann keine Nacherzählung gerecht werden. Denn der Plot, der so sehr an Kolportage und Krimi erinnert, ist für Franzen nur ein Mittel, seine Figuren zu beleuchten. Die virtuose Konstruktion des Romans ist voller Ironie - im gut romantischen Sinne. Kein Absolutes bleibt stehen, kein Urteil ist endgültig, kein Schein, der nicht trügt. So ist wohl wahrscheinlich, dass die gesetzwidrige Abfallbeseitigung, einige Beben ausgelöst hat, die finale Katstrophe aber scheint doch der höheren Gewalt tektonischer Bewegungen geschuldet. Profitstreben spielte gewiss eine Rolle, als Sweeting Aldren mit der Tiefenbohrung begann, aber ebenso wichtig war der Wunsch eines Gewaltigen, eine junge, etwas durchgeknallte Wissenschaftlerin für sich zu gewinnen.
„Schweres Beben” ist eben kein antikapitalistisches Manifest, keine grün inspirierte Anklageschrift wider die große Industrie und erst recht nicht die Geschichte einer zerrütteten Familie. Die Hollands kommen, in großer Distanz zueinander, ganz gut klar. In Augenblicken der Krise sieht es fast so aus, als könnten sie sich aufeinander verlassen. Virtuos spiegelt Franzen Charaktere, private Beziehungen und soziales, politische, wirtschaftliches Geschehen ineinander. Die verschiedenen Rollen und Erzählungen, die vom familiären Glück und die vom wirtschaftlichen Erfolg, die vom moralisch Richtigen und die vom politisch Gewollten, passen nicht zueinander.
So ist eben der Führer der Abtreibungsgegner, der Mann der Kirche der christlichen Aktion kein bornierter, kalter Eiferer, sondern einer der eindrucksvollsten Charaktere des Romans. Als Renée Philip Stites trifft, ist sie zwar angewidert von seinen Werbefilmen, vom Treiben der Gemeinde, aber intellektuell und erotisch fasziniert. Es sei, sagt Stites, das Streben aller Menschen, ihren Sinnen Lust zu verschaffen, ohne für die Folgen einzustehen, ohne Verantwortung zu übernehmen.
Vom Durcheinander des Lebens
Wenn es in diesem Buch eine politische Provokation gibt, die auch dreizehn Jahre nach dem ersten Erscheinen an Kraft nicht verloren hat, dann liegt sie darin, wie Franzen Abtreibung und billige Müllentsorgung nebeneinander stellt, wie er den wütenden Antikapitalismus und den antiliberalen Affekt parallelisiert. Was heißt es, Verantwortung zu übernehmen, für die Folgen seines Handelns einzustehen?
Franzen entfaltet die Frage, verwirft, verspottet, verachtet die vorgefertigten Antworten. Er zeigt, indem er die Erde beben lässt, das ungewöhnlich schlimme Durcheinander des Lebens. Es gibt essayistische Passagen in diesem Roman, starke Meinungen, aber in seinen großen Momenten, in den Begegnungen von Louis und Renée, von Reneé und Philip Stites, in den herrlichen Gesprächen zwischen Louis und seiner so liebenswert dummen Schwester, triumphiert die Kraft des Erzählens - eine menschenfreundliche, hinschauende, verstehende Kraft. Es ist die besondere Gabe Franzens, den allen gleich und allen vorbehaltlos zugewandten Blick des Erzählers mit Satire, Groteske, Slapstick und Polemik zu verbinden. Daher wird der Leser auch verstehen, dass Louis den Panzer der Meinungen ablegen, alle schützenden Erzählungen vergessen muss. Dann bleibt ihm nichts als die Gegenwart: Hinschauen, Zuhören, Weitergehen.
JENS BISKY
JONATHAN FRANZEN: Schweres Beben. Aus dem Amerikanischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005. 685 Seiten, 24,90 Euro.
Große Liebe? Wortlos vertraut und doch fremd.
Foto: Regina Schmeken
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2005

Es rappelt in der Kiste
Ausschlag auf der Weltenrichterskala: In seinem Roman aus dem Jahr 1992 erzählt Jonathan Franzen eine moderne Heiligenlegende

Mancher wird schöner, wenn er älter wird. Das gilt auch für Romane. Die unübersehbaren Spuren ihres Alters, die aus der Mode gekommenen Wendungen, die einst aktuellen und nun unverständlich gewordenen Anspielungen, die merkwürdigen Geräte, mit denen hantiert, und die altmodischen Werte, die hochgehalten werden - all das Zeitgebundene und Kommentarbedürftige können dem großen Roman gar nichts anhaben, dank seines "Wahrheitsgehalts", wie Walter Benjamin das in seinem Aufsatz über Goethes "Wahlverwandtschaften" genannt hat.

