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Es gibt keinen Kampf der Kulturen: Die Moderne hat die scheinbar so monolithischen Gesellschaften in einer stillen, aber dramatischen Revolution unterwandert und wird sie komplett verändern.
Für seinen Bestseller »Weltmacht USA. Ein Nachruf« wurde Emmanuel Todd viel kritisiert inzwischen hat ihm die Entwicklung recht gegeben. Ähnlich kontrovers wird diese von Youssef Courbage und Todd vertretene These über die islamische Welt aufge nom men werden: Der Terror, den wir erleben, stellt die letzten Zu ckungen einer sterbenden Ideologie dar. Denn, so der aufsehenerregende Befund der beiden…mehr

Produktbeschreibung
Es gibt keinen Kampf der Kulturen: Die Moderne hat die scheinbar so monolithischen Gesellschaften in einer stillen, aber dramatischen Revolution unterwandert und wird sie komplett verändern.
Für seinen Bestseller »Weltmacht USA. Ein Nachruf« wurde Emmanuel Todd viel kritisiert inzwischen hat ihm die Entwicklung recht gegeben. Ähnlich kontrovers wird diese von Youssef Courbage und Todd vertretene These über die islamische Welt aufge nom men werden: Der Terror, den wir erleben, stellt die letzten Zu ckungen einer sterbenden Ideologie dar. Denn, so der aufsehenerregende Befund der beiden Autoren, die Moderne ist in allen islamischen Ländern auf dem Vormarsch. Die Autoren demonstrieren das an den sinkenden Geburtenzahlen oder dem Konsum ebenso wie am Alphabetisierungs- und Bildungsgrad, speziell auch unter den Frauen. Die Modernisierung der islamischen Gesellschaften, so können Courbage und Todd zeigen, ist viel weiter vorangeschritten, als die Mullahs es wahrhaben wollen.
Autorenporträt
Emmanuel Todd, geboren 1951, promovierte in Cambridge in Geschichte. Er arbeitet am Institut National d'Etudes Démographiques. Bereits 1976 sagte er in einem Buch Zusammenbruch der Sowjetunion voraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008

Gut gemeint und schwer daneben
Wie Youssef Courbage und Emmanuel Todd die Demographie als prophetische Wissenschaft missverstehen / Von Nils Minkmar

Die Debatte um den Kampf der Kulturen oder, je nach Übersetzung, der Zivilisationen, die wir mit Samuel Huntington einem Herrn verdanken, der schon im Ärger um die Unpünktlichkeit mexikanischer Handwerker einen besorgniserregenden Kampf ums Abendland erkennt, hat etwas zutiefst Ermüdendes, denn mit der Frage, ob es den Kampf gibt oder nicht, ist nichts gewonnen, und die Jahre gehen ins Land.

Der Vorteil dieses Buches ist es nun, einen neuen Standpunkt zum Ausblick auf die weite wilde islamische Welt zu etablieren, den der Demographie. Sein Nachteil ist, diese Erkenntnisse gleich in eine Position in der Debatte um die Frage der Existenz des Kampfs der Kulturen umzuwandeln. Das Argument geht so: Weil, wie im Buch nachgewiesen wird, auch in der islamischen Welt die Alphabetisierung der Frauen voranschreitet und die Geburten zurückgehen, folgt sie mittelfristig dem Muster der westlichen Modernisierung, wie es sich im "Pariser Becken" herausgebildet hat und irgendwann ist der ganze Orient wie das Quartier Latin.

Nun ist es ein altes Klischee, dass Pariser Intellektuelle als Norm und Idealfall menschlicher Existenz den Pariser Intellektuellen heranziehen, selten aber hat man es in solch erfrischend unverfälschter Form serviert bekommen wie hier. Weil im Pariser Becken seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Religiosität zurückging, die Alphabetisierung aber voranging, kam es , so verkürzen es die Autoren, zur Französischen Revolution, die hier zwar nicht explizit die glorreiche genannt wird, es fehlt aber auch nicht viel: "Als im Pariser Becken die liberale, auf Gleichheit pochende, revolutionäre und schließlich friedlich republikanische Ideologie ihren Siegeszug antrat, hatte dort bereits ein halbes Jahrhundert zuvor die Religion ihre Bedeutung verloren." Kein Wort von der Terreur, keine Vendée Massaker, nichts über die irren Religionsersatzversuche der Republik. Das ganze tragische Taumeln der Geschichte bis und mit Napoleon wird einfach weggelassen, damit das Verlaufsmuster schöner kommt: Antiklerikalismus, Alphabetisierung und Geburtenkontrolle führen in die Moderne, eigentlich direkt zur milden Regierung eines François Fillon.

Die brutale Kontextualisierung des demographischen Materials in so ein schulbuchjakobinistisches Verlaufsmuster ist einfach nur schade, denn die Daten, die das Buch bietet, sind brisant. Sie zeigen in großer Detailfreude und mit einiger Plausibilität, dass alle islamischen Gesellschaften im tiefen Wandel begriffen sind. Zwei wichtige Indikatoren - die Alphabetisierung der Frauen und der einsetzende Geburtenrückgang - werden besonders beachtet. Und es liegt in der Tat nahe, diesen beiden Phänomen eine große soziale Wirkmächtigkeit zuzuschreiben. Sie bleiben aber bloße Indikatoren und ersetzen keine historischen Analysen und Erzählungen. Sicher mag aus einem kurzfristigen Zusammentreffen beider Faktoren in einer traditionalen Gesellschaft eine Desorientierung und Krisenanfälligkeit resultieren, was dann aber daraus wird, kann man mit dem Vorhandensein beider Indizes allein nicht ableiten. Es kommt ja beispielsweise auch darauf an, was die Frauen lesen, und ein Geburtenrückgang kann ja auch bedeuten, dass pränataltechnologische Erkenntnisse genutzt werden, um die Mädchen abzutreiben.

Aus demographischen Erkenntnissen allein lässt sich eben nicht ableiten, ob wir einen Kampf der Kulturen haben oder wie die Geschichte weitergeht. Es gibt, wie wir wohl wissen, moderne, bürgerlich geprägte Gesellschaften, in denen Frauenbildung und Familienplanung in hoher Blüte standen, die eine nie dagewesene Barbarei entfalteten.

Das Buch ist gut gemeint und schwer daneben. Besonders verstörend liest sich die Deutschland betreffende Passage, nach der "das" deutsche Erbrecht die ältesten Söhne begünstigt, so dass "die" deutsche Familie durch Autorität geprägt sei, was dann zu Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus führe: "Wenn die Brüder (beim Erben) ungleich sind, so sind es auch die Menschen und Völker." War Schillers "Alle Menschen werden Brüder" eine Hymne an den Familienkrach? Im Ernst: Das deutsche Erbrecht war so vielfältig wie die Herrschaftsstrukturen des Alten Reiches. Daraus eine Fundamentalerklärung der deutschen Psyche und Geschichte abzuleiten ist wissenschaftlicher Leicht-, nein: Schwachsinn. Nach solchen Hämmern traut man leider auch den anderen Thesen nicht über den Weg.

Youssef Courbage, Emmanuel Todd: "Die unaufhaltsame Revolution". Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern. Aus dem

Französischen von Enrico Heinemann. Piper

Verlag, München 2008. 218 S., 8 Grafiken, 9 Tafeln, 1 Karte, geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2009