"Schweres Beben" ist der zweite Roman des auch in Deutschland mit "Korrekturen" berühmt gewordenen amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen. Er erschien im Original bereits 1992, vier Jahre nach dem Debüt "Die siebenundzwanzigste Stadt". Dreizehn Jahre mag man auch in unserer turbokapitalistisch beschleunigten Gegenwart für keine lange Zeitspanne halten - und doch haftet dem Buch etwas Anachronistisches an, ein strenger Geruch der Achtziger, als man sich noch über junge Aufsteiger in Nadelstreifen erregte und Chemiekonzerne die Achse des Bösen schmierten. Das ist freilich, siehe Benjamin, nur ein Symptom - nämlich eines zeitgebundenen "Sachgehalts", der von keinem höheren Glanz zum Strahlen gebracht wird.

Im Mittelpunkt des Romans steht der dreiundzwanzigjährige Louis Holland, ein ungeschmeidiger und gern aneckender Verlierertyp, der bei einem winzigen idealistischen Radiosender in Boston arbeitet, einen Yuppie auf zehn Meilen wittert und als enfant terrible seiner Familie gilt. Als seine wohlhabende Großmutter bei einem leichten, für die Region allerdings völlig ungewöhnlichen Erdbeben in ihrer Villa zu Tode stürzt, wird Louis mit lästigen Familienangelegenheiten behelligt, die er längst erledigt glaubte. Seiner Mutter fällt als Erbin ein großer Anteil am nahe gelegenen Chemiegiganten Sweeting-Aldren zu, und seine verhaßte Schwester Eileen versucht, ihr Stück vom Kuchen auf die Seite zu schaffen. Latente Familienkonflikte brechen auf, während zugleich weitere rätselhafte Beben die Gegend erschüttern und den Aktienkurs der Firma gefährden. Just zu dieser Zeit begegnet Louis Renée Seitchek, die zufällig als Seismologin am Geophysikalischen Institut in Harvard arbeitet, und ebenso zufällig stoßen die beiden, bald ein Paar, auf Hinweise darauf, daß Sweeting-Aldren an den Erdbeben schuld sein könnte: Die illegale Entsorgung von hochgiftigen Abwässern in tiefen Bohrlöchern soll die Erde aus dem Lot gebracht haben.

Nicht nur in der Zusammenfassung klingt das nach ein paar Zufällen zuviel. Franzen bedient sich ungeniert genrehafter Elemente, ohne jedoch wirklich auf die Spannung eines Krimis zu spekulieren. Dafür nämlich weiß man viel zu früh, wie der Hase läuft, nämlich mitten über das hochgesicherte Werksgelände des, pardon, Schweinekonzerns, der nicht nur Napalm, Entlaubungsmittel und ähnliches herstellt, sondern auch noch die Umwelt verpestet - und so die heile Ostküstenwelt wortwörtlich ins Wanken bringt. Natürlich sind die rotgesichtigen, fettleibigen Herren in den teuren Anzügen am Ende wirklich die Fiesen. Natürlich schenkt die abgekochte Dame vom Umweltamt Renées Theorie keinen Glauben. Natürlich schrecken die Umweltsünder auch vor Mord nicht zurück. Und natürlich fliegt am Ende das ganze nach Gift stinkende Lügengebäude in die Luft.

Kurz gesagt: Franzen ist als Erzähler nicht weniger skrupellos als seine Chemiebonzen und vertraut ebensosehr auf Konventionen und Klischees wie diese auf die unbegrenzte Aufnahmefähigkeit von Mutter Erde. Doch wäre auch beim Leser sehr rasch die Grenze der Belastbarkeit erreicht, wenn Franzen seinen grenzwertigen Plot nicht mit der originelleren Geschichte einer doppelten Selbstfindung überformen würde: Louis ist - mit fatalen Folgen - unfähig, sich zwischen seinem hysterischen Ex-Schwarm und der reiferen, ihn überfordernden Renée zu entscheiden. Diese wiederum steckt in einer tiefen Identitätskrise, die sich durch einen Schwangerschaftsabbruch dramatisch zuspitzt. Mit Renée gelingt Franzen das überzeugende Porträt einer von Selbsthaß zerriebenen, sexuell frustrierten Karrierefrau. Allerdings gewinnt die windungsreiche Beziehungsgeschichte eine solche Eigendynamik, daß es scheint, als habe der Autor seinen eigenen Plot zwischendurch glatt vergessen: So schwelgen die Liebenden absurderweise lieber nächtelang in Teenager-Erinnerungen an die ersten New Wave-Platten als den gerade erst aufgedeckten Ökoskandal zu verfolgen.

Louis wirkt mitunter wie ein Prototyp für Chip aus den "Korrekturen", was auch für das Buch insgesamt gilt: So versucht Franzen schon hier, mittels einer Großmetapher Familien- und Gesellschaftsgeschichte zu verzahnen. Mitunter knirscht das kräftig: So muß die Liebesgeschichte die Gewalt geologischer Plattentektonik bekommen oder der Sex nach einem Beben extra scharf sein: Daß Erdstöße eine Seismologin besonders anmachen, hat fast schon - allerdings unfreiwillig - die komische Qualität von Tyrone Slothrops Raketenerektionen in Pynchons "Gravity's Rainbow". Zwar zeigt sich in vielen stilistisch glänzenden Passagen - vor allem in den immer wieder originellen Kapitelanfängen - bereits der souveräne Erzähler der "Korrekturen", der schier mühelos die Handlungsstränge überblickt und fast nebenbei ein anschauliches Gesellschaftspanorama zeichnet. Doch dieses Buch will zu viel zugleich sein: Öko-Thriller, Familienepos, Liebesgeschichte, ja am Ende auch noch ein Frauenroman, der im erbitterten Abtreibungsstreit in den Vereinigten Staaten Partei ergreift.

Franzen scheitert aber nicht eigentlich an seinen Längen und den sich oft verselbständigenden Retardationen. Ihm mißlingt, wieder einmal, das Ende. Wie selbst noch in den "Korrekturen" schließlich eine überraschende Katharsis die scheinbar unversöhnlichen Gegensätze der Familie aufhebt, so wird die Apokalypse am Schluß zu einem großen, erlösenden Strafgericht.

Die Geschichte Renées nimmt die von Kitsch nicht freien Züge einer Heiligenlegende an; für ihre Überzeugungen wird sie gleich doppelt - als Abtreibungsbefürworterin und Ökoaktivistin - zur modernen Märtyrerin, die sogar den charismatischen Sektenführer beeindruckt. Kein Wunder, daß Louis sich aus seiner Sonntagsschule nur noch an der Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel erinnert. Wenn dann am Schluß auch noch mit einem Scheck über sechshunderttausend Dollar das Objekt der Begierde einfach verbrannt wird, ist das antikapitalistische Evangelium perfekt. Ein glückliches Ende darf man wollen, aber nicht zeigen. In "Schweres Beben" erweist sich Franzen als Moralapostel, der zwar das gute Gewissen, aber nicht die Wahrheit auf seiner Seite hat.

Jonathan Franzen: "Schweres Beben". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 686 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Richtig begeistert ist Almut Finck nicht von Jonathan Franzens im Original bereits 1992 erschienenen Roman. Zu konstruiert erscheint ihr der Plot und die Handlung "verworren wie ein Wollknäuel nach Bearbeitung durch ein Katzenvieh". Erst in der zweiten Hälfte - nach über 350 Seiten! - komme die Geschichte über Umweltsünder und militante Abtreibungsgegner in Schwung, lesen wir. Eindeutig zu spät für die Rezensentin, und irgendwie auch herbeigeholt. Aber lobende Worte findet sie trotzdem, nämlich für die "schillernden, komplexen" Nebenfiguren, die im Gegensatz zu den "wandelnden Holzschnitten", den Hauptprotagonisten Louis und Renee, sehr charmant rüberkommen, findet sie. Besonders hebt Finck den Familienpatriarchen Bob Holland heraus, der trotz seines Unverständnisses für konsumgierige Arbeiter selbst auch kein Kostverächter ist. Die Rezensentin fasst Franzens Roman entsprechend ihrer Hinundhergerissenheit auch als "bunt, laut, leidenschaftlich, wütend, manchmal zynisch, manchmal romantisch, manchmal ziemlich kitschig" zusammen.

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