Vergebliche Gewaltexzesse
Die Modernisierung der islamischen Welt ist unaufhaltsam
Das gibt es also doch noch – oder wieder –, dass Wissenschaftler sich die Hegelsche Sichtweise vom unaufhaltsamen Fortschritt des menschlichen Geistes ausdrücklich zu eigen machen. Youssef Courbage und Emmanuel Todd, Forscher am Pariser Institut National d’Études Démographiques, tun das in ihrem Islam-Buch. Die beiden halten – gegen den Zeitgeist – unverdrossen an Aufklärung und Fortschrittsdenken des 18. und 19. Jahrhunderts fest, zählen Condorcet und Hegel zu ihren geistigen Mentoren. Deren geschichtsphilosophische Konzepte würden durch ihre eigenen empirischen Untersuchungen über demographische und zivilisatorische Entwicklungen bestätigt, glauben sie: „Auch wenn die Geschichtsphilosophie aus der Mode gekommen ist, sind ihre Beobachtungen nach wie vor gültig.”
In ihrer Studie über den Zusammenhang von Alphabetisierung, Geburtenrückgang und mentaler Modernisierung in der islamischen Welt argumentieren sie, dass diese sich von der westlichen Welt nicht grundsätzlich unterscheide, sondern im Wesentlichen nur durch ihre historisch andere Entwicklungsstufe. Es werde nicht zu dem von vielen prophezeiten „Kampf der Kulturen” kommen, sondern zu einer Begegnung, vielleicht sogar Integration der Kulturen. Denn wie alle Kulturen und Religionen werde auch der Islam in den Prozess der globalen Modernisierung hineingezogen und transformiert: „Auch die muslimische Welt bewegt sich auf den Fluchtpunkt einer Geschichte zu, die weitaus universeller verläuft, als man wahrhaben will”, schreiben sie ganz hegelianisch. Schon jetzt habe sich das Alltagsleben vieler Muslime von den Geboten des Korans entfernt, ebenso wie das der meisten Christen von den Geboten der Kirche und der Bibel.
Die Autoren machen klar, dass die vom Westen mit einer Mischung aus Besorgnis und Arroganz betrachteten Gewaltausbrüche in der islamischen Welt nichts anderes sind als typische krisenhafte Erscheinungen des Übergangs in eine modernere Welt, wie sie ähnlich überall in der Menschheitsgeschichte vorkamen, auch in Europa von der Reformation bis zum Zweiten Weltkrieg. Für den Westen gebe es deshalb keinen Anlass, herablassend auf die muslimische Welt zu blicken, die ähnlich Schmerzhaftes durchmache wie Europa in seiner Geschichte: die Emanzipation der Massen, auch der Frauen, durch Alphabetisierung und Bildung, auch der Frauen, bei gleichzeitiger Erschütterung der tradierten Glaubens- und Moralvorstellungen – und ein sich daraus ergebender Sinn- und Orientierungsverlust. Was extreme Reaktionen nach sich ziehen kann: verzweifeltes Klammern an der alten untergehenden Ordnung, Gewaltexzesse gegen die aufkommende moderne Welt, die man doch nicht verhindern kann.
Dass der Westen bei diesen Vorgängen nichts von seiner eigenen Geschichte wiedererkennen kann oder will, monieren Courbage und Todd besonders: „Diese Fehlsichtigkeit offenbart das spärlich ausgebildete historische Bewusstsein, das Europa und die Vereinigten Staaten kennzeichnet. Unser Zeitalter feiert das kollektive Gedächtnis, kultiviert aber zugleich das Vergessen” urteilen sie zu Recht und betonen: „Die Zuckungen, die wir heute in der muslimischen Welt erleben, sind keineswegs Ausdruck einer radikalen Andersartigkeit. Sie sind vielmehr die klassischen Symptome der Desorientierung, die jeden Umbruch kennzeichnet.” Die Autoren wollen plausibel machen, dass es dauerhaft keine unüberbrückbare Kluft zwischen der islamischen Welt und dem Westen geben kann. „Die Bahnen, auf denen sich die Völker der Welt, die verschiedenen Kulturen und Religionen weiterentwickeln, streben aufeinander zu”, schreiben sie.
Courbage/Todd bemühen sich, diese These anhand umfangreicher empirisch-demographischer Analysen von Afrika über den Mittleren Osten bis Südostasien zu stützen. Sie können zeigen, dass seit etlichen Jahren nahezu überall in der islamischen Welt mit dem Fortschritt der Alphabetisierung von Männern und Frauen und dem Ansteigen der Bildung die Zahl der Geburten drastisch zurückgeht. Ähnlich war das früher in Europa, Russland und China, wo die Autoren einen Zusammenhang sehen zwischen der Verweltlichung und dem Voranschreiten der Geburtenkontrolle. Wie bei der „Entchristianisierung” Europas und der „Entbuddhisierung” Chinas könnte der starke Geburtenrückgang in Ländern wie der Türkei, Algerien und Marokko mit einer „Entislamisierung” zu tun haben, vermuten sie. Die Geburtenkontrolle wirke jedenfalls überall in der islamischen Welt als „Motor der Modernisierung” und offenbare einen „Wandel in den Denkweisen”. NIKOLAUS GERMAN
YOUSSEF COURBAGE / EMMANUEL TODD: Die unaufhaltsame Revolution – Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern. Piper Verlag , München 2008. 218 Seiten,16,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Auch wenn Rezensent Nikolaus German mit so viel Fortschritttsglauben erst einmal zurechtkommen musste, haben ihn Youssef Courbage und Emmanuel Todd mit ihrer Analyse der islamischen Welt für sich eingenommen. Die beiden sehen in den derzeitigen Gewaltausbrüchen und Radikalisierungen innerhalb der islamischen Welt nicht Anzeichen für eine Regression, sondern die Symptome einer Welt im Umbruch. In einer sich modernisierenden Welt brechen sich Wiederstand und Desorientierung Bahn, halten sie aber nicht auf. Recht gibt Rezensent German den beiden auch, wenn sie darauf verweisen, dass Europa sich für ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein feiere, dabei aber das Vergessen kultiviere: Seine Aufklärung, seine Modernisierung sei ganz genauso von Gewalt und Widerstand begleitet gewesen, wie die der islamischen Welt.

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